Vortrag des Leo-Trotzki-Zirkels (Paris) 25. November 2023
Die israelische Regierung stimmte Mitte letzter Woche schließlich einem Waffenstillstand zu, um einen Austausch zwischen Geiseln und palästinensischen Gefangenen vorzunehmen. Wird der Krieg dann nach wenigen Tagen wieder aufgenommen werden? Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte, der Krieg sei zeitweise ausgesetzt und die Militäroperationen sollten nach der Freilassung der Geiseln wieder aufgenommen werden.
Mehr als eineinhalb Monate lang waren die Palästinenser in Gaza jeden Tag nahezu ständig israelischen Bombenangriffen ausgesetzt, die gegen einfache Häuser, zivile Einrichtungen, Krankenhäuser usw. gerichtet waren. Die Bodenoffensive hat die Kriegsfolgen für die Zivilbevölkerung noch verschlimmert.
Es ist unmöglich zu sagen, wie viele Opfer der Krieg bisher gefordert hat: Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums sind es mehr als 14.000 Tote, auf jeden Fall aber gibt es zehntausende Verletzte, die keine Möglichkeit haben, sich behandeln zu lassen. Die zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens werden einer vollständigen Belagerung ausgesetzt, die ihnen Wasser, Nahrungsmittel, Medikamente und den Treibstoff für die Stromgeneratoren vorenthält. Und da es keinen Strom gibt, kann in den Krankenhäusern nichts mehr funktionieren, die Telefon- und Internetverbindungen sind unterbrochen. Gaza ist von der Außenwelt abgeschnitten und von einer Hungersnot bedroht. Nur die Angst vor Epidemien hat die israelische Regierung dazu veranlasst, der tröpfchenweisen Einfuhr von Lastwagen mit Treibstoff zuzustimmen.
Seit 75 Jahren verfolgen die israelischen Regierungen die gleiche Politik des Terrors, die mit der Enteignung der Palästinenser und der Verweigerung ihnen die gleichen Rechte zuzugestehen einhergeht. Die Szenen des Krieges und der Massenflucht tausender Palästinenser, die vor den Bomben fliehen, die derzeit in Gaza zu sehen sind, erinnern an andere Episoden der Flucht in der Vergangenheit, die sich mehrfach wiederholt haben. Auf Grundlage dieser Politik wurde der Staat Israel gegründet. Und angesichts der Revolte der Palästinenser, die er nicht zu brechen vermag, muss seine Armee regelmäßig militärische Operationen durchführen und Blutbäder anrichten.
Diesem Staatsterror hat die Hamas eine Politik entgegengesetzt, die der gleichen Logik folgt wie die der israelischen Führung, nur mit weniger Mitteln. Als die Hamas-Kommandos am 7. Oktober wahllos Männer, Frauen und Kinder töteten, griffen sie eine Bevölkerung an, die sie kollektiv für die Entscheidungen ihrer Regierung verantwortlich machte. Die Hamas-Führer zeigten nicht nur Verachtung für das Leben israelischer Zivilisten, sondern auch für das Leben ihres eigenen Volkes, da sie genau wussten, dass sie es der Vergeltung der israelischen Armee aussetzten.
Der israelische Staat kann in Gaza einen Massenmord begehen, weil er die Komplizenschaft der Führer der westlichen Großmächte, allen voran der USA, genießt. Weder Biden noch Macron sprechen von Barbarei oder Terrorismus. Diese Begriffe sind der Hamas vorbehalten. Um das Bild von Führern zu vermitteln, die versuchen, den Konflikt zu beruhigen, rufen sie Israel lediglich mit Worten dazu auf, sich mehr zu mäßigen, tun aber nichts, um es dazu zu zwingen.
Die US-Führung hat nie wirklich etwas unternommen, um den israelisch-palästinensischen Konflikt zu beenden, weil sie in Wirklichkeit ein Interesse an seinem Fortbestehen hat. Die angespannte Lage macht Israel zu ihrem treuen Vasallen, dem Gendarmen, den die USA in diesem Teil der Welt brauchen, um ihre Interessen zu verteidigen, da sie wegen des Ölreichtums und der strategischen Lage daran interessiert sind.
Die wiederholten Kriege, die die Region mit Blut beflecken, sind nicht das Ergebnis uralten Hasses oder eines religiösen Konflikts zwischen Juden und Arabern. Es sind die imperialistischen Mächte, die diese beiden Völker absichtlich gegeneinander ausgespielt und die Bedingungen für einen permanenten Krieg geschaffen haben, um ihre Vorherrschaft im Nahen Osten zu sichern. Dies begann zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zur Zeit des Ersten Weltkriegs, und setzt sich heute fort.
Die imperialistischen Mächte teilen den Nahen Osten unter sich auf
Vor 1914 waren Palästina und Israel Teil des Osmanischen Reiches, eines sehr großen Reiches, das sich auf dem Höhepunkt seiner Macht von der arabischen Halbinsel bis zum Balkan erstreckte und den größten Teil des Nahen Ostens umfasste. Das Fehlen von Binnengrenzen hatte eine starke Vermischung der Bevölkerungsgruppen begünstigt. Jahrhundertelang lebten Juden, Araber, die meisten von ihnen Muslime, eine große christliche Minderheit, Drusen und viele andere Glaubensrichtungen in relativem Frieden nebeneinander.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Osmanische Reich in eine Phase des wirtschaftlichen und politischen Niedergangs eingetreten und wurde zum „kranken Mann Europas“. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, fand es sich auf der Seite Deutschlands wieder. Die britische und die französische Führung sahen eine Gelegenheit, das alte Reich zu zerschlagen und seine Reste unter sich aufzuteilen. Im März 1916 unterzeichneten sie das Sykes-Picot-Abkommen, benannt nach den englischen und französischen Verhandlungsführern. Darin wurde festgelegt, dass das Gebiet des heutigen Libanon und Syriens an Frankreich fallen sollte, während den Briten die Kontrolle über den heutigen Irak und Jordanien übertragen werden sollte. Was Palästina betraf, so hatten sie, da sie sich nicht entscheiden konnten, beschlossen, dass es unter internationale Kontrolle gestellt werden sollte.
Die Verträge sollten geheim bleiben, aber da sie in Moskau unter der Schirmherrschaft des Zaren unterzeichnet worden waren, der seinerseits auf ein paar Brosamen hoffte, bewahrten die russischen Diplomaten ein Exemplar auf, das die Bolschewiki nach ihrer Machtübernahme im Oktober 1917 veröffentlichten. Als sie diese Verträge veröffentlichten, handelten sie als Revolutionäre. Indem sie mit den Methoden der Geheimdiplomatie brachen, enthüllten sie die wahren Kriegsziele der imperialistischen Mächte und ihre Manöver, um die Arbeitenden und Völker zu täuschen.
Es gab zahlreiche solcher Manöver in dieser Zeit und in diesem Teil der Welt. Während sie sich mit den französischen Diplomaten auf die Zerschlagung des Osmanischen Reiches einigten, versprachen die britischen Führer die Region dem Scherifen von Mekka, Hussein, einem Vertreter der mächtigen arabischen Familie der Haschemiten. Sie gaben vor, sich für die „Befreiung der Araber vom Joch der Türken“ einsetzen zu wollen, und verpflichteten sich, ein großes Königreich zu gründen, das den Großteil der arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs umfassen sollte. Sie halfen bei der Aufstellung einer Armee, lieferten Waffen und einer ihrer Abgesandten, Lawrence von Arabien, zögerte nicht, auf Kamelen an den Kämpfen teilzunehmen.
Gleichzeitig versprachen sie Palästina jedoch ein zweites Mal, und zwar diesmal der zionistischen Bewegung, die in dieser Region aber bis dahin noch kein großes Gewicht hatte. Doch die britischen Diplomaten wussten genau, was sie taten.
Die zionistische Bewegung
Der Gründer des Zionismus, der Wiener Journalist Theodor Herzl, war jüdischer Abstammung. Er bekannte sich aber bis er 1896 über die Dreyfus-Affäre1 berichten musste, nicht speziell zum Judentum, da er in der österreichischen Gesellschaft seiner Zeit gut integriert war. Die großen antisemitischen Demonstrationen, die er damals miterlebte, und die Tatsache, dass dies in Frankreich, einem der fortschrittlichsten und aufgeklärtesten Länder Europas, geschehen konnte, veranlassten ihn dazu, die Idee zu formulieren, dass die einzige Möglichkeit für Juden, dem Antisemitismus zu entkommen, darin bestünde, einen eigenen Staat, einen jüdischen Staat, zu haben. Dies war der Titel des politischen Werkes, das er damals schrieb und das zum Programm der 1897 gegründeten Zionistischen Weltorganisation wurde.
Diese nationalistische Bewegung musste ein Problem lösen, das mit der besonderen Situation, der über die ganze Welt verstreuten Juden zusammenhing: Auf welchem Territorium sollte ein jüdischer Staat errichtet werden? Palästina, das Land, das laut der Bibel dem jüdischen Volk von Gott versprochen worden war, wurde von Anfang an von der Bewegung ins Auge gefasst. Da die meisten Zionisten jedoch nicht besonders religiös waren, wie Herzl selbst, wurden auch andere Regionen der Welt, wie Argentinien und Uganda, in Betracht gezogen. Ein Kongress entschied 1903 endgültig über die Frage und wählte Palästina. Damit konnten sich die Zionisten zumindest auf die biblische Tradition berufen.
In einer Zeit, in der die Welt unter einigen wenigen großen Kolonialmächten aufgeteilt war, versuchte Herzl, die Unterstützung einer dieser Mächte zu gewinnen. Den Rest seines Lebens verbrachte er damit, sich mit Ministern und Staatsoberhäuptern zu treffen und ihnen zu erzählen, wie die zionistische Bewegung ihren Interessen dienen könnte. Der zukünftige jüdische Staat in Palästina könnte, so schrieb er, „ein Teil des Bollwerks Europas gegen Asien sein, ein Vorposten der Zivilisation, der sich der Barbarei entgegenstellt“.
Von seinen Ursprüngen an stellte sich der Zionismus damit als koloniales Projekt dar. Zumal Palästina nicht „ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ war, wie die Zionisten es behaupteten. Es war seit langem von arabischen Bevölkerungsgruppen bewohnt. Um dieses Problem zu lösen, zog Herzl mit der für ihn typischen kolonialistischen Sichtweise die Möglichkeit eines „Transfers“ der Bevölkerung in Betracht, d. h. einer ethnischen Säuberung, um das heutige Vokabular zu verwenden. Auf jeden Fall schuf die zionistische Organisation schnell die Mittel, um mit der Durchführung eines Landtransfers zu beginnen. Sie richtete einen Jüdischen Nationalfonds ein, um Spenden für den Kauf von Land in Palästina zu sammeln, auf dem sich Juden ansiedeln konnten. Diese Grundstücke wurden von nicht dort lebenden arabischen Großgrundbesitzern abgekauft, die in Städten weit entfernt von diesen unterentwickelten Landstrichen wohnten, und die arabischen Bauern wurden verdrängt, ohne ein Mitspracherecht zu haben. Ein solches Siedlungsunternehmen musste die Feindseligkeit der lokalen Bevölkerung wecken, und schon früh empfanden sie die zionistische Bewegung als Bedrohung.
Im Jahr 1914 stellte die jüdische Gemeinschaft mit 80.000 Juden in Palästina bei einer Gesamtbevölkerung von 750.000 Menschen nur eine sehr kleine Minderheit dar. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte die britische Führung keine besondere Sympathie für den Zionismus gezeigt und nichts unternommen, um ihn zu fördern. Ihre Haltung änderte sich, als sie im Laufe des Konflikts erkannten, dass sie diese Bewegung für sich nutzen konnten. Am 2. November 1917 richtete der Sekretär des Außenministeriums, Lord Balfour, einen Brief an einen Vertreter der zionistischen Bewegung, Lord Rothschild, in dem er ihm eine „Erklärung der Sympathie für die zionistischen jüdischen Bestrebungen“ übermittelte und erklärte: „Die Regierung Seiner Majestät zieht die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina wohlwollend in Betracht“. Mit dieser „Balfour-Erklärung“, wie sie auch genannt wurde, versprach die britische Führung ein zweites Mal Palästina, obwohl sie genau wusste, dass sie damit einen Konflikt zwischen Juden und Arabern heraufbeschwor. Doch sie wollten diese Gegensätze, zu deren Entstehung sie selbst beitrugen, nutzen, um ihre Kontrolle über die Region besser durchsetzen zu können. Diese Methode hatten sie schon oft in ihren Kolonien angewandt und sich dabei ein erprobtes Wissen angeeignet.
Nach dem Krieg: Die Aufteilung des Nahen Ostens
Als am Ende des Krieges die Auflösung des besiegten Osmanischen Reiches auf der Tagesordnung stand, hofften die arabischen Führer, dass die ihnen gemachten Versprechungen eingehalten würden. Die Alliierten entschieden jedoch anders. Nach einem Krieg, in dem es um das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegangen war, durfte man nicht länger ein allzu koloniales Vokabular verwenden. Der nach dem Ersten Weltkrieg gegründete Völkerbund, der Vorläufer der Vereinten Nationen (UNO), beschloss daher, Frankreich und Großbritannien Mandate für die Region zu erteilen - eine scheinheilige Formel, die die Errichtung eines Protektoratsregimes als wohlwollende Hilfe darstellen sollte. Es wurde beschlossen, dass Syrien vom Libanon getrennt und beide unter französische Vormundschaft gestellt werden sollten. Der Irak und Palästina wurden unter englisches Mandat gestellt, und eine Klausel sah die Anwendung der Balfour-Erklärung vor.
