1. Die "Globalisierung" der Wirtschaft, die Öffnung der Grenzen für die Zirkulation des Kapitals und in großem Maße für die Warenzirkulation, die zunehmende Verflechtung der Volkswirtschaften haben nicht zu einer stabileren Weltordnung geführt. Zwar ist die Welt seit dem Verschwinden der Sowjetunion nicht mehr in zwei Blöcke geteilt, doch gibt es zahlreiche Spannungsgebiete bzw. offene oder unterschwellige Konflikte.
Kaum sieht es so aus, als wolle sich eine Spannung legen, taucht eine neue auf. Im selben Augenblick, wo sich unter amerikanischer Schirmherrschaft der Beginn einer Versöhnung zwischen den zwei Koreas abzeichnet und die Behebung eines der ältesten, aus dem kalten Krieg ererbten Spannungsherde verspricht, droht Pakistan, einer der treuesten Verbündeten der USA, sich in einen Herd islamistischer Agitation zu verwandeln. Die verarmten und unterdrückten Völker fahren regelmäßig auf und stellen damit die imperialistische Weltordnung ständig in Frage, wobei diese Beben oft durch die Machenschaften der konkurrierenden und rivalisierenden imperialistischen Mächte noch verstärkt werden.
2. Noch nie war der Widerspruch so heftig und so greifbar zwischen einerseits der Notwendigkeit für die Völker, die wissenschaftlichen, technischen oder ökologischen Probleme, die nur weltweit geregelt werden können, einvernehmlich zu regeln, und der Unmöglichkeit, dies in einem System zu tun, das auf Privateigentum, Konkurrenz, Profitwettlauf und den dadurch entstehenden Rivalitäten basiert. Die imperialistische "Globalisierung" hat den Planeten nicht vereint. Sie hat nur die Arena auf Weltgröße erweitert, in der die großen kapitalistischen Konzerne aufeinander prallen, wobei sie sich der Staaten bedienen, angefangen bei dem Staat des imperialistischen Landes aus dem sie stammen, oder alternativ bewaffneter ethnischer, Stammes- oder religiöser bewaffneter Banden, die in den unterentwickelten Ländern existieren oder ins Leben gerufen werden.
Unter der imperialistischen Herrschaft nimmt die Vereinheitlichung des Planeten die schlimmsten Formen an: Die praktisch augenblickliche Übertragung der finanziellen Erdbeben oder die spekulativen Höhenflüge der Preise für Lebensmittel auf einigen Finanzmärkten der entwickelten Länder haben das Todesurteil für weitere Millionen Menschen zur Folge.
3. Ein greifbares Zeichen dafür, dass die imperialistische "Globalisierung" kein Auftakt für die Annäherung zwischen Staaten ist, sind die Militärausgaben, die, nachdem sie in den Jahren des Zerfalls der ehemaligen Sowjetunion zurückgegangen waren und 1996 ihren Tiefpunkt erreicht hatten, wieder angestiegen sind und 2005 das Niveau wieder erreicht haben, das sie am Ende des kalten Krieges hatten. Ihr schnelles Wachstum hat sich fortgesetzt. Der amerikanische Verteidigungshaushalt ist zwischen 1996 und 2005 von 318 auf 478 Milliarden Dollar gestiegen, d.h. ein Zuwachs von 50% in neun Jahren.
Natürlich stehen die USA an der Spitze dieser Entwicklung, doch ist die Tendenz in den meisten wichtigen Ländern dieselbe.
Dieser Wettlauf in der Rüstungsindustrie, deren Anteil an der im Übrigen stagnierenden materiellen Produktion steigt, spiegelt die vielfachen Spannungen in den internationalen Beziehungen wider, ist aber für die kapitalistische Klasse auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Die politischen Führer predigen den wirtschaftlichen Liberalismus und tun so, als seien sie gegen Einmischungen des Staates. Doch in Wirklichkeit könnte die kapitalistische Wirtschaft ohne die staatlich finanzierten Industrien nicht überleben.
4. Der Waffenhandel ist einer der wichtigsten Zweige des internationalen Handels. Der französische Imperialismus ist nach den USA einer der wichtigsten Marktteilnehmer auf dem Waffenmarkt. Der Discountmarkt wurde dabei bestimmten Staaten, die im Zuge des Auseinanderbrechens der Sowjetunion entstanden sind und die Rüstungserzeugnisse aus einer andren Epoche verkaufen, und China überlassen.
Der Waffenhandel ist auch der Boden für eine unerbittliche Konkurrenz zwischen den Großmächten, wobei jede versucht, ihre Waffenkonzerne auf dem internationalen Markt zu schützen. Northtrop Grumman, General Dynamics, Lockheed Martin von amerikanischer Seite, Dassault oder Lagardère auf französischer Seite. Mit mehr oder weniger Erfolg: So hätte Dassault es trotz der hektischen Eindringlichkeit seines Handelsreisenden Sarkozy nicht geschafft, dem König von Marokko, der Paris im Allgemeinen wohl gesinnt ist, seine neuesten Rafales (Kampfflugzeuge) zu verkaufen, die von den F16 von Lockheed Martin ausgestochen wurden. Zum Glück für Dassault ist der französische Staat, der bereits einen umfassenden finanziellen Beitrag zur Entwicklung der Rafales geleistet hat, noch als Kunde da - der einzige zurzeit. Der Staat hat kein Geld für das nationale Bildungssystem oder für Krankenhäuser, aber er hat immer Geld für Dassault.
5. Der politische Vorwand für diesen Rüstungswettlauf ist, vor allem auf amerikanischer Seite, der Kampf gegen den Terrorismus. Ein noch plumperer Vorwand als der Besitz von Massenvernichtungswaffen, den die amerikanischen Verantwortlichen Saddam Hussein angehängt hatten, um die Invasion des Iraks zu rechtfertigen.
Man braucht den grenzenlosen Zynismus der Machthaber des amerikanischen Imperialismus, um den Terrorismus vorzuschieben, wenn es sich z.B. um eine Anlage handelt, die Atomraketen im Flug zerstören soll, oder um das Vorhaben, diesen Raketenschutzschirm auf polnischem oder tschechischem Boden zu installieren.
