Die internationale Lage (Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2008 angenommen)

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Die internationale Lage
Dezember 2008

1. Das wichtige Ereignis des Jahres 2008 ist die kapitalistische Wirtschaftskrise. Von einer Immobilienkrise in den USA hat sie sich zu einer internationalen Finanzkrise entwickelt und ist dabei, zur Wirtschaftskrise zu werden. Wie sie sich in den kommenden Monaten entwickeln wird, wird nicht nur von entscheidender Bedeutung für die Klassenlage in jedem einzelnen Land sein, sondern auch für die internationalen Beziehungen.

2. Sollte sich die Wirtschaftskrise verschlimmern, werden sich auch die Beziehungen zwischen den imperialistischen Mächten verhärten. Eine härtere wirtschaftliche Konkurrenz wird unvermeidlich Konsequenzen auf politischer Ebene haben. Sie wird die Maske der guten Beziehungen, die vorgegebenermaßen zwischen den Großmächten bestehen und sich in ständigen internationalen Organisationen oder regelmäßig stattfindenden Treffen der Staatschefs der dominierenden Länder äußern, herunterreißen. Das war sowieso nur Schein. Die internationalen Beziehungen wurden in letzter Instanz immer vom den Gesetz des Dschungels bestimmt, bei dem nur zählt, wer der stärkere ist. Die Gremien der so genannten internationalen Zusammenarbeit - von der WTO bis zum IWF - sind selbst Arenen, in denen die Interessen der kapitalistischen Länder, und hauptsächlich der imperialistischen Länder, d.h. die Interessen ihrer Konzerne offen oder verdeckt aufeinanderprallen. Im Verlauf der Krise werden diese Konfrontationen immer offener werden.

3. Die Krise wird unvermeidlich die Lage der unterentwickelten Länder verschlimmern, und insbesondere die der ärmsten unter ihnen. Damit hat sie schon begonnen: die Hungerrevolten im Frühjahr 2008 waren die erste Äußerung der Unruhe der durch die ersten Folgen der Krise in den Hunger getriebenen Massen. Die Krise wird, indem sie die Massen der armen Länder in die Verzweiflung treibt, neue Spannungsherde entzünden.

Das alles wird dazu beitragen, diese "neue internationale Ordnung", die uns die Führer der imperialistischen Welt und ihre Sprachrohre nach dem Fall der Berliner Mauer besungen haben, die aber niemals eine dauerhafte Ordnung war, weiter zu destabilisieren.

4. Wir haben im Bericht über die internationale Lage von 2007 bereits gesagt, dass "die 'Globalisierung' bzw. die 'Globalisierung' der Wirtschaft, die Öffnung der Grenzen für die Zirkulation des Kapitals und in großem Maße der Waren, die zunehmende Verflechtung der Volkswirtschaften nicht zu einer stabileren Weltordnung geführt haben." Das Verschwinden der UdSSR und das Ende der Teilung der Welt in zwei Blöcke haben die Spannungsherde, die zahlreichen offenen oder latenten Konflikte, den Rüstungswettlauf, nicht aus der Welt geschafft. Nicht einmal der kalte Krieg wurde dadurch wirklich beendet. "Ein greifbares Zeichen für diese Situation, schrieben wir letztes Jahr, sind die Militärausgaben, die, nachdem sie in den Jahren des Zerfalls der ehemaligen Sowjetunion zurückgegangen waren und 1996 ihren Tiefpunkt erreicht hatten, wieder angestiegen sind und 2005 wieder das Niveau wieder erreicht haben, das sie bei Ende des kalten Krieges hatten. (...) Der amerikanische Verteidigungshaushalt ist zwischen 1996 und 2005 von 318 auf 478 Milliarden Dollar gestiegen, d.h. ein Zuwachs von 50% in neun Jahren". 2008 hat der amerikanische Senat einen Haushalt von 648 Milliarden Dollar für die Militärausgaben der USA beschlossen.

5. Dieser Rüstungswettlauf wird mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet. Das ist nur ein grober Vorwand. Wie könnten ballistische Raketen oder hochtechnische Waffen zur Ausmerzung von al-Kaida beitragen oder dazu, das Versteck von Ben Laden oder von Mullah Omar zu finden?

