Angesichts der Krise der kapitalistischen Wirtschaft (Dezember 2008)

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Angesichts der Krise der kapitalistischen Wirtschaft
Dezember 2008

Dieser text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2008 angenommen.

 

1. Über ihre verschiedenen aufeinander folgenden oder gleichzeitigen Erscheinungen hinaus - Immobilienkrise, Rohstoffkrise, Bankenkrise, Börsenkrach, Verlangsamung der Produktion selber - handelt es sich in der Tat um eine einzige und sogar schwerwiegende Krise der kapitalistischen Wirtschaft, mit Sicherheit die schlimmste seit der Krise, die mit dem Börsenkrach von 1929 begonnen hat und sich in der Weltwirtschaftskrise fortsetzte.

2. Seit der brutalen Verschärfung der Finanzkrise am 15. September 2008, als die Bank Lehman Brothers, eine der Säulen der Wall Street Konkurs anmeldete, machen Wirtschaftswissenschaftler, die vor allem dazu begabt sind, die Vergangenheit vorauszusagen, bunt durcheinander die Deregulierung, die Dereglementierung, den Liberalismus, die Globalisierung und die nicht vorhandene Kontrolle über das Finanzsystem als Gründe für die Krise verantwortlich.

Das alles hat sicher seine Rolle gespielt und erklärt den einen oder anderen Aspekt der Verkettung, die zu der heutigen Finanzkrise geführt hat und der Form, die sie angenommen hat. Aber es ist nicht ihre grundlegende Ursache: Die kapitalistische Wirtschaft kann nicht ohne Krisen funktionieren. "Solange der Kapitalismus nicht durch eine proletarische Revolution gebrochen werden wird, wird er immer dieselben Perioden von Aufstieg und Abstieg, wird er immer dieselben Zyklen erleben." (Der Wechsel zwischen) "den Krisen und den Besserungen sind dem Kapitalismus vom Tag seiner Geburt an eigen; sie werden ihn bis zu seinem Grab begleiten", schrieb Trotzki als Kommentar zur Krise 1920 - 1921. Und er fügte hinzu: "In Perioden schneller kapitalistischer Entwicklung sind die Krisen ihrem Wesen nach kurz und oberflächlich", "in Zeiten des kapitalistischen Niedergangs ziehen sich die Krisen in die Länge und die Hochkonjunktur ist kurz, oberflächlich und basiert auf der Spekulation."

3. Die Entstehung des Imperialismus vor mehr als einem Jahrhundert, mit seinen Konzernen, die mit ihren Krakenarmen den gesamten Planeten umschlingen und die im Laufe der Zeit immer komplexer werdende wirtschaftliche Aktivität haben die Periodizität der wirtschaftlichen Zyklen zufallsbedingter gemacht, haben die Modalitäten des Auslösens der Krisen vervielfältigt und haben die Schäden, die sie anrichten, verschlimmert, aber es hat die Krisen nicht weniger unausweichlich gemacht. Die Krisen sind wesentliche Phasen der kapitalistischen Reproduktion. Über eben diese Krisen stellt die Marktwirtschaft, die durch die blinde Konkurrenz betrieben wird, das Gleichgewicht zwischen der Produktion und dem zahlungsfähigen Konsum wieder her, zwischen den verschiedenen Wirtschaftssektoren, insbesondere zwischen dem der Produktionsmittel und denen der Konsumgüter, zwischen den verschiedenen Unternehmen, die die aufeinander folgenden Phasen des Produktionsprozesses verwirklichen. Die Krisen sind der Ausdruck des Sinkens der Profitrate, das aus der Sättigung der Märkte folgt. Sie sind es, die durch das Zerstören eines Teils des produktiven Kapitals, durch das Beseitigen nicht rentabler Unternehmen die Voraussetzungen für den Beginn eines neuen Zyklus schaffen, in welchem die Profitrate wieder anfängt zu steigen, wieder investiert und eingestellt wird.

4. Die Ankündigung der europäischen und amerikanischen Zentralbanken am 9. August 2007, riesige Liquiditäten in das Finanzsystem einzuspritzen, und die Ankündigung der BNP Paribas, die Börsennotierung von drei ihrer Fonds zu unterbrechen, die auf Immobilienwertpapiere spezialisiert waren, deckten auf, dass die amerikanische Immobilienkrise dabei war, sich in eine Finanzkrise zu verwandeln. Diese war nicht eine dieser "kurzen und oberflächlichen" Krisen. Der Krach des amerikanischen Immobilienmarktes war ebenso der Auslöser und das Indiz der Finanzkrise. Die Finanzkrise selbst ist die jüngste einer Serie von Finanz- oder Börsenkrisen, die seit den 1980er Jahren in einem Rhythmus von drei Jahren aufeinander gefolgt sind (1983: Mexikanische Krise; 1987: Börsenkrach; 1990: Krach der "Junk Bonds" (verfallener Schuldverschreibungen) und Konkurs der amerikanischen Sparkassen; 1994: Krach der amerikanischen Obligationen; 1997: Finanzkrise in Süd-Ost-Asien; 1998: Finanzkrise in Russland und in Brasilien; 2001-2003: Platzen der Internetblase, ganz zu schweigen von der dauerhaften Krise des japanischen Finanzsystems).

Was die derzeitige Finanzkrise von den vorherigen Finanzkrisen unterscheidet, das ist ihre Schwere, ihre weltweite Ausdehnung und die Tatsache, dass sie das gesamte weltweite Bankensystem erschüttert hat.

5. Diese Häufigkeit der mehr oder weniger schweren Finanz- oder Börsenkrisen, mit mehr oder weniger Auswirkungen auf die Produktion, ist selber das Anzeichen dafür, dass die heutige Krise nicht das einfache Ende eines isolierten Zyklus ist. Sie ist in Wahrheit die zugespitzte Phase einer langen schleichenden Entwicklung, die Anfang der 70er Jahre begonnen hat, die sich zunächst durch eine Währungskrise angekündigt hat, um sich dann in der ersten Ölkrise 1973 fortzusetzen, bevor sie 1974,1975 zur ersten Überproduktionskrise und einem tatsächlichen Rückgang der Produktion in allen industrialisierten Länder führte. Zum ersten Mal seit dem Ende des Weltkrieges zeigte eine Rezession, die sich über den gesamten Erdball ausbreitete, dass die Produktionsmöglichkeiten an die Grenzen des kaufkräftigen Marktes stießen. Der Rückgang des Bruttosozialproduktes um 2,2% allein in den USA bedeutete den Gegenwert des gesamten BSP eines Landes wie der Türkei oder doppelt so viel wie das Portugals.

Noch aussagekräftiger als der Rückgang des BSP, das wertschöpfende Produktion mit Dienstleistungen vermischt, die es nicht sind, war der Rückgang der verarbeitenden Industrie. Er traf alle Industriestaaten. Er betrug im Jahre 1975 in den USA 7%, in Frankreich 8% und 15% in Japan. Zum ersten Mal explodierte die Arbeitslosigkeit.

6. Seit den Jahren 1974,1975 hat die kapitalistische Wirtschaft mehrere Phasen der wirtschaftlichen Expansion erlebt, von Rezessionen unterbrochen. Aber sie hat nie wieder das Wachstum erreicht, das sie in der Zeit davor erlebt hat. Die kapitalistische Wirtschaft ist nie aus ihrer langen schleichenden Krise herausgekommen.

Die Kapitalistenklasse hat am Anfang der 1990er Jahre das Gewinnniveau von vor der Krise wieder erreicht. Aber das hat sie nicht erreicht durch eine neue Dynamik, durch neue Ausweitungen ihres Absatzmarktes mit entsprechenden neuen produktiven Investitionen. Sie hat diese Profite erzielt, indem sie einen Krieg gegen die Arbeiterklasse geführt hat, die Ausbeutung verschärft, die Löhne eingefroren, die Arbeitsgeschwindigkeit erhöht hat, indem sie sich auf die Angst vor der Arbeitslosigkeit gestützt hat, um auf drastische Weise den Anteil der Lohabhängigen am nationalen Einkommen jedes Landes zu verringern. In Frankreich hat sich, bezogen auf alle Unternehmen, der Anteil der Bruttolöhne inklusive der Sozialabgaben der Arbeitgeber stark verringert. Er ist von 73,2% im Jahr 1982 auf 63,4% im Jahr 1998 gesunken.

Aber - und das ist die Besonderheit dieser langen Zeit des kapitalistischen Verfalls - selbst als die Profitrate wieder hergestellt war, haben die produktiven Investitionen nur wenige Kapitalien anziehen können, die stattdessen immer mehr in Finanzanlagen investiert wurden. Diese Entwicklung und ihre vielfältigen Folgen, die man unter dem Schlagwort "wachsende Finanzialisation der Wirtschaft" zusammenfasst, zeichnen die Physiognomie der derzeitigen Funktionsweise der kapitalistischen Wirtschaft. Sie hat alle Zutaten der heutigen Finanzkrise zusammen gebracht.