6. Die Presse betont häufig, dass sich das Russland Putins, das vom Höhenflug der Erdöl- und Erdgaspreise und also von wachsenden Staatseinnahmen profitiert, aggressiver zeigen könnte als zur Zeit Jelzins. Doch diese tendenziöse Darstellung der Tatsachen verschweigt die systematische Aufstellung amerikanischer Militärstützpunkte in den ehemaligen Volksdemokratien und in zahlreichen Staaten, die aus der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangen sind. Die Hälfte der vierzehn ehemaligen Sowjetrepubliken haben amerikanische Stützpunkte auf ihren Hoheitsgebieten oder haben vor, solche aufzunehmen. Ohne all die Abkommen zur Rüstungsbeschränkung erwähnen zu wollen, die vor nicht allzu langer Zeit, als noch andere Kräfteverhältnisse zwischen der Sowjetunion und den USA bestanden, abgeschlossen worden waren, und von denen sich die USA einseitig abgewendet haben (START-Vertrag über den Rüstungsabbau oder ABM-Vertrag über die Raketenabwehrsysteme). Ob es den Pazifisten und anderen Abrüstungsaposteln gefällt oder nicht, diese Verträge sind dazu da, zerrissen zu werden, sobald es das Kräfteverhältnis erlaubt.
7. Seit dem Verschwinden der Sowjetunion sind die USA die einzige Supermacht der Welt und als solche der oberste Wächter der internationalen Ordnung. In den rund 16 Jahren, die vergangen sind, seit sie diese Rolle eingenommen haben, hat sich gezeigt, dass sie zwar mehr Handlungsfreiheit haben, militärisch einzugreifen, ihre Interventionen jedoch praktisch nirgendwo erfolgreich waren.
Man würde nicht enden, wenn man alle Orte auf dem Globus aufzählen wollte, wo die USA eingegriffen haben, eingreifen oder vorhaben, zu einzugreifen, sei es unmittelbar oder mittelbar, mit ihren eigenen Streitkräften oder mit denen anderer Länder, offen oder versteckt über ihre Geheimdienste. Wir werden uns auf die wichtigsten beschränken.
IRAK
8. Das offensichtlichste Fiasko ist natürlich der Irak. Saddam Hussein zu besiegen, war nicht sehr schwer für die amerikanische Armee, doch haben es die USA nicht nur nicht geschafft, das neue, von ihnen in Bagdad installierte Regime zu stabilisieren (was seine vorgebliche "Demokratisierung" betrifft, klingt dieses Wort schon tragikomisch, so plump war die Propaganda, die sich hinter diesem Wort versteckt), sie haben auch dazu beigetragen, einen Bürgerkrieg hervorzurufen, den sie zu handhaben versuchen, den sie aber außerstande sind, zu kontrollieren.
Der Irak unter der Herrschaft der "großen amerikanischen Demokratie" hat das Gesicht eines von rivalisierenden bewaffneten Milizen und Konflikten zwischen nationalen oder religiösen Gruppen zerrissenen Landes. Dieses Land, das zu den prosperierenden Ländern des Mittleren Ostens gehörte, hatte bereits durch den Krieg, den es damals auf Anraten und mit Unterstützung der USA dem Iran erklärt hatte, die darauf folgende erste amerikanische Intervention von 1991 und das anschließende Wirtschaftsembargo erheblich an Wohlstand eingebüßt, bevor es durch die amerikanischen Bombardierungen der zweiten Intervention ruiniert wurde. Die amerikanische Besatzung hat diesen Lauf auf den Abgrund zu nicht beendet, sondern ihn noch beschleunigt. Die humanitären Organisationen schätzen die Zahl der irakischen Toten auf 650.000, wobei die meisten Zivilisten sind. Beinahe die Hälfte der Bevölkerung überlebt nur dank der Lebensmittelrationen der internationalen Hilfe, die sanitären Einrichtungen sind zerstört, zwei Drittel der Bevölkerung haben keinen Trinkwasserzugang, die Stromversorgung ist sehr unregelmäßig weit unter dem Niveau vor dem Krieg.
9. Der von der irakischen Bevölkerung gezahlte Preis ist sicherlich die kleinste Sorge der amerikanischen Führung. Der Umschwung der öffentlichen Meinung in Amerika, die diesem kostspieligen Krieg, der auch in der amerikanischen Armee viele Todesopfer fordert, immer feindlicher gegenübersteht, bereitet ihnen jedoch Probleme. Ein noch größeres Problem ist für sie wahrscheinlich die moralische Verfassung ihrer Armee. Der (zumindest für die Angreifer) "frischfröhliche" Krieg der Invasion, der mit Bombardierungen der irakischen Städte aus dem Himmel und ohne großes Risiko geführt wurde, hat sich in einen Besatzungskrieg mit blutigen Zusammenstößen, Selbstmordattentaten verwandelt. Ein Krieg, der schließlich so lang zu werden verspricht, wie der Vietnamkrieg.
10. Angesichts der Dauer des Krieges, haben mehr als eine Million Soldaten der Armee und mehr als 400.000 Soldaten der Nationalgarde zum einen oder anderen Zeitpunkt im Irak gedient. Die, die von dort zurückgekommen sind, haben keine Lust, dorthin zurückzukehren. Für den Generalstab scheint es immer schwieriger zu werden, die Truppenbestände zu erneuern. Die Dauer der Entsendung in den Irak ist von zwölf auf fünfzehn Monate verlängert worden. Um "freiwillige Zeitsoldaten" zu finden, bietet die Armee immer höhere Prämien oder verspricht sie Einwanderern die Staatsbürgerschaft. Im Übrigen nimmt die Armee in immer größerem Ausmaß und auch für militärische Einsätze "Vertragssoldaten" in Anspruch, die von privaten Sicherheitsfirmen angeheuert werden. Ihre Zahl wird auf 30.000 bis 50.000 Personen geschätzt, ungefähr ein Drittel der regulären Truppen.
11. Mit der Erhöhung des Budgets für den Irakkrieg hat die Bush-Regierung mit der Komplizenschaft der Demokraten, die nunmehr im Kongress die Mehrheit haben, die Flucht nach vorne ergriffen.
Die politischen und militärischen Führer des amerikanischen Imperialismus müssen mit einem Widerspruch jonglieren. Die Anwesenheit der amerikanischen Armee hat die Situation nicht stabiler gemacht, sondern im Gegenteil destabilisiert. Aber gleichzeitig kann sie den Irak nicht verlassen, ohne ein Chaos hinter sich zu lassen.
Der Irak selbst ist aufgrund seiner Ölvorkommen und seiner strategischen Lage für die USA von wesentlicher Bedeutung. Darüber hinaus befindet er sich im Herzen dieses Mittleren Orients, der einerseits von Öl überläuft und andererseits insgesamt explosiv ist.
