2015-2016: Drohender Crash und Erschütterungen in der Krise der kapitalistischen Wirtschaft (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von April 2016)

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2015-2016: Drohender Crash und Erschütterungen in der Krise der kapitalistischen Wirtschaft
April 2016

(Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von März 2016 angenommen)

Wenige Finanzcrashs wurden so oft angekündigt wie der kommende. Seit Anfang Januar erscheint in der Presse eine Schreckensmeldung nach der anderen.

Les Échos schreibt am 5. Januar 2016: "Das Gespenst eines chinesischen Crashs ist wieder auferstanden... Die Börse von Shanghai ist um 7% abgestürzt, bevor der Handel ausgesetzt wurde. Sie hat die Handelsplätze der ganzen Welt mitgerissen."

L'Expansion titelt im Januar 2016 mit: "2016: die erneute Krise. Chinesische Depression, Rückkehr der Blasen, geopolitische Risiken. Warum der Aufschwung eine Täuschung ist.";

Selbst die populäre Tageszeitung Le Parisien titelte am 6. Januar: "Eine morsche Weltwirtschaft, eine neue Krise bedroht uns." Und sie fügt hinzu: "Aus der Subprime-Krise von 2008 wurden keine Lehren gezogen. Die angespannten Börsen in Asien und die Ankündigung aus den USA, die Zinssätze in den USA wieder anzuheben, rufen große Sorge hervor." Der gleiche Ton herrschte den gesamten Januar über.

Am 1. Februar veröffentlichte Les Échos ein Interview von Patrick Artus, Chefökonom von Natixis, einer großen Investmentbank: "Die nächste Krise wird außerordentlich heftig sein."

Die denkenden Köpfe der kapitalistischen Wirtschaft sind unterschiedlicher Meinung darüber, wo die Finanzblase als erste platzen wird: bei den Obligationen, den Aktien, dem Schiefergas, dem chinesischen Immobiliensektor oder dem Verbraucherkredit der amerikanischen Autoindustrie. Wird es der Markt der Staatsschulden oder der Devisenmarkt sein? Wird der Auslöser der Finanzkrise ein Ausfall in Brasilien oder einem anderen großen Land sein, dessen Wirtschaft instabil geworden ist? Die einen zeigen mit anklagendem Finger auf China, die anderen auf "den Wahnsinn der Zentralbanken", um den Titel einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung eben dieses Patrick Artus zu zitieren. Doch viele teilen die Vorhersage, die er im Untertitel seines Werkes trifft: "Die nächste Krise wird schlimmer sein."

Alle kennen die Hauptursache dieser Situation und verurteilen sie quasi einstimmig. Nach der Bankenkrise von 2008 haben die Zentralbanken der imperialistischen Mächte - die Federal Reserve System (FED) der USA, von der Bank of England oder Bank of Japan und schließlich von der Europäischen Zentralbank (EZB) - damit begonnen, in großem Stil Geld zu produzieren, um die Banken zu retten. Mit diesem geschaffenen Geld kauft die Zentralbank Obligationen, Kredite und Wertpapiere, die sich im Besitz der verschiedenen Banken und Finanzinstitute befinden. In der Zeit nach der Krise von 2008 gaben sie astronomische Summen für diese Aufkäufe aus, nicht zuletzt oder besser gesagt vor allem für die Wertpapiere von faulen Krediten, das heißt von Krediten, bei denen es fast aussichtslos ist, dass sie jemals zurückgezahlt werden.

Gleichzeitig haben die Zentralbanken ihren Leitzins quasi auf null gesenkt. Das ist der Zinssatz, zu dem die Privatbanken bei ihr Geld leihen können. Sprich das Finanzsystem hatte quasi umsonst unbegrenzten Zugang zu frischem Geld.

Hinter dem jüngst entstandenen Ausdruck des "quantitative easing" (quantitative Lockerung) handelt es sich überall um moderne Varianten der " guten alten " Notenpresse.

Insgesamt wurden seit 2008 rund 6.674 Milliarden Dollar in die Wirtschaft gepumpt. Das entspricht dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von Frankreich und Deutschland zusammen.

Die Geldmenge der OECD-Staaten, also aller Industriestaaten, hat sich in den letzten sieben Jahren verdreifacht, obwohl die Produktion an Gütern und Dienstleistungen stagnierte und die Warenzirkulation diesen schwindelerregenden Anstieg der Geldmenge nicht absorbieren konnte. Das von den Zentralbanken geschaffene Geld macht heute 30% des weltweiten Bruttoinlandsproduktes aus, gegenüber 6% Ende der 90er Jahre. Die weltweite Verschuldung ist mittlerweile höher als im Jahr 1946. Sie hat ein Ausmaß erreicht, das man bislang nur nach den Kriegen kannte. Wenn überhaupt...

Die Finanzgruppen, Großbanken, Versicherer, Pensionsfonds, Spekulationsfonds, Hedgefonds, die in quasi unbegrenzter Höhe Geld anzulegen haben, sind ständig auf der Suche nach dem Sektor, der am meisten Profit bringt. Doch je größer die Menge an Geld wird, desto weniger wird es in die Produktion investiert. Warum sollte man in den Bau neuer Fabriken investieren, in die Herstellung neuer Produktionsmittel, wenn man die zusätzliche Produktion nicht mit Gewinn verkaufen kann? Seit Jahrzehnten wird der Kapitalismus mit seinem grundlegenden Widerspruch konfrontiert: dem Widerspruch zwischen der unbegrenzten Fähigkeit, die Produktion zu steigern und den Grenzen des Marktes, das heißt der vorhandenen Kaufkraft. Mit dem Anwachsen der Geldmenge wächst das, was die bürgerlichen Ökonomen die « fiebrige Hektik der Investoren » nennen. Dieser Ausdruck wird zum Leitmotiv aller der Wirtschaft gewidmeten Artikel. Welches " Finanzaktiva ", wie sie es nennen, bringt zu einem bestimmten Zeitpunkt am meisten ein - und sei es nur einen winzigen Prozentsatz mehr als die anderen? Bei jedem kleinsten Alarmsignal, bei jeder (wahren oder falschen) Information, bei jeder noch so unbedeutenden Stellungnahme eines Verantwortlichen der Zentralbank, bei jedem kleinsten Zucken der produktiven Wirtschaft, bei jeder kleinsten Androhung einer sozialen oder politischen Krise wandern die Milliarden in die eine oder andere Richtung.