Nun musste sie nur noch den arabischen Führern aufgezwungen werden, die sich betrogen fühlten. Im Juli 1920 besetzten französische Truppen Damaskus, nachdem sie es bombardiert hatten.
In Palästina und im Irak kam es zu Unruhen. Zum Trost und um die Lage etwas zu beruhigen, setzten die britischen Führer Faisal, einen der Söhne Husseins, des Scherifen von Mekka, auf den Thron eines irakischen Königreichs und seinen Bruder Abdullah an die Spitze des späteren Königreichs Transjordanien (was heute Jordanien entspricht).
Die imperialistischen Mächte lehnten die Schaffung eines großen arabischen Königreichs ab, das sie schwerer hätten kontrollieren können, und erzwangen eine Aufteilung des Nahen Ostens. Sie zogen Grenzen, die noch immer dieselben der heutigen Staaten sind, nach diplomatischem und militärischem Kalkül und missachteten dabei völlig die Bestrebungen der Völker.
Palästina unter britischem Mandat
Palästina stand somit unter britischem Mandat. Es wurde eine Verwaltung eingerichtet, die überwiegend aus Briten bestand und von einem Generalgouverneur geleitet wurde. Die Mandatsbehörden akzeptierten, dass die Juden in Palästina ihre eigenen Institutionen aufbauten, mit einem Exekutivrat, der von einer Versammlung ernannt wurde, die wiederum von all jenen gewählt wurde, die sich als Juden hatten registrieren lassen. Im Jahr 1929 übernahm eine von der Zionistischen Weltorganisation eingerichtete Jewish Agency de facto die Rolle der Regierung der jüdischen Bevölkerung Palästinas. Die arabische Bevölkerung erhielt nie eine entsprechende Einrichtung. Die britische Regierung verschärfte so absichtlich die Gegensätze zwischen Juden und Arabern, um sich als unverzichtbarer Schiedsrichter aufspielen zu können.
Unter diesen Bedingungen begann der Aufbau einer jüdischen Gesellschaft, die von der arabischen Gesellschaft völlig abgeschnitten war. Diejenigen, die diese Entwicklung vorantrieben, stammten überwiegend aus Osteuropa, vor allem aus dem Russischen Reich, wo es eine große Arbeiterbewegung gab, von der sie beeinflusst wurden. Viele von ihnen bekannten sich daher zum Sozialismus. Ihr Sozialismus war jedoch auf die Juden beschränkt und schloss die arabische Bevölkerung völlig aus.
Die Art und Weise, wie die Kibbuze, eine kollektive Form der landwirtschaftlichen Nutzung, entwickelt wurden, ist ein Beispiel dafür. Innerhalb der Kibbuze sollte ein egalitärer Geist herrschen, der ein sozialistisches Ideal verkörpern sollte. Es gab keine Löhne, alles wurde geteilt. Das eigentliche Ziel war jedoch die Eroberung des Landes. Die Kibbuze siedelten sich auf dem Land an, das sie von abwesenden Großgrundbesitzern gekauft hatten, und vertrieben die dort lebenden arabischen Bauern von ihrem Land.
1920 gründeten diese „zionistisch-sozialistischen“ Organisationen eine Gewerkschaft, die Histadrut (Allgemeiner Bund der jüdischen Arbeiter von Eretz Israel). Diese entwickelte sich sehr schnell: Bereits 1923 organisierte sie fast die Hälfte der jüdischen Arbeitenden in Palästina und 1927 bis zu 70 Prozent. Die Histadrut war jedoch nicht nur eine Gewerkschaft. Ihr eigentliches Ziel war es, eine rein jüdische Wirtschaft zu organisieren, die in der Lage war, die arabische Bevölkerung zu umgehen oder sogar zu verdrängen. Die Histadrut organisierte eine Krankenkasse, Kantinen, Arbeitsämter, eine Einkaufs- und Verkaufsgenossenschaft, ein Bauunternehmen und sogar eine Bank. Alle diese Organisationen waren jedoch ausschließlich Juden vorbehalten. Sie mussten Hebräisch lernen, die Sprache der Bibel, die aus der Mode gekommen war und die die Zionisten als Sprache der neuen jüdischen Nation durchsetzen wollten.
Die Histadrut organisierte Mahnwachen, um sich gegen die Beschäftigung arabischer Arbeiter in von Juden geführten Unternehmen zu wehren, die die Notwendigkeit der Entwicklung „jüdischer Arbeit“, der Hauptparole der Bewegung, nicht von selbst erkannt hatten. Neben diesen Mahnwachen organisierte die Histadrut auch eine Miliz, die Haganah (hebräisch für „Verteidigung“). Die Histadrut war mehr als nur eine Gewerkschaft, sie war in der Tat die Keimzelle eines Staatsapparats. In der Gesellschaft, die diese angeblichen Sozialisten schaffen wollten, war für Araber kein Platz.
Die große Mehrheit der zionistischen Bewegungen, die sich auf den Sozialismus beriefen, schlossen sich 1930 zur Arbeiterpartei Mapai zusammen, deren Vorsitzender David Ben Gurion war, der auch die Histadrut seit ihrer Gründung leitete. Schnell gelang es der Mapai, die Kontrolle über die jüdischen Institutionen in Palästina zu erlangen, und 1935 wurde Ben Gurion Vorsitzender der Jewish Agency.
Von den aus der sozialistischen Bewegung hervorgegangenen Strömungen war die einzige Organisation, die mit dem Zionismus brach und versuchte, die arabischen Massen anzusprechen, die Kommunistische Partei Palästinas. Sie wurde 1920 gegründet und war die erste kommunistische Partei, die im Nahen Osten entstand. Sie blieb schwach und hatte nie mehr als 1.000 Mitglieder. Ihre Mitglieder mussten in einem schwierigen Umfeld agitieren, als sich eine Kluft des Hasses zwischen Juden und Arabern zu vertiefen begann. Die Aktivisten waren überwiegend Juden und wurden in ihren Herkunftsländern von Zionisten angefeindet. Darüber hinaus mussten sie besonders harte Repressionen seitens der britischen Behörden erdulden, wurden häufig verhaftet und manchmal willkürlich aus Palästina ausgewiesen.
War eine solche Politik überhaupt möglich, die versuchte, jüdische und arabische Arbeiter in einer Organisation und in einem gemeinsamen Kampf sowohl gegen den britischen Kolonialismus als auch gegen die arabischen Feudalklassen zu vereinen? Was man sagen kann, ist, dass es den Aktivisten, die versuchten, sie umzusetzen, nicht an Mut fehlte. Doch die Politik, zu der sie die stalinisierte Kommunistische Internationale ab Ende der 1920er Jahre zwang, war das genaue Gegenteil des Internationalismus, der notwendig gewesen wäre, um die Hindernisse zu überwinden, mit denen sie konfrontiert waren. Die Kommunistische Partei war gezwungen, einen opportunistischen Kurs einzuschlagen, zunächst gegenüber dem arabischen Nationalismus und dann, als die UdSSR die Allianz mit Großbritannien suchte, gegenüber dem Zionismus. Diese Politik, die je nach den diplomatischen Interessen der Führer der stalinistischen Bürokratie variierte, führte dazu, dass viele Aktivisten die Partei verließen, und führte wiederholt zu Spaltungen zwischen dem arabischen und jüdischen Flügel der Partei.
Der große arabische Aufstand 1936
Die zunehmenden Spannungen mündeten ab 1936 in regelrechte Volksaufstände der arabischen Massen. Diese Große Arabische Revolte, wie sie auch genannt wurde, begann im April 1936 mit Zusammenstößen zwischen Juden und Arabern. Eine Streikbewegung der arabischen Arbeiter begann sich auszubreiten, die von lokalen Komitees angetrieben wurde. Die Anführer dieser Streiks forderten ein Ende der jüdischen Einwanderung und die Wahl einer repräsentativen Versammlung. Die Bewegung stellte die britische Besatzung in Frage und hatte einen antikolonialen Charakter. Sie war aber auch Ausdruck der sozialen Revolte der arabischen Unterschicht gegen das Elend und die Lebensbedingungen, die sich durch die Wirtschaftskrise seit Anfang der 1930er Jahre verschlechtert hatten. Auf dem Land bewaffneten sich die Bauern und bildeten Milizen, die jüdische Siedlungen, aber auch arabische Großgrundbesitzer angriffen. Diese Großgrundbesitzer setzten die armen Bauern ständig unter Druck und rissen einen großen Teil des Ertrags der Ernte durch Pacht an sich, ie von ihren Pächtern verlangten, oder durch Schulden, die die Bauern gemacht hatten und nicht zurückzahlen konnten.
Die privilegierten arabischen Klassen hatten viel Grund, sich selbst von diesem explosiven Volksaufstand bedroht zu fühlen. Gleich zu Beginn der Bewegung bildete sich ein Hohes Arabisches Komitee, das versuchte, die Führung zu übernehmen. Es umfasste alle palästinensischen nationalistischen Parteien, die jeweils mit einer unterschiedlichen Familie von Adligen verbunden waren. An ihrer Spitze stand der Großmufti von Jerusalem, ein Titel, der ihn zur höchsten religiösen Autorität machte. Er selbst stammte aus einer der mächtigsten angesehensten Familien, den Husseinis. Mit dem Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte wollte das Hohe Komitee die Mobilisierung der armen Bevölkerung nur auf den Kampf gegen die jüdische Präsenz beschränken. Damit sollte der Volksaufstand für die privilegierten arabischen Klassen sozial weniger bedrohlich sein und sich nicht gegen sie richten. Das Hohe Komitee spielte auch eine mäßigende Rolle, als es im Oktober zum Ende des Generalstreiks aufrief. Die Mobilisierung ging dennoch weiter und nahm aufständische Formen an.
Um den arabischen Aufstand niederzuschlagen, mussten die britischen Mandatsbehörden ein Kontingent von 30.000 Soldaten in Palästina stationieren. Sie führten einen regelrechten Krieg und verbreiteten Angst und Schrecken. Mehr als 20.000 Häuser, in denen die Familien der Aufständischen wohnten, wurden gesprengt. Ein Teil der alten arabischen Stadt Jaffa wurde zerstört und Dörfer wurden vollständig ausgelöscht. Flugzeuge wurden eingesetzt, um die von den Aufständischen gehaltenen Gebiete zu bombardieren. Fast 50.000 Palästinenser wurden verhaftet und in 14 Internierungslagern zusammengetrieben. Viele von ihnen, darunter auch die gemäßigten Mitglieder des Arabischen Hohen Komitees, wurden in die britischen Kolonialbesitzungen, insbesondere auf die Seychellen, deportiert. Die Zahl der getöteten, verletzten oder ins Exil getriebenen Palästinenser machte insgesamt 10% der arabischen Bevölkerung aus.
Während die palästinensischen Führer darauf bedacht waren, den arabischen Aufstand als Kampf gegen die Juden darzustellen, nahmen die zionistischen Organisationen ihrerseits dieselbe nationalistische Logik an und unterstützten die Briten bei der Unterdrückung der arabischen Bevölkerung. Die Haganah erhielt zu diesem Zweck Waffen. Jüdische Milizionäre wurden von der britischen Armee in Kampftechniken ausgebildet und sogar in speziell zusammengestellte Einheiten aufgenommen, um Kommandooperationen durchzuführen. Diese Zusammenarbeit dauerte so lange, dass 1939 fast 21.000 Juden in der Mandatspolizei arbeiteten, was 5% der jüdischen Bevölkerung Palästinas entsprach.
Hätte in dieser Zeit des Aufstands ein gemeinsamer Kampf von Juden und Arabern gegen die britische Kolonialmacht geführt werden können? Die Politik der zionistischen Organisationen und derjenigen, die sich an der Spitze des arabischen Aufstands wiederfanden, ließ dies jedenfalls nicht zu. Stattdessen markierte diese Zeit einen wichtigen Schritt in der Entwicklung, die die beiden Völker dazu brachte, gegeneinander zu kämpfen - eine Falle, aus der sie nicht mehr entkommen sollten.
Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen
Die britische Führung zeigte keine Dankbarkeit gegenüber den Zionisten für ihre Hilfe gegen den arabischen Aufstand. Als sich der Zweite Weltkrieg anbahnte, versuchten sie, den arabischen Nationalisten ein Zeichen zu geben, um zu verhindern, dass diese Deutschland unterstützten.
1939 veröffentlichten die britischen Behörden ein Weißbuch, in dem sie zum ersten Mal erklärten, sie wollten „die Bedingungen schaffen, die es dem unabhängigen Staat Palästina ermöglichen, sich innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren zu etablieren“. Sie bekräftigten darin auch ihren Willen, die jüdische Einwanderung und den Landkauf durch Zionisten stark einzuschränken. Mit dem Ausbruch des Krieges wurden die Maßnahmen zur Begrenzung der Einwanderung keineswegs gelockert, sondern noch weiter verschärft. Die Mandatsbehörden beschlossen im September 1939, Flüchtlingen aus „feindlichen Ländern“ oder „vom Feind besetzten Ländern“ die Einreise nach Palästina zu verbieten. Dies zielte also auf deutsche und polnische Juden ab, die gerade am dringendsten Zuflucht brauchten!