Es ist wahrscheinlich schwieriger für die USA, sich aus dem Irak zurückzuziehen als damals aus Vietnam; jedenfalls schlagen die beiden Länder nicht gleichermaßen ins Gewicht.
12. Einer häufig angewandten Strategie der imperialistischen Mächte folgend, wenn es darum geht, ein Land zu beherrschen, setzen die USA auf die Spaltung zwischen den religiösen oder ethnischen Gruppen. Da sie außerstande sind, nationale Streit- und Polizeikräfte einzurichten, die die Ordnung im Land wieder herstellen und stabilisieren könnten, versuchen die USA, auf die religiösen, Stammes- und ethnischen Milizen zu setzen. Sie haben das mit der mehrheitlich kurdischen Bevölkerung im Norden des Landes versucht. Doch diese Strategie verlangt die Schaffung mehr oder weniger homogener ethnischer oder religiöser Enklaven.
Indem sie sie ausnutzen, verschlimmern die USA die Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen. Die amerikanischen Truppen decken die "ethnischen Säuberungen" (ein nicht sehr treffender Ausdruck) oder nehmen sogar daran teil. Das deutet auf eine De-facto-Spaltung des Iraks hin. Eine Stabilisierung auf dieser Grundlage erfordert jedoch das Einvernehmen der Nachbarstaaten, hauptsächlich das der Türkei und des Irans, die beide unmittelbar oder mittelbar in den Bürgerkrieg im Irak verwickelt oder von seinen möglichen Folgen betroffen sind.
DIE BEZIEHUNGEN MIT DER TÜRKEI UND DEM IRAN
13. Natürlich ist die Türkei mit den USA verbündet und von ihr abhängig. Sie steht dem Entstehen eines kurdischen Staates im Norden des Iraks, der eine starke Anziehungskraft auf die kurdische Fraktion der türkischen Bevölkerung ausüben könnte und vielleicht als Hinterland für die bewaffneten nationalistischen kurdischen Gruppen dienen könnte, jedoch äußerst feindselig gegenüber. Die derzeitigen Ausfälle der türkischen Armee in den kurdischen Teil des Iraks zeigen, dass ein Krieg zwischen der Türkei, dem Hauptverbündeten der USA in der Region, und dem irakischen Protektorat der USA nicht unwahrscheinlich ist.
14. Es ist nicht gesagt, dass sich hinter der derzeitigen Großsprecherei gegen den Iran zum Thema Atomkraft keine Manöver verstecken, die auf eine Versöhnung abzielen. Zur Zeit des Schahs war der Iran einer der Hauptpfeiler der regionalen Ordnung unter der Schirmherrschaft der USA.
Die Aufhebung des derzeitigen Wirtschaftsembargos liegt mit Sicherheit im Interesse der iranischen Bourgeoisie. Es ist umso denkbarer, dass das Iran-Regime unter ihrem Druck bereit wäre, seine Beziehungen mit den Westmächten wieder aufzunehmen, da der Bruch vor allem von amerikanischer Seite ausgegangen war. Was die USA betrifft, so ist es sicher nicht der theokratische Charakter des Regimes in Teheran, der sie stört. Sie, die so wunderbar mit dem saudiarabischen Regime auskommen.
VON AFGHANISTAN...
15. Die USA, flankiert von ihren Verbündeten, darunter auch Frankreich, haben es nicht geschafft, die Situation in Afghanistan zu stabilisieren. Auch dort, unter der Karzai-Regierung, der als Demokrat dargestellt wird, doch dessen Autorität kaum über die Stadtgrenzen von Kabul hinausgeht, bleibt das Land in den Händen von Kriegsherren, die in ihren jeweiligen Gebieten regieren.
Die Armeen der imperialistischen Mächte haben es nicht nur nicht geschafft, die Talibane aus dem Weg zu räumen, dank der Besetzung des Landes können sich diese sogar als Widerstandskämpfer ausgeben und einen ständigen Guerillakampf mit destabilisierenden Folgen für das benachbarte Pakistan führen.
... BIS HAITI
16. Sogar in Haiti hat das Eingreifen der amerikanischen Armee im Februar 2004 den gesellschaftlichen Frieden nicht wieder hergestellt. Im Gegenteil, es hat selten soviel Gewalt in dem Land gegeben, wie in den zwei Jahren nach dieser Intervention, von Seiten bewaffneter Gruppen, die sich auf den abgesetzten Präsidenten Aristide berufen, oder von Seiten krimineller Banden. Die Besatzungstruppen der UNO, die die amerikanische Armee abgelöst haben, repräsentieren die imperialistische Ordnung, hatten aber noch nie das Ziel, die Bevölkerung selbst zu schützen. Sie sind nur eine weitere bewaffnete Bande neben denen, die im Land umgehen. Zwar hat die Wahl von Préval, ehemaliger Premierminister von Aristide, zum Präsidenten im Jahre 2006 den Aktivismus der "Schimären", Anhänger des abgesetzten Präsidenten, in gewissem Maße gedämpft, doch versinkt das ärmste Land der amerikanischen Hemisphäre weiter in Armut. Für die USA oder für Frankreich, die zwei imperialistischen Tutorländer, stand nie zur Frage, auch nur einen Bruchteil der für die militärische Besatzung ausgegebenen Summen dafür auszugeben, das Land mit einem Minimum an Infrastruktur auszustatten, und ganz sicher nicht, Druck auf die ansässigen oder internationalen Kapitalisten auszuüben, die sich an einem skandalös unterbezahlten Proletariat bereichern.
DIE MANÖVER RUND UM EX-JUGOSLAWIEN
17. Näher bei uns, in diesem Europa, von dem doch gesagt wird, dass es von einer Ära des Friedens profitiert, konnte das Eingreifen der NATO gegen das Serbien von Milosevic im Jahre 1999 die Situation auch nicht mehr stabilisieren.
Beinahe zehn Jahre nach dieser Intervention ist der Kosovo noch immer von den Eurocorps-Truppen besetzt, die in Verbindung mit der NATO stehen. Der internationale rechtliche Status, zwischen der von der albanisch sprechenden Mehrheit geforderten Unabhängigkeit und der von Serbien, wozu der Kosovo theoretisch gehört, vorgeschlagenen Autonomie ist selbst Gegenstand eines Tauziehens zwischen den westlichen Ländern und Russland. Das Land, das den Machenschaften von Maffia-Organisationen unterliegt und das von den Feindseligkeiten zwischen der albanischen Mehrheit und der serbischen Minderheit zerrissen wird, ist weiterhin ein Spannungsherd. Ganz wie das benachbarte Mazedonien mit seiner starken albanischen Minderheit.