Die kapitalistische Wirtschaft ähnelt einem Hochgeschwindigkeitszug, der auf den Abgrund zusteuert. Der Lokführer und das Personal an Bord sind sich der Gefahr bewusst, können die Lokomotive jedoch nicht bremsen. Die Fahrgäste stoßen Schreie aus und rufen um Hilfe. Aber niemand tut etwas, aus dem einfachen Grund, weil es in diesem Zug weder eine Bremse noch irgendein anderes Mittel gibt, um die Katastrophe zu verhindern.

Die herrschenden Politiker haben diese Politik des leichten Geldes wie Papageien immer wieder damit gerechtfertigt, dass sie unabdingbar sei, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Aber seit der Krise von 2008 hat die Wirtschaft keinen wirklichen Aufschwung mehr erlebt. Oder genauer gesagt hat es nur im Finanzsektor einen Aufschwung gegeben. Das Geld, das die Wirtschaft überflutet, wurde zum größten Teil von Finanzgeschäften absorbiert. Abgesehen von Höhen und Tiefen, hervorgerufen durch die Konjunktur des jeweiligen Bereichs, gehen der CAC 40 und andere Börsenindizes insgesamt nach oben. Aber in der gleichen Zeit sind - um nur das Beispiel der Eurozone zu nehmen - die produktiven Investitionen um 15% im Vergleich zu 2007 gesunken.

Das Finanzsystem ist bis zur Überdosis mit der Droge des kostenlosen Geldes vollgepumpt, die ihm die Zentralbanken liefern und die nicht als Investitionen in die produktive Wirtschaft zurückkehrt. Aber was tun? Der Finanzsphäre diese Droge vorenthalten, indem man den Leitzins der Zentralbanken anhebt, bedeutet sie zu töten. Ihr die Droge nicht vorenthalten, bedeutet ebenfalls sie zu töten.

Die amerikanische Zentralbank hat das gesamte Jahr hin und hergeschwankt: Erst haben sie die Anhebung ihrer Leitzinsen angekündigt, dann haben sie dies angesichts der panischen Reaktion der " Finanzmärkte " zurückgenommen, und zum Schluss haben sie trotzdem zum ersten Mal seit der Finanzkrise 2008 eine leichte Anhebung beschlossen. Eine vorsichtige Anhebung von 0,25 % auf 0,5%: Sprich das Geld ist für die Finanz quasi umsonst.

Und was die EZB betrifft: Sie zögert nicht einmal. Sie erhöht noch die Dosis! Ihr Präsident Draghi hat angekündigt, dass es für ihre Geldpolitik, also für die Produktion weiteren Geldes, "" keine Grenze " gibt.

Von Erschütterung zu Erschütterung wächst Menge und die Schnelligkeit des wandernden Kapitals. Um nur ein Beispiel zu nennen: Nach einem wahrhaften Ansturm der Kapitalien auf die sogenannten Schwellenländer folgt gerade eine brutale Kapitalflucht. In den Jahren nach der Finanzkrise von 2008 haben sich die Kapitalien auf der Suche nach interessanten Renditen auf Indien, Russland, Brasilien, Indonesien, Türkei und vor allem China gestürzt. Le Monde (27. Januar 2016) nennt China, dessen Zentralbank im Sommer 2014 über 4.000 Milliarden Dollar verfügte, während ihre Reserven 2002 nur 220 Milliarden Dollar betrugen. Fast 20 Mal mehr. Aber im Sommer 2014 kam die Wende. Besorgt über die Rezession in Brasilien und in Russland sowie die wirtschaftliche Verlangsamung in China, fliehen die Kapitalien ebenso plötzlich wie sie gekommen sind. Derzeit wird die Kapitalflucht der sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) auf 300-400 Milliarden Dollar pro Monat geschätzt! Die in Bewegung gesetzten Summen sind so gewaltig, dass sie Crashs auf den Börsen der Länder verursachen, aus denen die Kapitalien abgezogen werden, oder auch in den Wechselkursen ihrer Devisen. Sie tragen dazu bei, dass Spekulationsblasen entstehen - dort, wo die Kapitalisten massenhaft hinwandern.

Die Welle des zirkulierenden Kapitals hat den brasilianischen Real abrutschen lassen und den russischen Rubel erschüttert. Sie bedroht den chinesischen Yuan. Die Erschütterungen der Wechselmärkte finden ihren Widerhall im internationalen Handel, mit Folgen für die Produktion. Sie eröffnen gleichzeitig neue Felder für die Spekulation auf das Sinken der Währung mehrerer sogenannter Schwellenländer. Die chinesischen Führer, deren Staat über wesentlich größere Mittel als die anderen Schwellenländer verfügt, um der Spekulation auf ihre Währung entgegenzuwirken, sind so weit, in den Spalten der Volkszeitung die von Georges Soros geführten Spekulationsfonds anzuprangern. Zur Erinnerung, es handelt sich hier um denselben Verwalter von Spekulationsfonds, der 1992 die britische Regierung gezwungen hat, das Pfund Sterling abzuwerten und ihn aus dem Europäischen Währungssystem zurückzuziehen.

Mit Ausnahme Chinas haben die Devisen der Schwellenländer seit Januar 2014 im Schnitt 30 % ihres Werts gegenüber dem Dollar verloren. Für die betroffenen Länder bedeutet es, dass ihre Importe teurer werden, während die Lage des Weltmarktes es ihnen nicht unbedingt ermöglicht, mehr zu exportieren, um dies zu kompensieren. Infolgedessen verarmen die arbeitenden Bevölkerungen dieser Länder. Diese Krise der Schwellenländer zeigt, dass die Intellektuellen des Bürgertums zwar mit Worten jonglieren können und diesen neuen Ausdruck erfinden können. Aber dies ändert nichts an der Realität, sprich daran dass diese Länder und selbst die größten unter ihnen dem Gesetz des großen Kapitals der imperialistischen Länder unterworfen sind, insbesondere den vielfältigen Konsequenzen der Spekulationen der Finanzmagnaten.

