15. Mai 1962
Die von den Gewerkschaftsapparaten geführten - und sehr viel häufiger nicht geführten - Kämpfe demonstrieren in dramatischer Weise, dass sie Unternehmer und Staat nicht ernsthaft entgegentreten wollen. Ihre Annäherung an die Staatsmacht, ja die Fusion mit ihr, ist seit Ende des Zweiten Weltkrieges offensichtlich. Die verknöcherten Gewerkschaftsapparate leben in enger Symbiose mit der Staatsmacht und handeln ausschließlich in den von ihr vorgegebenen Grenzen.
Manchmal sehen sich die Gewerkschaften selbst dazu veranlasst, gegen diese Tendenz zu kämpfen und versuchen eine autonome Existenz zu verteidigen, doch die Praxis der Klassenkollaboration und der Kompromisse können Gewerkschaftsaktivisten zu nichts Anderem führen, als den Boden unter den Füssen zu verlieren, die sich im Prinzip auf den Klassenkampf berufen, aber tatsächlich die Klassenzusammenarbeit praktizieren. So haben gegen den Willen der CGT-Spitze, dutzende Gewerkschaftssektionen "Interessenvereinbarungen" unterzeichnet. Die CGT hat gute Reden wenn sie große Erklärungen gegen die Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit abgibt, so musste sie auf einer im letzten Jahre abgehaltenen nationalen Konferenz jegliche Idee von "Mitarbeit an der Unternehmensführung" entgegentreten, "die im kapitalistischen System nichts als ein Täuschungsmanöver ist, der sich auf die abgedroschene Gemeinschaft von Kapital und Arbeit stützt": Sie lenkte die Aufmerksamkeit ihrer Aktivisten auf die Gefahren, welche die "Gehaltsausschüsse" in den Betriebskomitees darstellen, auf die Präambeln von Betriebsvereinbarungen die dazu tendieren, die Arbeitenden an den Betrieb zu binden, auf die Diskussion der verschiedensten Arten der Gewinnbeteiligung, des "Interesses der Arbeitenden am guten Betriebsergebnis", usw.
Wenn die CGT auch die Alarmglocken läutet, so erklärt sie dennoch, wie ein gutes Betriebskomitee funktionieren soll: auf der Ebene von Kantinenverwaltung, Organisation von Ferienaufenthalten, Hygiene und Betriebsfeiern. Und ein großer Teil der Gewerkschaftsaktivisten versinkt in diesem Sumpf der Betriebskomitees.
Diese spielen heute eine wesentlich geringere Rolle als 1945, der Zeit, als es galt, "die Industrie wieder auf zu bauen". Heutzutage bezeichnet eine Verordnung vom 23. 12.1960 die Aufgabe des Betriebskomitees so: "die Gewinnbeteiligung der Arbeiter am Produktivitätswachstum" und "Vermittler zwischen Direktion und Personal". Doch hierbei finden sie nicht ihren Glanz jener schönen Zeit wieder, als es hieß "erst produzieren, dann fordern".
Das Kriegsende rief bei der gesamten Arbeiterklasse außerordentliche Hoffnungen hervor, nicht nur zu sehen, wie ein Alptraum zu Ende geht, sondern auch die Orientierung auf ein besseres Leben, so wie wir es noch nie erlebt hatten. Fast überall nutzten die Arbeiter die Verwirrung, in die das Kriegsende die herrschende Klasse gestürzt hatte, und organisierten sich spontan, um die schrottreife Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, und ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Dies dauerte nicht lange, denn die als solche bezeichneten Arbeiterorganisationen verbündeten sich mit der Bourgeoisie um die Arbeiter auf den Weg der Klassenzusammenarbeit zuführen, statt der Bewegung zur sozialen Befreiung bei der Orientierung zu helfen.
Am 22.2.1945 schuf die provisorische Regierung per Verordnung die Betriebskomitees. Da liest man, "die große Bewegung, die Frankreich vom Feind befreit hat, war nicht nur eine nationale Befreiungsbewegung: Sie war ein Bewegung der sozialen Befreiung". Und weiter unten: "Seit der Befreiung des Landes haben sich in vielen Fabriken spontan Produktions-Komitees oder Komitees der Betriebslenkung gebildet."
Sicherlich waren die meisten dieser Komitees von Vertretern geleitet, die nicht die Absicht hatten, sie auf einen revolutionären Weg zu lenken. Aber solange diese Komitees von keinem Gesetz geregelt waren, existierte für die Arbeitenden immer die Möglichkeit, die alten Direktionen zu vertreiben, und sich der von ihnen gegründeten Komitees für ihre eigenen sozialen Kämpfe zu bedienen. Deshalb präzisiert die Begründung: "Es scheint der Moment gekommen, die Existenz dieser Organe zu legalisieren und zu verallgemeinern." Die Verordnung vom 22.2.1945 zielte darauf, die schon existierenden oder die sich eventuell noch bildenden Fabrik-Komitees im Rahmen legaler Texte zu kontrollieren, die keine Gesetzeskraft hatten, da sie von einer provisorischen, und nicht von einer aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Regierung stammten.
Diese Verordnung definierte klar den Aufgabenbereich der Betriebskomitees: "Diese Komitees sind im wirtschaftlichen Bereich keine Entscheidungsorgane, sondern haben beratende Funktion außer im Sozialbereich."
Die Begründung besteht auf den Rechten (sic!) der Betriebskomitees, Vorschläge zur Produktionssteigerung und zur Verbesserung der Arbeitsleistung machen zu dürfen; weiterhin besteht es darauf, dass das Betriebskomitee nicht dazu da ist Forderungen zu stellen und es schließt, "es ist unabdingbar, dass die Gewerkschaften an dem großen Werk der Erneuerung der französischen Industrie beteiligt werden."
