Die Ölpreise schießen in die Höhe - Der Planet wird von den „Großen Ölkonzernen“ und Spekulanten als Geisel genommen

Oktober 2005

(aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Oktober 2020)

 

Der Rohölpreis hat sich seit 2003 verdreifacht und seit 1999 sogar vervierfacht. Selbst wenn dieser starke Anstieg nach dem Sommer anhielt, stellen sich Regierungen, internationale Finanzinstitutionen und die Wirtschaft in die „Perspektive eines dauerhaft teuren Öls“, wie es im Leitartikel der Wirtschaftszeitung La Tribune vom 7. Oktober heißt.

Vor diesem Hintergrund sind die Gewinne der Raffinerieunternehmen in einem Jahr um 80% gestiegen, während die Dividenden, die von den großen Ölkonzernen (den Ölmajors) an ihre Aktionäre gezahlt wurden, explodiert sind. Was die Bevölkerungen betrifft, so stellen sie fest, dass es von ihnen verlangt wird, ihren Treibstoff teurer zu bezahlen (in Frankreich um 20% mehr für Superbenzin und 43% für Heizöl innerhalb eines Jahres) und weniger Erdöl zu verbrauchen.

So hat beispielsweise der Präsident der USA in einer Déjà-vu-Rede gerade das amerikanische Volk zum „Energiesparen“ aufgerufen. Sie scheint tatsächlich wörtlich aus derjenigen genommen worden zu sein, die Carter 1977 bei seinem Amtsantritt machte, als er die Amerikaner aufforderte, „Opfer und Veränderungen in (ihrem) Leben vorzunehmen“, denn „wir müssen unsere Energienachfrage mit unseren Ressourcen ausgleichen, die bald erschöpft sind.“ Und ein wenig überall auf der Welt singen andere Führer wie der französische Premierminister Villepin den Refrain: „Wir müssen uns auf die Zeit nach dem Öl vorbereiten“, oder sie behaupten wie Sarkozy, als er Wirtschaftsminister war, dass man „den Opfergeist der siebziger Jahre“ wiederentdecken muss.

Dieses Jahrzehnt wurde wirklich durch den starken Anstieg des Ölpreises gekennzeichnet. Die erste Erdölkrise war, neben der Dollarkrise, die erste große Erscheinung der langen Depression, aus der die Weltwirtschaft immer noch nichtherausgekommen ist.

 

Die zwei ersten „Ölschocks“

Die Rohölpreise vervierfachten sich 1973-1974 und 1979-1980 erneut. Die Regierungen der reichen Länder machten die produzierenden Länder für diese Erhöhungen verantwortlich. Zu dieser Erklärung, die den Vorteil hatte, die Rolle der „Oil Majors“ im Schatten zu lassen, kam eine weitere Erklärung anderer Art hinzu. Da die Vorkommen an Kohlenwasserstoffen nicht unendlich groß sind und bei dem Tempo, in dem sie abgebaut wurden, hätte die Menschheit nur noch Reserven für dreißig Jahre vor sich gehabt. Man müsste sich damit abfinden: Öl wurde knapp und konnte nur teuer, sehr teuer sein.

Der erste „Erdölschock“ fand statt, als die Weltwirtschaft in eine turbulente Zeit eintrat. Er markiert das Ende der „Wirtschaftswunderzeit“ - eigentlich kaum mehr als zwei Jahrzehnte lang -, als die Wirtschaft, die sich von den Verwüstungen des letzten Weltkonfliktes erholt hatte, ein anhaltendes Entwicklungstempo kannte. Über diese qualmigen Lügen hinaus war der erste plötzliche Anstieg des Ölpreises auf den Willen der Ölkonzerne zurückzuführen, der Verengung des Marktes und der damit verbundenen Gefahr eines Gewinnrückgangs zuvorzukommen. Sie hatten die Mittel dafür. Sie hatten die Monopolstellung: Als Erben der „sieben Schwestern“ hielten einige große Konzerne die Versorgung der Welt mit Öl in ihren Händen, indem sie das Raffinieren, den Vertrieb und auch - durch die Vermittlung von lokalen Machthabern - die Ausnutzung der Ölfelder direkt kontrollierten.

Der explodierende Ölpreis, der die Reaktion der Ölkapitalisten auf den Eintritt in die Krise der Weltwirtschaft war, musste sie noch schlimmer machen. Alle Wirtschaftszweige mussten eine erhöhte „Erdölrente“ bezahlen. Besonders stark betroffen waren die großen Energieverbraucher, Industrie und Verkehr.

Als Folge des allgemeinen Konjunkturrückgangs und der Erosion des Dollars, der internationalen Referenzwährung, nahm die Inflation stark zu. In Frankreich erreichte sie 20%, und blieb dann jahrelang bei über 10%. Die Kaufkraft der Löhne wurde gewalzt. Zum ersten Mal seit Kriegsende sank die Produktion weltweit in den Jahren 1974-1975, und erneut in den Jahren 1979-1982, was den Jahren nach jedem der Ölschocks folgte. In den Industrieländern wurde die Arbeitslosigkeit erneut zu einem Massenphänomen, zu einem dauerhaften Element des Funktionierens der Wirtschaft, das dazu dienen würde, den Anteil des produzierten Reichtums zu verringern, den die besitzenden Klassen der Arbeiterklasse überlassen.