Die Finanzmärkte sorgen sich zurzeit insbesondere um China. Dies scheint paradox, denn es ist ein Land mit einer offiziellen Wachstumsrate von 7% - einer Wachstumsrate, von der Frankreich, Deutschland oder auch die USA nicht einmal zu träumen wagen.

Selbst wenn man den Anteil an Übertreibung einberechnet, ja sogar wenn man die Zahl durch zwei oder drei teilt, erscheint die wirtschaftliche Lage Chinas vielen Ländern noch als beneidenswert. Am 27. Januar titelte Les Échos im Übrigen: « Erdöl, Metalle, Getreide... China importiert weiterhin. » Und stellt sogar eine Zunahme des Einkaufs an Kupfer und Nickel fest.

Aber das Problem liegt woanders. Es liegt nicht - oder noch nicht - im Rückgang der chinesischen Rohstoffeinkäufe. Das Problem liegt darin, was die großen Kapitalbesitzer für die nächste Zeit diesbezüglich erwarten. Es liegt im Ausmaß der Spekulationsgeschäfte, die dem tatsächlichen Handel hinzukommen. Sicher, jahrelang ist die Industrieproduktion in China gewachsen. Die Niedriglöhne haben über Jahre Kapital der imperialistischen Länder angelockt: Kapital aus Japan, Taiwan, den USA, aber auch aus Frankreich und Großbritannien.

Dank dieses Kapitals und vor allem dank seinen Arbeitern, dank der Ausbeutung von hunderttausenden Menschen, die aus den Dörfern verjagt und in den Industriestädten zusammengepfercht wurden, ist China « die Werkbank der Welt » geworden.

Selbst von dem Kapital der imperialistischen Länder, das tatsächlich in die Produktion investiert wurde, kam ein Teil aus spekulativen Gründen. Sie spekulierten darauf, dass die chinesische Bourgeoisie, die sich großzylindrige Autos, Luxusartikel, hochwertige Wohnungen oder sonstige Fantasien von Neureichen leisten kann, zahlreicher und reicher wird. Um diese sich bereichernde Schicht besser zufrieden zu stellen, musste man vor Ort sein. Mit der gleichen Kapitalbewegung zog China auch rein spekulatives Kapital an. Die Börse von Shanghai wurde zu einem der weltweiten Finanzplätze, auf denen man präsent sein musste. China selbst, die unbegrenzte Entwicklung des chinesischen Marktes, wurden zum Spekulationsobjekt.

Das Wirtschaftswachstum Chinas war jedoch zum Großteil auf Sand gebaut, sogar zu einer Zeit, als die Ökonomen noch von einem zweistelligen Wachstum sprechen konnten. Die berühmten « Mittelschichten », die in China größer wurden und Investitionen von Renault und PSA bis Mercedes, über Louis Vuitton, den Baukonzernen (Gebäude und öffentliche Arbeiten) und vielen anderen anlockten, bereicherten sich hauptsächlich über Spekulationsgeschäfte, insbesondere mit Immobilien- und Börsenspekulationen.

Die meisten riesigen Vermögen, die in China entstanden sind und heute zur Spitze der weltweiten Vermögen gehören, sind im Immobiliensektor entstanden. Es reichte, dass der chinesische Immobilienmarkt nicht mehr mithalten konnte und die Börse von Shanghai eine Schicht des kleinen und mittleren Bürgertums ruiniert hat, und schon begann eine Kettenreaktion, die sich am Schluss auf die Vorhersagen der Finanzgruppen ausgewirkt hat.

Die Wirtschaftspresse ist voller Reportagen über die überdimensionierten Bauten, die künstlichen Städte, deren Bau zur Zeit des Wirtschaftsbooms und der Bereicherung des neuen chinesischen Bürgertums begonnen wurden und die sich heute in Geisterstädte verwandeln, bevor sie überhaupt bewohnt wurden. Le Figaro vom 27. Januar 2016 beschreibt in folgenden Worten die Kopie von Venedig, inklusive Canale Grande, die in Dalian gebaut wurde: Die Parzellen wurden chinesischen Privilegierten im Vorfeld verkauft, doch heute « stehen die zu 2 Millionen Euro verkauften Wohnungen leer, und durch das neue Einkaufszentrum weht der Wind. » Doch die industrielle Entwicklung Chinas hat noch ganz andere Spekulationen ausgelöst, insbesondere die Spekulation auf Rohstoffe. Wenn China als Lokomotive der Weltwirtschaft galt, dann nicht nur weil die Bedürfnisse seiner Industrie die Nachfrage nach Eisen, Nickel, Kupfer usw. steigerte. Mehr noch steigerte sie die spekulativen Investitionen.

Die großen Spekulationsfonds hatten die Henne mit den goldenen Eiern gefunden, als sie die Aktien der Eisen-, Nickel-, Kupferminen kauften. Doch schon letztes Jahr spürten die Fonds, dass der Wind sich zu drehen begann, und fingen an, sich dieser Aktien zu entledigen. Der allgemeine Rückgang für die Rohstoffe - eines der prägendsten Charakteristika der derzeitigen wirtschaftlichen Lage - ist nicht nur die automatische Folge einer sich verlangsamenden wirtschaftlichen Nachfrage.

Der Preisverfall der wichtigsten Rohstoffe wurde vor allem durch die Flucht des spekulativen Kapitals verursacht. Er begann vor mehr als zwei Jahren, und hat sich 2015 noch verschärft: - 3% beim Aluminium, 9% beim Kupfer, - 15% beim Nickel, - 28% beim Eisen. Ganz zu schweigen vom Rohöl, das bei derselben Bewegung mitmacht, jedoch außerdem von geostrategischen Faktoren beeinflusst wird.