Das war besonders zynisch, aber sie waren nicht die einzigen, die diese Einstellung hatten. Zur gleichen Zeit erließen alle westlichen Länder, einschließlich der USA, Maßnahmen zur Beschränkung der Einwanderung, die sowohl Juden als auch alle Gegner des Nationalsozialismus betrafen, die verzweifelt nach Asyl suchten.
Wenn wir über die Verantwortung des Kapitalismus für die Dramen von heute sprechen, müssen wir daran erinnern, dass es die Krise dieses Systems war, die die Menschheit in den Schrecken des Zweiten Weltkriegs stürzte und zur Barbarei der Vernichtungslager führte, in denen sechs Millionen Juden den Tod fanden.
Und es muss an die Haltung der Alliierten nach dem Krieg erinnert werden. Die Überlebenden der Vernichtungslager, die sich weigerten, in die Länder zurückzukehren, in denen sie vor dem Krieg gelebt hatten, weil der Antisemitismus dort besonders heftig gewesen war, wurden in andere Lager gepfercht und warteten darauf, dass ein Land sie aufnehmen würde. Ein Einreisevisum zu erhalten war damals aber nicht viel einfacher als vor dem Krieg. Diese „Vertriebenen“, wie die Alliierten sie nannten, waren mehr als 100.000 Menschen. Und zwischen 1945 und 1948 erlaubten die USA nur 25.000 europäischen Juden die Einreise in ihr Land.
So ist es verständlich, dass vor diesem Hintergrund und nachdem sie die Vernichtungslager überlebt hatten, diese Zehntausenden von Juden hofften, in Palästina einen Ort zu finden, an dem sie ein neues Leben beginnen konnten.
Der Zionismus war lange Zeit eigentlich eine ganz unbedeutende Bewegung unter den europäischen Juden geblieben, die nicht die Absicht hatten, sich in dieser armen Region niederzulassen, in der sie nicht erwünscht waren. Erst die barbarische Verfolgung durch die Nazis, die Vernichtungslager und die Gleichgültigkeit der westlichen Staaten, die sich als demokratisch bezeichneten, führten dazu, dass sich Zehntausende Juden in ihrer Verzweiflung an die zionistischen Organisationen wandten. Diese versprachen ihnen, dass sie nur durch die Gründung eines jüdischen Staates, der sie schützen würde, derartige Schrecken nie wieder erleben würden.
Dieses Bestreben war legitim. Es bedeutete aber nicht zwangsläufig, dass es gegen die arabische Bevölkerung umgesetzt werden musste, indem man sie ihres Landes und ihres Rechts, in Palästina zu leben, beraubte, das aufgrund ihrer langjährigen Präsenz sogar noch legitimer war. In der Tat hätte es in diesen palästinensischen Gebieten Platz für beide Bevölkerungen gegeben, um in gutem Einvernehmen zu leben, unter der Bedingung, dass die Rechte aller gewahrt worden wären.
Dies hätte eine Gelegenheit für einen gemeinsamen Kampf gegen den britischen Kolonialismus sein können, der gerade gezeigt hatte, wie sehr er das Schicksal der Juden und Araber gleichermaßen verachtete. Die zionistischen Organisationen verfolgten jedoch die gleiche Politik wie während der Mandatszeit und während der arabischen Revolte in den 1930er Jahren. Dank der Einwanderer, die zu Tausenden aus Europa kamen, fanden die zionistischen Bewegungen Truppen, um die Gründung eines jüdischen Staates gegen den britischen Imperialismus, aber auch gegen die arabische Bevölkerung durchzusetzen.
Die britische Führung hatte die feste Absicht, auch nach dem Krieg in Palästina zu bleiben. Sie erhöhte ihre Militärpräsenz auf 100.000 Soldaten und versuchte, sich der Ankunft von Juden aus Europa zu widersetzen. Die Zionisten reagierten darauf, indem sie heimliche Netzwerke aufbauten, um Juden nach Palästina zu bringen. Diejenigen, die festgenommen wurden, wurden in Lagern auf der Insel Zypern gepfercht, bevor sie nach Europa zurückgeschickt wurden.
Die zionistischen Organisationen unternahmen militärische Aktionen gegen die britische Armee, die man heute als terroristische Aktionen bezeichnen würde und ohne die der Staat Israel nicht gegründet worden wäre. Die Haganah stellte eine regelrechte Armee dar, die die Briten militärisch mit ausgebildet hatten. Eine rechtsextreme Organisation, die Irgun, entführte britische Soldaten, tötete sie und versah ihre Leichen mit Sprengstoff, um noch mehr Opfer zu schaffen. Sie sprengte sogar das König-David-Hotel in Jerusalem vollständig in die Luft, in dem sich das Hauptquartier der britischen Streitkräfte befand. Der Leiter ihres militärischen Arms hieß Menachem Begin und sollte später Premierminister von Israel werden.
Die Führer der zionistischen Organisationen setzten auch auf diplomatische Absprachen und suchten vor allem die Unterstützung der USA. Angesichts dieses Drucks und der Tatsache, dass die britische Regierung nicht in der Lage war, die Unruhen in Palästina zu beenden, zog sie ihre Truppen ab und überließ es den Vereinten Nationen, über das Schicksal der Region zu entscheiden.
Entstehung Israels und Vertreibung der Palästinenser
Am 29. November 1947 stimmten die Vereinten Nationen für einen Teilungsplan für Palästina, der die Gründung eines jüdischen und eines arabischen Staates vorsah - der erste Entwurf einer Zwei-Staaten-Lösung. Den Juden, die nur ein Drittel der Bevölkerung stellten und kaum mehr als 10% des palästinensischen Territoriums bewohnten, wurde die Kontrolle über 55% Palästinas zugesprochen. Für diesen Plan stimmten nicht nur die USA, sondern auch die Sowjetunion, da die beiden Supermächte damals das gemeinsame Ziel verfolgten, den britischen Einfluss im Nahen Osten zu verringern.
Die arabischen Staaten widersetzten sich jedem Gedanken an eine Aufteilung und lehnten den Plan ab, der zudem die jüdische Bevölkerung stark begünstigte. Die Führer der Jewish Agency erklärten, dass sie den UN-Plan akzeptierten. In Wirklichkeit wollten sie sich jedoch nicht mit den vorgeschlagenen Grenzen zufriedengeben und setzten sich das Ziel, so viel Territorium wie möglich zu besetzen. Sie setzten sich auch das Ziel, so viele Araber wie möglich zu vertreiben, damit die Juden in dem künftigen jüdischen Staat die Mehrheit bilden würden. Für diese ethnische Säuberung wurde ein Plan, der Daleth-Plan, sorgfältig ausgearbeitet, dessen Umsetzung ab Dezember 1947 begann, noch bevor die Briten das Land verlassen hatten. Im April 1948 begannen die zionistischen Milizen mit regelrechten Militärschlägen und sprengten systematisch Dörfer an bestimmten Achsen, wie etwa zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Auf diese Weise wurden 200 arabische Dörfer entvölkert. Die Irgun-Milizen verübten ein Massaker an 254 Einwohnern des Dorfes Deir Yasin und töteten Männer, Frauen und Kinder. Ihr Ziel war es, die Araber in Palästina zu terrorisieren, damit sie bei der Ankündigung der Ankunft der Haganah-Milizen fliehen würden. Städte wie Haifa, Tiberias, Jaffa und Akko verloren daraufhin mehr als 90% ihrer arabischen Einwohner.
Am 14. Mai 1948, wenige Stunden vor dem Abzug der britischen Truppen und ohne die im UN-Plan vorgesehene Übergangszeit abzuwarten, verkündete Ben Gurion die Geburt des Staates Israel. Bereits am nächsten Tag marschierten die Armeen mehrerer arabischer Staaten in Palästina ein. Der erste arabisch-israelische Krieg begann. Die arabischen Armeen wurden überall besiegt. Sie hatten weder die Erfahrung noch die Moral und die Entschlossenheit der Truppen, die der aufstrebende Staat Israel mobilisiert hatte. Sie waren mit maximal 25.000 Soldaten sogar noch kleiner als die israelische Armee, die Ende Mai 1948 35.000 und Ende Dezember 1948 bis zu 100.000 Soldaten in ihren Reihen hatte. Schließlich profitierte die israelische Armee von der Lieferung moderner Waffen und Ausrüstung aus der Tschechoslowakei, was ein konkreter Ausdruck der sowjetischen Unterstützung war.
Der Krieg endete im Juli 1949 nach der Unterzeichnung einer Reihe von Waffenstillständen, doch danach wurde kein Friedensabkommen mehr unterzeichnet. Die arabischen Staatsoberhäupter wollten wegen der öffentlichen Meinung nicht, die Existenz Israels offiziell anerkennen. Sie sprachen sich zwar weiterhin für ein unabhängiges arabisches Palästina aus, doch in Wirklichkeit arrangierten sie sich mit der neuen Situation. Sie teilten Gebiete untereinander auf, die nach dem Plan der Vereinten Nationen den palästinensischen Staat bilden sollten. König Abdullah von Transjordanien annektierte das Westjordanland. Ägypten seinerseits übernahm die Kontrolle über den Gazastreifen und richtete dort eine Verwaltung ein, ohne ihn jedoch offiziell in seine Grenzen einzubeziehen. So blieb von dem arabischen Staat, für dessen Gründung die Vereinten Nationen gestimmt hatten, nichts mehr übrig.
Am Ende des Krieges kontrollierte der Staat Israel 78% des ehemaligen Palästinas und den Westteil Jerusalems. Mehr als 700.000 Palästinenser waren von ihrem Land vertrieben worden, was die Palästinenser als Nakba (Katastrophe) bezeichnen. Etwa 370 palästinensische Dörfer erhielten israelische Namen, um die Spuren der vorherigen Bewohner vollständig zu verwischen.
Die vertriebenen Palästinenser fanden Zuflucht in den Nachbarländern. Im Jahr 1950 beherbergten Jordanien, der Libanon und Syrien fast 300.000 Menschen in 35 Lagern. Diese Lager stellten sich anfangs als eine endlose Abfolge großer Zelte dar. Als die Aussicht auf eine Rückkehr in weite Ferne rückte, ersetzten feste Bauten nach und nach die Zeltplanen. Diese Lager existieren noch heute und bilden regelrechte Kleinstädte mit Tausenden, manchmal Zehntausenden von Bewohnern.
In dem Lagern von Jenin im Westjordanland leben immer noch mehr als 15.000 Menschen. Das größte palästinensische Flüchtlingslager ist Ain el-Helue im Libanon, wo mehr als 54.000 registrierte Flüchtlinge leben, in Wirklichkeit aber sicher mehr als 100.000.
Israel: Religion, Segregation, Rassismus...
Der junge israelische Staat nahm zwischen 1948 und 1951 mehr als 550.000 Einwanderer auf. Die ersten kamen aus Europa - sie wurden aschkenasische Juden genannt. Ihnen folgten Juden aus dem Nahen Osten und Nordafrika, die sogenannten Sepharden (heute wird eher der Begriff Mizrahim verwendet). Die Juden, die aus den arabischen Ländern kamen, wurden allerdings nicht als viel höherstehend angesehen als die Araber in Israel. Sie waren Juden, und das ist ein Unterschied zu den palästinensischen Arabern – dazu später mehr – aber sie werden die ärmsten Schichten der israelischen Gesellschaft bilden und die am wenigsten qualifizierten und am schlechtesten bezahlten Arbeiterjobs besetzen.
Die Arbeiterpartei, die nun an der Spitze Israels stand, hatte tatsächlich einen Staat wie jeden anderen geschaffen, mit seinen sozialen Klassen, der wie jeder andere auf Ausbeutung beruhte. Diese Aktivisten, die sich auf den Sozialismus beriefen, bauten keine sozialistische Gesellschaft auf, sondern waren nicht einmal in der Lage, auch nur eine säkulare Republik zu gründen, die denjenigen ähnelte, die in den am weitesten entwickelten Ländern existierten. Die regierende Arbeiterpartei schuf tatsächlich einen Staat, in dem die Religion eine zentrale Rolle spielte.
Auf der Suche nach Unterstützung von Rabbinern und Geistlichen verzichtete der Arbeitsminister Ben Gurion darauf, Israel eine Verfassung zu geben, da für jüdische Geistliche der einzige Referenztext nur die Bibel sein kann! Ben Gurion begnügte sich nicht mit dieser symbolischen Entscheidung. Er räumte den Religiösen erhebliche Machtbefugnisse ein und überließ den Rabbinatsgerichten die Verwaltung des Standesamtes, der Eheschließungen, Scheidungen und aller Familienangelegenheiten. So sind auch heute noch Ehen von gemischten Paaren, zwischen Juden und Nichtjuden, in Israel nicht möglich. Die einzige Möglichkeit besteht darin, im Ausland zu heiraten, was jedoch zur Folge hat, dass die Kinder als „unehelich“ gelten. Auch eine Scheidung wird nicht anerkannt, und nur der Ehemann hat das Recht, die Ehe aufzulösen, indem er seine Frau verstößt. Auch heute noch müssen Paare, die mit diesen antiquierten Praktiken aus einer anderen Zeit überhaupt nicht einverstanden sind, auf sie zurückgreifen, um sich zu trennen; und dafür müssen sie vor Rabbinern erscheinen, um sich zu rechtfertigen…
Seit 1948 organisieren die Rabbiner das gesamte gesellschaftliche Leben. Der wöchentliche Ruhetag ist der Samstag, denn das ist der Tag des Sabbats, an dem nach religiösen Vorschriften keine Aktivitäten möglich sind. Und bis heute kämpfen die Religiösesten noch immer dafür, dass an diesem Tag in Israel das gesamte Leben stillsteht, Verkehrsmittel, Kino ... Das Bildungssystem umfasst ein Netzwerk säkularer Schulen, aber auch eines, das religiöse Schulen umfasst, und noch ein weiteres, das ultra-orthodoxe Schulen umfasst. Alle diese Schulen werden vom Staat finanziert, und selbst in den säkularen Schulen wurde der Religionsunterricht zur Pflicht gemacht.