Aber der Militarismus ist ein grundlegendes Element des Imperialismus, wegen der Rolle, die die Rüstungsaufträge für die außer Atem geratene kapitalistische Wirtschaft haben, und weil die imperialistischen Mächte über militärische Mittel verfügen wollen, um ihren Rang im internationalen Gefüge zu behaupten.

6. Der Ausgang der amerikanischen Wahlen ist in dieser Hinsicht eine völlig zweitrangige Nebenerscheinung. Die Schnelligkeit, mit der die zwei Kandidaten sich hinter den von der Bush-Regierung ausgearbeiteten Rettungsplan für die Finanzleute gestellt haben, der die Bevölkerung sehr teuer zu stehen kommen wird, wobei der Demokrat Obama seinen Rivalen sogar übertroffen hat, zeigt, dass sie für die von der amerikanischen Großbourgeoisie gewünschte Politik auswechselbar sind. Was die Außenpolitik gegenüber Russland, den Krieg im Irak oder in Afghanistan, oder den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern betrifft, unterscheiden sich auch ihre politischen Stellungnahmen nur im Detail, und auch das nicht immer.

7. Die Intervention der russischen Armee in Georgien, in der gewisse Kommentatoren eine Rückkehr zum kalten Krieg gesehen haben, ist eher eine Konsequenz als eine Ursache für die Verhärtung der amerikanisch-russischen Beziehungen (auch wenn sie wiederum zu ihrer Verhärtung beiträgt).

Trotz des Zusammenbruchs der UdSSR und ihres Zusammenschrumpfens auf Russland allein, hat sich die Politik der USA ihr gegenüber kaum verändert. Während sie versuchen, Russland in verschiedener Weise an der Erhaltung der internationalen Ordnung zu beteiligen - was an sich eigentlich nichts neues ist, da Stalin seinerzeit diese Rolle mit weit mehr Mitteln und Möglichkeiten wahrgenommen hat, als Putin - ist Russland in den Augen der USA weiterhin eine potenzielle Gefahr. Und sie führen weiterhin eine Politik der - diplomatischen und militärischen - Isolierung Russlands.

Nicht nur wurde die NATO, eine militärische Allianz, die zum Zeitpunkt ihrer Gründung eindeutig gegen die UdSSR gerichtet war, nach ihrem Verschwinden nicht aufgelöst, sondern haben die USA in den ehemaligen Volksdemokratien eine aktive Politik für ihren Beitritt zur NATO geführt. Infolge dieser Politik wurden 1999 die Tschechei, Polen und Ungarn in das Atlantikbündnis integriert, gefolgt 2004 von Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Slowenien, und im selben Jahr der drei ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Litauen und Lettland. Den Platz des früheren Warschauer Paktes hat in Mittel- und Osteuropa die NATO eingenommen. Das strategische Bollwerk, das sich die UdSSR nach Ende des Zweiten Weltkriegs zugelegt hatte, ist ein Militärvorposten der USA für die Einkreisung Russlands geworden.

Im Rahmen der Ausweitung des Raketenabwehrsystems der USA auf Europa hat Polen akzeptiert, dass im Norden ihres Hoheitsgebiets, ein paar Schritte von der russischen Enklave Kaliningrad entfernt, Raketenabwehrgeschütze aufgestellt werden. Die tschechische Republik ist ihrerseits dabei, die Aufstellung von Radargeräten die zu diesem System gehören, auf ihrem Boden zu akzeptieren, und das trotz des Widerstands der Bevölkerung und den Vorbehalten des Parlaments. Als Vorwand wird die Sicherheit der USA und Europas gegen eine iranische Raketenbedrohung vorgeschoben, was die Provokation nur noch verstärkt, da diese Anlagen direkt auf die großen russischen Städte gerichtet sind. Darüber hinaus beherbergen die zwei Ex-Volksdemokratien - Rumänien und Bulgarien - heute amerikanische Militärstützpunkte.

8. Die USA haben mit dieser Politik mehreren aus dem Zusammenbruch der UdSSR hervorgegangen Ländern gegenüber eine neue Stufe der Eskalation erreicht.