Schon heute hat dieser Fall der Rohöl- und Gaspreise katastrophale Folgen für Venezuela und fängt an, sie auch für Algerien und sogar für Russland zu haben.

Der Preisverfall beschränkt sich nicht auf die industriellen Rohstoffe. Er erfasst auch die kapitalistische landwirtschaftliche Produktion: - 8% für Weizen an der Börse von Chicago, - 8% für Palmöl, - 16% für Mais, - 25% für Soja.

Wie im letzten Jahr führen die sinkenden Preise zu Entlassungen, zu Bergwerksschließungen, zum Zusammenbruch der Wirtschaft zahlreicher Staaten, deren Außenhandel sich auf ein oder zwei Produkte beschränkt.

Die Finanzialisierung der Weltwirtschaft vergrößert und beschleunigt sich nicht erst seit der Bankenkrise von 2008. Viele Ökonomen - selbst wenn sie bezüglich der Folgen und drohenden Gefahren der beschleunigten Finanzialisierung hellsichtig sind - lassen die Krise dennoch erst 2008 beginnen. Dadurch verschleiern sie, dass die Finanzkrise von 2008 selbst das Ergebnis der gesamten früheren Entwicklung ist.

Immer erst bei der letzten Krise zu beginnen, ermöglicht es ihnen, immer nur den einen oder anderen, den Umständen geschuldeten Grund verantwortlich zu machen - also ausschließlich die Zentralbanken und ihrer Politik seit 2008 zum Beispiel - um nicht über die Krise der gesamten kapitalistischen Wirtschaft sprechen zu müssen.

Das ist die Geschichte der Weltwirtschaft seit mehreren Jahrzehnten. Quasi seit Beginn der 1970er Jahre überlebt die kapitalistische Wirtschaft, indem sie sich mit Krediten (also mit Schulden) dopt - sowohl mit öffentlichen wie privaten Krediten. Sie wird von mehr oder weniger tiefgreifenden und mehr oder weniger umfassenden Krisen geschüttelt. Die Behandlung, die man anwendet, um den Fieberanfall zu beenden, verschlimmert am Ende die Krankheit und ruft einen weiteren, noch schlimmeren Fieberanfall hervor.

Von dieser Finanzialisierung, die die bürgerliche Presse selber in Frage stellt und die sie als die schlimmste Bedrohung für die Wirtschaft bezeichnet, sagen wir seit Jahren, dass sie in den letzten vierzig Jahren einer der entscheidenden Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung geworden ist. Wir haben mehrfach, auch in unseren Kongresstexten, betont, dass es sich nicht einmal mehr um eine dieser periodischen Krisen handelt, die die kapitalistische Wirtschaft seit ihrer Entstehung erschüttern, sondern um die heutige Funktionsweise des Kapitalismus. Der Ausdruck " jahrhundertelange Stagnation ", der kürzlich von bürgerlichen Ökonomen erfunden wurde, findet sich bei einigen von ihnen immer häufiger.

Die Politik des leichten Geldes der Zentralbanken gegenüber dem Finanzsystem wird durch die Finanzialisierung der Wirtschaft verschärft und beschleunigt, mit allen Konsequenzen. Es ist eine selbstmörderische Politik für das Funktionieren der Wirtschaft, und trotzdem wird sie fortgesetzt. Denn sie entspricht den Interessen des großen Kapitals. Sie ist eine Klassenpolitik. Selbst ein so exponierter Ökonom wie Patrick Artus zieht eine pessimistische Bilanz aus die letzten Jahre. Nachdem er bekräftigt, dass "die quantitative Lockerung zu einer Preissteigerung der Aktiva führt", muss er feststellen, dass "die Zentralbanken diese Blasen bei den Preisen der Aktiva (diverse Wertpapiere, Aktien, Obligationen usw.) und insbesondere bei den Immobilienaktien als Mittel der Geldpolitik nutzen, um die Reichtumseffekte zum Vorschein zu bringen, die notwendig für die Stimulierung der Nachfrage durch die Bereicherung der Besitzer des Geldes." Diese etwas verworrenen Ergüsse bedeuten nichts anderes, als dass diese Politik darauf abzielt, die Aktionäre und die gesamte Hierarchie des großen Kapitals zu bereichern, die dank der Finanz und auf Kosten vor allem der arbeitenden Bevölkerung, jedoch auch auf Kosten der großen Masse der subalternen Schichten der Bourgeoisie lebt und gedeiht. Die Aktionäre triumphieren. Sie bereichern sich sowohl an dem allgemeinen Anstieg der Aktienpreise - trotz deren spektakulären Berg- und Talfahrten - wie auch an den ausgeschütteten Dividenden und den Aktienaufkäufen. Die Gesamtsumme, für die amerikanische Firmen ihre eigenen Aktien aufgekauft haben, hat im Jahr 2015 zum ersten Mal die 1.000 Milliarden Dollar überstiegen.

Damit dieser Transfer hauptsächlich zu Lasten der Arbeiterklasse hin zu den Aktionären weitergehen kann, ist es zwingend erforderlich, dass die Zentralbanken ihre Politik des leichten Geldes fortsetzen. Doch sie ist nichts als Schmieröl für einen Mechanismus, dessen einziger Zweck es ist, die Arbeiterklasse noch stärker auszubeuten und den aus den Arbeitern herausgepressten Mehrwert - absoluten wie relativen Mehrwert - ständig zu vergrößern, Daher der ständige Druck in der gesamten kapitalistischen Wirtschaft, sowohl die Arbeitsintensität, die Arbeitsgeschwindigkeit zu steigern als auch die Arbeitszeit auszuweiten. Daher der Wettlauf um die Konkurrenzfähigkeit, den die politischen Lakaien des Bürgertums als Mittel zur Überwindung der Krise verkaufen.