7. Es ist nicht nötig, in der kollektiven Psychologie der ausbeutenden Klasse die Gründe dafür zu suchen, dass sie den produktiven Investitionen die Finanzanlagen vorzieht. Ihr Misstrauen gegenüber der Zukunft ihrer Wirtschaft beruht auf materiellen Grundlagen. Sicher, indem sie den Anteil der Lohnabhängigen gesenkt haben, haben die Unternehmen ihre Gewinne wieder hergestellt. Aber sie haben eben dadurch auch den Konsum der Massen verringert.

Nicht nur also, dass die Wiederherstellung hoher Gewinne nicht die Folge einer Erweiterung des Marktes war. Die Mittel, durch die sie erreicht wurde, haben im Gegenteil dazu beigetragen, den kaufkräftigen Konsum zu verringern, das heißt die grundlegende Ursache der Krise zu verschärfen.

8. Auf den Kredit zurückzugreifen, um die kaufkräftige Nachfrage zu erhöhen, ist ein Mittel, das so alt ist wie der Kapitalismus. Aber noch nie wurde es in einem so großen Maßstab angewandt wie im letzten Vierteljahrhundert. Die Rüstungsausgaben, dieser große Klassiker der kapitalistischen Wirtschaft, und der Kredit, das heißt die Verschuldung, waren die beiden Brustzitzen des Wachstums in allen Phasen des Aufschwungs der letzten 30 Jahre.

9. Der Ausdruck "Wachstum" selber spiegelt die bürgerliche Sicht auf die Wirklichkeit wieder, nicht die Wirklichkeit selber. Es ist zum Beispiel üblich zu behaupten, dass das Wachstum der Vereinigten Staaten oder auch das Spaniens durch den Immobilienmarkt hochgezogen worden ist. Aber in diese statistischen Berechnung des Wachstums wurde sowohl die Eröffnung von Baustellen und errichtete Häuser, das heißt die Produktion materieller Güter einbezogen, wie auch die Verteuerung von Grundbesitz oder die durch die Immobilienspekulation steigenden Preise. Die nationalen Berechnungen haben immer materielle Produktion und die Finanz vermischt, reelles Wachstum und finanztechnisches Wachstum. Die so genannte Wachstumsphase, die dem derzeitigen Zusammenbruch vorausgegangen ist, war vor allem ein Wachstum der Unternehmensgewinne, der Aktienpreise an der Börse, war insbesondere ein Wachstum der Menge und der Rentabilität der Finanzprodukte. Aber es war weder eine Wachstumsphase für die Lohnsumme in ihrer Gesamtheit, die im Gegenteil massiv gesunken ist, weder für die einzelnen Löhne, die im besten Fall stagniert sind, noch für die Zahl der Arbeitsplätze, die nach dem Gutdünken der statistischen Manipulationen geschwankt ist. Der Lügencharakter dieser Klassenstatistik konnte nicht den Graben verstecken, der sich zwischen dem Wachstum des Kapitals und dem Rückgang der Kaufkraft der arbeitenden Klassen vertiefte, auf der Grundlage eben der Krise.

10. Nach der zweiten großen Rezession von 1982, noch stärker als die von 1975, wurden die Mechanismen eingeführt, die die Finanzialisation der Wirtschaft beschleunigt und die Verschuldung in nie da gewesenen Höhen gehoben haben. Um die Inflation zu bremsen, haben die Staaten weniger die Notenpresse betätigt und stattdessen massiver auf den Kredit zurückgegriffen. Für die Staaten ist die Rechnung aufgegangen: Wertpapiere auf die öffentliche Schuld auszugeben - Schatzanweisungen, Staatsanleihen, Schuldverschreibungen des Staates unterschiedlichster Art, etc. - hat ihnen die Möglichkeit verschafft, das Defizit auszugleichen. Auch das große Kapital verdiente daran. Der Ruf der Staaten nach öffentlichen Anleihen hat ihm vorteilhaftere Anlagen ermöglicht als in die Produktion zu investieren.

Einige Zahlen fassen diese Entwicklung zusammen. Die öffentliche Schuld der Vereinigten Staaten, die im Jahr 1963 305 Milliarden Dollar betrug und 1970, kurz vor der Krise, 370 Milliarden, war zehn Jahre später, 1980, auf 907 Milliarden Dollar angewachsen, auf 3.233 Milliarden im Jahr 1990, auf 5.674 Milliarden im Jahr 2000. Sie liegt Anfang Oktober 2008 bei 10.024 Milliarden Dollar! (Zahlen der offiziellen Internetseite der amerikanischen Regierung; es scheint, dass sie nur die Verschuldung der Zentralregierung berücksichtigen, ohne die Verschuldung der Bundesstaaten und erst recht nicht der Kommunen mit einzubeziehen).

Dieselbe Entwicklung gibt es für die Schulden der Privatpersonen. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes explodiert, von 580 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 1.250 Milliarden 2005.

11. Eine Wirtschaft, die durch Kredit und Verschuldung angetrieben wird, ist eine Wirtschaft, die die Ungleichheiten im Inneren eines Landes verschärft und ebenso die zwischen den Ländern. Man leiht nur den Reichen, das gilt für Privatpersonen wie für Staaten (obwohl, wie die Affäre der Subprimes beweist, Banken unter bestimmten Umständen auch bereit sind, sogar den Armen etwas zu leihen, wenn es ihnen ermöglicht, sie damit übers Ohr zu hauen).

Die Vereinigten Staaten sind der am meisten verschuldete Staat der Welt, in jedem Fall was die absolute Summe ihrer Schulden angeht, ansonsten auch relativ gesehen. Ein wesentlicher Teil der Weltbevölkerung, der der armen Länder, ist im Gegenzug von diesem Kreditkreislauf ausgeschlossen, während sie jedoch seine Konsequenzen dennoch erleiden müssen. Es sind die elenden Massen der armen Länder, die ihre Regierungen für die Schulden und die Zinsen der Kredite zahlen lassen, die sie für Militärausgaben oder Prestigeprojekte eingegangen sind.

In den armen Ländern zeigen sich am direktesten die zerstörerischen Auswirkungen der wachsenden Finanzialisierung der Wirtschaft. Wie überall sonst auch haben die Kapitalien auf der Suche nach rentablen Anlagen sich kein Stück dafür interessiert, die Produktion zu entwickeln und also zu investieren, sondern sie wollen das Maximum an Profit aus den bereits existierenden Anlagen und Produktionen ziehen und den Rest ausmerzen. Doch da es so wenige bereits existierende Anlagen gibt, bedeutet dies Rückschritt. Das Finanzkapital schafft es, die armen Länder durch die Verschuldung auszuplündern, ohne wenigstens einige wenige materiellen Spuren zu hinterlassen, die vielleicht der Bevölkerung nützlich sein könnten - Straßen, Schienen, Grundausstattungen - was selbst der Kolonialismus hinter sich zurückgelassen hat.

12. Die Banken und der Kredit spielen in der kapitalistischen Wirtschaft eine unersetzbare Rolle. Dank der Banken und des Kredits findet die kapitalistische Reproduktion ohne Unterbrechungen statt und sind die Industriebetriebe nicht gezwungen zu warten, bis die Waren, die sie produzieren, verkauft sind, um einen neuen Produktionszyklus zu beginnen. Indem die Banken den Unternehmen das Geld zur Verfügung stellen, tragen sie dazu bei, es in produktives Kapital zu verwandeln. Die hierfür vom Mehrwert einbehaltenen Zinsen sind der Lohn für diese Aufgabe.

Aber die anomale Aufblähung dieser Funktion hat den gegenteiligen Effekt. Anstatt die Umwandlung von Geldkapital in produktives Kapital zu erleichtern, zieht es im Gegenteil das Kapital aus der Produktion ab, um es zu Finanzoperationen umzulenken, die die wundervolle Fähigkeit zu besitzen scheinen, mit Geld direkt Geld zu machen, ohne die vulgäre Phase der Produktion durchlaufen zu müssen.

13. In dieser dreißigjährigen schleichenden Krise war die wachsende Rolle der Finanz zunächst eine Folge der Krise selbst. Die Kapitalien, die aufgrund der Sättigung der Märkte sich nicht in produktives Kapital verwandeln konnten, haben andere einträgliche Anlagen gesucht. Seit der Wiederverwertung der "Petrodollar", dieser als Folge der ersten Preissteigerungswelle von 1973 in den Händen der Ölkonzerne und nebenbei auch einiger Ölscheichs angehäuften kolossalen Geldsummen, die ihre Besitzer nicht in Bohrungen oder Raffinerien zu investieren gedachten, ist die nach einträglichen Anlagen suchende Kapitalmasse stetig gewachsen.

Aus einem Nebenprodukt der Krise ist die wachsende Rolle der Finanz zu einem Faktor ihrer Verlängerung geworden. Die Funktionsweise, die sich etabliert hat, bevorzugt den kurzfristigen Finanzprofit gegenüber den langfristigen produktiven Investitionen.