Seit mehreren Jahren greifen sie direkt oder über verschiedene offiziöse Organisation in diesen Ländern ein, um "im Namen der Demokratie" politische Formationen und Politiker, die der USA verbunden sind, an die Regierung zu bringen. Zwar sind die "Rosenrevolution" in Georgien, die "Orange Revolution" in der Ukraine, die er "Tulpenrevolution" in Kirgisien mit der mehr oder weniger massiven Unterstützung der Bevölkerung dieser Länder erfolgt, doch wurden sie in die Richtung gelenkt, ein dem Westen verbundenes Team an die Regierung zu bringen. Diese mehr oder weniger diskreten politischen Eingriffe wurden durch das Angebot des NATO-Beitritts, das einigen dieser Länder gemacht wurde, ergänzt.

In der Zwischenzeit wurden bereits amerikanische Stützpunkte in Georgien, in Usbekistan und in Kirgisien errichtet.

Die 1996 gegründete und von den USA finanzierte GUAM-Allianz, zu der Georgien, die Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien gehören, ist eine echte gemeinsame antirussische Front.

9. Die Machthaber im Kreml hatten zur Zeit Gorbatschows, d.h. noch vor dem Auseinanderbrechen der UdSSR die Ablösung der Volksdemokratien akzeptiert, die die zukünftige Integration dieser Länder in die Europäische Union einerseits, in die NATO andererseits bedeutete. Sie haben jedoch nie ihr Bestreben aufgegeben, ihren Einflussbereich im "nahen Ausland", d.h. den aus der Auflösung der UdSSR entstandenen Staaten, aufrechtzuerhalten.

Aber in der Amtszeit Jeltsins, in der sich der russische Staat weiter zersetzte, war Russland nicht in der Lage, seinen Einfluss zu behalten. Russland hatte bereits große Schwierigkeiten, den Baronien der lokalen Bürokratie gegenüber den Zusammenhalt ihres Hoheitsgebiets aufrecht zu erhalten.

10. Das zumindest augenblickliche Ende dieses Verfalls mit der Konsolidierung der Macht Putins, die vor allem durch die steigenden Öl- und Gaspreise begünstigt wurde, deren Kontrolle die Zentralregierung wieder an sich genommen hat, hat dem russischen Staat einen gewissen Handlungsspielraum verliehen, oder ermöglicht es ihm zumindest eine Markierungslinie zu ziehen, die nicht überschritten werden sollte.

Die Entscheidung des georgischen Präsidenten Saakaschwili über den Armeeeinsatz zur Wiederherstellung der Herrschaft seiner Regierung über die autonome Region Südossetien, die seit 1992 de facto unabhängig ist, bot dem Gespann Putin-Medwedew Gelegenheit, diese Markierungslinie zu ziehen. Haben die Ermunterungen der USA, oder zumindest die ihrer Geheimdienste und der amerikanischen Berater, die an der Kaderbildung für die georgische Armee beteiligt sind, den georgischen Präsidenten zur Aktion getrieben? Oder wähnte er sich in der Lage, ihnen seinen Willen aufzuzwingen? Wie auch immer, die Intervention der georgischen Armee in Südossetien und die Antwort der russischen Armee und ihre Intervention in Georgien haben die bis dahin gedämpfte Konfrontation zwischen Russland und den USA in der Region öffentlich gemacht.

11. Dieser Krieg wurde auf beiden Seiten im Namen von "Grundsätzen" geführt, und zwar auf Seiten der USA im Namen der "Verteidigung des demokratischen Georgiens" und seiner territorialen Integrität gegen eine fremde Macht und auf Seiten Russlands im Namen der "Verteidigung" des ossetischen Volkes und des benachbarten Volks der Abchasier, die sich ebenfalls gegen die georgische Zentralregierung auflehnen. Gleich nachdem Russland den Blitzkrieg seiner Truppen gegen Georgien gewonnen hatte, hat es die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens anerkannt und damit die Proteste aller Westmächte geerntet.

Heuchelei auf beiden Seiten, denn mit der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens hat Moskau vor allem die lokalen Machthaber anerkannt, die mehr oder weniger ausgeprägte Verbindungen zur russischen Maffia haben. Und die russischen Machthaber zeigen im benachbarten Tschetschenien auf blutige Art, wie sehr ihnen die Völkerrechte am Herzen liegen. Die Vorwürfe der Westmächte gegen Russland, mit der einseitigen Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens die territoriale Integrität Georgiens verletzt zu haben, sind hingegen fehl am Platze, da sie selbst die Unabhängigkeit des Kosovos anerkannt haben, und dabei die territoriale Integrität Serbiens mit Füßen treten.