Die durch den Ölpreisanstieg verursachten kaskadenartigen Preiserhöhungen, haben den Lebensstandard der Arbeitenden in den Industrieländern drastisch gesenkt. In den armen Ländern, die zum größten Teil ihr Öl importieren mussten, traf die Verteuerung des Öls die Volksmassen sehr hart. Die Wirtschaft dieser Länder, die zerbrechlich war, weil sie vom Imperialismus geplündert wurde, nachdem sie von den Kolonialmächten geplündert worden war, wurde an der Kehle gepackt. Um sich ein Minimum an Energieversorgung zu sichern, und einfach nur um zu überleben, musste sich die Dritte Welt bei den Banken verschulden, indem sie sich diese Schlinge um ihren Hals zog, welche dreißig Jahre später ihre Völker immer noch erwürgt.

 

Gut inszenierte Lügen

Es war ein gewalttätiger Schock. Um dessen Folgen als unvermeidlich darzustellen, haben die Regierungsbehörden überall große Manöver zur Konditionierung der Bevölkerung organisiert. In den reichen Ländern begann die Kampagne: „Jetzt wird gespart!“: brave Leute rieten, im Rundfunk und im Fernsehen, die Heizung auf 19 Grad zu stellen und energiesparende Glühbirnen zu benutzen. „Wir haben kein Öl, aber wir haben Ideen„ lautete ein offizieller Slogan in Frankreich. Hier begann man, den Autoverkehr an bestimmten Tagen zu verbieten. Dort mussten die Autos mit Warnanlagen für den Überkonsum ausgestattet werden. In den USA wurde die Werbung, die die Autofahrer dazu aufforderte, den Fuß zu heben, von den großen Firmen finanziert: Sie machten ihnen schon die Taschen leer, warum nicht Moral machen? Und auch hier, selbst für die Feierlichkeiten zum Jahresende, mussten die Schaufenster der Geschäfte und die Straßenbeleuchtungen unbedingt zu einer bestimmten Zeit ausgeschaltet werden.

In den Medien wiederholten „Experten“, dass es der Welt bald an Erdöl fehlen würde. Es genügte, es zu wiederholen, um den Preisanstieg als das Ergebnis eines natürlichen Schicksals und nicht der Profitgier der „Majors“ darzustellen. Und ebenfalls, um diese weißzuwaschen, ernannten Regierende und Massenmedien für all jene, deren Kaufkraft von den Ölkonzernen verringert wurde, einen Sündenbock: die OPEC (Organisation Erdölexportierender Länder).

Die produzierenden Länder hatten jahrzehntelang kein Mitspracherecht gehabt: Der Ölpreis war ausschließlich Sache der Ölgesellschaften, wobei die Förderländer nur Krümel von den „Öleinnahmen“ erhielten. Die wenigen Politiker, die es, wie Mossadegh im Iran, gewagt hatten, die Interessen der Ölkonzerne zu berühren, hatten dafür mit ihrem Platz, ja sogar mit ihrem Leben bezahlt.

Warum zeigten die großen Gesellschaften plötzlich Verständnis für Erdölerzeuger, die den Preis für das aus ihrem Boden geförderte Rohöl erhöhen wollten, zumal die rasche Inflation des Dollars ihre Einnahmen schmälerte? Dies lag eben daran, dass die Ölkonzerne selbst die Strategie geändert hatten. Sie hatten beschlossen, billiges Öl, das für einen expandierenden Weltmarkt bestimmt war, durch teures Öl in einem schrumpfenden Markt zu ersetzen, um mehr Gewinne für weniger Volumen und weniger Investitionen zu erzielen. Diesmal hatten sich die Interessen der Konzerne mit denen der erzeugenden Länder verbunden: nicht mit denen ihrer Völker, sondern mit denen ihrer Könige, ihrer Emire oder Präsidenten-Diktatoren.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die großen Konzerne mit einem Barrel, das für etwa fünfzehn Dollar verkauft wurde, und dessen Produktion zwei- bis sechsmal weniger gekostet hatte, kolossale Gewinne erzielt. Trotzdem wurde dieser Preis als relativ niedrig angesehen. Und die gesamte Weltbourgeoisie profitierte sehr davon, weil sie eine reichliche und billige Energie brauchte, um ihre Industrie wieder in Gang zu bringen, und den Rest der Wirtschaft voranzutreiben. Was die „Majors“ betrifft, die ein Monopol hatten, das sie zu Herren des „schwarzen Goldes“ machte, so ermöglichten ihnen sehr niedrige Produktionskosten, Marktanteile von anderen Energieträgern zu gewinnen, -insbesondere von dem großen Konkurrenten, der die Kohle zu jener Zeit war, und gleichzeitig große Gewinne mit den verkauften Mengen zu machen. Diese wuchsen von Jahr zu Jahr, da die Nachfrage durch das Preisniveau angeregt wurde. Die großen Konzerne sorgten also für ein ausreichendes Angebot. Und wenn es die Nachfrage überstieg, benutzten sie diese als Druckmittel („Wir kommen ohne Sie aus …“) bei Verhandlungen mit diesem oder jenem erdölproduzierenden Land. Die „Majors“ sicherten sich damit fast dreißig Jahre lang Gewinne von 300% oder mehr, vor allem im Mittleren Osten. Um zu versuchen, ihre Habgier zu beschränken, verstaatlichten damals gewisse Länder ihre Erdölquellen und sie gründeten 1960 die OPEC.