Dies schien ein Wunder zu sein: Trotz einer engbrüstigen keuchenden Wirtschaft mit schwachem Wachstum brachten die Finanzanlagen immer mehr ein. Zu den "Klassikern" wie den Börsenspekulationen, Staatsanleihen, der Spekulation auf die Wechselkurse der Devisen oder der Immobilienmarkt, gesellten sich viele andere Geschäfte, die es vorher nicht gab. Mit dem Anwachsen der Finanzmassen ist eine neue Industrie entstanden, die "Finanzindustrie", deren Aufgabe es ist, diese wachsenden Massen an Geldkapital zu verwalten, ihnen "Finanzprodukte" zu erfinden und Märkte, auf denen diese verkauft und gekauft werden. Allein die surrealistische Verbindung dieser beiden Worte "Finanz-Industrie" ist bezeichnend für unsere Epoche des Wucherkapitalismus. Und wie die Funktion sich ihre Organe schafft, ist die Zahl dieser Finanzwerkstätten, dieser « Investitionsfonds » explodiert, die den Großteil der klassischen Bankaktivitäten aufgegeben haben, um sich auf Anlagen zu spezialisieren, die umso rentabler waren, je riskanter sie waren. Selbst das Wort "Investition" verlor seine eigentliche direkt mit der Produktion verbundene Bedeutung, um nun alle Geldanlagen zu bezeichnen, sowohl diejenigen, die wirklich zur Schaffung von Wert und Mehrwert beitrugen als auch die fantastischsten Anlagen, die gar nichts schafften oder sogar zerstörten.

14. Die Deregulierung der 1980er Jahre war nicht die Ursache dieser Finanzbegeisterung, aber sie hat sie erleichtert und globalisiert. Sie hat die Grenzen zwischen den Institutionen des Finanzsektors selber zerstört (zwischen Depotbanken und Investitionsbanken, zwischen Versicherungen und Banken), ebenso die Grenzen zwischen dem produktiven Sektor und dem Finanzsektor. Selbst die Produktionsbetriebe, in jedem Fall die größten unter ihnen, wurden umso mehr von den Finanzgeschäften angezogen, da diese zeitweise mehr Profit abwarfen als die produktive Aktivität selber.

All das schien die Folgen der Krise nach hinten zu schieben. Es störte vor allem ihre regulierende Funktion. Denn Krisen zu verschleiern bedeutet nicht, sie abzuschaffen. Das Ersetzen von produktiven Aktivitäten durch den künstlichsten Teil der Finanzaktivitäten kann nicht ewig dauern.

15. Die Finanzaktivitäten schaffen keine Werte. Sie ermöglichen es nur, sich einen Teil des Mehrwertes anzueignen, der durch die Ausbeutung im produktiven Sektor geschaffen wird. Im Klartext heißt das, dass das Finanzkapital direkt oder indirekt über den Staat und die öffentliche Schuld dem industriellen Kapital entnommen wird, "der einzigen Daseinsform des Kapitals, dessen Aufgabe nicht nur in der Aneignung, sondern ebenso in der Schaffung von Mehrwert besteht, anders gesagt von Mehrprodukt" (Marx).

Die ununterbrochene Aufblähung der Finanzsphäre seit den 1970er Jahren nährt sich nicht nur von der Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiterklasse, sondern trägt auch dazu bei, die wirtschaftliche Entwicklung zu ersticken.

16. 1992 begann dennoch eine Ära, die die enthusiastischen Kommentatoren sofort als « die längste Wachstumsperiode der amerikanischen Wirtschaft seit dem Krieg » bezeichneten. In der Tat wuchs das BIP (Bruttoinlandsprodukt) der Vereinigten Staaten zwischen 1994 und 2000 um 32 %. Und weil diese gesegneten Jahre, in denen sogar die Arbeitslosigkeit zurückging, der Entwicklung der neuen Technologien geschuldet waren (Computer, Halbleiter, Netzwerke, Handys), fing man an, von einer « New Economy » (neuen Wirtschaft) zu sprechen. Die produktiven Investitionen fingen sogar an zu steigen und führten zu einer wachsenden Produktion. Doch selbst während dieser Zeit blieb die Wachstumsrate des amerikanischen BIP kleiner als in den 1960ern. Und was den Aufschwung der Investitionen betrifft, so blieb dieser fast ausschließlich auf den Bereich der neuen Technologien beschränkt, der selbst in den Vereinigten Staaten weniger als ein Zehntel der wirtschaftlichen Aktivität ausmachte. In anderen Bereichen, in den traditionellen Industrien, stagnierten die Investitionen weiter, beziehungsweise, nach einigen späteren Untersuchungen zu urteilen, sanken sie sogar im Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt. Was soll's, wo doch die Profite wuchsen, die Börsenkurse, vor allem der auf Technologiewerte spezialisierte Nasdaq einen Höhenflug erlebten, und der niedrige Zinssatz die Unternehmensfusionen vervielfältigte! Es war diese Zeit, in der der damalige Chef der amerikanischen Zentralbank von einem "unvernünftigen Übermut der Märkte" sprach.

17. Trotz seiner einige Jahre dauernden Dynamik war der Computer- und Handymarkt nicht groß genug, um die riesigen Mengen an angehäuftem Geldkapital aufzusaugen und vor allem nicht, um sie in produktives Kapital umzuwandeln.

Die « New Economy » hat in erster Linie der Börsenspekulation ein neues Feld eröffnet. Sie wurde durch die von der amerikanischen Zentralbank betriebene Politik des einfachen Kredits gefördert. Diese hatte entschieden, den Leitzins zu senken und ihn niedrig zu halten. Es ist eben dieser Leitzins, das heißt der Zinssatz, zu dem die Banken frisches Geld bekommen können, der die Kosten der gesamten Stufenleiter der Kredite bestimmt. Der niedrige Zinssatz hat die Banken und Finanzinstitute umso leichter Kredite vergeben lassen, da sie sicher waren, diese einfach und für wenig Geld bei der Zentralbank refinanzieren zu können.

Dieser niedrige Leitzins konnte als eine Kreditpolitik durchgehen, die den Aufschwung des Informatiksektors begleiten sollte. In jener Zeit wo sich jeder Gründer eines Startups für Bill Gates hielt, schien der Erhalt eines einfachen Kredits die explosionsartige Entwicklung seiner Geschäfte zu bedeuten. Schnell zeigte sich allerdings, dass längst nicht alle diese Startup-Firmen ein Microsoft oder Google im Embryonalzustand waren.

In Wirklichkeit finanzierten schon zu jener Zeit die dem Informatiksektor zugestandenen Kredite viel mehr die Spekulation als die Produktion. Sie dienten vor allem den Unternehmen dazu, sich um die zu Recht oder Unrecht viel versprechenden Unternehmen zu streiten, deren Aktien in die Höhe schossen. Bezeichnend für eine Epoche intensiver Spekulation: Zeitweise war die Börsenkapitalisierung - das heißt der Preis für die Gesamtheit ihrer Aktien - von Amazon.com, der ersten Internetbuchhandlung, die zu diesem Zeitpunkt allerdings noch fast gar nicht existierte, genauso groß wie die von General Motors, mit seinen Dutzenden Fabriken und seinen zweihunderttausend Arbeitern!

Bis zu diesem Monat Mai im Jahre 2000, an dem die Spekulationsblase platze, der Internetkrach den Nasdaq-Index ins Nichts sinken ließ und zahlreiche vielversprechende Startups und das Geld, dass Einfaltspinsel in deren Aktien gesteckt hatten, mit in den Zusammenbruch riss.

18. Das dem Informatiksektor geschuldete Wachstum war nicht der Auftakt eines allgemeinen Aufschwungs. Im Gegenteil, nach dem Zusammenbruch dieses Sektors beschleunigte sich die Aufblähung der Finanz. Denn in diesem Kontext drohender Rezession, zu der auf politischer Ebene die Folgen der Anschläge vom 11. September 2001 hinzu kamen, senkte die amerikanische Zentralbank erneut ihren Leitzins, um die Liquidität des Finanzsystems zu erhalten und eine Serie von Konkursen zu vermeiden. Der neue Zinssatz war, wenn man die Inflation berücksichtigt, kaum über 0 %.

Durch diese Politik konnte in der Tat vermieden werden, dass sich der Internetkrach in eine brutale Finanzkrise verwandelt. Aber sie hat nur deren Frist hinausgezögert. Die 2001 abgewehrte Finanzkrise kam 2007 wie ein Bumerang zurück. Aber mit einer Kraft, die wesentlich angewachsen war durch die Zunahme der Finanzmassen und die wachsende Zahl immer künstlicherer Finanzprodukte, die selbst für diejenigen, die sie geschaffen hatten, immer undurchsichtiger wurden.

Man kann die Krise der New Economy als allererste Phase der heutigen Finanzkrise sehen, oder als ihre Generalprobe. In jedem Fall war sie der Beginn einer Reihe von Verhaltensweisen der Finanz, die nur zu dem heutigen Zusammenbruch führen konnten.