Kein Jude kann es vermeiden, mit religiösen Institutionen in Kontakt zu kommen. Aber das schwierige Problem, nämlich zu sagen, wer ein Jude ist, muss noch gelöst werden ... Das ist umso wichtiger, als nach dem 1950 verabschiedeten Rückkehrgesetz jeder Jude, der in Paris, New York oder anderswo geboren wurde und in Israel leben möchte - seine Alija machen, um den von den Zionisten verwendeten Begriff zu verwenden, der aus dem religiösen Vokabular stammt -, die israelische Staatsbürgerschaft erwerben kann und damit mehr Rechte erhält als Palästinenser, deren Familien seit mehreren Generationen dort leben ... Wer kann also bestimmen, wer ein Jude ist, wenn nicht die Rabbiner! Und da es viele Rabbiner gibt, es einen Oberrabbiner für die Aschkenasim und einen für die Sepharden, können die Debatten lange dauern ... So mussten die äthiopischen Juden bis 1975 warten, bis ihr „Judentum“ offiziell anerkannt wurde! Das ändert jedoch nichts daran, dass sie heute als Schwarze mit Rassismus zu kämpfen haben und denselben Diskriminierungen ausgesetzt sind wie Araber und andere Einwanderer aus Afrika. Ein Land, das darauf bedacht ist, zwischen Juden und anderen zu unterscheiden, noch dazu in einer Kriegssituation, ist unweigerlich von Rassismus durchsetzt.
Die Araber, die zum Zeitpunkt der Gründung Israels nicht geflohen waren, fielen bis 1966 unter einen Militärstatus. Dieser Status machte sie von einem Militärgouverneur abhängig, den sie um einen Passierschein für Reisen bitten mussten und der auch ihr Eigentum und ihr Land konfiszieren konnte. Nachdem diese Sonderregelung aufgehoben wurde, erhielten die palästinensischen Araber trotzdem nicht die gleichen Rechte wie die Juden. Das Gesetz unterscheidet bei den israelischen Bürgern zwischen verschiedenen Nationalitäten (Juden, Drusen, Tscherkessen, Christen, Araber usw.), denen unterschiedliche Rechte zugestanden werden, wobei nur Juden in dieser Hinsicht als vollwertige Bürger gelten. Da sie als potenzielle Feinde im Inneren betrachtet werden, dürfen israelische Araber auch keinen Militärdienst leisten, was ihnen den Zugang zu bestimmten Vergünstigungen verwehrt.
Ja, Israel ist in der Tat ein jüdischer Staat im theokratischen Sinne, in dem die Religion einen ebenso wichtigen Platz einnimmt wie in Saudi-Arabien, mit dem gesamten System der Apartheidpolitik, das sich daraus ergibt. Doch während das saudische Regime von Oberhäuptern von Beduinenfamilien gegründet wurde, die sich stets zum Islam bekannten, wurde der israelische Staat von Aktivisten gegründet, die sich zum Sozialismus bekannten und von denen viele Atheisten waren. Die Führer der israelischen Arbeiterpartei waren jedoch in erster Linie Nationalisten, die sich im Namen der nationalen Einheit mit den reaktionärsten Kräften verbündeten. Dadurch stärkten sie rechte und rechtsextreme religiöse Strömungen, die später in der Lage sein werden, sie von der Macht zu verdrängen und eine immer wichtigere Rolle zu spielen.
Israel wird zum Gendarmen des Imperialismus im Nahen Osten
Die israelischen Arbeiterpartei-Führer trafen auch sehr bewusst die Entscheidung, zum Gendarmen des Imperialismus in der Region zu werden, um dessen Unterstützung gegenüber den arabischen Staaten zu erhalten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg äußerte sich die Unzufriedenheit der Bevölkerung im gesamten Nahen Osten gegen den Imperialismus und die mit ihm verbundenen Regime. 1951 wurde König Abdullah von Transjordanien, der wegen der Annexion des Westjordanlandes angeprangert worden war, von einem Palästinenser ermordet. In Ägypten wurde die pro-englische Monarchie 1952 von einer Gruppe nationalistischer Offiziere gestürzt. Gamal Abdel Nasser, der sich schließlich an die Spitze des neuen Regimes setzte, verstaatlichte im Juli 1956 den Suezkanal, der bis dahin von Frankreich und dem Vereinigten Königreich kontrolliert worden war. Diese Ankündigung wurde von der ägyptischen Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen.
Die britische und französische Führung, der Konservative Antony Eden und der Sozialdemokratische Guy Mollet, beschlossen, eine militärische Intervention zu organisieren, um die Kontrolle über den Kanal zurückzugewinnen und sogar Nasser zu stürzen. Zu diesem Zweck erhielten sie das Hilfsangebot des israelischen Premierministers Ben Gurion.
Am 29. Oktober 1956 startete Israel eine Offensive gegen Ägypten, da es um seine Sicherheit fürchtete. Seine Truppen durchquerten die Sinai-Wüste und stürmten auf den Kanal zu. Unter dem Vorwand, sich einzumischen, sprang am 5. November ein britisch-französisches Expeditionskorps in der Kanalzone mit dem Fallschirm ab. Alles schien gut zu laufen, die Operation Musketiere, wie sie genannt wurde, war ein Erfolg ... und doch war am nächsten Tag klar, dass die drei Musketiere auf einen Knochen gefallen waren und das Spiel verloren hatten! Denn die beiden Supermächte USA und Sowjetunion reagierten sofort: Eine nach der anderen forderten sie das Ende der militärischen Intervention. Die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens mussten sich ihren Aufforderungen beugen und ihre Soldaten zurückziehen.
Der US-Imperialismus wollte seinen Verbündeten, aber gleichzeitigen Rivalen, zeigen, dass er und nur er von nun an über die Geschicke der Region und die der Regierungen entscheiden würde.
Ben Gurion hatte angeblich gehofft, die eroberten Gebiete behalten zu können. Dies war dieses Mal nicht möglich. Die israelische Armee räumte die Gebiete und Ägypten nahm die Sinai-Wüste wieder in Besitz. Nasser wurde zwar militärisch besiegt, ging jedoch politisch gestärkt aus dieser Kraftprobe hervor. Sie machte ihn in den Augen der arabischen Massen zum Vorkämpfer für den Kampf gegen die imperialistische Herrschaft, und seine Popularität war in den folgenden Jahren enorm. Nasser war ein nationalistischer Führer, der die Umklammerung des Imperialismus zu lockern suchte, um einzig und allein den Interessen der ägyptischen herrschenden Klassen zu dienen. Andere Regime in der arabischen Welt, insbesondere in Syrien und im Irak, versuchten, denselben Weg zu gehen. Ihnen gegenüber konnten sich die Machthaber in Washington nach dem Suezabenteuer davon überzeugen, dass sie Israel dazu benutzen könnten, ihre Interessen gegen die arabischen Staaten zu verteidigen. Die israelische Regierung hatte gezeigt, dass sie dazu bereit war und dass sie ihre Bevölkerung für einen Krieg gegen einen arabischen Staat mobilisieren konnte, indem sie ihn, als für das Überleben Israels notwendig darstellte. Es dauerte noch einige Jahre, bis sich die amerikanische Führung dazu entschloss, dem Staat Israel bedingungslose Unterstützung zu gewähren.
Der entscheidende und endgültige Wendepunkt, jedenfalls bis heute, fand im Juni 1967 statt. Unter dem Vorwand einer der regelmäßigen Spannungen mit Syrien und Ägypten startete die israelische Armee eine Blitzoffensive und errang in weniger als einer Woche einen überwältigenden Sieg - daher der Name, der geblieben ist: Sechs-Tage-Krieg. Mit der Unterstützung der USA konnte der israelische Staat eine unnachgiebige Haltung gegenüber den arabischen Staaten einnehmen und beschloss, die Kontrolle über die eroberten Gebiete zu behalten.
Der Ostteil Jerusalems wurde annektiert, und die wiedervereinigte Stadt wurde zur Hauptstadt Israels. Die Golanhöhen, ein Hochplateau an der Grenze zu Syrien, wurden besetzt, bevor sie einige Jahre später, 1981, annektiert wurden. Die anderen besetzten Gebiete, das Westjordanland und Gaza, wurden nicht annektiert. Offiziell behauptete die israelische Führung, sie wolle sie als Druckmittel für zukünftige Friedensverhandlungen einsetzen. Doch das war nicht der einzige Grund. Nach dem Sechs-Tage-Krieg flohen mehr als 300.000 Palästinenser aus dem Westjordanland nach Jordanien, vor allem diejenigen, deren Dörfer oder Flüchtlingslager zerstört worden waren. Anders als 1948 blieb aber die Mehrheit der Bewohner der 1967 eroberten Gebiete, nämlich über eine Million Menschen, zurück. Eine Annexion dieser Gebiete hätte also den Anteil der nichtjüdischen Bürger in Israel stark erhöht, was die israelische Regierung keinesfalls wollte.
Daher wurde eine Verwaltung der besetzten Gebiete unter der Leitung der Armee eingerichtet. Sehr schnell begannen die damaligen israelischen Arbeiterpartei-Regierungen, die Gründung jüdischer Siedlungen zu fördern, um ihre Präsenz zu stärken und dauerhaft zu sichern. Diese Siedlungsbewegung sollte in den kommenden Jahren eine beträchtliche Rolle bei der zunehmenden Rechtsentwicklung der gesamten israelischen Gesellschaft spielen.
Angesichts der Diskreditierung der arabischen Staaten: die Revolte der Palästinenser
Der Sechs-Tage-Krieg hatte auch viele politische Folgen für die Palästinenser. Er hatte zu einer erheblichen Diskreditierung Nassers und aller arabischen Staatschefs unter den Volksmassen des Nahen Ostens geführt. Dies galt insbesondere für die junge palästinensische Generation, die nach 1948 in den Lagern aufgewachsen war.
Wie ihre gesamte Familie hatten auch diese jungen Menschen sehr schwierige Lebensbedingungen erlebt, aber sie waren in den Genuss von Bildung und Schulbildung gekommen. Die Vereinten Nationen hatten nämlich eine Agentur gegründet, die sich speziell um die palästinensischen Flüchtlinge kümmerte, die UNRWA, und diese hatte in allen Lagern Schulen eröffnet. Dadurch war die Einschulungsrate der Palästinenser die höchste im gesamten Nahen Osten, während sie in den Ländern, in denen sie lebten, wie Ausgestoßene behandelt wurden. Diese Schulen waren nicht religiös, und außerdem waren sie gemischtgeschlechtlich, was für die damalige Zeit außergewöhnlich war.
So waren diese Frauen und Männer ohne jede Perspektive, Gefangene in Flüchtlingslagern, aber sie hatten die Bildung erhalten, um sich der Situation bewusst zu sein und zu verstehen, was die Ursache dafür war.
Alle Bedingungen waren gegeben, um eine Generation von Revoluzzern, ja sogar von Revolutionären zu formen. Zehntausende junge Palästinenser nahmen den Kampf auf, waren entschlossen zu kämpfen und ihr Leben zu riskieren. Sie wollten für ihre Rechte als Palästinenser kämpfen, viele aber auch für eine Revolution, die die gesamte arabische Welt umfasst hätte. Als sogenannte Fedaijin („opferbereite Kämpfer“) schlossen sie sich den palästinensischen Organisationen und den von ihnen gebildeten bewaffneten Milizen an.
Alle palästinensischen Bewegungen waren in der 1964 gegründeten Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zusammengeschlossen. Ursprünglich war die PLO ein Ableger der arabischen Staaten, insbesondere Ägyptens. Nach der Niederlage von 1967, die das militärische Versagen dieser Staaten gezeigt hatte, beschlossen einige palästinensische Gruppen, selbst den bewaffneten Kampf mit ihren eigenen Mitteln zu führen. Sie bildeten Kommandos, die in Israel eindrangen, um dort Anschläge zu verüben. Im März 1968 konnten die Fatah-Fedaijin, die von Jassir Arafat gegründet worden waren, die zahlenmäßig überlegenen israelischen Streitkräfte, die das jordanische Dorf Karame angegriffen hatten, in Schach halten. Die Schlacht von Karame verlieh der Fatah eine besondere Aura und ermöglichte es ihr, ihren Einfluss innerhalb der PLO so weit zu stärken, dass Arafat 1969 die Führung der PLO übernehmen konnte.