Was „das große Geld“ betrifft, das die ölfördernden Länder während der Ölschocks angehäuft hätten - ein Thema, das zu dieser Zeit dauernd wiederholt wurde, - so war dies eine andere Art, die Realität zu verfälschen. „Die Anhäufung von Dutzenden Milliarden Dollar in den unterbevölkerten Ländern des Persischen Golfes“, so behauptete die Wochenzeitschrift Le Nouvel Observateur im Januar 1975, „verleiht ihnen eine finanzielle Abschreckungsmacht, die auf lange Sicht sogar das reichste Land der Welt, die USA, besiegen könnte“. Von den 47 Milliarden Dollar, die die erdölproduzierenden Länder damals im Westen, vor allem in den USA, anlegten, wurden in der Tat mehr als die Hälfte in Schatzanweisungen und Staatsanleihen imperialistischer Staaten investiert, was bedeutete, dass diese Gelder jenen Ländern zur Verfügung gestellt wurden. Der Rest floss in die Finanzkreise, in Luxusimmobilien oder in das Kapital großer Unternehmen in denselben reichen Ländern.

Selbstverständlich sah die Bevölkerung in den meisten Erzeugerländern nie etwas von diesem Geld. Denn, wenn wir manchmal von dem Anstieg des Einkommens von den Bürgern einiger Operettenemiraten sprechen, wo sie aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte von den Nebeneffekten des „schwarzen Goldes“ profitieren konnten, vergessen wir, dass in eben diesen Ländern die Zahl von schlecht bezahlten Arbeitsmigranten zunimmt, wie wir auch den niedrigen Lebensstandard in manchen Ölländern, von Nigeria bis Iran, von Venezuela bis Algerien, vergessen.

Hinzu kommt, dass Anfang der achtziger Jahre, als sich der Strom ihrer Petrodollars zu verringern begann, Erzeugerländer vergeblich einen Wiederanstieg des Rohölpreises verlangten, um ihre Staatskasse wieder aufzufüllen: Sie hatten nicht einmal mehr, selbst Saudi-Arabien, die Mittel, um die westlichen Banken, bei denen sie verschuldet waren, zurückzuzahlen!

Von all dem sprachen weder die Medien noch die Regierungen der imperialistischen Länder. Vor allem aber wollten sie nicht sagen, dass die OPEC 1973 oder 1979 niemals in der Lage gewesen wäre, ihre Preise ohne das grüne Licht der Majors zu erhöhen. Und diese hatten keinen Grund, sich einer Maßnahme zu widersetzen, von der sie alles zu gewinnen hatten. Der amerikanische Staatssekretär Kissinger gestand es auf seine Weise Ende 1974, als er begann, einen Mindestpreis für Rohöl zu verlangen, obwohl die offiziellen Reden seit Monaten immer wieder von dem unerträglichen Benzinpreis sprachen. Ziel war, den Unternehmen ein Weltpreisniveau zu garantieren, so dass die Vorkommen, insbesondere in Nordamerika -die sie wegen zu teurer Kosten aufgegeben hatten– wieder rentabel werden. Dies sicherte auch die 500 Milliarden Dollar, die sie in vielversprechende Energiequellen investiert hatten, deren Entwicklung - die teurer als Bohrungen in der Wüste war - nur mit der Garantie eines Mindestgewinns möglich war. Mit diesem Mindestpreis hat ihnen der Staat der ersten Macht der Welt, der keineswegs „besiegt“ wurde, genau das gebracht.

 

Übermäßige Gewinne und Malthusianismus

Die hohen Rohölpreise ermöglichten den „ Majors“ ihre Geldschränke zu füllen. Sie entwickelten ihre Tätigkeit auch in Richtungen, die bis dahin vernachlässigt worden waren, weil sie nicht rentabel genug waren, wie zum Beispiel die Förderung des Nordseeöls (Brent). Sie starteten Bohrprogramme in Alaska und erforschten Offshore-Gebiete, die tiefer lagen als die, die im Golf von Mexiko lagen, besonders vor der Küste Afrikas. Sie interessierten sich auch für neue Mineralölressourcen, wie Ölschiefer. In den USA konnten sich Standard Oil, Gulf Oil und die Getty-Gruppe an der Atomindustrie, die um ihre Entwicklung kämpfte, den Löwenanteil sichern.