19. Warum nicht Geld leihen, wo doch der Zinssatz der Zentralbank den Kredit einfach, also das Geld billig machte? Banken wie Industriebetriebe liehen sich kräftig Gelder. Die Produktion konnte dieses ganze Geldkapital nicht aufsaugen? Wenn es weiter nichts ist! Die "Finanzindustrie" erschuf immer ausgefeiltere Produkte. Sie vermischte Kredite verschiedener Art, nicht zuletzt durch die berühmte Methode der "Verbriefung von Krediten in Wertpapierform", Kredite von denen man am Schluss nicht mehr wusste, was sie eigentlich enthielten. Egal! Solange der Käufer die begründete oder auch nicht begründete Überzeugung hatte, dass er die Wertpapiere teurer verkaufen könnte, als er sie gekauft hat, funktionierte die Finanzmaschinerie. Aber immer mehr von der Produktionswirklichkeit und vor allem von der Schaffung des Mehrwerts losgelöst.

20. Gleichzeitig jedoch haben sich die Finanz und die Produktion immer mehr gegenseitig durchdrungen. Nicht zuletzt durch die Finanzierung der groß angelegten Fusionen und Übernahmen. Die Strategie der großen Unternehmen bestand nicht darin, den Markt auszuweiten, sondern ihren Anteil am bestehenden Markt zu vergrößern, das heißt auf Kosten ihrer Konkurrenten einen größeren Teil zu erobern. Daher die feindlichen Übernahmen, diese von Industrie- und Finanzgruppen ausgelösten Kriege um den Aufkauf einer rivalisierenden Gruppe. Diese Geschäfte, deren Folge eine immer größere Konzentration war, hat insbesondere im Laufe der 1990er nicht nur das Geld der kämpfenden Gruppen in Bewegung gebracht, sondern auch den Kredit. Die Gruppen, die aus diesen Übernahmeschlachten siegreich hervorgingen, konnten ihre Profite im Maßstab des eroberten Marktanteiles vergrößern. Oft sogar deutlich mehr, wenn ihnen die Übernahme eine Monopolstellung auf dem Markt verschafft hatte. Aber indem die Unternehmen bei diesen Übernahmeschlachten entweder für den Angriff oder zur Verteidigung Kredite aufnahmen, trugen sie zur Verschuldung der Unternehmen bei. Laut der Wirtschaftszeitung Les Échos, haben die Unternehmen des CAC heute 250 Milliarden an Nettoschulden angesammelt. Ein Anstieg um 25% in den letzten zwei Jahren.

Diese vorwiegend finanztechnischen Konzentrationen bedeuteten keine Rationalisierung der Produktion. Durch sie entstand absolut keine Vergrößerung der Produktionskapazitäten. Einmal mehr wurden enorme Summen in Bewegung gesetzt und brachten den Bankern Gewinn ein, ohne dass hieraus irgendein Vorteil für die Produktion entstanden wäre. Im Gegenzug jedoch verstärkten alle diese Geschäfte die Beherrschung der Produktion durch die Finanz.

21. Die Methode der fremdfinanzierten Übernahmen (LBO), das heißt von Geschäften mit Hebelwirkung, ist wirklich das Wunder der Wunder für die Finanzleute. Sie sind der Ausdruck eines nicht nur wucherischen, sondern wirklich selbstzerstörerischen Kapitalismus. Im Grunde ist eine LBO ein Geschäft, bei dem man ein Unternehmen mit sehr wenig eigenem Kapital kreditfinanziert aufkauft. Das Ziel liegt ganz klar darin, den Kredit mit dem Kapital des aufgekauften Unternehmens zurückzuzahlen. Auch wenn dies bedeutet, diese auseinander zunehmen, ihre Geldreserven leer zu machen, die rentablen Bereiche zu verkaufen und sich des Restes zu entledigen und den Grund und Boden, auf dem das Unternehmen gebaut wurde, der Immobilienspekulation meistbietend zu verkaufen. Nicht nur, dass sich das Finanzkapital nicht mehr in mehrwertschaffendes produktives Kapital verwandelt, sondern es zielt sogar auf die Vernichtung von produktivem Kapital ab.

Der Renten-Kapitalismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat eine ausgeklügelte Methode des Selbstmordes entwickelt. Jedoch sind es nicht die Banker oder Finanzleute, die dabei sterben, sondern die Produktion, die Wirtschaft, das heißt die Gesellschaft.

22. In Anbetracht des derzeitigen Zusammenbruchs der Finanz ist es Mode, die Spekulationsfonds anzuklagen, insbesondere die Hedgefonds, diese auf besonders riskante Spekulationen spezialisierten Werkstätten. Aber ein Großteil dieser Hedgefonds sind von großen wohlhabenden Banken selbst geschaffen worden, die mit dem Geld nicht nur von reichen Privatleuten, sondern auch von Banken und Unternehmen spekulieren.

Die Finanz hat immer spezialisiertere Organe abgesondert. Sie sind deswegen nicht weniger Teil der Finanzwelt, ebenso wie die Finanz selber Teil des großen Kapitals ist. Es ist der Kapitalismus selber, der immer wucherischer und selbstzerstörerischer wird.

23. Auch wenn die Akteure auf der Bühne der Finanzwelt und auf der des produktiven Sektors dieselben sind, so handelt es sich doch um zwei verschiedene Funktionen. Nur die Ausbeutung, das heißt die Aneignung eines Teils des von den Arbeitern in der Produktion geschaffenen Wertes durch die Kapitalisten, schafft Mehrwert. Die Finanzaktivitäten ermöglichen es nur, sich einen Teil dieses durch die Produktion, das heißt durch die Ausbeutung der Arbeiter geschaffenen Mehrwerts wegzunehmen.

Für eine gegebene Gruppe von Kapitalisten ist es egal, wo der Profit herkommt. Wenn die Finanz vorteilhaftere Anlagen bietet als der industrielle Profit, wählen sie die Finanzanlagen, auch wenn bei einer Verallgemeinerung dieser Verhaltensweisen die Kapitalistenklasse ihr eigenes Grab schaufelt, indem sie die Schaffung von Mehrwert bremst.

24. Die Beschäftigung mit der Finanz zulasten der industriellen Beschäftigungen haben zu einer Vielzahl von Veränderungen in der Verwaltung der Industriebetriebe selber geführt. Umso mehr, da als weitere Tendenz der wirtschaftlichen Entwicklung, die reinen Finanzgruppen, sogar allein auf Spekulation spezialisierte Gruppen, einen immer größeren Platz unter den Aktionären zahlreicher großer Firmen einnahmen. Dem Druck der Finanz auf diese beiden Weisen ausgesetzt, haben selbst die produktiven Unternehmen ihre Logik angenommen.

Die Unternehmensführungen wurden in der Folge dahin gedrängt, ihre Augen auf die Börsenentwicklung zu heften. Eben diese Entwicklung hat zu Verrücktheiten geführt wie diese « Restrukturierungsmaßnahmen », die darin bestanden, sich eines Teil der Arbeitenden eines Betriebs zu entledigen, um die Börsenkurse seiner Aktien zum steigen zu bringen. Dies ist eine Fehlentwicklung vom Standpunkt der kollektiven Interessen der Kapitalistenklasse. Denn indem sie die Anzahl der Ausgebeuteten verringern, verringern sie gleichzeitig die Gesamtsumme des Mehrwerts. Doch, wie Lenin so schön sagte, "die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen". Und ja, mehrere Jahre lang haben sie den Strick verkauft, der dabei ist, das weltweite Finanzsystem zu erdrosseln. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Alcatel, Serge Tchuruk, hat dies auf seine absurde Formel gebracht, als er von einem « Unternehmen ohne Fabriken » sprach! Aber ohne Fabriken, das heißt ohne Arbeiter, gibt es weder Profit, noch Profiteure, und also auch keinen Tchuruk oder Seinesgleichen.

25. Man sagte, dass die Krise von 1929 in einem wolkenlosen Himmel ausgebrochen war. Das kann man über die derzeitige Finanzkrise sicher nicht sagen. Dies war eine angekündigte Krise. Es war offensichtlich, dass diese Flucht nach vorne des einfachen Kredits, die eine immer schwindelerregendere Spekulation mit sich gebracht hat, nur vor die Wand fahren konnte. Viele Leute haben es gesagt, auch eine Reihe Wirtschaftswissenschaftler des Bürgertums, sogar mit Nobelpreis. Angesichts der Feststellung, dass das Wachstum des Bruttosozialprodukts in Frankreich seit Jahren in der Größenordnung von 3 - 4% lag, während die Kapitalien für ihre Anlagen 15 - 20% verlangten, rief ein französischer Wirtschaftswissenschaftler aus, wenn auch nachträglich : "Aus der Arroganz der Finanz ist die allgemeine Lüge entstanden, die die Krise verursacht hat : das arithmetisch unmögliche Versprechen, dass alle mehr verdienen können als den Durchschnitt der Gewinne". Aber es wurde nichts getan, um diese Fahrt vor die Wand aufzuhalten, aus dem einfachen Grund weil im Rahmen dieser Wirtschaft, deren fundamentaler Motor der Profit ist, nichts getan werden konnte. Aus welchem Grund sollte eine Gruppe, ein Unternehmen oder kapitalistische Privatperson vorher als bei der letzten Spekulationsbewegung aufhören, die noch Gewinn einbringt?