Dies ist eine billige Lüge. Die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens oder eines Landes hat keinen Einfluss auf die globale wirtschaftliche Lage und hat nicht die Macht, die Krise zu überwinden. Sie ermöglicht nur den Konzernen, ihre Konkurrenten zu übertrumpfen, indem sie den Handelskrieg verschärfen

Dieser Wettlauf um Konkurrenzfähigkeit verschärft die Ausbeutung und vergrößert entsprechend die Masse an Mehrwert, die die Kapitalisten unter sich aufteilen können. Und diese Aufteilung findet immer mehr zugunsten des Finanzkapitals statt. Sie bevorzugt also das sehr große Kapital und diejenigen, die es besitzen, sprich das wirkliche Großbürgertum, während ein wachsender Teil der Arbeiterklasse in die Arbeitslosigkeit und Armut getrieben wird.

Das Kräftemessen zwischen den offiziellen Institutionen des Großbürgertums (IWF, EZB, Europäische Kommission) und Griechenland - und mehr noch dessen Ausgang - ist eines der frappierenden Beispiele für die weltweite Diktatur der Hochfinanz. Das betrifft den Gegenstand dieses Kräftemessens: Die Institutionen wollten der griechische Regierung drakonische Maßnahmen gegen seine arbeitende Bevölkerung aufzwingen, im Namen der Schulden, die der griechische Staat im Laufe der Jahre angehäuft hat.

Reden wir gar nicht davon, dass das Bürgertum selber, ob griechisch oder nicht, diese Schulden gemacht und von ihnen profitiert hat und nicht die griechischen Lohnabhängigen, Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Arbeitslosen und Rentnern, die man heute zwingt, die Rechnung zu bezahlen. Doch genau in dem Moment, als man die griechischen Schulden als untragbar hoch darstellte, ließen die Zentralbanken die Notenpressen mit Hochgeschwindigkeit laufen, um falsches Geld in einer ganz anderen Größenordnung zu fabrizieren, mit der die griechischen Schulden nicht in Ansätzen vergleichbar sind. Woran man sehen kann, dass dieser ganze Mechanismus der Schulden einzig dazu dient, die arbeitenden Schichten zugunsten des Finanzkapitals zu erpressen. Alles andere, die beschwichtigenden Reden der Politiker, die pseudo-wissenschaftlichen Erklärungen der bürgerlichen Ökonomen sind nichts als Nebelkerzen. Doch der Druck auf den griechischen Staat, dem die als linksextrem bezeichnete Regierung Tsipras wie alle ihre Vorgänger nachgegeben hat, macht noch etwas anderes deutlich: Es zeigt, wie die Staaten zu Handlangern werden, die für das Finanzkapital und das dieses Kapital monopolisierende Großbürgertum die Drecksarbeit zu erledigen haben. Die Staaten selber oder ihre internationalen Verbündeten sorgen dafür, dass die aus der arbeitenden Bevölkerung herausgepressten Summen in die Kassen der Hochfinanz fließen.

Wir haben ebenfalls bereits mehrfach betont: Dass ein wachsender Teil des großen Kapitals von den produktiven Investitionen abgezweigt und Finanzgeschäfte investiert wird, bedeutetet nicht nur, dass die Wirtschaft zugunsten der Finanz abgeschöpft wird. Es verändert die Funktionsweise der Wirtschaft in ihrer Gesamtheit.

Man kann die Dynamik des Großkapitals in der heutigen Zeit zusammenfassend beschreiben mit der Aussage, dass die Finanz im Vergleich zur Produktion immer weiter anschwillt. Es handelt sich jedoch nicht um zwei voneinander getrennte Bereiche der Wirtschaft, und erst recht nicht um zwei getrennte Fraktionen des Großbürgertums, das dieses Großkapital in seiner Hand hält. Es handelt sich um die Verhaltensweise derselben Industrie- und Finanzgruppen.

Die meisten Fakten und Ereignisse der kapitalistischen Wirtschaft, die chaotisch und zusammenhangslos scheinen, sind konkrete - direkte oder indirekte - Erscheinungen der Finanzialisierung.

Seit diese Entwicklung des sich in der Krise befindenden Kapitalismus begonnen hat, mussten wir immer wieder explizit oder implizit mit allen möglichen reformistischen, stalinistischen oder globalisierungskritischen Strömungen diskutieren und die Vorstellung bekämpfen, dass diese Entwicklung das Ergebnis der politischen Ausrichtung von Staaten und Regierungen ist. Eine Zeit lang machten diese Strömungen Thatcher, Reagan und einige andere dafür verantwortlich. Diese Leute sind seit langem tot und begraben. Doch die Entwicklung geht weiter und verschärft sich.

Die Finanzialisierung ist nicht das Ergebnis einer politischen Ausrichtung. Wie auch auf anderen Gebieten dienen die politischen Kampagnen hier einzig dazu, mal rückwirkend, oft jedoch vorausschauend die Ausrichtung des Großkapitals zu rechtfertigen. Es handelt sich um eine tiefgreifende Entwicklung des imperialistischen Kapitalismus an sich. Die Politik der Staaten ist nur ein Bestandteil dieser Entwicklung; zwar manchmal der entscheidende, aber eben nur Bestandteil unter anderen.

Der Kolonialismus, die erste Form des Imperialismus, war nicht allein das Ergebnis eines Jules Ferry oder eines Galliéni. Überhaupt war der Imperialismus, wie Lenin ihn analysierte, nicht das Ergebnis der Entscheidung von Staaten in den wirtschaftlich entwickelten Ländern Ende des 19. Jahrhunderts. Lenin beschrieb die Entwicklung des Kapitalismus an sich auf einer bestimmten Stufe seiner Entwicklung. Die Politik der Staaten war hiervon nur ein Ausdruck.

Das ist nicht einfach eine theoretische Debatte. Sie war es nie - und ganz sicher nicht zu Lenins Zeiten. Es handelt sich um einen fundamentalen Gegensatz zwischen den revolutionären Kommunisten und den Reformisten. Damals ging es um die entscheidenden Gründe für den Ersten Weltkrieg. Heute steht hinter den Anschuldigungen, die sich ausschließlich gegen die Regierungen und ihre politischen Entscheidungen in der politischen Ökonomie richten, die Vorstellung, dass eine andere Politik im Rahmen des kapitalistischen Systems möglich sei.