Die großen Ölkonzerne haben sich diese Investitionen auf Kosten der Weltbevölkerung mit aktiver Komplizenschaft der reichen Länder geleistet. Aber da die Weltwirtschaft ins Stocken geriet, hatten die Ölkapitalisten ebenso wenig Grund wie die in den anderen Branchen, in die Produktion zu investieren. Wo sind also die riesigen Gewinne, die sie in all den Jahren gemacht haben, hingegangen? Größtenteils an ihre Aktionäre. Im Falle von Total erhielten diese, zwischen 2000 und 2003, 24 Milliarden Euro in Form von Dividenden oder Rückkäufen von Aktien der Gesellschaft an der Börse (ein sehr rentables Geschäft, wenn die „Ölkonzerne“ eine durchschnittliche Kapitalrendite von 16%, und im Fall von Total sogar von 19% ankündigen). Bei den Investitionen in Höhe von 35 Milliarden Euro, die Total für den gleichen Zeitraum getätigt haben soll, wurde nur ein kleiner Teil für die Entwicklung der Produktion verwendet. Seit Jahren haben Total und die anderen großen Ölkonzerne einen wichtigen Teil ihrer Gewinne darauf verwendet, bereits von anderen Unternehmen betriebene Lagerstätten und Ausrüstungen zurückzugewinnen, indem sie diese aufgekauft oder zu Megakonzernen zusammengelegt haben. Zu den markantesten Beispielen aus der letzten Periode zählen Exxon-Mobil und Total-Petrofina Ende 1998. Sechs Monate später übernahm dieser das öffentliche Unternehmen Elf mit dem Segen der französischen Behörden. Und wenn keine einzige Raffinerie seit 1976 in den USA gebaut wurde, dann deshalb, weil die Entwicklung der Produktion nur bis zum Minimum ein Maximum bringen kann!

 In den zwei Jahrzehnten vor dem ersten Ölschock war das Ölangebot grösser als die Nachfrage. Als die Weltwirtschaft langsamer wurde, änderten die großen Unternehmen ihre Richtung. Sie brauchten hohe Preise für ein künstlich knappes Öl, um ihre Gewinne zu erhalten und, wenn möglich, zu steigern.

Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts verwalteten die großen Unternehmen auf malthusianische Weise den riesigen Haufen „schwarzen Goldes“, auf dem ihr Reichtum ruht. Sie kehrten zu dem zurück, was - bis auf seltene Zeiten - seit den Rockefellers und den anderen ersten Ölmagnaten eine Konstante in ihrer Politik gewesen war: die Sicherung hoher Profite durch Mittel, die sich im Laufe der Zeit verändern konnten (das Kartell der „sieben Schwestern“ am Anfang des 20. Jahrhunderts, die permanente Begrenzung der Produktion, die Feststellung eines Weltmonopolpreises, die strenge Kontrolle der gesamten Kette von der Ölindustrie bis hin zur Vermarktung von Treibstoff usw.) aber alle darauf abzielten, diese Profite vor dem „Markt“ oder dem „freien Wettbewerb“ zu schützen, auf welche sich die Befürworter des Kapitalismus so gern berufen.

Zwar haben die „Majors“ seit dreißig Jahren neue Vorkommen erschlossen. Aber niemals auf das Risiko hin, ein Überangebot zu verursachen und in dem Maße, in dem dies es ihnen ermöglichte, ihre Versorgung zu diversifizieren. Tatsächlich, seitdem Roosevelt 1945 bei seiner Rückkehr von Jalta ein Abkommen „Öl gegen militärischen Schutz“ mit Ibn Saud versiegelt hatte, („die Verteidigung von Saudi-Arabien“ war seit 1943 als „lebenswichtig für diejenige der USA“ von Roosevelt schon verkündet worden), dann, nachdem die amerikanischen „Majors“ Großbritannien gezwungen hatten, in seinen bewachten Jagden im Irak, in Kuwait und im Iran usw. Platz für sie zu machen, waren die Lieferungen an die „Majors“ sehr abhängig von den Ländern am Arabisch-persischen Golf geworden. Es handelt sich aber um eine Gegend, die chronisch unsicher ist, trotz oder wegen der Tatsache, dass die Großmächte, allen voran die USA, sich dort auf schändliche Regime stützen.

Aber selbst, als die großen Konzerne nach neuen Vorkommen außerhalb des Nahen Ostens suchten, durften ihre Förderkosten, laut IAE (Internationale Energieagentur), nicht 10 Dollar (16 Dollar im Falle von „nicht konventionellem“ Erdöl) übersteigen, für ein Rohöl, das im Durchschnitt zwischen 22 und 28 Dollar verkauft wurde. Von sehr bequem wurde ihre Marge mit einem Fass, das bei weitem über 60 Dollar überstieg, enorm.

 Außerdem haben die Ölkonzerne am Ende der achtziger Jahre von einer einmaligen Gelegenheit profitiert: von dem Zusammenbruch des zweitgrößten Weltölproduzenten, der UdSSR, deren Zersplitterung zur Auktion der eigenen Ölindustrie führte. Die Bürokraten, die „Oligarchen“, die ein Ölunternehmen, eine Ölpipeline, Ölfelder in Sibirien, im Kaukasus, in Zentralasien in die Hände bekommen hatten, wollten, was sie gerade gestohlen hatten, außer Reichweite von ihresgleichen bringen. Einige schlossen sich mit „Majors“ zusammen und hofften damit, unter das westliche Recht zu fallen, welches das Privateigentum viel besser schützte als die russischen Richter. Das hat nicht immer funktioniert: der ehemalige Magnat Khodorkowski, der gerade zu acht Jahren Haft verurteilt wurde, hat zudem gesehen, wie der russische Staat ihm „seine“ Firma zurückgenommen hat. Dieser Staat hat, meistens auf nachdrückliche Weise, die direkte Kontrolle über ein Drittel seiner Ölindustrie zurückgewonnen. Die „Majors“ wiederum haben die Situation ausgenützt, um sich Optionen auf einen Teil von den Gas- und Ölvorkommen der ehemaligen UdSSR zu sichern, indem sie die Korruptheit der Vertreter an der Spitze des russischen, aserbaidschanischen, kasachischen, turkmenischen Staats nutzten…