Heuchelei vor allem, weil der amerikanische Imperialismus wie die russische Bürokratie sich der eine wie die andere einen Dreck um das Schicksal und die Rechte der Völker kehren.

12. Der Kaukasus war wie Zentralasien lange Zeit ein Konfliktgebiet, in dem zur Zarenzeit, noch vor dem Ersten Weltkrieg der Expansionsdrang Russlands und der britische Imperialismus aufeinander prallten. An Stelle des britischen Imperialismus stehen heute die USA. Zu den geopolitischen Gründen kommen wirtschaftliche Gründe. Die an das Kaspische Meer grenzenden Länder und insbesondere Aserbaidschan und Kasachstan besitzen mit die größten Öl- und Gasvorkommen der Welt. Durch Georgien führt die Pipeline, die das aserbaidschanische Öl, Russland umgehend, von Baku bis zu einem türkischen Hafen bringt. Die wirtschaftlichen und politischen Interessen laufen zusammen, um aus der gesamten Region eine Spannungszone zwischen Russland und den USA zu machen.

13. Die Völker der Region zahlen bereits den Preis für das Tauziehen zwischen den Großmächten. Der Krieg war zwar kurz, nichtsdestotrotz hat er Tote gefordert und Flüchtlinge. Die "ethnische Säuberung" hat die Georgier aus den ossetischen Regionen vertrieben und die Osseten aus Georgien. In dieser Region mit einer mehr oder weniger konfliktreichen Vergangenheit, in der eine große Anzahl Völker nebeneinander leben, bzw. sich miteinander vermischen, gießen die Manöver der zwei sich gegenüberstehenden Mächte Öl aufs Feuer und fordern eine ähnliche Situation wie im Balkan heraus, deren Ausmaß aber wahrscheinlich größer wäre.

14. Die Beziehungen zwischen den USA und China - ein weiteres wichtiges Element der internationalen Beziehungen - werden die Folgen der Finanzkrise zu spüren bekommen und spüren sie schon. Seit mehreren Jahren beruht das internationale finanzielle Gleichgewicht weitestgehend auf den Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern. Die amerikanische Verschuldung wird zu einem Großteil von den Einlagen Chinas in das amerikanische Bankensystem und dem Kauf von amerikanischen Staatsschuldscheinen ausgeglichen. Die Frage, wie sich China verhalten wird, nämlich ob sie diese Rücklagen in Form von Einlagen in amerikanische Staatsschuldscheine - in Höhe von 1.500 Milliarden Dollar - zu behalten beabsichtigt, oder im Gegenteil abzustoßen gedenkt, lastet schwer auf der Zukunft des Dollars und damit auf dem internationalen Währungssystem.

15. Mit ihrer Entscheidung, mehrere hundert Milliarden Dollar aufzuwenden, um den amerikanischen Banken ihre faulen Wertpapiere abzukaufen, wollte die amerikanische Regierung das Vertrauen in das Bankensystem wiederherstellen. Aber die Ausgaben der amerikanischen Zentralbank überschreiten ihre Möglichkeiten bei weitem, und die amerikanische Regierung ist, ohne deshalb im Geringsten sicher zu sein, das Vertrauen zwischen den Banken wiederherstellen zu können, das Risiko eingegangen, das Vertrauen in den Dollar selbst zu erschüttern. Diese Operation bedeutet in der Tat eine noch größere Verschuldung der USA, die, sollte der Staat die Notenpresse ankurbeln, zu einer Entwertung des Dollars führt.

Wenn ein Teil des Dollarwertes in Rauch aufgeht, bedeutet das ebenso große Abstriche der chinesischen Reserven. China hat jedoch kaum Möglichkeiten, sich gegen diese Abstriche zu wehren. Würde sich China dafür entscheiden, seine Rücklagen aus den USA abzuziehen, würde es die Abwertung des Dollars nur noch beschleunigen. Der chinesische Staat kann seine Einlagen nicht einmal einfach verteilen, da das britische Pfund auch nicht solider ist und der Schweizer Franke nicht das entsprechende Gewicht hat. Und was den Euro betrifft, der heute besser dasteht als der Dollar, wird er der Krise standhalten?