Die arabischen Massen blickten damals auf die Palästinenser und bewunderten den Mut und die Kampfbereitschaft dieser Fedaijin, die ein Vorbild darstellten. In dieser Zeit des Aufruhrs und der zunehmenden Proteste waren die Palästinenser ein revolutionäres Ferment und weckten, auch ohne, dass ihre Führung speziell danach trachtete, die Hoffnungen der Ausgebeuteten in der arabischen Welt, die sich in ihrem Kampf wiedererkannten. In den 1970er Jahren befanden sich die Palästinenser in einer Situation, die sie zur Vorhut einer Revolution hätte machen können, deren Ziel es hätte sein können, die Herrschaft des Imperialismus über die Region zu beenden, und die, indem sie sich über den Nahen Osten ausbreitete, die arabischen herrschenden Klassen und ihre diktatorischen und korrupten Regime hinwegfegen hätte können. Da die Palästinenser über viele Länder verstreut sind, hätten sie die Möglichkeit gehabt, diesen Kampf voranzutreiben. Dazu hätte es einer Organisation bedurft, die den Willen hatte, sich mit einem solchen Programm an die Spitze des Kampfes der arabischen Massen zu stellen. Doch die Politik der PLO bestand keineswegs in dem Versuch, diese revolutionären Möglichkeiten auszuschöpfen, ganz im Gegenteil.
Arafat war ein Kämpfer, der die militärischen Operationen in Karame angeführt hatte. Aber er war ein kleinbürgerlicher Nationalist und der bewaffnete Kampf, den er propagierte, zielte keineswegs auf den Sturz des Imperialismus oder gar auf eine Umwälzung der sozialen und politischen Ordnung im Nahen Osten ab. Er beschränkte sein Ziel auf die Schaffung eines Staates, der die palästinensische Bourgeoisie neben den anderen arabischen Bourgeoisien repräsentieren konnte, mit seiner Flagge und seinem Verwaltungs- und Militärapparat, der im Rahmen der imperialistischen Ordnung und ihrer staatlichen Grenzen bestanden hätte.
Die PLO forderte die Gründung dieses Staates auf dem gesamten von Israel besetzten Gebiet. Was aber sollten die israelischen Juden in einem solchen Staat tun? Laut der Charta der Bewegung wären die einzigen, die dort einen Platz gefunden hätten, die Juden gewesen, „die vor der zionistischen Invasion normal in Palästina gelebt haben“. Bis wann hätte man zurückgehen müssen? Und was sollte aus den anderen werden? In ihrer nationalistischen Logik weigerten sich die palästinensischen Führer, das Recht der nun in Palästina lebenden Juden anzuerkennen, ebenfalls eine nationale Existenz zu haben. Damit trugen sie zur Stärkung der israelischen Regierungen bei, die mit der Behauptung, die Palästinenser wollten „die Juden ins Meer zurückwerfen“, ihre Kriegspolitik als einzig mögliche Antwort auf eine solche Bedrohung darstellten.
Darüber hinaus bestand der von Arafat propagierte bewaffnete Kampf darin, Angriffe auf israelische Soldaten zu organisieren, aber auch Anschläge, Maschinengewehrsalven auf Busse und Geiselnahmen, manchmal in Schulen. Diese Aktionen konnten den Reflex der israelischen Bevölkerung, sich national hinter ihrer Regierung zu vereinen, nur noch weiter verstärken. All das war nicht Arafats Sorge, der sich all dessen bewusst war und auch der Tatsache, dass palästinensische Kommandos nicht ausreichen würden, um die israelische Armee zu besiegen. Durch die Organisation bewaffneter Aktionen wollte er die Anerkennung durch die arabischen Staaten und ihre diplomatische Unterstützung auf der internationalen Bühne erlangen. Darüber hinaus strebte er die Anerkennung durch die Großmächte an, die er dazu bringen wollte, der Gründung eines palästinensischen Staates zuzustimmen.
Die von Kommandos durchgeführten Aktionen hatten auch einen anderen politischen Nutzen. Die Bedingungen der Geheimhaltung aufgrund der israelischen Unterdrückung erlaubten es, den Aufbau eines Militärapparats zu rechtfertigen, der weit entfernt von der Kontrolle der palästinensischen Massen selbst war. Und das war nicht der unwichtigste Aspekt in den Augen Arafats, der damit den Grundstein für einen zukünftigen Staatsapparat legte, der in der Lage gewesen wäre, über seine eigene Bevölkerung zu herrschen und sie möglicherweise zu unterdrücken.
Innerhalb der PLO gab es einige Organisationen, die sich auf den Marxismus beriefen, wie die Palästinensische Befreiungsfront (PFLP) von Georges Habasch und die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) von Nayef Hawatmeh, die eine Abspaltung der PFLP war. Diese Gruppen behaupteten zwar, marxistisch zu sein, waren aber keineswegs der Ansicht, dass die Arbeiter als Klasse in ihrem Kampf eine Rolle zu spielen hätten, und schon gar nicht eine führende Rolle. Sie blieben ausschließlich auf dem Gebiet des Kampfes gegen Israel und überboten sich in der Organisation von medienwirksamen Anschlägen und Geiselnahmen. So gründete die PFLP eine Einheit, die sich auf die Entführung von Flugzeugen spezialisierte. Wie Arafats Fatah verfolgte sie das Ziel, sich im diplomatischen Spiel durchzusetzen, indem sie die Unterstützung durch die arabischen Staaten suchte.
Das Massaker des Schwarzen September
Diese arabischen Staaten stellten sich jedoch als Feinde heraus, die in der Lage waren, mit derselben Grausamkeit gegen die Palästinenser vorzugehen wie der israelische Staat. Sie misstrauten nämlich den Fedaijin, die Organisationen und Milizen angehörten, die die Kontrolle der lokalen Behörden ablehnten und nicht davor zurückschreckten, diese herauszufordern. Unabhängig von der Politik der PLO-Führer und sogar trotz ihrer Politik, Bündnisse mit den arabischen Staaten anzustreben, stellten die palästinensischen Fedaijin eine Bedrohung dar, die die arabischen Staatschefs mit allen Mitteln kleinzuhalten versuchten.
Dies geschah zum ersten Mal in Jordanien. In diesem Land machten die Palästinenser die Hälfte der Bevölkerung aus. Einige von ihnen hatten schließlich sogar Verantwortung im Staatsapparat übernommen. Die palästinensischen Milizen zählten 40.000 Fedaijin und zögerten nicht, die jordanischen Behörden offen herauszufordern, denen gegenüber sie sich zunehmend wie eine unabhängige oder gar konkurrierende Macht verhielten. Die palästinensischen Aktivisten hatten keinen Grund, den jordanischen König Hussein zu respektieren, der der Erbe der Haschemitenfamilie war, die ihre Macht von den Briten erhielt und deren Regime auf feudalen Strukturen beruhte.
Hussein war entschlossen, die Organisationen der Fedaijin zu zerschlagen, und ließ seine Armee am 12. September 1970 mit Panzern und Luftwaffe gegen die Palästinenserlager vorgehen. Trotz ihrer militärischen Überlegenheit dauerte es mehrere Tage, bis sie den Widerstand der Fedaijin überwunden hatte. Diese wurden jedoch von der PLO-Führung, die auf Verzögerungstaktik setzte, allein gelassen. Die jordanische Armee entwaffnete die palästinensischen Kämpfer und verübte Massaker, um möglichst viele von ihnen zur Flucht in ein anderes Land zu bewegen. Insgesamt gab es mehr als 5.000 Todesopfer.
Diese Massaker des „Schwarzen Septembers“, wie sie genannt wurden, hinderten Arafat nicht daran, am 27. September an einem „Versöhnungstreffen“ teilzunehmen, das Nasser am Tag vor seinem Tod einberufen hatte. Während noch gekämpft wurde, schüttelte Arafat spektakulär Husseins Hand, als wäre alles irgendwie nur ein Missverständnis gewesen, das immerhin mit Tausenden von Toten auf Seiten der Palästinenser bezahlt wurde. Mit dieser Geste und seinem gesamten Verhalten während der Ereignisse wollte Arafat allen arabischen Staatsoberhäuptern zeigen, dass er ein zuverlässiger und verantwortungsbewusster Führer war und ihre Macht nicht gefährden wollte, egal, welchen Preis seine Bewegung dafür zahlen musste.
Die Mehrheit der palästinensischen Kämpfer aus Jordanien flüchtete in den Libanon und die PLO richtete ihr Hauptquartier in der Hauptstadt Beirut ein. In diesem Land sollte sich ein weiterer entscheidender Akt der Bewegung der Fedaijin abspielen.
Palästinenser im Zentrum des libanesischen Bürgerkriegs
Der Libanon wurde als die „Schweiz des Nahen Ostens“ bezeichnet, da eine Bourgeoisie, die hauptsächlich aus maronitischen Christen bestand, einen unverschämten Wohlstand zur Schau stellte. Gleichzeitig aber lebten tausende Frauen und Männer in Slums in den Vororten von Beirut unter Bedingungen, die denen in den palästinensischen Lagern in nichts nachstanden. Daher war die politische und soziale Situation im Libanon für die Mehrheit seiner Bevölkerung in keiner Weise mit der in der friedlichen Schweiz vergleichbar.
Die Palästinenser standen im Mittelpunkt des Bürgerkriegs, der 1975 ausbrach. In den Anfängen des Bürgerkriegs standen sich die reaktionärste Fraktion der christlichen Oberschicht, die Falangisten der rechtsextremen Milizen, und die ärmsten Massen, darunter auch die Palästinenser, gegenüber. Arafat weigerte sich jedoch, diesen Kampf politisch anzunehmen. Im Juni 1975 erklärte er, dass das „eigentliche Schlachtfeld“ in Palästina liege und dass das Geschehen im Libanon „eine Randschlacht sei, die [die palästinensische Revolution] von ihrem eigentlichen Weg abbringen würde“.
Trotz aller Bemühungen Arafats wurde der Libanon zu einem Schlachtfeld für die PLO, da sie sich nicht abseits halten konnte. Zu einem Schlachtfeld, auf dem sie sich mit einer Koalition der sogenannten „palästinensisch-progressiven“ Kräfte verband, und zu einem Schlachtfeld, auf dem sie sich mit einem arabischen Staat, nämlich Syrien, auseinandersetzen musste, der bis dahin als einer der engagiertesten für die palästinensische Sache erschienen war. Als die syrische Armee im Juni 1976 in den Libanon einmarschierte, unterstützte sie die rechtsextremen christlichen Milizen zu einem Zeitpunkt, als diese in einer schwierigen Lage zu sein schienen, und verhinderte, dass die Palästinenser und ihre Verbündeten den Sieg davontrugen.
Die syrische Führung versuchte auf diese Weise, ihre eigenen Interessen im Libanon durchzusetzen. Doch indem Syrien die Rolle des Gendarmen spielte, der die regionale Stabilität garantierte und in der Lage war, die Palästinenser in die Schranken zu weisen, machte es auch eine Geste in Richtung der imperialistischen Mächte, indem es sich als verantwortungsbewusster und unumgänglicher Gesprächspartner darstellte.
Nach Syrien war es Israel, das die Zerstörung der PLO-Kräfte im Libanon vollendete. Ab 1978 begann die israelische Armee mit Einfällen in den Libanon und besetzte den Süden des Landes. Im Juni 1982 starteten über 100.000 israelische Soldaten eine groß angelegte Offensive, die sie bis nach Beirut führte. Das erklärte Ziel war die vollständige Zerstörung der militärischen Handlungsfähigkeiten der PLO. Die libanesische Hauptstadt wurde Tag und Nacht belagert und bombardiert. Es gab fast 30.000 Opfer. Nach einer Vereinbarung unter der Schirmherrschaft eines amerikanischen Gesandten gelang es Arafat, Beirut zu verlassen und in Tunis Zuflucht zu finden. Von der militärischen Stärke der PLO war im Libanon jedoch nichts mehr übrig: 15.000 Fedaijin wurden evakuiert, doch sie hatten zustimmen müssen, entwaffnet zu werden, bevor sie über den gesamten Nahen Osten verstreut wurden.
Nach dem Abzug der Kämpfer, als die Palästinenser nicht mehr in der Lage waren, sich zu verteidigen, drangen rechtsextreme christliche Milizen in die Lager Sabra und Schatila in den Vororten von Beirut ein und verübten dort zwei Tage lang, vom 16. bis 18. September 1982, Massaker. Dies geschah mit der Komplizenschaft des israelischen Militärs, das die christlichen Milizionäre ihre Linien durchbrechen ließ und sogar nachts die Lager beleuchtete, damit die Massaker weitergehen konnten. Die Palästinenser zählten mehr als 3.000 Opfer, die meisten davon Frauen und Kinder.
Die israelische Regierung wurde damals von Begin, dem ehemaligen Irgun-Terroristen, angeführt und hatte den ehemaligen General Ariel Sharon, der damals als „Schlächter von Beirut“ bezeichnet wurde, als Verteidigungsminister. Es war ihnen gelungen, die PLO-Kämpfer aus dem Libanon zu vertreiben. Damit hatten sie jedoch den Weg für die fundamentalistische islamistische Bewegung Hisbollah (Partei Gottes) geebnet. Diese fundamentalistische, erzreaktionäre und antikommunistische Partei, die Aktivisten, die sich ihr widersetzten ermordete, wurde 1982, zur Zeit der israelischen Invasion, gegründet. Sie konnte nun durch einen Guerillakrieg gegen die Präsenz israelischer Soldaten im Südlibanon immer mehr Popularität erlangen.
Die israelische Armee war schließlich gezwungen, den Südlibanon im Mai 2000 nach 22 Jahren Besatzung zu räumen. Seitdem hat sich die Hisbollah dauerhaft an der israelischen Grenze festgesetzt und ist zu einer der wichtigsten Parteien im Libanon geworden.