 

Blut im Öl

Etwa dreißig Jahre sind seit den früheren Ölschocks vergangen, ohne dass sich an der Politik der Ölkonzerne etwas Grundlegendes geändert hat. Natürlich haben sie zur Ölförderung in den meisten Ländern inzwischen Abkommen mit lokalen Unternehmen geschlossen. Und die unterzeichneten Verträge sind befristet, da die Förderländer auch versuchen, die Zahl derjenigen, mit denen sie verhandeln, zu vermehren und sie miteinander in Konkurrenz zu bringen, um von „Ölprokonsuln“ weniger abhängig zu werden. Deshalb ernennen und stürzen die Handlanger von Elf gestern, und von Total heute, die Diktatoren der „Françafrique“[1] weniger leicht als früher. Aber die Bevölkerungen haben nicht unbedingt mit dem Ende dieser „Hinterhöfe“ etwas gewonnen, denn dies geht oft, besonders in Westafrika, mit Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Ölunternehmen über bewaffnete Banden zusammen, die die Bevölkerungen terrorisieren.

In den letzten vierzig Jahren haben sich die großen Ölfirmen von gewissen Teilen der Ölkette getrennt. Aber sie halten immer noch die wichtigsten davon - was ihnen, zusammen mit der Diversifizierung ihrer Versorgungsquellen, garantiert, dass sie ihre Entscheidungen im Energiebereich weiterhin durchsetzen können. Gegen die armen Länder selbstverständlich sowie gegen die Förderländer. Aber auch gegen die mächtigsten Staaten, deren höchste politische Vertreter den Ölkonzernen nichts zu verweigern haben und manchmal sogar Leute sind, die an ihrer Spitze Karriere gemacht haben, wie US- Vizepräsident Dick Cheney. Es ist bekannt, wie allgegenwärtig die Interessen der Erdölkonzerne in den Entscheidungen waren, die von allen Seiten während der Vorbereitung und bei der Durchführung des Krieges gegen den Irak im Jahre 2003 genommen wurden; und wie die amerikanischen und britischen „Majors“, eine Firma wie Halliburton aber auch der französische Konzern Total und viele seiner Kollegen, die befürchteten, dabei Federn zu lassen, ihren Anteil an der Beute beanspruchten, noch bevor die GIs loszogen, um sie unter den Ruinen von Bagdad und den Leichen der Iraker, deren Blut in den Ölpipelines der Region weiterhin fließt, zu holen.

 

„Trockene Panne“ und „Sintflut“

Kampagnen zur Energieeinsparung wurden oft so dargestellt, als ob sie der Öl- Lobby schaden sollten. In den letzten dreißig Jahren, sofern sie nicht nur Augenwischerei waren, kamen die wichtigsten, in diesem Zusammenhang von den Staaten finanzierten Maßnahmen vor allem den Unternehmen zugute, einschließlich denjenigen des Ölsektors. In den Industrieländern wurden Regierungsstellen gegründet, um den Arbeitgebern beim Energiesparen zu helfen, und unter diesem Vorwand bekamen die Unternehmen Subventionen, mit denen sie ihre Kosten reduzieren, ihre Arbeitsweise anpassen, und leistungsfähigere Maschinen kaufen konnten.

Die IEA (Internationale Energieagentur), die die Industrieländer, die Mitglieder der OECD (Wirtschaftliche Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung) sind, nach dem ersten „Ölschock“ gegründet haben, bewertete diese Einsparungen. Laut IAE-Berechnungen wurde, zwischen 1971 und 2002, die Menge an Tonnen-Öl-Äquivalent, die benötigt wurde, um einen Dollar Mehrwert zu schaffen, in den Ländern der OECD halbiert. Zugegeben, es bestehen Unterschiede zwischen ihnen: Japan und die Europäische Union verbrauchen proportional halb so viel produktive Energie wie die Vereinigten Staaten, wahrscheinlich, weil sie nicht über die gleichen Mittel verfügen, um ihr Öl mit einer Währung zu bezahlen, deren Ausgabe an das US-Finanzministerium kaum etwas kostet. Aber gerade zwischen den Industrieländern und dem Rest der Welt bleibt die Energielücke klaffend und vergrößert sich sogar. Das gilt sogar für die „Schwellenländer“, die als künftige Wirtschaftsriesen vorgestellt werden: um einen Dollar zu produzieren, gibt China, im wörtlichen und im übertragenen Sinne dreieinhalb Mal mehr Energie aus als das benachbarte Japan.

Da es darum ging, Subventionen einzusammeln und schließlich Positionen zu besetzen, wandten sich die „Majors“ und die Finanzkreise nicht von den so genannten erneuerbaren Energien ab. In Frankreich, wo er das als „Alternative zum ‚Allein-öl“ darstellte, finanzierte der Staat massiv die Entwicklung des Nuklearsektors und eröffnete damit einem ganzen Teil der Finanz- und Industriewelt Gewinnperspektiven. In den USA und dann in Europa begannen sich die Giganten der Ölindustrie und des Baugewerbes für die Windenergie zu interessieren, als man begann, sie in einem anderen Stadium als dem des Handwerks zu betreiben, mit hohen Staatssubventionen für Forschung und Entwicklung.