16. Die mit der Zeit angesammelten beträchtlichen Geldreserven Chinas stammen aus der übermäßigen Ausbeutung der Arbeiterklasse und dem Ruin der Bauern. Mit dem Schwund eines Teils des auf ihrem Rücken angesammelten Reichtums haben die ausgebeuteten Massen Chinas im Voraus für die Tumulte des Weltkapitalismus bezahlt, gegen die sie keine chinesische Mauer zu schützen vermag.

17. Für viele Kommentatoren, die die industrielle Wachstumskurve Chinas weiterzeichnen, ist dieses Land dabei, die amerikanische Weltmacht einzuholen und wird sie in einigen Jahren überholt haben. Sie vergessen dabei, dass es sich nicht um ein Wettrennen unter Gleichen handelt, sondern zwischen einem großen unterentwickelten Land und einem imperialistischen Land. Trotz der rapiden Zunahme des chinesischen Bruttoinlandprodukts - ein sehr vager Begriff, vor allem, wenn willkürliche Wechselkurse in seine Berechnung einfließen - bleibt dieses mit 3.150 Milliarden Dollar weit hinter den USA und ihren 13.780 Milliarden Dollar zurück. Beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist der Abstand noch beachtlicher (2.507 Dollar gegen 46.000 Dollar).

Soweit der quantitative Vergleich. Aber darüber hinaus sind die ertragreichsten Wirtschaftszweige in China Zulieferer für die großen Konzerne der imperialistischen Länder.

Die Beziehungen zwischen den imperialistischen und den unterentwickelten Ländern lassen sich damit zusammenfassen, dass der größte Teil der chinesischen Einlagen in den amerikanischen Banken nur Spargelder darstellt, während das von den USA (oder Japan, Großbritannien, Deutschland oder Frankreich) in China angelegte Geld sich in Kapital verwandelt, d.h. an der Ausbeutung der chinesischen Arbeiterklasse und Bauern teilnimmt.

Wenn man in Bezug auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und China von einer steigenden gegenseitigen Abhängigkeit sprechen kann, dann in dem Sinne, in dem Trotzki in den dreißiger Jahren von der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Großbritannien und China sprach: "Die Abhängigkeit Englands von Indien ist natürlich von der Abhängigkeit Indiens von England qualitativ verschieden. Dieser Unterschied wird aber im Wesentlichen von der Entwicklungsstufe ihrer Produktivkräfte und keineswegs vom Grad ihrer wirtschaftlichen Autarkie bestimmt."

18. Was die Europäische Union betrifft, so hat sie, die Wirtschaftskrise hat noch kaum begonnen, bereits die Grenzen ihrer Einheit gezeigt, und das trotz des Gehabes eines Sarkozy, der durch die Zufälle des Kalenders den europäischen Vorsitz innehat. Die Europäische Zentralbank und die einzelnen Staatsbanken haben ganz allein den Weg zur einer identischen Politik der Öffnung der Geldhähne zur Rettung von Geldinstituten, denen es an flüssigen Geldern mangelt, oder zum Kauf von Banken, um sie vor dem Konkurs zu bewahren, gefunden. Darin äußerte sich keine gemeinsame Politik, sondern ein gemeinsamer Klassenreflex. Die europäischen Regierungen waren hingegen nicht in der Lage, sich auf eine gemeinsam abgesprochene Politik gegen die Finanzkrise einzulassen (in der Art des Paulson-Plans in den USA). Die einzelnen Staaten der Europäischen Union, die die Mittel dazu haben, sind bereit, den Banken zur Hilfe zu eilen. Aber die Staaten, die diese Mittel haben, und insbesondere Deutschland, ziehen es vor, sie ihren eigenen Banken zukommen zu lassen, d.h. ihrer eigenen Bourgeoisie. Der "einheitliche" Kompromiss, der aus dem Treffen der vier reichsten Länder der Union in Paris hervorgegangen ist, bestand darin, gemeinsam zu entscheiden, dass... jeder sich selbst hilft.

Es läge im Interesse der europäischen Bourgeoisie, eine gemeinsame Politik zu haben, schon allein, um den USA standzuhalten, da diese alles tun werden, um die Krise, die von ihrem Bankensystem ausgegangen ist, auf die anderen Länder abzuwälzen. Doch nach einem halben Jahrhundert des "europäischen Aufbaus", gibt es keine europäische Bourgeoisie mit einem europäischen Staat, der ihren Interessen dient, sondern nur eine Vielzahl rivalisierender Bourgeoisien.