Die wachsende Finanzialisierung der Wirtschaft, mit ihren katastrophalen Folgen für die Gesellschaft, ist Ausdruck davon, dass der Kapitalismus selber immer parasitärer wird. Zu behaupten, man könne sie auf der Basis der Marktwirtschaft und des Privateigentums an den Produktionsmitteln bekämpfen, ist Betrug.

Das Kapital begnügt sich nicht damit, die Märkte für Finanzprodukte zu überfluten. Es drängt beständig darauf, diesen Markt zu erweitern. Hierzu müssen "neue Finanzprodukte" erfunden werden, wie es die Finanzleute nennen. Die Schaffung einer Vielzahl neuer Wertpapiere hat auf den Finanzmärkten dieselbe Rolle gespielt, die die Erfindung der Handys und Smartphones in der produktiven Wirtschaft gespielt haben, wenn auch in ganz anderem Maßstab.

Die Finanzprodukte sind heute unzählbar und unkontrollierbar Man verkauft und kauft sie in der Geschwindigkeit, die es die modernste Technik ermöglich, unter Zuhilfenahme aller Vernetzungen der heutigen Zeit. Manche Verfahren wie der Hochfrequenzhandel verzichten sogar auf jeden menschlichen Eingriff, um von den kleinsten Preisunterschieden der Finanzprodukte an den Börsen der gesamten Welt zu profitieren.

Das private Kapital drängt beständig dazu, den Finanzmarkt zu erweitern. Zuallererst will er den staatlichen Sektor in ihn einverleiben, insbesondere den sogenannten Öffentlichen Dienst (Transportwesen, Krankenhauswesen, Sozialversicherung...), in dem es um große Summen geht.

Das Privatkapital hat schon immer als Parasit auf dem Öffentlichen Dienst gelebt. Auch als 100% öffentliches Unternehmen florieren durch die SNCF eine Vielzahl von Zulieferern und Subfirmen. Doch mit der Finanzialisierung dringt das Privatkapital ins Innere des staatlichen Sektors ein und unterwirft ihn mehr und mehr den Gesetzen des Marktes und der Konkurrenz - und damit der Finanz.

Der Öffentliche Dienst, wie ihn die Reformisten aller Schattierungen von der Französischen Kommunistischen Partei bis zu den Gewerkschaftern nennen, stand nie wirklich im Dienst der Öffentlichkeit. Vieles von ihm wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet, um die Dienste sicherzustellen, die für das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaft unabdingbar sind, jedoch damals nicht profitabel genug waren, als dass sich privates Kapital für sie interessiert hätte. Der Öffentliche Dienst entstand auch aus den politischen Notwendigkeiten einer wirtschaftlichen und sozialen Situation, in der man die Gefahr abwenden wollte, dass dieser Krieg wie der Erste Weltkrieg in revolutionäre Ereignisse mündete.

Die Tatsache, dass das Gesundheitsweisen, die Sozialversicherung oder auch Teile des Öffentlichen Verkehrswesens der Marktwirtschaft entkommen sind, war und ist immer noch ein Vorteil für die Mehrheit der Bevölkerung. Wir müssen das verteidigen, was im Öffentlichen Dienst im Sinne der arbeitenden Bevölkerung ist, aber nicht "den Öffentlichen Dienst" im Allgemeinen. Im Gegenteil, es ist wichtig, die hinter dieser Abstraktion stehenden entgegengesetzten Klasseninteressen klar herauszustellen.

Das heutige Rentensystem durch ein System der Kapitaldeckung zu ersetzen, die gesetzliche Krankenversicherung durch private Krankenversicherungen, all dies ist Ausdruck derselben grundlegenden Entwicklung wie beispielsweise die Aufsplittung der SNCF in zwei und dann drei Einheiten, die nicht mehr durch interne, sprich geplante Beziehungen miteinander verbunden sind, sondern durch marktwirtschaftliche Handelsbeziehungen. Und Handelsbeziehungen zwischen den aus der Zerschlagung der SNCF entstandenen Teilen bedeutet auch ein weiteres Feld für Banken, für Kredite und Verschuldung.

Dasselbe gilt für das Krankenhauswesen. In einer langfristigen Entwicklung wurde in den Ablauf der Krankenhäuser das Konzept der Rentabilität eingeführt. Anschließend wurden die Krankenhäuser im Namen der Modernisierung dazu gedrängt, sich zu verschulden. Das Ergebnis: Die öffentlichen Krankenhäuser sind weiterhin öffentlich, in dem Sinne, dass sie keine privaten Aktionäre haben und damit keine Dividenden ausschütten müssen. Aber dafür zahlen sie immer höhere Zinsen an die Banken. Und eben um genug Geld für die Zinszahlungen an die Banken freizumachen, findet derzeit die Umorganisation auf dem Rücken des Personals statt.

Dieselbe Entwicklung erklärt auch die wachsenden Schwierigkeiten der Kommunen und Bezirke. Diese Schwierigkeiten sind einerseits die Folge der sinkenden Mittelzuweisungen seitens des Staates, was bereits die Folge davon ist, dass der Staat selber verschuldet ist. Und andererseits ist es die Folge davon, dass die Kommunen selber verschuldet sind. Auch hier haben die Banken bewusst die Kommunen dazu gedrängt, sich zu verschulden: Sie haben ihnen mehr oder weniger ausgeklügelte Finanzprodukte angeboten, um ein Gebäude hier, ein Schwimmbad dort oder einen Sportplatz zu finanzieren - Ausgaben, die sich mit dem rasanten Anstieg der Verschuldung heute als Bumerang erweisen (siehe der Bankrott der Dexia-Bank).

Und nur zur Erinnerung: Natürlich schielen auch die Versicherungsgesellschaften, von denen die größten auch Banken sind, nach den Sozialversicherungen. Die Sozialversicherung durch externe Konkurrenz zu zerstören oder dadurch, dass ein Teil der Sozialversicherung in die Marktwirtschaft überführt, wird dem Privatsektor Zugang zu beachtlichen Summen verschaffen, die sich ihrerseits in den Tanz der Finanz und der Spekulation mit einreihen können.