Zur Veranschaulichung dieser Situation, in der Pariser Gegend konnten die Besucher des Musterdorfs für energieeffiziente Häuser, das in Nancy (in der damaligen „Neustadt“ von Melun-Sénart in der Pariser Gegend) von den damaligen Behörden geschaffen wurde, beim Lesen des vor jedem Haus aufgestellten Schild, feststellen, dass alle oder fast alle Patente für Energieeinsparungen in dem Gebäude ... Elf, Total, Esso, BP usw. gehörten.

Trotz aller mehr oder weniger offiziellen Kampagnen über die bevorstehende Erschöpfung der Ressourcen des Planeten kam es nie wirklich in Frage, nach Alternativen zum Öl zu suchen. Wenn das Erdöl noch die Hälfte des gesamten Energieverbrauchs auf der Erde liefert, so liegt es daran, dass die kapitalistische Gesellschaft seit mehr als einem Jahrhundert ihre Industrie, ihren Verkehr, ihre Stadtplanung entwickelt hat, indem sie auf diese Energiequelle gesetzt hat, die sicherlich leicht zu gewinnen, zu transportieren, zu verarbeiten und zu speichern ist, die aber vor allem denen, die sie kontrollieren, große Gewinne bringt.

Dieses „Alles Öl“ hat unermessliche Kosten. Es geht um die Verschmutzung in all ihren Formen, um die Irrationalität in der Organisation des Lebens von Milliarden Menschen, um die soziale und wirtschaftliche Verschwendung, um die Umweltzerstörung, die dies mit sich bringt, und schließlich um die kriminelle Verantwortungslosigkeit gegenüber der Menschheit, die das gesamte kapitalistische System kennzeichnet. Die „ Majors“ bilden sicher keine Ausnahme in diesem Bereich, sie, deren Handlungen letzten Endes nur einem Gesetz gehorchen: dass die Gewinne, wenn nicht das Öl, frei fließen sollen, und nach ihnen die Sintflut!

Zugegeben, die Katastrophe, die die Sparkampagnen zur „Jagd auf die Verschwendung“ seit dreißig Jahren versprechen, ist nicht eingetreten. Die Welt ist nicht in eine „Trockenpanne“ gestürzt, - so die Schlagzeile eines kürzlich erschienenen Le Monde-Supplements, das sich damit rühmt, „eines der bestgehüteten Geheimnisse“ zu enthüllen, und einen „Höhepunkt der Ölproduktion“ für bald verspricht, der die erwähnte „Panne“ ankündigen soll.

Selbst aktualisiert (das Ende des Erdöls wäre in ungefähr vierzig Jahren, gegenüber ungefähr dreißig … vor dreißig Jahren, zur Zeit der Ölschocks), ist dieses Szenario eine Fantasie-Fiktion, wenn nicht sogar ein regelrechter Betrug. Wenn wir von den Öl- und Gasreserven sprechen, sprechen wir nur über diejenigen, die wir kennen. Neue werden jedoch ständig entdeckt, aber nur diejenigen, von denen man denkt, dass man sie ausnutzen kann, werden als „Reserven“ aufgelistet. Die angekündigten Mengen haben daher einen relativen Charakter, der letztlich davon abhängt, was die Ölkonzerne als Reserven betrachten, d.h. was sie für sie, und nur für sie für rentabel halten.

In den letzten dreißig Jahren wurden neue Vorkommen entdeckt. Sie sind in einigen der unzugänglichsten Gegenden der Welt, in immer tieferen Meeresböden ausgebeutet worden. Die Gewinnung von Benzin aus „unkonventionellem Öl“ hat begonnen: extraschweres Rohöl aus dem Orinoco-Fluss in Venezuela, Bitumen aus Alberta und Teersande aus dem Athabasca-Fluss in Kanada… Möglich wurde dies durch den technischen Fortschritt, dessen Berücksichtigung manchmal die Situation über Nacht veränderte. Anfang 2003 erregte das Oil and Gas Journal (das jedes Jahr den Stand der weltweiten Öl- und Gasreserven veröffentlicht) Aufsehen, indem es die kanadischen Asphalte miterwähnte. Plötzlich sprangen Kanadas Reserven von 5 Milliarden Barrel, fast nichts, auf 180 Milliarden Barrel, was 20% der Ölversorgung des Landes entsprach! Diese Sedimentgesteine waren als Ölquelle für Geologen und Ingenieure bekannt. Entscheidend war jedoch, dass die Förderung dieses Gesteins angesichts des stark steigenden Rohölpreises für die Aktionäre der Ölkonzerne attraktiv wurde.

 

Wenn Profit und Spekulation sich gegenseitig nähren

2003 kam es tatsächlich zu zügellosen Spekulationen an den „Spot“- Ölmärkten (Tageseinkäufe) oder am Nymex-Terminmarkt in New York oder an der International Petroleum Exchange in London. Ein Raffineriebrand, Terroranschläge in Saudi-Arabien, gute Wirtschaftszahlen in China, Spannungen im Nahen Osten, das Auftreten eines tropischen Wirbelsturmes, und dann eines weiteren im Süden der USA usw.: Spekulationen brennen von jedem Holz. Seit Monaten schon strömen Massen von Kapital, auf der Suche nach schnellen und steigenden Gewinnen, virtuell an die Börsen, wo „Barrel-Papiere“ gekauft und weiterverkauft werden, ohne dass das Öl, das sie darstellen, die Tanker, Raffinerien oder Pipelines verlässt, wo es sich befindet.