Gut ein Jahr später wurde die Verordnung vom 22.2.1945 durch das Gesetz 46.1065 vom 16.5.1946 modifiziert. Man präsentierte dieses Gesetz den Arbeitern als eine Erweiterung der Rechte der Betriebskomitees. Tatsächlich beseitigte das Gesetz das bisherige Verbot, sich mit Lohnfragen zu beschäftigen, aber in dem Sinne, wie es das Rundschreiben des "kommunistischen" Arbeitsministers Croizat vom 31.7.1946 tat: "Das Betriebskomitee muss den Standpunkt des Betriebes vertreten und Lohnfragen unter wirtschaftlichem Gesichtspunkt betrachten. Das heißt, die Lohnfragen sind entsprechend den finanziellen und ökonomischen Möglichkeiten des Betriebes und den technischen Aspekten unter denen er funktioniert, anzugehen". So zwang Croizat die Betriebskomitees, sich den Standpunkt des Betriebs- bzw. Geschäftsgangs zu Eigen zu machen, das heißt den Standpunkt des Unternehmers und nicht vom Standpunkt der Bedürfnisse der Arbeiter aus zu handeln.
Solange dank des "zuerst produzieren" die Arbeiterführer den Unternehmern beim Wiederaufbau ihrer Industrie halfen, unterstützten sie also das gute Funktionieren der Betriebskomitees. In dieser Zeit dienten die Mittel der Betriebskomitees dazu in den Unternehmen Flugblätter zu verbreiten, aber da diese die Arbeiter dazu aufriefen, die Ärmel hoch zu krempeln, beschwerten sich die Unternehmer nicht.
1947 konnten die Arbeiter sich nicht mehr mit den Werbeslogans der Gewerkschaften und Betriebskomitees zufrieden geben. Sie mussten, um gegen das kontinuierliche Sinken ihrer Kaufkraft zurückzuschlagen, in den Kampf treten. Die Gaukler der Betriebskomitees und Gewerkschaften waren nicht in der Lage, den Kampf der Arbeiter zu verhindern, aber unglücklicher Weise gelang es ihnen, diesen Kampf zu bremsen. Doch von da an urteilte die Unternehmerschaft, dass ihre Diener diese Aufgabe nur unzureichend erfüllten und verdrängten sie mehr und mehr. Die Rolle der Betriebskomitees beschränkte sich also auf eine Art Sozialdienst im Betrieb.
Außerdem kann der Unternehmer ganz legal auch dieses Tätigkeitsfeld reduzieren, wie es unter anderen bei Citroen geschah, wo der Unternehmer selbst diese sozialen Aufgaben regelte. Doch meistens urteilten die Unternehmer, dass ihnen die Betriebskomitees für diese Aufgabe nützlich sein könnten.
Diese sozialen Aufgaben sind für die Unternehmer nicht rentabel, da sie aber den Schlüssel zum Geldtresor hatten, haben sie es oft vorgezogen, von der Energie der Aktivisten Gebrauch zu machen. Im Falle, dass diese sich bei der Suche nach Vorteilen oder Bestechlichkeit korrumpierten, war es immer noch der Unternehmer der davon profitierte, wenn ein "betrügerischer" Aktivist sich diskreditierte.
Wen also anfangs, bei ihrer Bildung, die Betriebskomitees der Bourgeoisie beim Wiederaufbau des Landes dienstbar waren, werden sie gegenwärtig als eine Art Sozialdienst genutzt.
Warum machen die Gewerkschaften, und besonders die CGT diese Arbeit? Weil ein kleiner Anteil der gesamten Lohnsumme den Betriebskomitees zugewiesen wird, und die Gesamtheit des Landes betrachtet, stellt dies eine gewisse finanzielle Macht dar, die es denen, die sie verwalten erlaubt, gewisse Möglichkeit zu offerieren, was nichts mit Klassenkampf zu tun hat, aber eine nicht zu vernachlässigende soziale und wirtschaftliche Macht darstellt. Andererseits erlauben die zwanzig Stunden Freistellung für diese Aufgaben den Gewerkschaftsdelegierten - zwar schwierig - aber dennoch Aktivisten zu finden, die ihnen sonst fehlen würden, was besonders bei Citroen der Fall ist.
Tatsächlich ermöglicht dies, dass der Gewerkschaftsapparat existiert. Ohne diese vielfältigen (bezahlten) Tätigkeiten würde er nicht existieren. Würden die Unternehmer es bevorzugen die Betriebskomitees gänzlich abzuschaffen? Sicherlich. Ebenso wie sie es bevorzugen würden, die Gewerkschaften abzuschaffen. Doch zwischen dem, was sie sich wünschen, und angesichts der sozialen Probleme, denen sie gegenüberstehen, ziehen sie es vor, sich mit den Gewerkschaftsapparaten zu arrangieren, die es ihnen erlauben den Ärger der Beschäftigten in Schach zu halten.
Die Arbeitenden haben nichts zu befürchten, wenn dieser kleine Prozentsatz der Gesamtlohnsumme den die Unternehmer den Betriebskomitees zuweisen, verloren geht, denn es handelt sich nur um eine Art Versicherungsprämie für den Fall sozialer Konflikte im Land, die sie an die Gewerkschaften zahlen. Dies ist außerdem nicht gerade teuer, denn schon der kleinste Streik kostet sie unendlich viel mehr. Dies ist nur für die Gewerkschaftsapparate viel Geld, so wie für die Versicherungsgesellschaften die "Prämien" unerlässlich sind.
15. Mai 1962