Doch ist die Lage nicht stabiler in Bosnien-Herzegowina, das zwar als unabhängiger Staat anerkannt ist, es aber nicht schafft, einen einheitlichen Staatsapparat aufzubauen, der von den verschiedenen serbischen, kroatischen und bosnischen Bevölkerungsgruppen akzeptiert wird.
18. Das Jugoslawien Titos war eine Diktatur. Da sie jedoch in einem gemeinsamen Kampf gegen die Nazi-Besatzung während des Zweiten Weltkriegs im Namen eines jugoslawischen Nationalismus installiert worden war, der über die ethnischen oder religiösen Spaltungen hinausging, hatte sie es den verschiedenen Völkern Jugoslawiens zumindest ermöglicht, sich dank dieses gemeinsamen Lebens langsam gegenseitig zu absorbieren. Die zwanzig Jahre seit dem Beginn des Zerfalls Jugoslawiens haben gezeigt, dass die komplette Rückkehr in den Einflussbereich des Imperialismus nur dazu geführt hat, die Kluft zwischen dem am wenigsten von Armut geplagten Teils Ex-Jugoslawiens (das mittlerweile zur Europäischen Union gehörende Slowenien und Kroatien, das seinen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt hat) und den ärmeren Teilen zu vergrößern. Und auf dem Nährboden der Armut wachsen und steigern sich die Antagonismen zwischen den nationalen oder religiösen Gruppen umso mehr, als zu den lokalen Rivalitäten die Rivalitäten zwischen den imperialistischen Mächten hinzukommen.
DIE FRANZÖSISCHE ARMEE AN DER ELFENBEINKÜSTE
19. Die Intervention des französischen Imperialismus an der Elfenbeinküste war in ihrer Größenordnung ebenfalls ein Fiasko. Das Abkommen von Marcoussis, das die französische Regierung den zwei konkurrierenden Lagern, die sich das Land seit der Militärrebellion 2002 teilen, im Januar 2003 aufgezwungen hatte, ist wirkungslos geblieben. Die beiden Parteien haben schließlich am 4. März 2007 unter Schirmherrschaft der burkinischen Regierung die Verträge von Ouagadougou unterzeichnet, die den offenen Krieg zwischen dem Norden und dem Süden beenden.
Gbagbo, der amtsführende Präsident und Gouverneur des Südteils des Landes, wo sich auch die wirtschaftliche Hauptstadt Abidschan befindet, hat Soro, den politischen Anführer der Rebellen aus dem Norden, als Premierminister eingesetzt. Aber die beiden Landesteile sind deshalb noch lange nicht vereint. Die abtrünnigen Militärs des Nordens haben ihre Waffen genauso wenig abgelegt, wie die paramilitärischen Gruppen, die im Süden Gbagbo unterstützen.
Es genügt nicht, dass die politischen Führer der zwei Einheiten meinen, dass es in ihrem gegenseitigen Interesse wäre, sich zu einigen. Es ist noch die Spaltung des Staatsapparats selbst zu überwinden. Wird die mit der Zentralregierung loyal gebliebene Hierarchie z.B. die für die abtrünnige Hierarchie beschlossene Beförderung mit den dazugehörigen Einkommen und Pfründen akzeptieren? Um die in großer Zahl entstandenen Lehen zu einem geeinten Staatsapparat zu verschmelzen, ist politischer Wille nötig und Geld. Zurzeit gibt es nur die politischen Manöver.
Es ist nicht gesagt, dass die militärischen Anführer des Nordens einstimmig Soro und seinen Versuch, sich mit Gbagbo zu einigen, unterstützen.
20. Die bereits zweimal verschobenen Präsidentschaftswahlen werden am 1. November dieses Jahres noch einmal verschoben werden. Diese Situation beeinträchtigt nicht wirklich die Interessen des französischen Großkapitals, das sich die am meisten Profit bringenden Sektoren im Süden des Landes unter den Nagel gerissen hat und auch nicht die Interessen derjenigen, die vom Schmuggel und von illegalem Handel aller Art profitieren. Aber sie hat weiterhin dramatische Auswirkungen auf die große Mehrheit der Bevölkerung. Außer der schlimmer werdenden Armut ist die Bevölkerung das Opfer aufflammender ethnischer Lynchkampagnen auf dem Land und der Schutzgelderpressungen der Militärs beider Seiten.
Der vorgegebene "Friedensprozess" selbst hat den Schutzgelderpressern in Uniform ein neues Tätigkeitsfeld eröffnet. Zur Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen sieht das Abkommen von Ouagadougou "Marktanhörungen" vor, die all denen einen als Wählerkarte geltenden Personalausweis verschaffen sollen, die keine haben oder die unter dem Vorwand keine "Ivorer" zu sein, willkürlich vom Besitz eines Personalausweises ausgeschlossen waren. Damit soll das Gewicht der aus dem Norden stammenden Wähler verringert werden, die den Ruf haben, dem wichtigsten Rivalen von Gbagbo, Alassane Ouattara, mehr geneigt zu sein als Gbagbo. Doch diese "Marktanhöringungen" kommen nicht voran und außerdem werden diejenigen, die dort hingehen, systematisch von genau den Militärs ausgeraubt, die den korrekten Ablauf dieser Anhörungen sicherstellen sollen.
AFRIKA: ZERFALLENDE STAATEN
21. Der am meisten ins Auge springende Aspekt der Entwicklung der politischen Lage in Afrika ist die Zersetzung des Staatsapparats in mehreren Ländern. Das frappierendste Beispiel ist Somalia, wo eine Zentralregierung nur noch virtuell existiert. Kriegsherren haben das Land unter sich aufgeteilt, wobei die Grenzen ihrer "Hoheitsgebiete" fluktuieren, und bewaffnete Stammesgruppen machen sich in regelmäßigen Abständen gegenseitig ihren Einfluss streitig, bis hin zu einzelnen Stadtvierteln der Hauptstadt Mogadischu. Weder das unmittelbare Eingreifen der amerikanischen Armee im Jahre 1993 noch ihre indirekte Intervention über die äthiopische Armee seit 2006 haben diesen Zuständen ein Ende gesetzt.