Diese Serie von Niederlagen und Massakern hatte die PLO erheblich geschwächt. Die Führer der Großmächte waren aber nicht an ihrem Untergang interessiert. 1974 hatte Arafat sogar einen Beobachtersitz bei den Vereinten Nationen erhalten und konnte vor deren Generalversammlung eine Rede halten. Für die westlichen Staatschefs war Arafat ein verantwortungsvoller Gesprächspartner, den man in Reserve halten musste, für den Fall, dass man ihn als Feuerwehrmann angesichts einer palästinensischen Revolte brauchen würde. Und genau das geschah Ende der 1980er Jahre mit dem Ausbruch der Intifada in den von Israel besetzten Gebieten.
Die Intifada von 1987 und ihre Folgen
In den ersten zwanzig Jahren der israelischen Besatzung gab es im Westjordanland und im Gazastreifen keine größeren Aufstandsbewegungen. Zwar wurden diese Gebiete nicht annektiert, doch wurden sie in die israelische Wirtschaft integriert. Palästinenser erhielten leicht Arbeitsgenehmigungen, mit denen sie nach Israel reisen und die am schlechtesten bezahlten Jobs im Baugewerbe, in der Gastronomie, in Fabriken und auf Bauernhöfen annehmen konnten.
Um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, musste man sich jedoch an die Militärverwaltung wenden. Und so war es bei jedem Schritt. Die israelische Armee rühmte sich, die Besatzung human zu handhaben, aber eine humane Besatzung, die die Bevölkerung respektiert, gibt es nicht! Die Palästinenser mussten Willkür und ständige Demütigungen erdulden. Wer der Sympathie für die PLO verdächtigt wurde, wurde verfolgt und seine Familie gleich mit. Die israelische Armee erpresste einige, um sie zur Zusammenarbeit zu zwingen und andere Palästinenser zu denunzieren, manchmal sogar innerhalb der Familie. Tausende Palästinenser wurden festgenommen, willkürlich inhaftiert, geschlagen und gefoltert. Die israelische Armee übernahm eine Vorgehensweise der britischen Besatzungsmacht aus der Mandatszeit und sprengte systematisch die Häuser von PLO-Aktivisten, wodurch die ganze Familie obdachlos wurde.
Diese unterdrückerische Situation führte schließlich zu einem Wutausbruch in allen besetzten Gebieten, insbesondere unter der Jugend. Die erste Intifada (Aufstand auf Arabisch), wie diese Revolte genannt wurde, begann im Dezember 1987. Mehrere Jahre lang standen palästinensische Jugendliche, oftmals unter 15 Jahren, der israelischen Armee mit Steinschleudern als einzigen Waffen gegenüber. Man sprach vom „Krieg der Steine“. Auf israelischer Seite antworteten die Soldaten jedoch mit scharfer Munition. Der israelische Verteidigungsminister von der Arbeiterpartei, Jitzchak Rabin, gab seinen Truppen die Anweisung, den Steinewerfern „die Knochen zu brechen“.
Doch dieses harte Vorgehen, das Tausende von Toten forderte, schürte die Wut und den Hass der Palästinenser noch mehr. Und gleichzeitig wurde dabei die israelische Armee aufgerieben und demoralisiert. Die jungen Soldaten, die ihren Wehrdienst ableisteten, verstanden immer weniger, warum sie zu Folterern gemacht wurden. Eine Minderheit weigerte sich sogar, in den besetzten Gebieten zu dienen. Diese „Refuzniks“, wie sie genannt wurden, wurden oft zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Diese Entwicklung führte dazu, dass die israelische Führung ihre Haltung gegenüber den palästinensischen Organisationen änderte. Sie nahmen Verhandlungen auf, was sie bis dahin völlig abgelehnt hatten. Am 13. September 1993 unterzeichneten Arafat und der Arbeiterpartei-Politiker Rabin, der nach seinem Wahlsieg ein Jahr zuvor Premierminister geworden war, unter der Schirmherrschaft von US-Präsident Clinton das erste Oslo-Abkommen, benannt nach der norwegischen Hauptstadt, in der der Großteil der Verhandlungen stattgefunden hatte.
Das Oslo-Abkommen und der Aufbau der Palästinensischen Autonomiebehörde
Dieser Text sah den Aufbau einer Palästinensischen Autonomiebehörde in autonomen Gebieten sowie einen Zeitplan für Verhandlungen vor, die zur Gründung eines palästinensischen Staates in den Grenzen des Westjordanlandes und des Gazastreifens führen sollten, wodurch der totgeborene arabische Staat von 1947 wieder auferstehen würde. Im September 1995 wurde ein zweites Abkommen, das Oslo-II-Abkommen, unterzeichnet, in dem der Status des Westjordanlandes festgelegt und es in drei Zonen aufgeteilt wurde. Nur die Zonen A und B wurden von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet, während die dritte Zone, die mehr als 60% des Westjordanlandes ausmachte, darunter sämtliche Siedlungen, unter der Kontrolle der israelischen Armee blieb.
Nach Jahren der Besatzung und Erniedrigung waren die Erwartungen der Palästinenser hoch und sie hatten das Gefühl, einen Sieg errungen zu haben. Aber es war sicherlich genau dieses Gefühl, dem die israelische Führung misstraute. Sie wollten die Kontrolle über die Situation behalten und weiterhin zeigen, dass das Kräfteverhältnis noch immer zu ihren Gunsten war. Kaum waren die Abkommen mit der PLO unterzeichnet, organisierte Rabin die ersten Abriegelungen der besetzten Gebiete, schnitt das Westjordanland und Gaza vom Rest der Welt ab und verbot den Palästinensern die Einreise nach Israel.
Die harte Haltung gegenüber den Palästinensern diente auch dazu, der israelischen Rechten und extremen Rechten entgegenzukommen. Diese führten Hasskampagnen gegen Rabin und riefen zu seiner Ermordung auf. Einem von ihnen gelang dies schließlich im November 1995, nach der Unterzeichnung des zweiten Osloer Abkommens. Rabin war jedoch nie eine „Taube“, wie die gemäßigteren israelischen Führer genannt wurden. Er war immer ein „Falke“, d.h. ein Befürworter der harten Methode, der Unnachgiebigkeit gegenüber den Palästinensern. Doch allein die Tatsache, dass er die PLO als Gesprächspartner anerkannt hatte, machte ihn in den Augen der nationalistischen extremen Rechten zu einem Mann, den es im wahrsten Sinne des Wortes zu erschießen galt.
Hat die israelische Führung wirklich erwogen, so weit zu gehen, einen echten palästinensischen Staat anzuerkennen? Angesichts ihrer Haltung während der siebenjährigen Periode zwischen 1993 und 2000 ist dies zu bezweifeln. Es wurde von einem angeblichen „Friedensprozess“ gesprochen, weil im Gegensatz zum vorherigen Zeitraum israelische Abgesandte bereit waren, sich mit PLO-Vertretern bei aufeinanderfolgenden Gipfeltreffen zu treffen, ohne dass etwas dabei herauskam.
In Wirklichkeit war die israelische Führung aufgrund der Intifada, die sie in Schwierigkeiten gebracht hatte, gezwungen, den Palästinensern einen embryonalen Staat zuzugestehen. Die Palästinensische Autonomiebehörde hatte ihren Sitz in Ramallah im Westjordanland, verfügte über eine Verwaltung und vor allem über eine Polizei: Von den 135.000 Beamten, die die Palästinensische Autonomiebehörde schließlich zählte, arbeitete die Hälfte in den verschiedenen Sicherheitsdiensten. Diese Polizei erwarb sich schnell den Ruf, schlimmer als die israelische Armee zu sein, mit der sie zusammenarbeitete, um gegen allzu lebhafte Aktivisten vorzugehen. In dieser Hinsicht wurde das Ziel der israelischen Führung erreicht. Und keiner von Rabins Nachfolgern nach 1995 wollte über diese sehr begrenzte Autonomie hinausgehen, die einen Teil der Palästinenser in Ordnungshüter und Handlanger der israelischen Armee verwandelte.
Während des sogenannten Friedensprozesses verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Mehrheit der Bevölkerung in den besetzten Gebieten nur, die Unterdrückung nahm zu und der Siedlungsbau wurde zu keinem Zeitpunkt gestoppt. Das Westjordanland wurde aufgrund der Zerstückelung durch die jüdischen Siedlungen, die nicht unter palästinensischer Kontrolle stehen konnten, als „Leopardenfell“ bezeichnet.
Doch selbst wenn die Palästinensische Autonomiebehörde nur ein Phantom war und nicht offiziell als eigenständiger Staat anerkannt wurde, diente sie im Rahmen ihrer geringen Mittel den Interessen einer Schicht von Privilegierten. Dazu gehörten alle, die von der Vetternwirtschaft profitieren konnten, Beamte, die in der Lage waren, Bestechungsgelder zu erhalten. Es gab sogar echte Bourgeois, Nachkommen der alten palästinensischen Adligen-Familien, die in den Golfstaaten lebten und die Import-Export-Firmen an sich gerissen hatten, die nach 1995 entstanden. Die Palästinensische Autonomiebehörde hatte also ihre „Neureichen“, ihre „neuen Mogule“, wie sie genannt wurden, während die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung Arbeitslosigkeit und zunehmend schwierige Lebensbedingungen durchlebte.
Unter den Palästinensern war die Enttäuschung ebenso groß wie zuvor die Erwartungen, und so geriet die Fatah in Verruf. Die islamistische Organisation Hamas gewann an Zulauf und profitierte davon, dass sie das Oslo-Abkommen nie anerkannt hatte.
Von der Muslimbruderschaft zur Gründung der Hamas
Die Gründungsmitglieder der Hamas stammten aus der religiösen Bruderschaft der Muslimbruderschaft, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Ägypten entstanden war. Als sie 1970 in Gaza eine islamistische Vereinigung gründeten, erlaubten ihnen die israelischen Besatzungsbehörden, ihre Aktivitäten auszuweiten, um den Einfluss der PLO zu verringern. Sie konnten Gebetshäuser eröffnen, die auch echte soziale Zentren waren, mit Gesundheitsstationen, Sporthallen und Essensausgaben, von denen die Bewohner der Flüchtlingslager profitieren konnten. Die israelische Verwaltung erlaubte 1978 die Gründung einer islamischen Universität in Gaza, die im Laufe der Jahre Tausende von islamistischen Aktivisten ausbilden konnte. Um ihre Kontrolle über die Bevölkerung zu festigen, führte die Muslimbruderschaft in den 1980er Jahren Einschüchterungskampagnen gegen „Ungläubige“, die Alkohol tranken oder ihren Atheismus zur Schau stellten, durch.
Die israelische Verwaltung drückte ein Auge zu, denn sie freute sich, wenn PLO-Aktivisten von Islamisten angegriffen wurden, die nichts gegen die israelische Besatzung unternahmen.
Mit dem Ausbruch der ersten Intifada wurde der Muslimbruderschaft jedoch klar, dass sie sich nicht länger auf religiöse Propaganda beschränken konnte, wenn sie ihren Einfluss behalten wollte, auch wenn sie damit ihre relative Immunität verlor, die sie bis dahin genossen hatte. Im Dezember 1987 gründeten sie die Hamas (Abkürzung für Islamische Widerstandsbewegung). Damit verwandelten sie ihre Vereinigung in eine Partei, die sich klar gegen die israelische Besatzung engagierte und offen die Gründung eines palästinensischen Staates auf der Grundlage des islamischen Rechts forderte.
1993 grenzte sich die Hamas von der PLO ab, indem sie ihre Ablehnung des Osloer Abkommens zum Ausdruck brachte. Ihr Einfluss blieb jedoch in der Zeit, in der die Mehrheit der Palästinenser die Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde begrüßte, begrenzt. Dies änderte sich mit dem Ausbruch der zweiten Intifada im September 2000.
Die zweite Intifada
Die zweite Intifada hatte nicht den Charakter eines unkontrollierten Wutausbruchs, wie ihn die Intifada Ende der 1980er Jahre gehabt hatte. Viele der rebellischsten Jugendlichen schlossen sich der Hamas und anderen islamistischen Organisationen an, die sich dem Oslo-Abkommen widersetzt hatten, wie dem Islamischen Dschihad, der ebenfalls aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen war. Die Aktionen, die ihnen angeboten wurden, bestanden darin, Selbstmordattentate zu verüben, um möglichst viele Menschen zu töten, indem sie sich an öffentlichen Plätzen oder in Bussen in die Luft sprengten. Diese verzweifelte Form des Kampfes war besonders unfruchtbar. Doch den islamistischen Organisationen ging es nur darum, sich ein Image als Kämpfer zu geben, um auf diese Weise ihren Einfluss unter den Palästinensern zu vergrößern.
Die Zunahme von Selbstmordattentaten erzeugte unter den Israelis ein Gefühl des Schreckens und schürte den Hass auf die Palästinenser. Der rechtsgerichtete Führer Ariel Sharon wurde im Februar 2001 Premierminister, indem er sich auf diese Gefühle stützte und sich als derjenige darstellte, der die Sicherheit zurückbringen würde, indem er die Repressionen gegen die Palästinenser verschärfte.
