Die Vereinigten Staaten im Jahr 2023

Yazdır
Texte von Lutte de Classe - Klassenkampf - von Dezember 2023
Dezember 2023

Die Lage der Wirtschaft

Glaubt man den führenden Politikern der USA, so geht es der US-Wirtschaft gut. Die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 3,8 Prozent – eine Zahl, die die Tatsache verschleiert, dass zum Leidwesen der Kapitalisten ein ganzer Teil der Arbeiterschaft nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt ist. Ein zuverlässigerer Indikator ist die Erwerbsquote, d. h. das Verhältnis zwischen der Zahl der Erwerbstätigen und der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter. Diese Quote lag Anfang der 2000er Jahre bei 67% und ist nun auf 62,8% gesunken. Es ist ein historischer Tiefstand, der zehn Prozentpunkte unter dem Niveau zahlreicher europäischer Länder liegt. Dutzende Millionen haben sich vom Arbeitsmarkt zurückgezogen, melden sich nicht einmal mehr arbeitslos, weil sie keine Leistungen beziehen könnten. Sie werden daher in den Statistiken nicht mehr gezählt. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit dürfte daher eher bei 25% liegen, was jedoch eine hypothetische Zahl ist.

Darüber hinaus hängt die Wirtschaft am Tropf. Der Inflation Reduction Act, der 2022 unter dem Deckmantel des Kampfes gegen die globale Erderwärmung und der Förderung „sauberer Energien“ verabschiedet wurde und der auf 350 Milliarden Euro für zehn Jahre geschätzt wird, ist in Wahrheit ein ganzes Bündel protektionistischer Maßnahmen. Wenn Unternehmen von den Subventionen profitieren wollen, müssen sie den Großteil ihrer Produktion in den USA ansiedeln, was beispielsweise ausländische Autohersteller dazu veranlasst, ihre Fabriken in den USA und nicht anderswo zu errichten.

Das Gegenstück zu diesen gigantischen Unternehmenssubventionen ist eine Bundesverschuldung von rund 29.000 Milliarden Euro, was 124% des BIP entspricht. Diese Quote war bereits von 67% im Jahr 2008 auf 103% im Jahr 2017 gestiegen. Es ist also nichts Neues, dass die US-Wirtschaft auf Pump lebt. Die Rating-Agenturen haben die Kreditwürdigkeit der USA herabgestuft, und es wird regelmäßig von der Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit gesprochen. Auch wenn ein solcher aufgrund der potenziell katastrophalen Folgen unwahrscheinlich ist, so wird immer offensichtlicher, dass die gesamte US-Wirtschaft auf Pump lebt. Die privaten Schulden (Immobilien, Unternehmen, Verbraucher usw.) belaufen sich auf 165% des BIP. Beispielsweise müssen 44 Millionen Menschen Studienkredite abbezahlen, insgesamt 1.750 Milliarden US-Dollar, was dem BIP Brasiliens entspricht.

Reiche Milliardäre, verarmte Arbeiterklasse

Die Gewinne der Großkonzerne steigen weiter. 2022 stiegen sie um durchschnittlich 10%. Apple, Microsoft oder Google verdienen noch mehr Geld als die Ölmultis. Seit der Corona-Pandemie sind die Vermögen der Kapitalisten explodiert. 735 US-Milliardäre besitzen nun über 4.000 Milliarden US-Dollar. Das Vermögen von Elon Musk (Tesla, Space X, Twitter/X), der seine Konkurrenten auf der Liste der reichsten Menschen hinter sich gelassen hat, hat sich in drei Jahren versiebenfacht. Gleichzeitig ist die Lebenserwartung auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Sie ist auf ein Niveau gesunken, das in etwa dem von Kolumbien oder Kuba entspricht. Dieser Rückgang trifft in erster Linie Arbeiter/innen, Beschäftigte im Gesundheitswesen, Schwarze, Hispanics und die Ärmsten im Allgemeinen. 120.000 Menschen sterben jedes Jahr an einer Überdosis, meist an Opiaten, die von den Pharmariesen wissentlich und willentlich im großen Stil verkauft wurden. In den USA liegt die Müttersterblichkeitsrate weit über der vergleichbarer Länder. Gleichzeitig muss ein immer größerer Teil der Rentnerinnen und Rentner arbeiten, weil die Rente nicht zum Leben reicht. So hat sich die Zahl derjenigen, die mit 75 Jahren und älter noch gezwungen sind zu arbeiten, in den letzten zehn Jahren verdoppelt. In den Großstädten, vor allem an der Westküste, explodiert die Zahl an Obdachlose. 50.000 sind es allein in Los Angeles, wo mehrere Hundert letzten Sommer durch die extreme Hitze ums Leben kamen.