26. Die Finanzkrise von heute war umso mehr eine angekündigte Krise, weil sich auf dem Immobilienmarkt dasselbe Szenario abgespielt hat wie vorher im Sektor der Neuen Technologien. Die von den steigenden Wohnungspreisen angezogenen Kapitalien haben sich massenweise auf diesen Sektor geworfen. Und auch hier wieder ist die Spekulation aus einer Folge der Preissteigerungen zu ihrem Motor geworden. Der Preis einer Wohnung ist nach der britischen Wochenzeitschrift The Economist zwischen 1997 und 2006 um 100 % in den Vereinigten Staaten, 127 % in Frankreich, 192 % im Vereinigten Königreich... bis zu 327 % in Südafrika gestiegen. Der günstige und dennoch voller Fallen steckende Kredit, den die Finanzsphäre denen zur Verfügung gestellt hat, die eine Wohnung brauchten wie auch denen, die auf dieses Bedürfnis spekulierten, hat die Kurse in die Höhe getrieben, ebenso im eigentlichen Bausektor als auch in dem der Hypothekenkredite. Bis die Immobilienblase 2007 geplatzt ist.

27. Der Auslöser der Finanzkrise war die Immobilienkrise in den USA, und der Träger ihrer Ausbreitung die Wertpapiere, die einen Teil des amerikanischen Hypothekenkredits beinhalteten. Denn alle großen Banken der Welt hatten solche Wertpapiere! Die jüngste Schätzung kommt zu dem Ergebnis, dass die Höhe des nominellen Wertes aller dieser verfallenen Wertpapiere, die alleine die europäischen Banken besitzen, bei 800 Milliarden liegt! Das Misstrauen gegenüber diesen Papieren ist zu einem Misstrauen gegenüber allen Risikopapieren geworden. Doch diese Risikopapiere waren überall, eben weil gerade sie vorher im Zentrum des Finanzwachstums standen: in den Banken, Finanzinstituten, den Reserven der Unternehmen, sogar in denen der Kommunen. Die Gesamtsumme dieser Derivate ist noch wesentlich größer als die der Wertpapiere, die heute als verfallen anerkannt werden, weil sie einen Teil des amerikanischen Hypothekenkredits beinhalten. Diese Summe wird auf 400.000 Milliarden Dollar geschätzt. Zum Vergleich: Die Börsenkapitalisierung aller großen Unternehmen, die irgendwo an der Börse notiert sind, das heißt der Preis, zu dem man sie theoretisch alle aufkaufen könnte, liegt nur bei 60.000 Milliarden. Wenn der Funke, der in einem Teilbereich entstanden ist, die weltweite Finanz in Brand gesteckt hat, dann weil die gesamte vorherige Entwicklung brennbare Materialien angehäuft hat.

28. Das generelle Misstrauen gegenüber allen Wertpapieren hat sich in eine Bankenpanik verwandelt. Im Gegensatz zur Krise von 1929 waren es nicht die Einleger und Bankkunden, die Panik bekamen, sondern die Banken selber. Und zwar so sehr, dass sie alle Transaktionen zwischen Banken brutal gebremst haben.

Aber aufgrund der Zersplitterung des Bankensystems findet ohne Transaktionen zwischen den Banken keine Vergabe von Krediten mehr statt (beziehungsweise der Kredit wird so teuer, dass es praktisch auf das Selbe herauskommt).

29. Die kapitalistische Entwicklung ist zu einer solchen Entartung gelangt, dass eine Finanzkrise, hervorgerufen durch ein Übermaß an Krediten, zu einer Austrocknung des Kredits für die Produktionsbetriebe führt.

Es dauerte nicht lange, bis der Bankenkrise der Börsenkrach folgte. Montag, der 21. Januar 2008 war ein "schwarzer Montag" auf allen Börsenplätzen: der stärkste Fall der Kurse seit dem 11. September 2001. Andere ebenso schwarze Tage folgten, bis zu diesem Oktober 2008, der trotz einzelner sprunghafter Zunahmen ein ganzer schwarzer Monat für die Börsen war. Die der Bankenkrise geschuldete Austrocknung des Kredits konnte nur die Börsengeschäfte bremsen, in denen der Kredit eine große Rolle spielt.

Aber es kam noch etwas ganz anderes hinzu. Die Börse ist das Thermometer der kapitalistischen Wirtschaft. Hinter der Finanzkrise kündigte sich die Krise der produktiven Wirtschaft an.

30. Mehrerer Jahre intensiver Spekulation, angeheizt durch die wachsenden Gewinne der Unternehmen, haben die Börsenkurse weit über ihren normalen Kurs getrieben.

Die durchschnittliche Höhe des Preises einer Aktie - eine absolut theoretische Größe, da ihr Preis jeden Tag in Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage schwankt - hängt mit der Dividende zusammen, das heißt mit den Einkünften, die sie ihrem Besitzer einbringen kann. Aber die Spekulation hat den Aktienpreis weit über diesen mittleren Preis hoch gedrückt. Das Platzen der Spekulationsblase an der Börse hat die Börsenkurse wieder auf die Erde zurückgeholt. Für zahlreiche große Firmen ist der Preis ihrer Aktien um 50%, teilweise sogar um 80% gesunken. Nach mehreren Wochen des Falls haben sich die Aktienkurse nicht stabilisiert. Dies ist nicht nur ein Zeichen dafür, dass die Spekulation weitergeht, und zwar diesmal auf fallende Kurse, sondern auch, dass die Berichtigung der Börsenkurse noch nicht ausreichend ist und dass sich das große Kapital mit der Rezession auf sinkende Produktion und sinkende Profite in den Unternehmen einstellt.

31. Seit September 2008 treffen Bankenkrise und Börsenkrise zusammen. Die Führungen der großen imperialistischen Staaten können noch so viele geheime Zusammenkünfte abhalten und vor allem fantastische Summen ausschütten, um das Vertrauen zwischen den Banken wieder herzustellen, sie schaffen es nicht. Die Kreditlinien, die den Banken eingeräumt wurden um sich zu refinanzieren, scheinen offensichtlich nicht auszureichen, um sie dazu zu bringen, der Wirtschaft wieder Kredite zu geben. Es versteht sich von selbst, dass sie noch weniger auf die Moralpredigten reagieren, die ihnen ein Sarkozy hält!

Die Wirtschaftspresse ist voll von Beschwerden kleiner Unternehmer, die nicht nur berichten von der Weigerung der Banken, ihnen neue Kredite zu gewähren, sondern sogar von der Streichung ihrer Dispokredite.

Offensichtlich nutzen die Banken lieber die Erleichterungen, die ihnen die Staaten gewähren, um « die Gelegenheiten zu ergreifen », das heißt um ihre maroden Brüder aufzukaufen. Die Konzentrationsbewegung in der Finanz, im großen Stil bereits in den ersten Tagen der Krise begonnen, wird sich umso mehr fortsetzen, je mehr sie von den Staaten erleichtert wird.

32. Nach der Bankenkrise und der Börsenkrise deutet sich eine neue Krise an, die des Währungssystems. Der Devisenmarkt ist völlig orientierungslos geworden. Die Wechselkurse erinnern an die Fieberkurve eines Malariakranken während einer schweren Krise. Die Sprünge der Wechselkurse werden unweigerlich auf den internationalen Handel drücken.

Die Eurozone ist in einer gewissen Weise davon verschont, zumindest was die Handelsbeziehungen zwischen den Ländern der Eurozone betrifft. Wie lange sie wohl verschont bleibt? Die Hilfen, die jeder Staat seinem Bürgertum zukommen lässt, werden zwangsläufig das Defizit jedes Staatshaushaltes vergrößern, aber nicht in der gleichen Geschwindigkeit, nicht im gleichen Maß in jedem Fall. Die Verteidigung des Euro gegenüber dem Dollar, dem Pfund Sterling oder dem Yen wird notwendigerweise von den reichsten kapitalistischen Nationen abhängen: Bis wohin werden sie es akzeptieren, für die ärmeren zu zahlen?

Darüber hinaus haben die verschiedenen Länder der Eurozone nicht dieselben Import- und Exportstrukturen gegenüber den USA. Die Schwankungen der Wechselkurse zwischen dem Euro und dem Dollar haben nicht dieselben Auswirkungen für jedes der Länder der Eurozone. Dabei hat die Finanzkrise nach einer langen Zeit der Entwertung des Dollars gegenüber dem Euro die Bewegung nun umgekehrt.