Damit viele Optionen auf Erdöllieferungen, die niemand realisieren will, ausgegeben und ausgeübt werden, müssen ihre Inhaber nur davon überzeugt werden, dass ihr Anteil bald steigen wird. Die Tatsache, dass „die Märkte“ glauben, dass der Ölpreis weiter steigen wird, reicht aus, um die Spekulation, also den Anstieg zu fördern.

Während der ersten Ölschocks hatten die großen Ölkonzerne den Anstieg organisiert. Heute sieht der Ölmarkt so aus - er wird mit einem „großen Becken“ verglichen, in dem die Weltproduktion zusammenlaufen würde, bevor sie sich auf die vier Ecken der Erde zurück ausbreitet -, dass die Rolle der „Majors“ beim gegenwärtigen Preisaufstieg nicht mehr so exklusiv wie damals ist.

Der Weltölmarkt hat einen Wert von ungefähr 2.000 Milliarden Euro. Nach Abzug diverser Kosten wird der „Ölüberschuss“ auf 1.500 Milliarden Euro geschätzt - das entspricht ungefähr dem französischen Bruttoinlandsprodukt. Es gibt also natürlich viele Leute - und nicht nur die großen Ölkonzerne -, die einen Teil dieses riesigen „Überschusses“ in dem „großen Gewinnbecken“ pumpen wollen: die Technikgiganten wie Halliburton, große Investmentbanken wie der amerikanische Goldman Sachs, der ein Barrel zu 105 Dollar prognostiziert und so dazu beiträgt, es in diese Richtung zu treiben; Ölmarktmakler und -trader, Besitzer von Schrotttankern, Investmentfonds mit Schwerpunkt auf Ölgesellschaften, große Gaskonzerne – da der Gaspreis an den Ölpreis gekoppelt ist; die herrschenden Schichten der Förderländer; die Staaten, deren Einkommen wächst, wenn die Einnahmen aus Mehrwertsteuer, TIPP oder anderen Steuern auf Öl steigern, usw.

Nun schätzt das französische Wirtschaftsministerium auf 250 Milliarden Dollar pro Jahr den Bedarf der Ölindustrie, während, in den letzten zehn Jahren, die Ölkonzerne nur 100 bis 120 Milliarden Dollar jährlich investiert haben. Es wäre daher notwendig, mindestens mehrere zehn Milliarden zusätzliche Dollar pro Jahr zu finden. Die „Märkte“ wissen, dass die Ölkonzerne enorme Investitionen tätigen müssten, um Zugang zu Ressourcen zu erhalten, deren Ausbeutung teurer ist. Sie wissen auch, dass sie, wenn sie sie nach Jahrzehnten der Unterfinanzierung finanzieren wollten, nur mit einem starken Preisanstieg rechnen könnten. Oder vielmehr, dass ein starker Preisanstieg der Ölpreise der beste Weg für die Ölkonzerne ist, um Kapital anzuziehen – sei es, dass sie dann beschließen, es in die Produktion zu investieren oder dass sie, indem sie ihre malthusianische Haltung gegenüber produktiven Investitionen behalten, diese beträchtliche Liquidität wieder in die Finanzkreisläufe der Weltwirtschaft werfen. Mit anderen Worten, alle Spekulanten wissen, dass sie auf jeden Fall auf den Preisanstieg des Öls setzen können, weil es im Interesse der Ölkonzerne selbst liegt, seinen Preis hoch zu halten.

Gegenwärtig bietet kein anderer Sektor als Erdöl solche Gewinnaussichten noch bringt schon so riesige Gewinne wie diejenigen, die die „Majors“ mit der Preisexplosion realisieren. Eben auf dieser Basis entwickelt sich die Blase der Ölspekulation.

 

Ein dritter Ölschock

2002-2003 schienen sich die Führer und die Institutionen der imperialistischen Mächte, die den Planeten regieren, über den Anstieg der Ölpreise keine Sorgen zu machen, manche freuten sich sogar darüber. Heute beginnt das durch diesen Anstieg erreichte Niveau, beunruhigende Reaktionen von ihnen zu verursachen, und zwar in Bezug auf das, was sie „Wachstum“ nennen, ein Konzept, das vor allem den Begriff der Unternehmensgewinne abdeckt, in einer Wirtschaft, die sich selbst in schlechtem Zustand befindet.

Der Präsident der Europäischen Zentralbank rechnet mit „einem neuen Ölschock“, und fügt hinzu, dass das Wachstum in den zwölf Staaten des Euroraums schon um „etwa einen Prozentpunkt unter dem Wert liegen wird, als es gewesen wäre“, wenn der Ölpreis auf dem Niveau von 2004 geblieben wäre. Ende September, bei ihrem Treffen am Rande der jährlichen Tagungen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF), haben die Finanzminister der sieben reichsten Länder der Welt den größten Teil ihrer Debatten der Ölkrise gewidmet. Die „großen Schatzmeister der imperialistischen Mächte haben den Jahresbericht des IWF fast wortwörtlich übernommen, in dem der Ölpreis als Hauptrisiko genannt wird, während „eine Konjunkturabschwächung praktisch überall am Werk ist“.