Es ist nicht einmal sicher, dass der Euro, der nur die gemeinsame Währung eines Teils der Europäischen Union ist, der Krise standhält. "Jeder hilft sich selbst", d.h. rettet seine eigenen Banken, hilft seiner eigenen Bourgeoisie, führt unvermeidlich nicht nur zur steigenden Ausgaben für jeden einzelnen Staat, sondern auch zu wachsenden Unterschieden zwischen diesen Ausgaben. Die europäischen Führungsspitzen beginnen im Übrigen von einer Lockerung der Maastricht-Kriterien zu sprechen. Allerdings wird kein Staat Lust haben, für einen Wertverlust des Euro zu bezahlen, für die ein anderer Staat verantwortlich ist. Für einige wird die Versuchung groß sein, sich aus der Eurozone zurückzuziehen, um wieder zu einer nationalen Währung zurückzukehren, die je nach den Interessen der nationalen Bourgeoisie einfacher zu kontrollieren ist.

19. Die Europäische Union ist ein wackeliges Gefüge zwischen einigen rivalisierenden imperialistischen Staaten und einigen halb entwickelten mitteleuropäischen Staaten, die in der Mehrzahl sind. Bei ihrem dringenden Treffen zur Finanzkrise haben die Regierenden Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens nicht einmal das Bedürfnis verspürt, zu verdecken, dass es ihnen zukommt, die Entscheidungen für Europa zu treffen, und sie haben sogar ihre Kollegen der imperialistischen Länder von geringerem Gewicht von diesen Gesprächen ferngehalten. Die Eingliederung der halb entwickelten Länder Mitteleuropas ist seit Anfang an eine Quelle für Spannungen. Diese Spannungen können sich nur verstärken, da der arme Teil Europas vom reichen Teil keine Geschenke zu erwarten hat. Darüber hinaus ist die aus 27 Ländern bestehende Gruppe, in der die wesentlichen Entscheidungen einstimmig zu treffen sind, praktisch unregierbar geworden. Zu den zentrifugalen Kräften, die auf die Europäische Union einwirken, kommt die Anziehungskraft der USA, die auf die meisten osteuropäischen Länder eine stärkere Wirkung hat, als Frankreich, Deutschland oder Großbritannien.

20. Wir werden hier nicht auf die zahlreichen Konflikte zurückkommen, die diese oder jene Region der Welt spalten, und auch nicht auf die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung der Großmächte an diesen Konflikten. Keiner dieser Konflikte wurde im Laufe des Jahres gelöst. Und ihre zukünftige Entwicklung hängt weit weniger von lokalen Faktoren ab, als von der Verschlimmerung der Wirtschaftskrise und ihren Folgen auf die Politik der imperialistischen Großmächte.

21. Im Irak und in Afghanistan sind die imperialistischen Mächte direkt beteiligt. In Irak wird der Krieg von der amerikanischen Armee geführt, unterstützt von einigen lokalen Helfershelfern und Hilfstruppen. In Afghanistan gehört Frankreich mit zur Militärkoalition, die das Land besetzt hält.

Obwohl der Krieg im Irak dieses Jahr weniger Opfer in der amerikanischen Besatzungsarmee gefordert hat, sind die USA weit davon entfernt, ihre Truppen abziehen zu können. Im Übrigen "wünscht" der eine der beiden Kandidaten für das Amt des amerikanischen Präsidenten - Obama - sich schnell aus dem Irak zurückziehen zu können, während der andere - McCain - dafür ist, die Truppen dort zu behalten. Aber was nützt der Wunsch von Obama, selbst wenn er gewählt wird? Denn die USA haben es noch immer nicht geschafft, einen zugleich zuverlässigen und den amerikanischen Interessen ergebenen irakischen Staatsapparat aufzustellen. Sie können aber nicht an Rückzug denken, solange sie nicht von einheimischen Repressionskräften, die in der Lage sind, die Ordnung aufrecht zu erhalten und zu vermeiden, dass das irakische Chaos auf die Nachbarländer übergreift, abgelöst werden.