33. Eben mit einer Währungskrise begann Anfang der 70er Jahre die lange schleichende Krise, deren zugespitzteste Phase die heutige Krise ist. Die damalige Währungskrise hat zum Verschwinden des internationalen Währungssystems geführt, wie es nach dem Krieg in Bretton Woods eingerichtet worden war. Dieses System mit seinen festen Wechselkursen, wobei jede Währung über den Dollar definiert wurde und der Dollar über das Gold, hatte die Entwicklung des weltweiten Handels enorm vereinfacht. Die Tatsache, dass es zusammenbrach und 1975 ersetzt wurde durch ein System floatender Wechselkurse, das heißt in Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage schwankender Kurse, hat deswegen nicht die Herrschaft des Dollars beendet, weder als wichtigste Währung des internationalen Handels, noch als wichtigste Reservewährung für alle Zentralbanken. Doch dieses neue System hat der Währungsspekulation unbegrenzte Möglichkeiten eröffnet, die darin bestanden, auf die Schwankungen der Wechselkurse zu spekulieren, sogar über kurze Zeiträume. Es hat so eine entscheidende Rolle in der Finanzialisation der Wirtschaft gespielt.

Selbst leichte Schwankungen der Wechselkurse haben umso mehr Auswirkungen auf das Finanzsystem, da die als Reserven von den Staaten und Zentralbanken vor allem in Dollar angehäuften Summen gigantisch geworden sind. Laut Les Échos erreichen sie heute 7.100 Milliarden Dollar. Aber viel mehr als die Summe ist ihr exponentielles Wachstum bedeutsam. Sie ist heute fünf Mal größer als vor 10 Jahren und 150 Mal größer als vor 37 Jahren, als die Konvertibilität des Dollars in Gold abgeschafft wurde! Da die Reserven der Zentralbanken insbesondere dazu dienen, die nationalen Währungen zu verteidigen, ist die Aufblähung dieser Reserven ein Maß für die Spekulation und so für den Parasitismus des Finanzkapitals.

34. Doch auch wenn der Dollar die Hauptstütze des internationalen Währungssystems geblieben ist, geht es ihm seit einigen Jahren schlecht. Mitte der achtziger Jahre sind die USA von einem Gläubiger- zu einem Schuldnerland geworden. Ihre Schulden haben 2.500 Milliarden Dollar erreicht, das heißt 20% ihres Inlandsprodukts. Das Gleichgewicht ihrer Konten wird seit Jahren ausschließlich erreicht durch Depoteinlagen anderer Länder, vor allem Japan, China und eine Reihe Ölförderländer, in Form von Schatzanweisungen des amerikanischen Staates. Doch das Anwachsen der Verschuldung der USA kann nur das Misstrauen gegenüber dem Dollar anheizen und in Richtung einer Entwertung dieser Devise auf dem Währungsmarkt wirken. Ein Währungsmarkt, der seit mehreren Jahren schwindelerregend wächst, nicht weil er den internationalen Handel begleitet, sondern wegen der auf die Währungen stattfindenden Finanz- und Spekulationsgeschäften (nur ungefähr 3% der auf den Währungsmärkten ausgetauschten Summen scheinen tatsächlichen Handelstranksaktionen zu entsprechen).

Die Entwertung des Dollars hat mehrere Jahre lang dazu geführt, dass sein Wechselkurs gegenüber dem Euro gefallen ist. 2002 wurde der Euro gegen 86 Cents getauscht, Ende 2007 gegen 1,48 Dollar. Die amerikanische Devise hat also die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem Euro verloren!

Doch die derzeitige Krise hat die Entwicklung umgekehrt. Ende Oktober 2008 war der Euro nur noch 1,23 Dollar wert. Man sagt sogar die Rückkehr zur Parität vor Ende des Jahres voraus.

Die Führungen der von der Krise getroffenen Industrieländer kennen sehr wohl die Folgen der Instabilität der Wechselkurse für den internationalen Handel. Sie sind ein wesentlicher Faktor in der Verschärfung der Krise. Aber sie haben keine Mittel zur Hand, um die Spekulationsbewegungen aufzuhalten, und sie wollen sich auch in keinem Fall welche geben. Ja, sie reden viel davon, ein neues internationales Währungssystem einzurichten, ein neues Bretton Woods zu machen, aber sie reden nur davon. Das Abkommen von Bretton Woods war nur der Form nach ein Abkommen. Die USA hat es den vom Krieg geschwächten französischen, englischen imperialistischen Mächten diktiert, die keine andere Wahl hatten als zu gehorchen. Doch die USA sind heute selber durch die Krise geschwächt und es ist nicht gesagt, dass sie auf gleiche Weise ihren Willen durchsetzen könnten.

35. Die Spekulationsbewegung, die den Dollar derzeit stärkt, bedeutet nicht eine Rückkehr des Vertrauens in die amerikanische Devise, sondern ein verstärktes Misstrauen gegenüber dem Euro. So wie im Reich der Blinden der Einäugige König ist, flüchten sich die Kapitalien auf der Suche nach Anlagen in die amerikanischen Schatzanweisungen. Hinzu kommen die Interventionen der Zentralbanken, die ihre Reserven in Form von amerikanischen Schatzanweisungen angelegt haben. China hat beispielsweise seine Dollarrücklagen um 100 Milliarden Dollar erhöht. Jede Entwertung des Dollars jedoch bedeutet für sie, dass ein Teil ihrer Reserven sich in Luft auflöst. Aber die beiden Länder sind durch dieselben Ketten aneinander geschmiedet. Dies ist ein Grund, warum die Kommentatoren, die in den Ländern mit so genannten sich rasch entwickelnden Volkswirtschaften - China, Indien oder Brasilien - Zufluchtsorte des Wachstums sehen, von denen die Weltwirtschaft wieder aufleben könnte, völlig dämlich sind. Ein Zusammenbrechen des Dollars, eine plötzliche Schließung des amerikanischen Marktes für chinesische Produkte oder ein Rückzug der amerikanischen oder japanischen Kapitalien, würden, getrennt oder gleichzeitig stattfindend, das chinesische Wachstum ruinieren.

36. Nach dem Krach von 1929 war der Rückzug der amerikanischen Kapitalien der entscheidende Transmissionsriemen, über den die Krise nach Deutschland übertragen wurde. Dieselbe Geschichte droht sich für die Wirtschaft der osteuropäischen Länder zu wiederholen, deren Bankensystem ebenso wie deren Großhandel und Industriesektor vollständig durch große westliche, vor allem europäische Gesellschaften beherrscht sind. Ungarn und die Ukraine sind bereits am Rande des Konkurses, gerettet durch Finanzspritzen des IWF.

Die Anlagenfonds und vor allem die auf riskanteste Spekulationen spezialisierten Fonds, die unerwünscht von der Spekulation erfasst wurden und ein großes Bedürfnis an Liquidität haben, die sie von den Banken nicht erhalten, ziehen bereits massenweise ihre Kapitalien zurück. Die Automobilindustrie war eine der wenigen Industriezweige, die sich nicht damit begnügt hat, zum Freundschaftspreis Fabriken aus der Zeit der « Volksrepubliken » aufzukaufen, sondern die in Tschechien, in der Slowakei, in Ungarn oder Slowenien neue Werke gebaut hat. Die Krise dieser Industrie und der Rückzug ihrer Kapitalien und ihrer Fertigung würde in diesen halbentwickelten Ländern noch dramatischere Folgen haben als im Westen.

Der vorhersehbare Rückgang der Nachfrage seitens der Industrie, verstärkt durch die Industrie, führt zu einem unsteten Preis der Rohstoffe. Nachdem der Rohölpreis zunächst Rekorde erreicht hat, ist er innerhalb weniger Wochen um zwei Drittel eingebrochen. Die mittellosen Klassen der armen Ländern, die mit der Lebensmittelkrise die Spekulation auf steigende Kurse bezahlt haben, werden die Spekulation auf sinkende Kruse ebenfalls bezahlen, wenn ihr Staat versuchen wird, auf ihrem Rücken den Gewinnausfall ihrer Einnahmen aus Kaffee, Reis oder Mineralrohstoffen auszugleichen.

37. Die Krise übersteigt bereits weit die Bereiche Immobilien und Finanz. Die Automobilindustrie ist angegriffen. Der Rückgang der Automobilproduktion wirkt sich auf die sehr zahlreichen Zulieferer und auf die gesamte Kette der Lieferanten aus. Bis zur Stahlindustrie, deren wichtigste Kunden die Autoindustrie und der Bausektor sind und die bereits den drastischen Rückgang ihrer Produktion und die Schließung von Fabriken plant. In Anbetracht der wirtschaftlichen Rolle der Autoindustrie, mit ihrer Gesamtheit an Zulieferern und Lieferanten, wird diese Entwicklung einen schnellen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge haben. Kurzarbeitstage werden zu der wachsenden Arbeitslosigkeit hinzukommen und so noch mehr die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung schmälern und die Krise noch verschärfen.

38. Die Interventionen der Staaten gehen nicht in die Richtung einer « Moralisierung » der Finanzmärkte - was zum Teufel soll auch eine "Moralisierung der Finanz" bedeuten? - sondern exakt in die gegenteilige Richtung. Die zur Rettung der Einsätze der Finanzleute und zu ihrer Unterstützung bei der Rekapitalisierung freigegebenen Kreditlinien sind nicht nur eine Absolution für die vergangenen Spekulationen, sondern auch eine Ermunterung für zukünftige Spekulationen.