In den Industrieländern verringert dieser Preisanstieg die ohnehin schon sinkende Kaufkraft der arbeitenden Klassen, und zwar nicht nur in den Bereichen Verkehr oder Heizung, denn es wäre schwierig, Produkte zu finden, die, auf die eine oder andere Weise, nicht Kosten (Herstellung, Lagerung, Transport) integrieren, die wegen des Ölpreisanstiegs zugenommen haben. In den Ländern der Eurozone, deren Währung sich gegenüber dem Dollar aufgewertet hatte, waren die Auswirkungen des Ölfiebers auf die aktuellen Preise etwas gedämpft. Aber auch dort lasten die Auswirkungen höherer Energiepreise immer stärker auf breite Teile der Bevölkerung. Überall in den Industrieländern ist die Arbeiterklasse tatsächlich das erste, wenn nicht das einzige Opfer des Ölfiebers. Ein Finanzanalyst, der von der Tageszeitung Les Échos zitiert wird, kommentierte dessen Auswirkungen mit einer Offenheit, die an Zynismus grenzt: „Die Aufteilung des Mehrwerts erfolgt immer zugunsten der Unternehmen. Die Arbeitnehmer bezahlen die gesamte Energierechnung“.

Für zwei Drittel der Menschheit aber, die in den armen Ländern leben, hat die Ölspekulation die dramatischsten Folgen. Und noch bevor sie geplatzt ist, hat diese neue Spekulationsblase, wie andere vor ihr, schon den Lebensstandard der arbeitenden Schichten der ärmsten Länder verwüstet. Das hat zu Demonstrationen, zu Aufständen, auf den Komoren, in Ländern Afrikas oder Asiens schon geführt, in denen die kleinen Tap-Tap-Fahrer, die Busch-Taxis und andere Fahrer behelfsmäßiger Transportmittel, die unentbehrlich für den Personen- und den Warenverkehr sind, oft als Erste reagiert haben. In einem Land wie Guinea-Bissau – und doch in der Nähe des Golfs von Guinea, diesem neuen Eldorado der Ölkonzerne – sind die Staatsfinanzen in einem solchem Zustand, dass schon in „normalen“ Zeiten der geringste Anstieg der Ölrechnung die Abschaltung des einzigen Kraftwerkes des Landes verursacht, das mit Heizöl betrieben wird. Wer wird sagen, für welche neuen Dramen die Spekulanten und Aktionäre der Unternehmen, die den Ölpreis in die Höhe treiben lassen, schuldig sind?

Ich halte den Prozess, der gegen uns gemacht wird, für unbegründet. (...). Der Profit ist kein leicht akzeptiertes Konzept“, erklärte Thierry Desmarest, der Vorsitzende von Total in dem Figaro vom 20. September. „Armer“ Leiter eines Konzerns, der 2004 mit einem Gewinn von 11 Milliarden Dollar, den (französischen) Rekord für ein börsennotiertes Unternehmen übertroffen hat und der mit 15,8 Milliarden Dollar im Jahre 2005 seinen eigenen Rekord knacken wird! Was für Total gilt, gilt für seine Kollegen in der Gruppe der zehn weltweitführenden Unternehmen, darunter die Mehrheit der Ölfirmen, wie ExxonMobil, dem größten börsennotierten Unternehmen der Welt, das 2004 25 Milliarden Gewinne erwirtschafte und 31,6 Milliarden für 2005 prognostiziert!

 In diesem Jahr werden die fünf größten Ölkonzerne der Welt (ExxonMobil, Royal Dutch Shell, BP, Total, Chevron) über 100 Milliarden Dollar an Gewinnen (gegenüber 84 Milliarden im letzten Jahr) einkassieren. Noch nie zuvor in der ganzen Geschichte hat ein Industriesektor so viele Gewinne gemacht. Mit dem Brent-Kurs, der in London nur in den sechs ersten Monaten von 2005 um 49% gestiegen ist, und dem Barrel Öl, das in New York über 70 Dollar lag, verzeichneten die „Majors“ im ersten Halbjahr einen durchschnittlichen Gewinnzuwachs von 30%! Dies ohne wesentliche Änderung der Kosten für Abbau, Transport, Raffination und Vermarktung. Der ungeheure Anstieg der Ölgewinne ist zum Teil eine spekulative Vorwegnahme künftiger Treibstoffkosten und wahrscheinlich noch mehr, eine reine und einfache Spekulation.

Diese daraus resultierenden Gewinne von ungefähr 100 Milliarden Dollar für die fünf größten „Majors“ liegen in der gleichen Größenordnung wie die angekündigten Zerstörungen, die durch den Hurrikan Katrina im Süden der USA verursacht wurden, oder wie die Kosten für die amerikanische Wirtschaft eines Jahres Krieg im Irak. Die Ölkonzerne erpressen die Weltbevölkerung, was ein Ausdruck der gegenwärtigen Phase der Krise in der kapitalistischen Wirtschaft ist. Diese Krise ist eine Katastrophe für den Planeten und für die Menschheit, wie auch das ganze System, das vom Wettlauf um Profit geleitet wird.

 

14. Oktober 2005




[1] Besonderer Ausdruck für „postkoloniale Beherrschung Frankreichs über viele Länder Afrikas“