22. Doch in vielen anderen Ländern Afrikas ist die Situation nicht anders, einschließlich in einem der größten und am dichtesten bevölkerten, dem Kongo (Ex-Zaire), das auch eines der reichsten Länder ist. Es ist wahr, dass die Einheit dieses Landes, das aus kolonialen Aufteilungen entstanden ist, nie vollständig sichergestellt war. Doch seit einigen Jahren entgleiten ganze Regionen, wie z.B. die Region Kivu mit einer Fläche, die größer ist als Großbritannien, vollständig der Zentralregierung in Kinshasa. Und vor allem spielen sich dort ständige lokale Kriege zwischen Fraktionen ab, von denen die einen von Regierungen aus Nachbarländern unterstützt und mit Waffen versorgt werden, die anderen direkt von Bergbaukonzernen oder beiden gleichzeitig. Im Zuge dieser lokalen Kriege entstehen besonders barbarische Praktiken, wie Kindersoldaten und Gräueltaten an Frauen als Methode zur Terrorisierung der Bevölkerung und um den augenblicklichen Gegner zu demoralisieren.
23. In diesem Teil des Kongos hat eine ganze Generation nichts anderes gekannt, als ein Leben der Flucht vor bewaffneten Banden, und des Umherirrens von einem Flüchtlingslager zum nächsten. Bauern, die, selbst wenn sie aussäen konnten, nicht ernten können, sind zum Sammeln in der Natur gezwungen. In der Zwischenzeit steigen auf dem internationalen Markt die Preise der kongolesischen Bodenschätze, die sich in der Hand einiger großer internationaler Konzerne befinden. In den Statistiken klettert das Bruttosozialprodukt in die Höhe und die Kommentatoren können behaupten, dass Afrika Fortschritte macht.
24. Ein immer größerer Teil der Bevölkerung ist zu diesem Nomadenleben verurteilt, nicht nur in Darfur, von dem die Presse umso leichter berichten kann, als nur die sudanesische Regierung beschuldigt wird (und mit ihr China, ihr international wichtigster Beistand), sondern auch im Tschad oder in Zentralafrika. Die französische Armee ist in diesen beiden Ländern anwesend, aber sie spielt dort keineswegs eine Frieden stiftende Rolle. Sie ist ein Element der Bündnisspiele und Feindseligkeiten zwischen den verschiedenen bewaffneten Gruppen. Bei diesem Spiel werden die Grenzen zwischen dem Sudan, dem Tschad und Zentralafrika umso weniger berücksichtigt, als oftmals dieselben Ethnien dies- und jenseits dieser Grenzen leben.
25. Dieser Staatenzerfall ist für die kapitalistischen Konzerne, die die Bodenschätze und Tropenhölzer Afrikas ausbeuten, nicht unbedingt ein Problem (sie leisten sich die Dienste des mächtigsten Kriegsherren). Es stellt jedoch in gewissem Maße ein Problem für ihre Staaten dar, die imperialistischen Mächte, die die Ordnung sicherstellen sollen.
Condoleezza Rice soll gesagt haben: "Die größte Bedrohung geht heute mehr vom Inneren der Staaten aus als von ihren Außenbeziehungen.", womit sie die Notwendigkeit für die Großmächte ausdrückte, den nationalen Staatsapparaten die Mittel zur Verfügung zu stellen, um sich zu festigen. Doch in Wirklichkeit ist das nur ein frommer Wunsch. Nicht nur, weil es Geld kosten würde, verfaulte und von Korruption unterminierte Staatsapparate wieder auf die Beine zu bringen, und da sind die imperialistischen Mächte knauserig, außer in den Regionen, in denen ihre lebenswichtigen Interessen es erfordern (es ist z.B. einfacher, korrupten Regierungen Waffen zu verkaufen, als die Bezahlung der Soldaten sicherzustellen). Und darüber hinaus sind es oft die imperialistischen Mächte selbst, die die oppositionellen Gruppierungen finanzieren und bewaffnen, entweder, um einem ihnen missfallenden Regime kontra zu geben, oder einfach im Rahmen von Rivalitäten zwischen ihnen. Man braucht nur an die Rolle zurückzudenken, die die USA beim Entstehen der Talibane in Afghanistan gespielt haben oder bei der Bewaffnung gegnerischer Gruppen in Somalia.
PALÄSTINA
26. Was die Situation in Israel und Palästina betrifft, so gibt es dort leider nichts neues, außer vielleicht die Wiederaufnahme einer gewissen diplomatischen Aktivität auf Seiten der USA. Der israelische Staat, ihr sicherster Verbündete und Untergebene im Mittleren Osten, hat weiterhin ihre volle Unterstützung. Trotz einiger Erklärungen gegen die Fortsetzung der Ansiedlung israelischer Kolonien in Palästina, lassen die USA sie gewähren. Wie sie auch die Unterdrückungspolitik und die Blockade gewähren lassen, die den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen ersticken sollen, und natürlich die gesamte Strategie des israelischen Staats, die den Palästinensern das Recht auf eine nationale Existenz abspricht.
Die USA haben zwar Grund zur Sorge angesichts der relativen Schwächung des israelischen Staats, die sich 2006 im Libanon bei der halben Niederlage der israelischen Armee gegen die Hisbollah gezeigt hat, doch ist dieser ganze diplomatische Wirbel vor allem dazu gut, die Stellung Mahmud Abbas in seinem Konflikt mit dem Hamas ein wenig zu festigen.
27. Die Aussicht auf einen palästinensischen Staat ist im vergangenen Jahr nicht näher gerückt. Im Gegenteil, zur Zerstückelung des palästinensischen Gebiets ist noch die Spaltung dieser Staatskarikatur, die sich Palästinenserbehörde nennt, hinzugekommen. Zur Unterdrückung durch den Staat Israel kommt die Brutalität der Milizen beider Seiten, die vor allem darum besorgt sind, den konkurrierenden Apparat zu übertrumpfen. All das auf Grundlage einer reaktionären Entwicklung, die sich nicht nur in dem Einfluss der islamistischen Organisation ausdrückt, sondern auch in der Entwicklung zu mehr Religiosität der Fatah, die ursprünglich eine konfessionslose Organisation war. Diese Entwicklung zeigt sich in der Einrichtung einer regelrechten "Sittenpolizei" in Ramallah, die die Aufgabe hat, die Einhaltung des Ramadans zu überwachen und gegen Verhalten einzuschreiten, die nicht mit der Religion übereinstimmen.
Die Politik des amerikanischen Imperialismus und die Unterdrückung durch den Staat Israel drängen zu einer Entwicklung, die die Aussicht auf eine Einigung zwischen den beiden Völkern, dem israelischen und dem palästinensischen, sowohl materiell als auch moralisch versperrt, und dass, obwohl sie wohl oder übel zusammen leben müssen.