Er kehrte zur Politik der israelischen Regierungen vor der Unterzeichnung des Osloer Abkommens zurück, lehnte jeden Kontakt mit der PLO ab und begann mit harten Repressionen. Die israelische Armee setzte Panzer im Westjordanland ein, bombardierte palästinensische Städte und machte sogar ganze Stadtviertel mit Bulldozern dem Erdboden gleich. Der Sitz der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah, wo sich Arafat aufhielt, wurde zwei Jahre lang belagert und zeitweise von Wasser und Strom abgeschnitten.
Sharon hatte nicht die Absicht, das gesamte Westjordanland zu annektieren. Er begann mit dem Bau einer Mauer, die von den israelischen Behörden als „Sperranlage“ bezeichnet wurde und als Mittel zur Beendigung von Terroranschlägen durch die endgültige Trennung von Israelis und Palästinensern angepriesen wurde. Ihr Verlauf ermöglichte es, 65 Siedlungen auf israelischer Seite, aber auch 11.000 Palästinenser und die große Mehrheit der 250.000 Palästinenser in Ost-Jerusalem einzubeziehen.
Die Fortsetzung der Besetzung des Gazastreifens wurde zu schwierig und kostspielig. Sharon kündigte einen einseitigen Abzugsplan für Gaza an, ohne mit der Palästinensischen Autonomiebehörde über dessen Umsetzung zu diskutieren.
Die israelische Armee zog aus Gaza ab und die jüdischen Siedlungen wurden aufgelöst. Sharon zögerte nicht, die Armee zu schicken, um Siedler zu vertreiben, die sich weigerten zu gehen. Um seine Entscheidung zu rechtfertigen, sagte er im August 2005 im israelischen Fernsehen: „Wir können Gaza nicht für immer behalten. Mehr als eine Million Palästinenser leben dort in überfüllten Flüchtlingslagern, in Armut und ohne Hoffnung“. Sharon, der sich der Lage der Menschen in Gaza sehr bewusst war, wusste genau, dass er das Risiko einging, den Islamisten der Hamas den Weg zur Macht zu ebnen. Wahrscheinlich war dies sogar Teil seines Kalküls, denn es war eine Möglichkeit, die PLO zu schwächen. Auf jeden Fall behielt der israelische Staat die Kontrolle über die Grenzübergänge, den Luft- und den Seeraum des Gazastreifens und verwandelte das etwas mehr als 12 km breite und 42 km lange Gebiet in ein riesiges Gefängnis, zu dem er die Schlüssel behielt.
Gaza: Die Bevölkerung unter israelischer Blockade und Hamas-Diktatur
Am Ende dieser Periode der zweiten Intifada kam es zu einem gewaltsamen Machtkampf, der von bewaffneten Auseinandersetzungen begleitet wurde, zwischen der völlig diskreditierten Fatah und der Hamas. Gestützt auf ihre Polizei und mit der Unterstützung Israels gelang es der Fatah, sich im Westjordanland an der Macht zu halten. Ihr Führer, Mahmoud Abbas, trat die Nachfolge des 2004 verstorbenen Arafat als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde an. Er ist jedoch ein Präsident, der außerhalb seiner „Hauptstadt“ Ramallah nicht viel Kontrolle hat.
In Gaza gelang es der Hamas 2007, die Macht zu übernehmen und die Fatah vollständig auszuschalten, da sie über eine größere Streitmacht verfügte. Sie kontrolliert einen kleinen Staatsapparat mit offiziell 40.000 registrierten Beamten. Ein erheblicher Teil davon gehört, wie im Westjordanland, zu den bewaffneten Milizen, die den Gaza-Bewohnern ihre Diktatur aufzwingen und versuchen, die moralische Ordnung der Islamisten durchzusetzen.
Die Stärkung der islamistischen Organisationen und ihrer reaktionären Ideen in der palästinensischen Bevölkerung stellt in jeder Hinsicht einen erheblichen Rückschritt dar. Die PLO umfasste säkulare und sogar sozialistische Organisationen, wie wir gesehen haben, und innerhalb dieser Organisationen wurden keine religiösen Unterschiede zwischen den Aktivisten gemacht, obwohl die Christen 15% der in Israel lebenden palästinensischen Bevölkerung ausmachen. Das Gewicht, das der Islamismus erlangt hat, stellt einen Rückschlag für die Frauen dar, von denen viele durch ihre Bildung und ihre Teilnahme am politischen Kampf einen gleichberechtigten Platz in den palästinensischen Organisationen erlangt hatten.
Vor allem aber mussten die Menschen in Gaza die terroristische Politik der israelischen Führung ertragen. Ab 2007 unterwarfen diese den Gazastreifen zeitweise einer fast vollständigen Blockade. Aufgrund des Mangels an Treibstoff für die Generatoren kam es regelmäßig zu Stromausfällen, wodurch auch die Wasserentsalzungsanlagen nicht mehr funktionierten und die Bewohner somit von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten wurden. Seit über zehn Jahren überlebte die Mehrheit der Bewohner von Gaza ausschließlich dank der Nahrungsmittelhilfe, die von humanitären Organisationen verteilt wurde.
Die Menschen in Gaza litten auch unter den Militäroperationen und Bombenangriffen, die in den letzten 15 Jahren immer wieder durchgeführt wurden. Jedes Mal gab die israelische Führung vor, auf diese Weise auf die aus Gaza abgefeuerten Raketen zu reagieren und die Hamas schwächen zu wollen. Doch dank dieses permanenten Kriegszustands haben sie es der Hamas im Gegenteil ermöglicht, ihre Macht zu festigen und jeden Protest zum Schweigen zu bringen. Mit ihrer Zustimmung konnten Katar und der Iran der Hamas Gelder zukommen lassen, damit sie ihre Beamten bezahlen konnte.
Der Hamas auf diese Weise zu ermöglichen, sich in Gaza an der Macht zu halten, war eine Möglichkeit, die Palästinensische Autonomiebehörde zu schwächen. Seitens der israelischen Führung war dies nur die Fortsetzung der Politik, mit der sie in den 1970er Jahren die Entwicklung islamistischer Strömungen gefördert hatte, um der PLO entgegenzuwirken.
Es war ein zynisches Kalkül, für das die palästinensische Bevölkerung teuer bezahlen musste. Aber auch die jüdische Bevölkerung Israels zahlte dafür, denn das Erstarken der Hamas und der islamistischen Strömungen befeuerte die gleiche politische Entwicklung in Israel, wobei der Einfluss der nationalistischen und religiösen extremen Rechten zunahm.
Netanjahu wird mehr und mehr eine Geisel der extremen Rechten
Der derzeitige israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat es mit einigen Zwischenspielen geschafft, sich seit 2009 im Amt des Premierministers zu halten. Damit hat er den bisherigen Rekord von Ben Gurion für die längste Amtszeit geknackt. Dafür musste er jedoch Unterstützung bei der extremen Rechten finden, die er dadurch stärkte und von der er zunehmend abhängig wurde.
Um nach den Wahlen im November 2022 eine Mehrheit in der Knesset, dem israelischen Parlament, zu erhalten, musste Netanjahu eine Regierungskoalition mit ultranationalistischen und religiösen Parteien der extremen Rechten bilden, die in Israel selbst von vielen als die jüdische Version der Hamas bezeichnet werden.
Die größte dieser Parteien, die Partei Religiöser Zionismus, die bei den Parlamentswahlen von 4 auf 10 Prozent der Stimmen gestiegen war, wurde zur drittstärksten politischen Kraft. Ihr Führer Bezalel Smotrich, der für den Ausbau der jüdischen Siedlungen im Westjordanland eintritt und selbst in einer Siedlung lebt, wurde Finanzminister. Außerdem wurde eigens für ihn ein Ministerium innerhalb des Verteidigungsministeriums geschaffen, das es ihm ermöglichen soll, den Ausbau jüdischer Siedlungen im Westjordanland zu unterstützen.
Er befürwortet die Annexion von Judäa und Samaria, was die biblischen Namen des Westjordanlandes sind, in einem Groß-Israel. Er macht aus seinem Rassismus keinen Hehl und erklärt, er akzeptiere nicht, dass seine Frau neben einer arabischen Frau entbindet. Schließlich, um das Bild seines Charakters zu vervollständigen, bezeichnet er sich selbst als „homophoben Faschisten“.
Der Führer der rechtsextremen Partei Jüdische Macht, Itamar Ben Gvir, hat die Leitung eines Superministeriums für nationale Sicherheit übernommen. In der Vergangenheit wurde dieser Aktivist für die jüdische Siedlungstätigkeit, der ebenfalls in einer Siedlung im Westjordanland lebt, wegen rassistischer Hetze und Unterstützung jüdischer Terrororganisationen verurteilt und befürwortet nach eigenen Angaben die Umsiedlung eines Teils der arabischen Bevölkerung Israels in die Nachbarländer.
In der Koalitionsvereinbarung mit diesen Parteien verpflichtete sich Netanjahu ausdrücklich, eine „Politik zu fördern, durch die Israel seine staatliche Hoheit auf Judäa und Samaria anwendet“.
Ohne den Begriff zu verwenden, beabsichtigt die Regierung Netanjahu also, eine Annexionspolitik umzusetzen.
Heute gibt es im Westjordanland 151 Siedlungen, in denen 475.000 Israelis wohnen. Smotrich kündigte im Mai dieses Jahres an, ihre Zahl auf eine Million Siedler verdoppeln zu wollen. Hinzu kommen 230.000 Bewohner der Siedlungen, die um Ost-Jerusalem herum gebaut wurden. Von den 7 Millionen israelischen Juden machen die Siedler heute etwa 10% aus, ein beträchtliches zahlenmäßiges Gewicht, das es ihnen ermöglicht, das politische Leben stark zu beeinflussen.
Die Siedlungen, die fast immer auf Hügeln errichtet wurden, um die umliegenden Gebiete, in denen Palästinenser leben, zu beherrschen, haben sich schließlich zu richtigen Städten mit zum Teil Zehntausenden von Einwohnern entwickelt. Um sich Gehör zu verschaffen, schlossen sie sich zusammen und bildeten Verwaltungsstrukturen, die schließlich eine offizielle Anerkennung erhielten, um ihre Forderungen an die Behörden zu formulieren, die Durchführung von Projekten zu organisieren und die ihnen zugewiesenen Budgets zu verwalten. Seit Jahrzehnten gründen die Siedler neue Siedlungen, ohne auf die offizielle Genehmigung der Regierung zu warten, indem sie die Palästinenser von ihrem Land vertreiben und sie mit wiederholten Übergriffen und regelrechten Pogromen terrorisieren. Anschließend erzwingen sie, dass diese Siedlungen an das Strom- und Autobahnnetz angeschlossen werden. Alle israelischen Regierungen, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, haben fast immer dem Druck der Siedler nachgegeben.
Angesichts dieser Politik ist die Lage im Westjordanland explosiv geworden, wo sich wütende Demonstrationen der Palästinenser im Laufe des Jahres 2022 häuften. Die israelischen Behörden reagierten mit immer brutaleren Repressionen.
Hinzu kommen die besonders zahlreichen Verhaftungen. Nach Angaben des israelischen Gefängnisdienstes befanden sich am 1. November fast 7000 Palästinenser in Haft, nach Angaben palästinensischer Organisationen waren es mehr als 10.000. Mehr als 2.000 von ihnen befinden sich im Rahmen der Verwaltungshaft, die willkürlich ohne Gerichtsverfahren unbegrenzt verlängert werden kann.
In Israel selbst ist die Situation zunehmend explosiver geworden. Lange Zeit war Israel stolz darauf, den fast 2 Millionen israelischen Arabern, die 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, politische Rechte und soziale Aufstiegsmöglichkeiten eingeräumt zu haben. In den Gesundheitseinrichtungen stellen sie fast die Hälfte des Personals, Ärzte, Pfleger und Angestellte. In Wirklichkeit sind sie jedoch Bürger zweiter Klasse in einem Staat geblieben, der sie dies in den letzten Jahren immer stärker spüren ließ.
In den Städten, die, wie es heißt, gemischt geblieben sind und in denen Juden und Araber leben, haben die Behörden Siedler aus dem Westjordanland angesiedelt und ihnen Wohnungen und Zuschüsse gewährt, um eine jüdische Mehrheit unter den Einwohnern zu erhalten. Unter den Palästinensern staute sich die Wut in diesen israelischen Städten auf. Anlässlich einer neuen Welle von Bombardierungen des Gazastreifens brachen im Mai 2021 zum ersten Mal seit der Gründung Israels gewalttätige Unruhen aus. Es folgten Lynchmorde an Palästinensern und Zerstörungen von Geschäften und religiösen Stätten, die von rechtsextremen Gruppen organisiert und manchmal von der Polizei unterstützt wurden.
Der permanente Kriegszustand und seine Folgen
Netanjahus Politik gegenüber den Palästinensern ist im Grunde genommen eine Fortsetzung der Politik seiner Vorgänger der letzten 75 Jahre. Sie läuft darauf hinaus, der israelischen Bevölkerung glauben zu machen, dass es ausreicht, die Sprache der Stärke zu sprechen, die modernste und stärkste Armee zu haben, um die Sicherheit Israels zu gewährleisten.