22. In Afghanistan ist die Koalition der Westmächte weit davon entfernt, die Lage zu stabilisieren. Im Gegenteil, alles deutet darauf hin, dass sie sich immer weiter festfährt. Die Taliban, die mit der Intervention im Oktober und November 2001 von der Regierung gedrängt wurden, sind heute in der Lage, militärische Operationen bis an den Rand der Hauptstadt Kabul durchzuführen. Das ist keineswegs überraschend. Die fremde militärische Besatzung selbst, die mehr oder weniger blind geführten Bombardierungen, waren nur in der Lage, die Abneigung der Bevölkerung in Hass gegen die Besatzer zu verwandeln. Die Taliban - oder diejenigen, die damit gemeint sind - bilden die am besten organisierte und bewaffnete Opposition im Land. Der Hass der Bevölkerung kommt ihnen zugute, heute wie morgen.

23. Noch schlimmer für die USA ist, dass es durchaus möglich ist, dass im Nachbarland Pakistan eine neue Front entsteht. Dieser Staat, der einer der bevorzugten Verbündeten der USA in diesem Teil Asiens war, ist dabei, an Stabilität zu verlieren. Und auch da kehrt sich die frühere Politik der USA wie ein Bumerang gegen ihre heutige.

Man darf nicht vergessen, dass in es die USA waren, die die Taliban in Afghanistan finanziert, bewaffnet und zu einem großen Teil ausgebildet haben, um sie der UDSSR entgegenzustellen. Im Fall Pakistans ist die Rolle der pakistanischen Geheimdienste bei der Verstärkung der islamistischen Strömungen ein offenes Geheimnis. Und genauso wissen alle, dass die USA großzügig zur Ausbildung und Bewaffnung der Geheimdienste der pakistanischen Armee beigetragen haben. Außerdem scheint es, dass in den so genannten Stammesgebieten an der afghanischen Grenze, die den Taliban seit ihrer Verdrängung von der Regierung als Zuflucht dient, pakistanische Militärs, die ihre Ausbildung im Krieg gegen Indien in Kaschmir erhalten haben, zu den Taliban gestoßen sind und ihnen die Kader gegeben haben, die sie in die Lage versetzt haben, in Afghanistan gegen die westliche Besatzung vorgehen zu können.

Man könnte sagen, dass der amerikanische Imperialismus wirklich nichts aus seinen Erfahrungen gelernt hat! Aber das ist es nicht. Die USA, wie vor ihnen Großbritannien in der Region, stützen sich systematisch auf die reaktionärsten und rückständigsten Kräfte, die, sobald sie auf Grundlage ihrer reaktionären Vorstellungen in der Bevölkerung Unterstützung finden, unvermeidlich in die Hand beißen, die sie gefüttert hat.

Eine Destabilisierung Pakistans hätte unberechenbare Folgen in der Region. Darüber hinaus kann sich eine Instabilität in Pakistan in einer Art Domino-Effekt in der gleichen Weise auf Indien übertragen, wo ebenfalls viele Moslems leben.

24. Nichts hat sich hingegen an der Lage des palästinensischen Volkes geändert, außer zum Schlimmeren. Die Zerstückelung des palästinensischen Gebiets, die Vermehrung israelischer Kolonien, die Militärsperren ersticken weiterhin das bisschen Wirtschaftsleben in Palästina. Darüber hinaus gibt die anhaltende Teilung der palästinensischen Gebiete zwischen zwei Regierungen - die offizielle palästinensische Autonomiebehörde von Mahmud Abbas über das Westjordanland und die vom Hamas geführte Regierung im Gazastreifen - dem Staat Israel ein weiteres Mittel in die Hand, um die einen gegen die anderen auszuspielen. Wenn der israelische Staat versucht, den Hamas zu isolieren, tut er so, als ob er eine Verhandlungspolitik mit Mahmud Abbas beginnen wolle. Aber niemand kann sich noch Illusionen über das Ergebnis solcher Verhandlungen machen.

Es gibt keine Hinweise, dass es in absehbarer Zukunft eine für beide Völker annehmbare Lösung geben wird. Und dies umso weniger, als eine annehmbare Lösung für das palästinensische Volk sich nicht auf die Anerkennung eines palästinensischen Staates beschränken kann, wobei das allerdings in dem Kontext, der von einem halben Jahrhundert Konfrontationen geschaffen wurde, eine unumgängliche Voraussetzung ist. Aber daneben müsste auch die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den Lebensbedingungen der beiden Völker behoben werden. Und das ist in einer Zeit der Krise nicht einmal vorstellbar.