In dieselbe Richtung wirkt die Senkung der Leitzinsen der Zentralbanken unter dem Vorwand, die Banken zur Vergabe von Krediten an die Unternehmen zu ermuntern. Derzeit führt die Einfachheit, mit der die Banken bei den Zentralbanken Kredite erhalten, nicht dazu, den Produktionsbetrieben Kredite zu gewähren, sondern eher dazu, ihre schlecht dastehenden Konkurrenten zu belauern, um die "Gelegenheiten" zu ergreifen, das heißt um sie billig aufzukaufen.

39. Die kopflos gewordenen politischen Führungen der kapitalistischen Welt versprechen eine Reform des Weltfinanzsystems. Aber abgesehen von der Tatsache, dass jede große imperialistische Macht, die auch nur ein wenig in dieser Frage mitzureden hat, diese Reform von ihrer Warte aus betrachtet, von der ihres eigenen Bürgertums - was können sie denn bitte reformieren? Das einzige, was sicher ist, sind zunehmende Interventionen des Staates. Sie sind sofort erfolgt. Vom ersten Tag der Finanzkrise an haben die Zentralbanken den Kredithahn aufgedreht. Sie haben sich auf die Notwendigkeit berufen, die Vertrauenskrise zwischen den Banken zu überwinden, um ihnen Kreditlinien einzuräumen, die ihnen wiederum die Vergabe von Krediten an die Unternehmen ermöglichen sollten. Aber, ein beredtes vom Wall Street Journal berichtetes Beispiel: Die Bank Goldman Sachs beispielsweise, die 10 Milliarden Dollar erhalten hat, hat die Mittel gefunden, um ihrer eigenen Unternehmensführung 11,8 Milliarden Dollar auszuschütten!

In Anbetracht der Tendenz der Banken, den Kredit für ihre eigenen Zwecke zu missbrachen, statt ihn irgendwie oder nur in geringem Maß an die Industrie weiterzugeben, ist es nicht unmöglich, dass die Staaten zu irgendwelchen Formen der Verstaatlichung und der Schaffung eines Art öffentlichen Bankendienstes gedrängt werden, um denen von der Krise am meisten beschädigten Kapitalisten zu helfen. Zu diesem Weg war man in Frankreich im Interesse der Bourgeoisie auch nach dem Krieg gezwungen zu gehen, wo alle Einlagebanken verstaatlicht wurden.

40. Nach den Banken sind nun die großen Automobilkonzerne an der Reihe, ihre Bettelschale hinzuhalten. Von den USA bis zu den europäischen Staaten ist immer mehr von "ehrgeizigen Programmen" zur Wiederankurbelung der Industrie die Rede. Eine andere Form von staatlicher Intervention könnte die Inangriffnahme von Bauarbeiten der öffentlichen Hand sein. Der Staat hat nie aufgehört, mit öffentlichen Geldern zu den kapitalistischen Profiten beizutragen. Aber in Krisenzeiten - wie in Kriegszeiten - nehmen die Staaten noch mehr als in normalen Zeiten direkt von der Bevölkerung, um den kapitalistischen Profit zu finanzieren.

41. Seit ihren Anfängen hat die schleichende Krise der kapitalistischen Wirtschaft zu einer Verschärfung des Klassenkampfes geführt. Aber er wurde die ganze Zeit lang nur einseitig geführt. Es war das Bürgertum, das die Initiative hatte. Das Bürgertum hat es geschafft, die Arbeiterklasse die Krise bezahlen zu lassen, indem es sich insbesondere auf eine der Folgen der Krise gestützt hat, auf die massive Arbeitslosigkeit und die Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Es konnte dabei auf alle Parteien zählen, um die Politik durchzusetzen, die es wollte, inklusive der Parteien, die durch ihre Vergangenheit eine Verbindung mit der Arbeiterklasse hatten.

Diese dreißigjährige Ära ist eine lange Zeit der Rezession, sowohl für die Bedingungen der Arbeiter wie allgemeiner für die Gesellschaft. Man darf nicht vergessen, dass die Unternehmen nicht nur durch die ständige Senkung der Lohnsumme und die brutale Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ihre Profite erhöhten und die Kapitalistenklasse die globale Masse des Mehrwerts erhielt, um den sie sich mittels der Finanzgeschäfte stritten. Die Aufblähung der Finanz hat sich auch von der Verringerung der Sozialsysteme genährt, und indem sie kolossale Summen aus allen Bereichen abgezogen hat, die der Gesamtheit der Gesellschaft nutzen, inklusive der am meisten Benachteiligten. Immer größere Summen wurden dem entnommen, was eigentlich den Krankenhäusern, den Schulen, der öffentlichen Infrastruktur hätte zukommen sollen und dienten dazu, die Zinsen der öffentlichen Schuld zu bezahlen, das heißt die Finanzsphäre zu ernähren.

Es sei nur daran erinnert, dass in den USA, dem mächtigsten und reichsten kapitalistischen Land, rund 40 Millionen Menschen in einer erschreckenden Armut leben; und dass dieses Land, das bereit ist, die fantastische Summe von 150 Milliarden Dollar auszugeben, um nur die Versicherung AIG zu retten, nicht in der Lage ist, ein Gesundheitssystem auf die Beine zu stellen, dass es den 40 Millionen Armen ermöglicht, vernünftig behandelt zu werden. Sich die Frage zu stellen: Wer wird die Krise des Kapitalismus bezahlen, ist eine falsche Frage. Die arbeitende Bevölkerung hat sie bereits bezahlt, und zwar reichlich.

42. Sie haben jedoch nicht aufgehört zu zahlen. Die Verschärfung der Krise kann nur den Krieg noch verschärfen, den das Bürgertum führt. Das Maß der Verstaatlichung, dem es sich hingeben wird, je nach der besonderen Situation des Landes und vor allem in Abhängigkeit der Schwere der Krise, wird daran nichts ändern. Die Staaten werden nicht eingreifen, um das Los der arbeitenden Klassen zu erleichtern, sondern um dem Bürgertum zu ermöglichen, so gut wie möglich aus der Krise heraus zu kommen.

43. Die ohnmächtigen Taschenspieler des IWF, der WTO, der Zentralbanken können noch so viel in den Taschen der Vergangenheit herumkramen, um die richtige Regulierung oder die richtige Kontrolle zu finden, die solche Krisen verhindern würde ; die « Gipfel » der G4, G8 oder G20 können sich noch so oft versammeln, sie werden kein gutes System finden, dass in der Lage ist, die kapitalistische Wirtschaft zu regulieren.

Davon zeugt auch die Tatsache, dass alle sozialdemokratischen Parteien an der Spitze einer Regierung, von einer KP flankiert oder nicht, die gleiche Politik gemacht haben, indem sie die öffentlichen Dienste privatisiert, den Finanzsektor durch eine wachsende Staatsverschuldung gefördert haben usw.

Immer zahlreicher werden die Stimmen, die ankündigen, dass die Marktwirtschaft nur mit einer gewissen Dosis Kontrolle und Regulierung perfekt ist und die an die 1950er und 1960er Jahre erinnern. Aber sie schaffen nicht zu erklären, wie es kommt, dass eben während dieser regulierten Epoche die kapitalistische Wirtschaft mit der Krise schwanger ging, die Anfang der 1970er Jahre ausbrach. Ebenso wenig wie sie erklären können, wie und warum dieses System, dass nachträglich in so idyllischen Farben gemalt wird, zum allgemeinen « Laissez-faire » und zügellosen Liberalismus geführt hat, die es heute Mode sind zu verurteilen, nachdem man sie gestern noch beweihräuchert hat.

Es ist absolut lächerlich, hierzu den Einfluss des einen oder anderen Anhängers des Liberalismus oder der « ultraliberalen Politik » eines Reagan oder einer Thatcher anzuführen. Dass die Wahl eines Billigfilm-Schauspielers zum Präsidenten der USA die Entwicklung des Kapitalismus der letzten Jahre derart geprägt hat, ist ein Zeichen dafür, dass diese Entwicklung schon in der Luft liegen musste, das heißt dass sie den Wünschen und dem Willen der kapitalistischen Klasse entsprach, für die die politischen Würdenträger ausschließlich als Diener fungieren, und ebenso der Entwicklungslogik des Kapitalismus selber.

44. Die Arbeiterklasse ist derzeit nicht auf die Verschärfung des Krieges vorbereitet, den das Bürgertum führen wird. Die Parteien, die behaupten, ihre Interessen zu vertreten - sie behaupten es übrigens immer weniger - haben sie seit langem verraten. Bei den Gewerkschaftsverbänden sieht es nicht besser aus. Und die Verschärfung der Krise selber, der brutale Anstieg der Arbeitslosigkeit auf den man sich einstellen muss, werden in einer ersten Zeit sicher nicht den Kampfgeist stärken. Aber die erhaltenen Schläge lassen auch den Kampfgeist und das Bewusstsein reifen. Das eine wie das andere kann sich plötzlich ändern. Man erinnere sich daran, dass die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre zunächst die arbeitenden Klassen überraschte und verwirrte, dann jedoch zu Kämpfen großen Formats führte.