Eine andere und nicht die geringste aller Folgen der Finanzialisierung ist, dass die Liquiditäten, die die Wirtschaft überfluten, zwar dem Großkapital nutzen, aber gleichzeitig die regulierende Rolle zerstören, die die zyklischen Krisen in der kapitalistischen Wirtschaft spielen. Diese zyklischen Krisen regulieren die anarchistische Wirtschaft: Sie passen nachträglich die Produktion an die vorhandene Kaufkraft an, mit all der Brutalität von Fabrikschließungen, explodierender Arbeitslosigkeit und Preisverfall. Sie befreien die Wirtschaft von ihren wackeligsten Elementen, führen so zu einer wachsenden Konzentration des Kapitals und, wenn die Krise an ihrem tiefsten Punkt angelangt ist, zu einer Wiederbelebung der Produktion.

In der finanzialisierten Wirtschaft ist selbst diese brutale Regulierung verfälscht. Der anarchistische Charakter des Kapitalismus nimmt einen Charakter an, der noch brutaler ist und noch losgelöster von der produktiven Wirtschaft. Und was die Versprechen angeht, den Banken Regeln aufzuerlegen, um die überbordende Spekulation zu bremsen - Versprechen, die die Führer der imperialistischen Mächte machten, als sie durch die Bankenkrise 2008 in Panik gerieten - so sind diese Versprechen nichts als Schwindel.

Die Zirkulation der Wertpapiere wird immer mehr von Einrichtungen übernommen, die keine Banken sind: Versicherer, Pensionsfonds, Investitionsfonds, diverse Spekulationsfonds. Eine Filiale zu gründen, die keine Bank ist, ist übrigens einer der Wege, mit denen die großen Banken, die die Weltwirtschaft beherrschen, das bisschen an Regeln umgehen, das die Staaten ihnen aufzuerlegen versuchen. "Der Wahnsinn", den der Titel von Patrick Artus Buch anprangert, ist nicht nur der Wahnsinn der "Zentralbanken", sondern der Wahnsinn des kapitalistischen Systems. Ein übersteigerter, durch die Finanzialisierung noch verschlimmerter Wahnsinn.

Die Krise und die wachsende Finanzialisierung der Wirtschaft die Arbeiterklasse getroffen, mit der wachsenden Arbeitslosigkeit und Prekarität auch in den imperialistischen Ländern. Unter anderem hat die internationale Arbeitsteilung, die unablässig zu Veränderungen in der Wirtschaft führt, die Zusammensetzung und die geografische Verteilung der Arbeiterklasse verändert. Die produktiven Aktivitäten wurden immer weiter in die armen Länder verlagert, wo die Löhne niedrig sind. In den imperialistischen Staaten hat sich das entwickelt, was man gewöhnlich unter dem sehr vagen Namen "Dienstleistungen" zusammenfasst: Die Fabriken und Industriegebiete, in denen zehntausende Arbeiter zusammengeballt waren, werden in diesen Ländern abgelöst durch Ansammlungen von Banken, Versicherungen und großen Handelsketten mit ihrer Armada an Angestellten, deren Löhne oft kaum oder überhaupt nicht über denen der Industriearbeiter liegen.

Gleichzeitig haben Krise und Arbeitslosigkeit den Boden dafür bereitet, dass das Bürgertum und seine Lakaien die Entwicklung der "Selbstständigkeit"; wie sie es hochtrabend nennen, vorantreiben kann. Der Arbeitslose, der selbstständiger Pizzaverkäufer mit seinem eigenen Lieferwagen wird oder die Arbeitslose, die als selbstständige Schneiderin zu den Kunden nach Hause kommt, haben deshalb nicht aufgehört, Arbeiter zu sein. Was sie verloren haben, ist das kleine bisschen Schutz, das sie vorher hatten - weniger dank der existierenden Gesetze als vielmehr dank ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Dieser Zerfall eines Teils der Arbeiterklasse in voneinander isolierte, einzelne Arbeiter ist sicher kein Fortschritt. Und es ist bezeichnend, dass das Bürgertum der entwickelten imperialistischen Staaten den Charme dessen wiederentdeckt, was man in den armen Ländern "informellen Sektor" nennt.

Die Fäulnis des Kapitalismus, dessen Ausdruck die Finanzialisierung ist, hat verderbliche Folgen für die Arbeiterklasse und ihr Klassenbewusstsein. Sie begünstigt Individualismus, Abkapselung und das Vorurteil, dass "jeder sein Schicksal selber in den Händen halt".

Das Klassenbewusstsein des Proletariats und seine Fleischwerdung in der organisierten Arbeiterbewegung sind im Laufe unzähliger Kämpfe gegen seine Ausbeuter entstanden.

Zu allen Zeiten hat das Bürgertum versucht, die Entwicklung dieses Bewusstseins zu verhindern. Von Anfang an hat sie die Konkurrenz unter den Arbeitern geschürt, hat die Arbeiter in Wettbewerb zueinander gestellt, hat auf die Hoffnung der Arbeiter gesetzt, es alleine zu schaffen. Im Laufe der Zeit und mit der wirtschaftlichen Entwicklung hat sie weitere Sehnen auf ihren Bogen gespannt, indem sie sich der Institutionen bedient hat, die die Geschichte ihnen geboten hat: zunächst die Priester und ihre Kollegen auf der ganzen Welt, später dann die Apparate, die aus der Arbeiterbewegung selber hervorgegangen sind: Gewerkschaften, reformistische Parteien usw.

Das Bürgertum hat es gelernt, die Vielfältigkeit der Arbeiterklasse zu nutzen, die mit der wirtschaftlichen Entwicklung zwangsläufig entstanden ist, zu nutzen, um neue Schranken zwischen den Arbeitern zu errichten: nach Berufen, Herkunft, Status usw.