DIE EUROPÄISCHE UNION UND ALLE IHRE STAATEN
28. Was die Institutionen der Europäischen Union betrifft, so haben die europäischen Staatschefs, und in erster Linie der französische, nicht sehr lange gebraucht, um einen Weg zu finden, die Ablehnung des Vertrages über die europäische Verfassung durch die französischen und niederländischen Wähler im Frühjahr 2005 mit Füßen zu treten. Die Übung besteht darin, Neues aus Altem zu schaffen, indem man den abgelehnten Text kürzt, ein paar Ausdrücke wegstreicht, die den Wählern missfallen könnten, wie z.B. den Passus über die "freie und unverfälschte Konkurrenz" und vor allem darin, nicht erneut den Fehler zu machen, die Wähler im Volksentscheid nach ihrer Meinung zu fragen. Um die Verteidiger der Souveränität nicht zu kränken, ist nicht mehr von einer "Verfassung" die Rede, sondern von einem "Vertrag". Man streicht den Titel "Europäischer Außenminister" und ersetzt ihn durch einen soviel einfacheren "Hoher Vertreter der Union für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik"
29. Neben dieser hübschen Übung für Verstellungskünstler ist der so genannte vereinfachte Vertrag praktisch derselbe wie der abgelehnte Verfassungsentwurf, was die Sachen betrifft, die die Politiker wirklich beschäftigen: Wie kann organisiert werden, dass die Institutionen mit 27 Mitgliedern funktionieren und den wichtigsten kapitalistischen Ländern dabei die Kontrolle oder zumindest ein Vetorecht über die getroffenen Entscheidungen sicher ist. Denn im Gegensatz zu den Dummheiten, die von vielen Globalisierungsgegnern oder Linksradikalen verbreitet wurden, war das Problem der politischen Verantwortlichen der Bourgeoisie nicht, "die Verfassung in Marmor zu meißeln", sondern der Wettlauf um den Profit und die Konkurrenz. Der Kapitalismus braucht keine Verfassung, um seine Regeln durchzusetzen und es genügt nicht, einige Paragraphen in einem Text zu streichen oder andere zu ändern, um aus der Europäischen Union, das Europa der Völker zu machen.
30. Dieses neue Gerüst, das die Funktionsweise der europäischen Institutionen regelt, wurde von den 27 Staats- oder Regierungschefs auf dem europäischen Gipfel von Lissabon am 19. Oktober 2007 angenommen. Was Frankreich betrifft, so wird das Parlament aufgefordert sein, darüber im Dezember abzustimmen. Man wird also auf ein neues Referendum unter dem Vorwand verzichten, dass die Wählerschaft mit ihrer Wahl von Sarkozy für alles gestimmt hat, was er sagt und tut, und für dessen Gegenteil.
31. Minister und Kommentatoren haben sich zu diesem "eleganten" Ausweg aus der institutionellen Sackgasse beglückwünscht und haben sich über diese neue Ankurbelung (noch eine) des europäischen Aufbaus gefreut. Doch die Zukunft der Europäischen Union hängt weniger von diesen Buchstabenspielen ab, als von der wirtschaftlichen Realität, deren Verschlechterung die Konkurrenz und die Rivalität zwischen den verschiedenen Ländern Europas in den Vordergrund rücken könnte.
Die gegenseitigen Zugeständnisse der europäischen Mächte, die mühsam ausgehandelt wurden, um nicht in der internationalen Konkurrenz gegenüber den USA oder Japan unterzugehen, haben weder die Rivalitäten zwischen den Staaten beendet, die die Union bilden, noch die Konkurrenz zwischen den Konzernen, deren Interessen sie vertreten. Die europäischen Institutionen bilden nur eine zusätzliche Arena, in der die widersprüchlichen Interessen aufeinander stoßen und um sie gefeilscht wird.
32. Die jüngsten Skandale in Bezug auf EADS, eins der seltenen europäischen Unternehmen, haben einen Zipfel des Schleiers gelüftet, der über dem versteckten Kampf liegt, der in seiner Führungsspitze zwischen den deutschen und französischen Interessen ausgetragen wird. Im Fall von Airbus hat das zu einer Verspätung der Markteinführung des Flugzeuges A380 geführt. Dabei steht EADS oder genauer gesagt dessen Tochtergesellschaft Airbus in Konkurrenz zum amerikanischen Flugzeugbauer Boeing. Was ein anderes europäisches Vorhaben betrifft, das satellitengesteuerte Ortungssystem Galileo, so könnten die nationalen Rivalitäten es zum Scheitern bringen.
Dabei ist das System Galileo dazu bestimmt, einem dutzend kapitalistischer Konzerne Europas zu ermöglichen, sich zusammen zu schließen, um die amerikanische Hegemonie im Bereich GPS zu beenden. Die Operation sollte dazu führen, großen Unternehmen, wie in Frankreich Alcatel oder Thalès, einen neuen Markt zu öffnen, der auf 300 Milliarden Euros geschätzt wird, und eine Konstellation von dreißig Satelliten auf die Umlaufbahn zu bringen. Doch aufgrund nationaler Rivalitäten und gegenseitigem Misstrauen zwischen konkurrierenden Unternehmen konnte nur ein Versuchssatellit auf die Umlaufbahn gebracht werden und die Fristen werden immer weiter aufgeschoben. So weit, dass das amerikanische GPS die Zeit hat, ein neues, leistungsstärkeres System zu entwickeln, das dem Galileo-Projekt endgültig die Flügel stützen könnte.
33. Selbst der Euro, diese doch eigentlich gemeinsame Währung, ist Zankapfel. Die Währungsspekulation hat den Wechselkurs des Euros gegenüber dem Dollar noch stärker steigen lassen. Während Frankreich und Italien ihre Exporte bedroht sehen und von der Europäischen Zentralbank eine Politik fordern, die auf eine Senkung des Wechselkurses des Euros abzielt, freut sich Deutschland, dessen Exporte nicht auf die gleiche Weise strukturiert sind, über den starken Euro.
34. Der arme Teil der europäischen Union, die baltischen Staaten, die aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangen sind, oder die ehemaligen Volksdemokratien, haben dabei nichts zu sagen. Das Land in Osteuropa mit der höchsten Bevölkerungsdichte, Polen, hat sich lange dem Vorhaben einer europäischen Verfassung widersetzt. Doch bei ihrem gekürzten Remake, musste es schließlich aufgeben.