45. Die Reaktion der Arbeiterklasse kam nicht sofort. Die Entlassungen, der brutale Anstieg der Arbeitslosigkeit, die Fabrikschließungen, die Angriffe jeder Art überraschten und entmutigten zunächst die Arbeiter.

Es benötigte mehrere Jahre, bis die Gegenoffensive der Arbeiter kam. Aber sie kam und sie war massiv. Mitte der 30er Jahre erschütterte sie so unterschiedliche Länder wie die USA, Spanien oder Frankreich. Auch in anderen Ländern gab es Streikwellen.

Für Deutschland kam die Reaktion zu spät. Mit Hilfe des Hitlerregimes schaffte es das Bürgertum, die Arbeiterklasse dieses Landes zu brechen. Aber dass der Nationalsozialismus an die Macht gelangte und so die faschistische Gefahr deutlich werden ließ, trug entscheidend zum Aufschwung der Arbeiterbewegung in Frankreich und Spanien bei.

46. Auf die Erfahrung dieser Jahre massiver Arbeiterkämpfe gestützt schrieb Trotzki das Übergangsprogramm, das den gerade entstehenden Organisationen der Vierten Internationale dienen sollte.

In dem Moment als das Programm veröffentlicht wurde, 1938, war die Welle der Arbeiterkämpfe bereits dabei zurückzufluten, geschlagen, auf falsche Wege umgelenkt oder verraten. Während der Zweite Weltkrieg bereits im Gange war, schrieb Trotzki es dennoch, in der Hoffnung, dass der Krieg wie der vorherige Krieg zu Arbeiterrevolten führen würde.

Das Programm war ein Werkzeug für eine revolutionäre Organisation, die sich an eine bereits kämpfende Arbeiterklasse wenden wollte, indem sie ihr eine Reihe von Kampfzielen vorschlägt, die dazu geeignet sind, sie dazu zu bringen, konkret die Herrschaft des Bürgertums über die Fabriken und die Banken in Frage zu stellen. Ein Programm, das darauf abzielt, vorrevolutionäre in revolutionäre Situationen umzuwandeln.

47. Die Geschichte der heutigen Krise ist noch nicht geschrieben und niemand kann voraussagen, wie, wo und wann sich die Ausbrüche der Arbeiter angesichts der unausweichlichen und verschärften Offensive des Bürgertums ereignen werden. Auch kann niemand mit Sicherheit sagen, dass sich ausreichend große, tiefgehende und dauerhafte Kämpfe ereignen werden, um die Bourgeoisien und ihre Staaten zu erschüttern.

Aber die Daseinsberechtigung einer revolutionären Organisation besteht darin, sich eben auf diese Zeiten vorzubereiten, die einzigen Zeiten, in denen der Klassenkampf die Geschichte umwälzen kann. Für eine solche Zeit ist das Übergangsprogramm geschrieben worden. In einer solchen Zeit, falls sie sich ereignet, wird es seine Bedeutsamkeit erlangen.

48. Die Entwicklung der Krise macht Teilziele des Übergangsprogramms wieder absolut aktuell: die gleitende Lohnskala, um die Kaufkraft zu erhalten; die Aufteilung der Arbeit unter allen ohne Senkung der Löhne, um sich vor der steigenden Arbeitslosigkeit zu schützen.

Aber die Vergangenheit hat gezeigt, wie das Bürgertum oder seine Diener der politischen Linken es geschafft haben, diese beiden Forderungen zu verfälschen, indem sie sie von revolutionären Zielen eines handelnden Proletariats in Kochrezepte verwandelt haben, um das Proletariat im Gegenteil zu demobilisieren. Italien hat lange Zeit ein System der Koppelung der Löhne an die Preise gehabt. In gewisser Weise Frankreich auch, mit dem Mindestlohn. Was die Aufteilung der Arbeit unter allen betrifft, so wurde die Idee wirklich pervertiert, um ein Argument der Sozialistischen Partei zur Zeit der "Aubry-Gesetze" (35-Stunden-Wochen-Gesetz - Anmerkung des Übersetzers) zu werden, wo die Senkung der Arbeitszeit angeblich neue Arbeitsplätze schaffen sollte.

Außerdem behalten die wesentlichen Forderungen des Übergangsprogramms nur ihre revolutionäre Bedeutung, wenn sie mit dem Ziel der Kontrolle der Arbeiter und der Bevölkerung über die Banken und die Betriebe verknüpft werden. Das Bankgeheimnis und allgemeiner das Geschäftsgeheimnis sind für die Kapitalisten absolut notwendig, um ihre Plünderung der gesellschaftlichen Güter fortführen zu können. Die Aufhebung dieser Geheimnisse ist daher Teil der vordringlichsten Ziele, denn sie ist bereits ein erster Schritt in Richtung einer Arbeiterkontrolle der Industrie.

Die Ziele hängen auch mit ihren Mitteln zusammen, mit der Arbeiterdemokratie in den Kämpfen, mit der Schaffung von Streik- und Fabrikkomitees, die geeignet sind, zu anerkannten Generalstäben aller Arbeiter zu werden, auch der ausgebeutetsten, die sich in normalen Zeiten abseits der Gewerkschaften wie der Politik halten.

49. Die Bankenkrise lenkt die Aufmerksamkeit der Arbeiteröffentlichkeit nicht nur auf die Notwendigkeit einer Kontrolle, sondern auch auf die Frage, wer kontrolliert. Die Feststellung ist selbstverständlich, dass die Kontrolle der Banken untereinander wie auch die Kontrolle des Staates nur eine Kontrolle aus der Sicht der besitzenden Klasse ist, die zur Katastrophe führt. Man muss den großen Finanzleuten die Kontrolle über die Banken entreißen. Man muss nicht nur alle Banken verstaatlichen, und zwar ohne Ablöse verstaatlichen, sondern sie auch vereinigen und diese einheitliche Staatsbank unter die Kontrolle der Arbeitenden und der Bevölkerung stellen, damit sie im Interesse der Gesellschaft betrieben wird.

50. Diese Ziele sind nicht nur keine Zauberrezepte, sondern sie finden ihre wahre Bedeutung erst in dem Moment, wenn die ausgebeuteten Massen sie ergreifen. Es liegt natürlich nicht in der Macht einer kleinen Organisation, die Reaktion der arbeitenden Massen hervorzurufen. Aber in den Zeiten wo die Arbeiterklasse handelt, und zwar wirklich handelt, können kleine revolutionäre Gruppen wachsen und, wenn sie auf der Höhe sind, eine Rolle in den Ereignissen spielen.

Was in den 1930er Jahren passiert ist zeigt, dass nicht die Arbeiterklasse angesichts der Notwendigkeiten der Epoche versagt hat. Wenn die Arbeiterrevolten, von den USA über Frankreich bis nach Spanien es nicht geschafft haben, das Bürgertum daran zu hindern, seine Lösungen der Krise durchzusetzen - der New Deal in den USA, der Faschismus in Deutschland und die Staatswirtschaft in Frankreich und schließlich der Weltkrieg -, dann wegen der Politik, die die Organisationen betrieben haben, denen die Arbeiterklasse damals vertraute.

51. Trotz ihrer Kosten für die Gesellschaft wird die kapitalistische Wirtschaftsorganisation nicht von alleine verschwinden. Sie wird nur verschwinden, wenn eine soziale Kraft es schafft, sie verschwinden zu lassen.

Wir behalten die Überzeugung, dass das Proletariat die einzige Klasse ist, die diese soziale Umwälzung durchführen kann. Die Aktualität der Krise und die riesige Verschwendung menschlicher Arbeit, die sie enthüllt, unterstreichen die Notwendigkeit einer solchen Umwälzung. Wir wissen heute nicht mehr als vor 20 oder vor 50 Jahren, über welchen Weg, über welche verschlungenen Pfade, durch welche kollektiven Erfahrungen das Proletariat das Bewusstsein seiner historischen Aufgabe erlangt und sich das Ziel des revolutionären Umsturzes der bürgerlichen Herrschaft, der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der an den Bedürfnissen ausgerichteten Neuorganisierung der Produktion unter der demokratischen Kontrolle der Gemeinschaft setzt.

Was wir wissen ist, dass es für diese Bewusstseinsbildung eine revolutionäre Arbeiterpartei braucht. "Die Bedeutung des Programms, das ist der Sinn der Partei", sagte Trotzki. Die revolutionäre Arbeiterpartei hat die Aufgabe, diese revolutionären Ziele unter allen Umständen zu verteidigen. Sie muss vor allem in dem Moment, in dem das Proletariat aktiv wird, durch ihren Zusammenhalt, durch ihr gemeinschaftliches Verständnis der Ereignisse in der Lage sein, es zu ihrer Umsetzung zu führen.

Hierzu unter der Maßgabe unserer Kräfte beizutragen, ist unsere fundamentale Daseinsberechtigung.

13. November 2008