25. Die mehr oder weniger linken oder sich fortschrittlich nennenden Regierungen in Lateinamerika stimmen Sozialdemokraten und Globalisierungsgegner glücklich. "Das rebellische Lateinamerika" lautete sogar ein vor kurzem erschienener Artikel in einer ihnen nahe stehenden Publikation.

Doch der Politik dieser mehr oder weniger neu an die Macht gekommenen Staatsführer nach zu urteilen, geht dieser Rebellion nicht sehr weit. In Brasilien führt Lula, der vor einigen Jahren als Vertreter der Armen beweihräuchert wurde, nach sechs Jahren an der Regierung fügsam die von der internationalen wie nationalen Bourgeoisie gewollte Politik aus. Er hat sich als unfähig erwiesen, die Komponente der wirtschaftlichen Rückständigkeit, der darin besteht, dass 1% der Landbesitzer die Hälfte der bestellten Länder in der Hand hält, während vier Millionen arme Bauernfamilien kein Land haben, auch nur anzutasten. Und es ist sicher kein Trost für die arme Mehrheit der Bevölkerung, dass Brasilien unter Lula - und zu einem Großteil dank der Illusionen, die er in den arbeitenden Klassen gesät hat - zu einem großen Exportland von ... Agrartreibstoffen geworden ist.

26. Die wiederholten Staatsstreiche gegen Chavez in Venezuela und der heftige Widerstand, auf den Morales in Bolivien und Correa in Äquator stoßen, zeigen, dass die privilegierte Klasse vor Ort im Voraus reagieren kann, auch wenn sie nicht ernsthaft bedroht ist. Sie schafft damit Spannungen, die den USA ein Eingreifen ermöglichen könnten, wenn sie es für nötig halten, direkt oder über Militärs.

Nach jahrzehntelangen Militärdiktaturen hat Lateinamerika eine Zeit so genannter demokratischer Regierungen erlebt. Aber keine dieser Regierungen hat die erschreckenden wirtschaftlichen Ungleichheiten und die soziale Diktatur kleiner Minderheiten beendet. Beide werden sich im weiteren Verlauf der Krise verschlimmern und die Illusionen der arbeitenden Klassen werden sich nicht ewig aufrechterhalten lassen. Die arbeitenden Klassen in Lateinamerika werden dann tatsächlich zur Rebellion getrieben, aber man kann ihnen nur wünschen, dass sie andere Führer mit anderen Politiken als die von Lula, Chavez oder seinerzeit Allende hervorbringen werden. Denn, wie damals in Chile, wird sich die privilegierte Klasse mit Krallen und Klauen verteidigen. Sie ist sicher, dass sie sich auf die USA verlassen kann. Denn die USA werden nicht zulassen, dass sich im Volk Bewegungen bilden, die ihre wirtschaftlichen Interessen in einer Region entwickeln, die sie als ihren Hinterhof betrachten. Mit der Verschlimmerung der Wirtschaftskrise und den Folgen, die sie für die Klassenbeziehungen haben kann, kann Lateinamerika erneut ein bedeutender Spannungsherd werden.

27. Die Geschichte wiederholt sich nie, jedenfalls nicht genau gleich. Die Zukunft der derzeitigen Wirtschaftskrise ist noch nicht geschrieben, auch wenn bereits jetzt klar ist, dass sie von einer seit 1929 nicht mehr da gewesenen Schwere ist. Dabei darf man nicht vergessen, dass auf den Börsenkrach im Oktober 1929 die längste Depression folgte, die der Kapitalismus je gekannt hat, und dass ihre Folgen nicht nur in der Wirtschaft verheerend waren. In letzter Analyse war es die Krise, die, nachdem sie die Machtübernahme Hitlers und die Zerschlagung der deutschen Arbeiterklasse begünstigt hatte, es dem deutschen Imperialismus ermöglicht hat, ihre territorialen Ambitionen wiederaufleben zu lassen, und die - ausgehend von zunächst begrenzten Konflikten, wie die Wiederbesetzung des Ruhrgebiets durch die deutschen Truppen, die Besatzung der chinesischen Mandschurei durch Japan, der Einmarsch der italienischen Truppen in Äthiopien - letztendlich zum Weltkrieg geführt hat.

10. Oktober 2008