Osteuropa als Ganzes ist der Hinterhof der großen westeuropäischen Industrie- und Bankkonzerne und soll es nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern auch auf politischer Ebene bleiben.
35. Die politische Entwicklung der europäischen Länder, einschließlich der Länder der Europäischen Union, zeigt, dass das Aufleben reaktionärer Auffassungen sich nicht auf wirtschaftlich und kulturell rückständige Länder beschränkt. In Polen hat die Partei der sehr reaktionären Zwillingsbrüder Kaczynski zwar die Wahlen zugunsten der Partei Donald Tusks verloren. Aber die neue Regierungsmannschaft ist vielleicht europafreundlicher gestimmt, doch ist sie genau so reaktionär wie ihr rechter Konkurrent. Sie hat keineswegs die Absicht, sich an der Allmacht der katholischen Kirche zu vergreifen, und auch nicht, die ganz besonders rückständigen Gesetze gegen Frauen (Abtreibungsverbot, Schwierigkeiten bei Scheidungen, usw.) abzuschaffen. Es ist wahr, dass es die als links geltenden zum Teil aus der Solidarnosc-Bewegung oder der ehemaligen stalinistischen Partei hervorgegangen Parteien waren, die den Rechten und Extremrechten den Weg frei gemacht haben, indem sie, als sie an der Macht waren, den Eilmarsch hin zu Privatisierungen und wildem Kapitalismus durchsetzten und dabei der Kirche und den nationalistischen Ansichten schmeichelten.
Auch in Ungarn ist es die derzeit regierende, aus der ehemaligen stalinistischen Partei hervorgegangene sozialistische Partei, die durch die empörende Bereicherung ihrer wichtigsten Führer und ihre Spar- und Sozialabbaupolitik für die arbeitenden Massen, der extremen Rechten den Weg bereitet. So sehr, dass die paramilitärischen Gruppen der rechtsextremen Bewegung mit Polizeierlaubnis in der Hauptstadt aufmarschieren können.
Aber diese reaktionäre Entwicklung trifft auch das alte Europa der imperialistischen Demokratien. Das zeigt sich in der Schweiz mit dem Aufstieg der Partei von Christoph Blocher, einem lokalen Nacheiferer von Le Pen, oder auch in Belgien mit der Zunahme des Separatismus.
RUSSLAND: PUTINS KALKÜLE
36. Was Russland angeht, so ist das nennenswerte politische Ereignis dieses Jahres das von Putin erdachte Manöver um an der Macht zu bleiben, obwohl die Verfassung ihm nicht erlaubt, sich zum dritten Mal hintereinander für die Präsidentschaftswahlen aufzustellen.
Anstatt die Verfassung zu ändern, scheint er sich dafür entschieden zu haben, sich an der Spitze seiner Partei für die im Dezember 2007 vorgesehenen Parlamentswahlen aufzustellen. Wenn diese Partei, wie es wahrscheinlich zu sein scheint, die Wahlen gewinnt, hat er vor, den Platz des Premierministers einzunehmen und den Posten des Präsidenten einem Lehnsmann zu überlassen. So könnte er sich die Möglichkeit bewahren, bei Ablauf des Mandats seines Nachfolgers oder indem er ihn ein wenig in einen vorgezogenen Rücktritt schubst, sich erneut als Präsidentschaftskandidat aufzustellen.
Putin kann sich mit diesem Szenario durchaus Erfolgschance ausrechnen, weil die hohen Erdöl- und Gaspreise dem russischen Staat deutlich höhere Staatseinnahmen sichern. Er hat es mehr oder weniger geschafft, den Zerfall des russischen Staates einzudämmen und ihm die Rückkehr auf die internationale politische Bühne ermöglicht.
37. Dieses Kalkül kann sich natürlich als falsch erweisen und die eventuelle Marionette, die auf den Sessel des Präsidenten gesetzt würde, es ablehnen, sich zurückzuziehen. Aber der Ehrgeiz Putins ist nicht nur der eines Mannes, der vom Ehrgeiz eines anderen durchkreuzt werden kann. Er ist der Vertreter eines Klans der Bürokratie, die in den acht Jahren der Präsidentschaft Putins viele Räder des Staatsapparats unter ihre Kontrolle gebracht hat sowie eine ganze Reihe Medien und insbesondere die nationalen Fernsehsender, die dieses immense Land in seiner Gesamtheit erreichen können.
Im Übrigen hat der Putin-Clan im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jelzin, der einen ganzen Teil der Industrie- und Bergbauunternehmen an die Privatwirtschaft verschachert hatte, die Kontrolle über die strategischen Unternehmen wieder übernommen, namentlich über Gasprom, dessen er sich sowohl nach innen als auch nach außen als politisches Instrument bedient.
LATEINAMERIKA
38. Seit 1998 und der Wahl von Hugo Chavez an die Spitze Venezuelas haben eine Reihe weiterer Wahlen, insbesondere die, die zwischen November 2005 und Dezember 2006 in elf Ländern des lateinamerikanischen Kontinents stattgefunden haben, eine Art Umkippen nach links der Wähler bestätigt und den Aufstieg - oder die Belassung - von Politikern, die sich als links oder fortschrittlich bezeichnen, an der Spitze der meisten dieser Staaten bestätigt: Lula in Brasilien, Kirchner in Argentinien, Bachelet in Chile, Correa in Äquator, Morales in Bolivien, Ortega in Nicaragua.
Das Beispiel Lulas, der unter diesen linken Politikern seinen Posten mit am längsten inne hat, hat gezeigt, dass die lateinamerikanische Linke sich nicht anders verhält als die in Westeuropa. Lula, der mit den Hoffnungen und den Illusionen der benachteiligten Massen Brasiliens gewählt worden war, ist genau wie seine Vorgänger der Vollstrecker des lokalen und internationalen Kapitals.
39. Die radikalsten dieser politischen Führer, wie Morales, Correa und vor allem Chavez inspirieren jedoch eine ganze Mythenbildung in einem Teil der europäischen extremen Linken. Es sind generell dieselben, die von ihren alten Liebeleien mit Castro zurückgekommen sind, um Ende der siebziger zur Belobhudelung der Sandinisten in Nikaragua überzugehen. Hugo Chavez mit seinen antiamerikanischen Reden, seinem Wirtschaftsnationalismus, seiner Freundschaft für Castro, seinen Solidaritätsgesten in Richtung der armen Länder Lateinamerikas, für die er das Erdöl oder den Reichtum, den es einbringt, benutzt, mit seinen Maßnahmen zugunsten der unteren Volksschichten, hat alles, um diesem politischen Milieu zu gefallen.