Der Staat Israel war in der Lage, die stärkste Armee im Nahen Osten aufzubauen, die sich auf seine Fähigkeit stützt, seine Bevölkerung zu mobilisieren. Man hat gesehen, wie der Staat nach dem 7. Oktober in der Lage war, in Rekordzeit mehr als 350.000 Soldaten zu mobilisieren. Das bedeutet jedoch, dass die Israelis mit der Waffe bei Fuß leben müssen, immer bereit, in den Kampf zu ziehen. Die Armee, die als „Armee des Volkes“ gilt, nimmt einen zentralen Platz im Leben der Israelis ein. Die Wehrpflichtigen müssen einen Militärdienst leisten, der für Frauen 24 Monate und für Männer 32 Monate dauert, und viele leisten einen Monat im Jahr Reservedienst. Auf diese Weise wird ein ganzer Teil der Gesellschaft von den Werten der Armee geprägt. Das Gewicht, das die extreme Rechte erlangt hat, ist auch eine Folge dieser Einberufung der einfachen Bürger.
Die Aufrechterhaltung eines solchen Militärapparats ist mit Kosten verbunden, die Israel ohne die amerikanische Hilfe nicht aufbringen könnte. Diese beläuft sich auf 4 Milliarden Dollar pro Jahr, den höchsten Betrag, der einem Verbündeten der USA gewährt wird.
Doch trotz der Höhe dieser Hilfe ist der israelische Staat gezwungen, einen erheblichen Teil seines Budgets dafür auszugeben, um Raketen und Munition zu kaufen, ganz zu schweigen von den drei U-Booten, die letztes Jahr in Deutschland in Auftrag gegeben wurden. Angesichts solcher Ausgaben muss der israelische Staat sparen, ohne die Finanzierung der Besiedlung des Westjordanlandes zu verringern. Dies hat ihn dazu veranlasst, das Sozialsystem in den letzten Jahren stark zu reduzieren, was dazu geführt hat, dass Israel zu einem der Industrieländer mit der höchsten Armutsrate geworden ist. Einem offiziellen Bericht zufolge leben 20% der israelischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Die israelische Bevölkerung zahlt einen hohen Preis für die koloniale und militaristische Politik ihrer Regierungen. Und ein Teil von ihnen ist sich dessen bewusst.
In den ersten neun Monaten dieses Jahres fanden jeden Samstag in den wichtigsten Städten Israels Demonstrationen statt. Sie zeigten, dass sich ein erheblicher Teil der Bevölkerung nicht mehr mit der Politik ihrer Regierung identifizieren konnte. Die Demonstranten wehrten sich gegen eine geplante Justizreform, die Netanjahu ausgearbeitet hatte, um seine Versprechen gegenüber seinen rechtsextremen Verbündeten zu halten und wahrscheinlich auch, um zu verhindern, dass er wegen Korruption vor Gericht gestellt wird. Der Text sah vor, die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs zu beschneiden. Der Oberste Gerichtshof ist oft als relative Gegenmacht aufgetreten, insbesondere weil er sich manchmal gegen die Gründung bestimmter Siedlungen oder gegen bestimmte religiöse Bewegungen gestellt hat.
Ein Teil der Bevölkerung war besorgt darüber, dass die Regierung mit dieser Reform ihre Macht ausbauen wollte, zumal angesichts des Gewichts, das die extreme Rechte in der Regierung erlangt hat, Angriffe auf die Rechte von Frauen, Homosexuellen und generell auf die bürgerlichen Freiheiten zu erwarten waren.
Unter den Initiatoren der Demonstrationen befanden sich zahlreiche prominente Persönlichkeiten, ehemalige Minister, ehemalige Leiter der Sicherheitsdienste, pensionierte Generäle usw. Dies erklärt die politischen Grenzen, die die Organisatoren der Mobilisierung nicht überschreiten wollten. Für sie sollte sich die Mobilisierung darauf beschränken, die Parole „Verteidigung der Demokratie“ in den Vordergrund zu stellen. Einige sahen darin nur eine Gelegenheit, Netanjahu zu schwächen, in der Hoffnung, auf diese Weise an die Macht zu kommen. Es ging keineswegs darum, weiterzugehen und insbesondere die Politik gegenüber den Palästinensern in Frage zu stellen. Dennoch drückte ein Teil der Bevölkerung durch die Demonstrationen seine Feindseligkeit gegenüber den Siedlern, ihren Organisationen und der Entwicklung, die sie der israelischen Gesellschaft aufzwangen, aus.
Nach den von der Hamas am 7. Oktober initiierten Angriffen änderte sich die Situation völlig. An die Stelle der Bereitschaft, die Regierung herauszufordern, trat das Gefühl, dass man die Reihen hinter ihr schließen müsse. Es wurde ein Kabinett der nationalen Einheit gebildet, in dem auch Benny Ganz, der ehemalige Generalstabschef und eine der wichtigsten Figuren der Opposition gegen Netanjahu, vertreten ist. Die Regierung bleibt im Amt, aber solange die Militäroperationen andauern, wird dieses Kriegskabinett das Land regieren. Netanjahu kann Krieg gegen die Palästinenser führen, wobei er dank der Hamas und ihrer Angriffe die Unterstützung der Bevölkerung genießt, die er verloren hatte.
Die palästinensische und die jüdische Bevölkerung werden die Folgen dieses neuen Blutbades noch viele Jahre lang teuer bezahlen.
Für einen Kampf aller Arbeitenden und Ausgebeuteten im Nahen Osten!
Ein Ausweg aus dieser endlosen Kette von Kriegen wird einen Bruch mit der Politik erfordern, die beide Bevölkerungen in eine Sackgasse geführt hat.
Ein Teil der israelischen Bevölkerung hat in den letzten Jahren wiederholt ihre Besorgnis und ihren Willen zum Ausdruck gebracht, aus diesem Teufelskreis von Kriegen auszubrechen. Und sie hat es geschafft, dies gegen ihre Regierung tun, während des Libanonkriegs Anfang der 1980er Jahre, nach den Massakern von Sabra und Schatila, in jüngster Zeit gegen Netanjahu und seine rechtsextreme Regierung. Gegenwärtig genießt Netanjahu trotz des Kriegszustands keine einhellige Unterstützung.
Es gibt in dieser Region Platz für beide Völker, in Frieden zu leben und nebeneinander zu existieren, denn das ist sicherlich der Wille der Mehrheit unter ihnen. Dies kann jedoch nur unter der Bedingung geschehen, dass jeder Bevölkerung das Recht auf seine nationale Existenz zuerkannt wird, angefangen bei den Palästinensern, die seit 75 Jahren unterdrückt werden. Das zionistische Programm, den arabischen Völkern einen jüdischen Staat aufzwingen zu wollen, hat in eine schreckliche Sackgasse geführt. Dieser Staat, von dem die Zionisten behaupteten, er sei die einzige Möglichkeit, Juden Schutz vor Verfolgung zu bieten, hat dazu geführt, dass in Israel und Palästina ein System der Unterdrückung und Apartheid errichtet wurde, das den Juden keine Sicherheit garantiert und in dem sie selbst um ihre Freiheiten fürchten müssen.
Was die Juden in der übrigen Welt betrifft, so sind sie seit der Gründung Israels nicht mehr vor Antisemitismus geschützt worden als vorher. Derzeit ist zu beobachten, wie sie missbräuchlich für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden können, die von vielen nicht gebilligt wird.
Es muss erneut betont werden, dass es für die Juden in Israel und der Welt keinen Frieden und keine Sicherheit geben wird, solange die Palästinenser unterdrückt werden und die Siedlungspolitik fortgesetzt wird! Ein Volk, das ein anderes unterdrückt, kann kein freies Volk sein!
Auf palästinensischer Seite hat der Kampf, der sich auf die Forderung nach einem palästinensischen Staat beschränkt, ebenfalls in eine Sackgasse geführt. Im Rahmen des imperialistischen Systems könnte dieser Staat nur dem ähneln, was die Palästinensische Autonomiebehörde heute ist. Wir haben gesehen, wie das einer Minderheit von Bourgeois ermöglichen konnte, sich zu bereichern, aber im Gegensatz dazu konnte sie nicht die Bedürfnisse und Interessen der ärmsten palästinensischen Massen erfüllen, die in Flüchtlingslagern in Dörfern im Westjordanland und in Gaza leben. Und was ist mit denjenigen, die in den Lagern im Libanon und in Jordanien leben, die legitime Ansprüche auf ein Rückkehrrecht erheben und auf jeden Fall das Recht, anderswo als in Flüchtlingslagern leben zu können. All diesen Menschen hätte ein auf die Grenzen des Westjordanlandes und des Gazastreifens reduzierter palästinensischer Staat nichts zu bieten! Nicht einmal ein Ende der nationalen Unterdrückung, denn die Gründung eines solchen Staates würde der Politik der Vorherrschaft und der militärischen Angriffspolitik der israelischen Regierungen kein Ende setzen. Als revolutionäre Kommunisten erkennen wir das Recht jeden Volkes, sowohl der Palästinenser als auch der israelischen Juden, auf eine eigene nationale Existenz in der von ihnen gewählten Form an. Aber im Rahmen des Imperialismus, der Aufteilung und der Grenzen, die er den Völkern der Region aufgezwungen hat, und der Unterdrückung, in der er sie alle hält, ist die Verwirklichung einer solchen Perspektive unmöglich.
Damit dies möglich wird, müssen die Arbeitenden die Führung im Kampf der Bevölkerungen des Nahen Ostens übernehmen, mit dem Ziel, die herrschenden Klassen in der Region zu stürzen - die israelische, aber auch die der arabischen Staaten.
Weil die Arbeiterklasse die einzige revolutionäre Klasse in unserer Zeit ist, die einzige Klasse, die nichts davon hat, dieses auf Ausbeutung basierende System aufrechtzuerhalten, dieses System, das ständig Ungleichheit und vielfältige Formen der Unterdrückung hervorbringt und aufrechterhält. Und weil sie eine internationale Klasse ist, ist sie die Einzige, die nichts von der Aufrechterhaltung von Nationalstaaten hat, die dazu dienen, die Interessen der Besitzenden zu verteidigen. Eine solche Revolution muss Teil des Kampfes aller Arbeiter weltweit sein, um den Imperialismus zu stürzen. Dann wird es möglich sein, eine politische und soziale Organisation aufzubauen, die den Interessen der Arbeiter und Ausgebeuteten entspricht und in der die Produktion von Reichtum durch die Bedürfnisse der meisten Menschen bestimmt wird. Und das kann nur durch die Schaffung einer echten sozialistischen Föderation der Völker des Nahen Ostens und der Welt geschehen.
Diese Arbeiterklasse, die in der Lage ist, einen solchen Kampf zu führen, gibt es im Nahen Osten! Es sind die palästinensischen Arbeiter, die von palästinensischen Bossen im Westjordanland ausgebeutet werden, die 150.000 Palästinenser, die vor dem aktuellen Krieg täglich nach Israel fuhren, um auf Baustellen und in Restaurants zu arbeiten. Es sind die israelischen Arbeitenden, von der ein Teil vor einigen Monaten gegen die geplante Justizreform der Regierung Netanjahu gestreikt hat, und die wie alle Arbeiter auf der Welt mit Ausbeutung und derzeit vor allem mit steigenden Preisen zu kämpfen haben. Sie sind nicht nur Juden, denn in Israel gibt es heute mehr als 200.000 eingewanderte Arbeiter/innen aus Rumänien, Thailand, den Philippinen, Eritrea und dem Sudan. Die Arbeiterklasse ist in Israel, wie überall auf der Welt, international!
Diese Arbeiterklasse ist gespalten, nicht alle haben die gleichen Lebensbedingungen. Sie ist auch durch das de facto Apartheidregime gespalten, das der israelische Staat errichtet hat. Aber überall und zu allen Zeiten war es immer notwendig, dass Aktivisten mit dem Ziel kämpften, die Arbeiter zu vereinen, im selben Kampf und in denselben Organisationen. Dies war der erste Kampf der Aktivisten der aufkommenden Arbeiterbewegung, und dies war der Kampf der von Marx begründeten kommunistischen Bewegung. 1848 schrieben Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei, in dem sie definierten, was die Kommunisten von allen anderen Arbeiterparteien unterschied: „In den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier stellen sie [die Kommunisten] die von der Nationalität unabhängigen und dem ganzen Proletariat gemeinsamen Interessen in den Vordergrund und machen sie geltend.“
Als revolutionäre Kommunisten müssen wir also heute verteidigen, dass von Tel Aviv bis Ramallah, von Beirut bis Kairo alle Arbeiter dieselben Interessen haben und sich in einem gemeinsamen Kampf gegen Netanjahu und gegen die Hamas vereinen müssen, um den Imperialismus und alle ihre Ausbeuter zu stürzen. Und dass dieser Kampf der Kampf der Arbeiter auf der ganzen Welt ist.
Damit die Arbeiter diesen revolutionären Kampf bis zum Ende, bis zur Machtergreifung, führen können, brauchen sie eine Partei, die sich bewusst dieses Ziel setzt und deren Programm der revolutionäre Kommunismus ist. Und wenn die Ereignisse im Nahen Osten etwas zeigen, dann ist es, dass die Arbeitenden eine weltweite Partei der Revolution brauchen.
Wir sind überzeugt, dass diese Ideen letztendlich zur Entstehung solcher Parteien führen werden, weil sie die Zukunft und die einzige Hoffnung darstellen - für die Völker des Nahen Ostens wie für die gesamte Menschheit.
Die Verantwortung von uns hier, die wir die Ereignisse im Nahen Osten nicht beeinflussen können, besteht zumindest darin, diese Perspektive in den Vordergrund zu rücken und hier in unserem Maßstab mit all unserer Empörung und all unserer kämpferischen Energie zum Aufbau der revolutionären Partei beizutragen, die der Arbeiterklasse fehlt.