Unabhängig von ihrer Vielfältigkeit jedoch nimmt die Arbeiterklasse im Weltmaßstab zahlenmäßig weiter zu. So verschieden auch ihre Existenzbedingungen zwischen den Ländern und im Inneren jedes Landes auch sind, so haben sie doch gemeinsam, dass sie nur leben können, wenn sie ihre Arbeitskraft verkaufen, wenn sie Ausgebeutete sind. Die Erfordernisse der kapitalistischen Produktion selber schmieden die weltweit verstreuten einzelnen Kettenglieder zu einer gemeinsamen Kette: von den Kindern, die im Kongo unter schändlichen Bedingungen in den Tiefen der Erde die seltenen Erden abbauen, die man zur Herstellung der Handys braucht, über die 12 oder 14 jährigen Mädchen, die diese Wunderwerke der modernen Technik in den chinesischen Fabriken zusammenbauen, bis zu den Hilfsarbeitern in den Lagern von Amazon oder den Verkäufern der FNAC, die zu ihrem Verkauf beitragen: Sie alle sind es, die die Weltwirtschaft am Laufen halten.

Die gegenseitige Abhängigkeit der Arbeiter der verschiedenen Länder, die an diesen Produktionsketten teilnehmen, ist eine unausweichliche Folge der kapitalistischen Wirtschaft, finanzialisiert oder nicht. Das kapitalistische Bürgertum bekämpft zwangsläufig jede Politik, deren Ziel es ist, dass sich die Arbeiter der verschiedenen Enden des Produktionsprozesses darüber bewusst werden. Sie wird versuchen, die Arbeiter daran zu hindern, solidarisch zu sein und sich dessen bewusst zu werden, dass das Interesse aller darin besteht, den gleichen Kampf zu beginnen, um die Diktatur der kapitalistischen Klasse zu stürzen. Sie wird die nationalen oder kulturellen Unterschiede anstacheln, die Unterschiede in den Lebensbedingungen, den Nationalismus und vieles mehr.

Es ist unverzichtbar, dieser Haltung des Bürgertums eine Politik entgegenzustellen, die darauf zielt, Klassenbewusstsein zu entwickeln.

Die große revolutionäre Welle am Ende des Ersten Weltkrieges hatte ihren Ausgangs- und Schwerpunkt in den großen Fabriken mit ihren tausenden Arbeitern. In Deutschland natürlich, aber auch in Ungarn und vor allem in Russland, trotz der Rückständigkeit seiner Wirtschaft. Auch in China einige Jahre später war sowohl der Aufschwung der Arbeiterbewegung von Kanton wie der Aufstand von Shanghai das Werk eines Proletariats, das zum Teil aus Arbeitern der modernen Industrie bestand, aus Arbeitern der Baumwollindustrie und der Spinnereien, aus Bergleuten und Eisenbahnern, aber auch aus Kulis, Lastträgern, Rikscha-Fahrern (die damaligen "Selbstständigen!"), denen sich hunderttausende kleine Handwerker und Ladenangestellte anschlossen. Sie alle fanden sich im gleichen Arbeiteraufstand zusammen, der - auch wenn er besiegt wurde - dennoch die Geschichte Chinas geprägt hat.

Das wahre Problem für die Zukunft der Gesellschaft ist daher die notwendige Wiedergeburt einer revolutionären Führung der Arbeiterklasse, sprich revolutionäre kommunistische Parteien, und gleichzeitig das einer Internationalen, die in der Lage ist, die verderblichen Auswirkungen der kapitalistischen Gesellschaft zu begreifen und sie zu bekämpfen.

In unserem Kongresstext 2014 schrieben wir:

Vor fast einem Jahrhundert, als die imperialistischen Rivalitäten den Planeten in den 1. Weltkrieg getrieben haben, bezeichnete Lenin den Imperialismus als "verfaulendes Stadium des Kapitalismus." Da er vom revolutionären Proletariat nicht zerstört worden ist, überlebt der altersschwache Kapitalismus weiterhin. Die Gesetze der Biologie lassen sich nicht auf die menschliche Gesellschaft übertragen. Eine soziale Organisationsform - auch wenn sie seit langem anachronistisch und senil geworden ist - wird erst dann verschwinden, wenn die von ihr profitierende privilegierte Klasse von einer sozialen Klasse gestürzt wird, die Träger einer neuen, höheren Form der gesellschaftlichen Organisation sind. Die Menschheit hat die Verspätung der sozialen Revolution bezahlt mit der Krise von 1929, der Barbarei der Nazis, einem zweiten Weltkrieg und, nach drei Jahrzehnten relativer Beruhigung, mit einer neuen wirtschaftlichen Krise und dem außergewöhnlichen Wachstum des Finanzparasitismus samt aller Gefahren, die es birgt.

Die Frage, die sich der Gesellschaft stellt, übersteigt daher bei weitem die Notwendigkeit, die Existenzbedingungen der Arbeiterklasse zu verteidigen - der entscheidenden produktiven Klasse der Gesellschaft. Die Frage, die sich ihr stellt, ist die der Zukunft der Menschheit.

Die Gesellschaft kann sich auf der Grundlage des Kapitalismus nicht mehr entwickeln. Die Zukunft der Menschheit wird von der Fähigkeit der Arbeiterklasse abhängen, sich auf die Höhe der historischen Aufgabe zu erheben, die ihr obliegt und bei der sie keine andere soziale Kraft ersetzen kann: die Aufgabe, die Herrschaft des Großbürgertums zu stürzen und die kapitalistische Wirtschaft durch eine wirtschaftliche Organisation zu ersetzen, die es der Menschheit ermöglicht, wieder vorwärts zu schreiten.

Wir haben dieser Aussage nichts hinzuzufügen, mit Ausnahme der Feststellung, dass sich die wirtschaftliche Lage 2015 weiter verschlechtert hat und sich 2016 noch schlimmer ankündigt - mit allen Folgen für die sozialen Beziehungen und das Leben überhaupt. "Sozialismus oder Barbarei", wir werden eine dieser Zeiten in der Geschichte des Kapitalismus erleben, in der diese Aussage ihre volle Bedeutung gewinnt.

4. Februar 2016