40. Chavez und Morales oder Correa haben offensichtlich die Unterstützung der unteren Volksschichten ihres jeweiligen Landes, aber sie repräsentieren nicht die politischen Interessen der Arbeiterklasse dieses Landes und auch keine kommunistischen Sichtweisen. Das behaupten sie übrigens auch nicht. Die von Chavez besungene "bolivarische Revolution" ist Peronismus und hat mit Revolution nichts zu tun.
Denn es muss betont werden: Castro, der zwar im proletarischen Sinne des Wortes kein Revolutionär ist, ist immerhin durch eine Bauernerhebung an die Macht gekommen, die anzuführen und zu organisieren er verstanden hat. Diese Erhebung hat ihm eine solide Grundlage im Volk verschafft, mit der er dem Druck bzw. dem militärischen Angriff des amerikanischen Imperialismus widerstehen und im Innern des Landes beträchtliche soziale Veränderungen durchführen konnte. Das ist weder der Fall von Chavez noch von Morales oder von Correa.
41. Gegenüber dem Druck des amerikanischen Imperialismus oder der örtlichen Großbourgeoisie, die Chavez nicht gerade in ihrem Herzen trägt, sind die revolutionären Kommunisten natürlich solidarisch mit Chavez, aber deshalb brauchen sie ihm kein politisches Engagement zuzuschreiben, das er nicht hat. Und das ist nicht nur eine Frage der Wortwahl.
Eine richtiges Verständnis oder im Gegenteil eine verschönerte Version dessen, was Chavez und Morales sind, ändert nicht viel für sie, aber es ändert eine Menge für die Bildung der politischen Aktivisten, die sich auf den Kommunismus berufen.
42. Die Geschichte der sechzig letzten Jahre hat in den armen Ländern eine ganze Menge Bewegungen entstehen und die Macht übernehmen sehen, die das Ziel hatten, die Herrschaft des Imperialismus über ihr Land zu lockern und zu versuchen, die Wirtschaft auf einer nationalen Basis zu entwickeln. Die bei Weitem wichtigste Bewegung war die Bewegung von Mao Tse-Tung in China. Das maoistische Regime hat es zwar geschafft, China von einem Großteil seiner feudalistischen Rückständigkeit zu befreien und hat durch seine Grenzen und Zollbarrieren vor dem Eindringen imperialistischer Konzerne geschützt, eine gewisse Industrialisierung vorgenommen.
Aber China, trotz aller Trümpfe, die es aufgrund seiner Größe, seiner Bevölkerung und der Vielfalt seiner Rohstoffe besaß, ist letztendlich nicht nur wieder zur imperialistischen Weltwirtschaft zurückgekehrt, es ist sogar ein wichtiges Element derselben geworden.
43. Das Regime von Mao, trotz seiner sehr viel radikaleren Sprache im Vergleich zu seinen blassen Nachahmern von heute, trotz seiner lange gezeigten Fähigkeit, den USA die Stirn zu bieten, hat die imperialistische Vorherrschaft nicht nur in Frage gestellt, sondern ist heute die ausführende Kraft dieser Vorherrschaft gegen die chinesischen Volksklassen geworden. Die immense Bauernschaft, die in den ländlichen in der Rückständigkeit belassenen Gebieten im Elend krepiert oder in die Städte getrieben wird, und die Arbeiterklasse, die Existenzbedingungen ausgesetzt ist, die der Zeit der industriellen Revolution im Europa des 19. Jahrhunderts entsprungen zu sein scheinen, stehen einer Bourgeoisie gegenüber, die sich dank eines zügellosen Kapitalismus bereichert.
Und was die Nacheiferer Maos der 60er und 70er Jahre angeht, sie sind verschwunden oder haben sich in die bestehende Weltordnung eingefügt. Von den von ihnen errichteten Staatssystemen bleiben nur noch ein paar vom Aussterben bedrohte Reste in Nordkorea, Vietnam und Kuba übrig. Dabei fehlte es in jenen Jahren nicht an Staaten, deren politische Führer sich Antiimperialisten nannten!
Doch der einzige Antiimperialismus, der tatsächlich antiimperialistisch ist, ist der, dessen Ziel die Vernichtung des kapitalistischen Systems selbst ist, mit der einzigen sozialen Kraft, die dazu historisch in der Lage ist, dem Proletariat.
44. Die Vorherrschaft des Imperialismus, d.h. die Organisation der Wirtschaft und der Gesellschaft auf kapitalistischer Basis bildet nicht nur ein Hindernis für jede Möglichkeit der Menschheit, die rationale Organisation seiner materiellen Existenz in die Hand zu nehmen. Sie ist auch ein starker Faktor für den Rückschritt der Vorstellungen und Ansichten, der Kultur und einfach der menschlichen Verhaltensweisen. Wir erleben eine rückläufige Bewegung zurück zur Barbarei.
45. Die Zunahme der reaktionären und religiösen Ansichten, der Nationalismen, der Stammeszugehörigkeiten und allgemeiner des gesellschaftlichen Zerfalls sind die Symptome der Altersschwäche einer ungerechten und anachronistischen Wirtschaftsordnung. Das Schlimmste an diesem gesellschaftlichen Zerfall ist jedoch, dass er auch die einzige fortschrittliche Klasse der Zukunft trifft, das Proletariat.
Von seiner Zahl oder seiner sozialen Kraft her gesehen, ist das Proletariat nicht schwächer geworden, seit es gegen Ende des Ersten Weltkriegs die imperialistische Ordnung tatsächlich bedroht hat. Die Millionen in Proletarier verwandelten chinesischen Bauern sind ein Beweis dafür.
46. Das politische Klassenbewusstsein ergibt sich jedoch nicht aus den proletarischen Verhältnissen, sondern aus der Aktivität politischer Kräfte, die auf einer Klassenbasis und für die Rückkehr des Proletariats auf die politische Bühne kämpfen.
Es ist nicht möglich vorauszusehen, wie, in welchem Land und welchen Verläufen folgend sich die auf dem Boden des revolutionären Kommunismus kämpfenden politischen Kräfte entwickeln werden.
Alles was man sagen kann ist dass dies unerlässlich ist, damit die Arbeiterklasse, die einzige Klasse, die die Kraft und das wesentliche Interesse hat, den Kapitalismus umzustürzen, seine Rolle wieder einnehmen kann.
26.10.07.