Die Arbeitende leiden weiterhin unter der kapitalistischen Offensive. Alle Bereiche der Arbeitswelt sind betroffen, wie etwa jene Fabriken der Lebensmittel- und Bekleidungsindustrie, in denen die Kinderarbeit ihr Comeback feiert. Die Automobilindustrie ist ein gutes Beispiel. Im Jahr 1970 beschäftigte sie 1,5 Millionen Arbeiter/innen: 900.000, alle gewerkschaftlich organisiert, bei den drei großen Autoherstellern (The Big Three) und weitere 600.000 bei Zulieferern, die oftmals ebenfalls gewerkschaftlich organisiert waren. Heute beschäftigen die Big Three (Ford, General Motors und Stellantis) nur noch 145.000 Arbeitende. Die Zahl der produzierten Autos ist nicht gesunken. Doch die Produktivität ist gestiegen, die Löhne und Leistungen wurden – oft mit Zustimmung der Gewerkschaft UAW – verschlechtert. Außerdem wurde ein ganzer Teil der Produktion an Unternehmen ausgelagert, deren nicht gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte weitaus weniger verdienen. Und die Autohersteller planen, den Übergang zu Elektroautos zu nutzen, um die Bedingungen für die Arbeitende weiter zu verschlechtern.

2019 gab es bei General Motors den ersten Streik seit 43 Jahren. Obwohl der aktuelle Streik bei den Big Three vollständig von der Gewerkschaftsbürokratie der UAW kontrolliert wird und die Möglichkeiten einer Ausweitung auf andere Bereiche der Arbeitswelt begrenzt zu sein scheinen, wird er von sehr vielen Arbeiterinnen und Arbeitern mit Interesse beobachtet und zeigt, dass ein Teil der amerikanischen Arbeiterklasse dem Klassenkrieg der Kapitalisten gegenüber nicht passiv bleibt.

Der US-Imperialismus am Drücker

Die USA stehen bei der Militärhilfe für die Ukraine an erster Stelle: Von den USA kommen 43 Milliarden Dollar, gegenüber 30 Milliarden Dollar für alle europäischen Länder zusammen. Diese Unterstützung ist Teil einer aggressiven Politik gegenüber Russland und darüber hinaus gegenüber China. Es ist nicht gesagt, dass diese Ausgaben die Wirtschaft des Landes belasten. Die USA schicken schließlich nicht säckeweise Geld in die Ukraine. Der Großteil ihrer Unterstützung besteht aus dem Kauf von Waffen und Munition, die von ihrer Rüstungsindustrie (Lockheed Martin, General Dynamics usw.) hergestellt werden. Die Waffen gehen in die Ukraine, aber das Geld bleibt in den USA. Während der Krieg das von Deutschland und anderen europäischen Mächten gekaufte Erdgas und Erdöl verteuert, hat er in den USA zur Folge, dass die Förderung von Schiefergas wieder aufgenommen wird. Die USA sind dadurch zum größten Gaslieferanten Frankreichs (25%) geworden und sind auch sein größter Öllieferant. Mit anderen Worten: Der Krieg in der Ukraine schwächt zwar die deutsche Wirtschaft, die US-Wirtschaft hingegen profitiert von ihm.

Hinter dem Zusammenstoß mit Russland zeichnet sich ein Zusammenstoß mit China ab, wie die Spannungen um Taiwan in diesem Jahr verdeutlicht haben. Haben die Zollschranken, die unter der Trump-Regierung eingeführt wurden und von Biden unverändert beibehalten werden, zu einer Neuordnung der Handelsbeziehungen geführt? Der Anteil Chinas an den US-Importen ist zwar zurückgegangen, aber er ist mit 16% im Jahr 2022 noch immer hoch und höher als vor der Krise von 2008. Außerdem bauen mehrere Länder, bei denen die USA nun stattdessen mehr einkauft (Vietnam, Taiwan, Südkorea...), ihre Handelsbeziehungen zu China aus. Kurzum, die Neuorganisation von Produktionsketten lässt sich per Dekret verordnen und die Entkopplung der US-amerikanischen und der chinesischen Wirtschaft bleibt begrenzt.

Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den beiden Ländern schließt jedoch das Risiko eines Krieges nicht aus. 1914 waren die Volkswirtschaften Deutschlands und Großbritanniens ähnlich eng miteinander verbunden, bevor sie sich bekämpften. Die USA, in denen eine antichinesische Rhetorik vorherrscht, stärken ihre Bündnisse mit Chinas Nachbarn, von Japan, Südkorea und Taiwan im Norden über die Philippinen, Singapur, Thailand und Indien bis hin zu Australien im Süden. Im Fernen Osten und im Pazifik werden immer mehr Militärübungen abgehalten, während der Krieg in der Ukraine für die USA ein Übungsplatz in Originalgröße für eine mögliche Konfrontation mit China darstellt.

 

8. Oktober 2023