Referat bei einer LO-Veranstaltung anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Generalstreiks im Mai und Juni 1968
"Mai 68" in Frankreich wird oft als ein studentischer Aufstand dargestellt, der eine echte Befreiung der Sitten zur Folge gehabt hätte. Es ist tatsächlich richtig, dass das damalige von alten, staubigen und konservativen Politikern beherrschte Frankreich von einer entschlossenen und phantasiereichen Jugend erschüttert wurde.
Aber "Mai 68" war nicht nur das. Wenn das nur ein Aufstand der Studenten und der Gymnasiasten gewesen wäre, hätte man ihn auch schon lange vergessen. Wer spricht noch zum Beispiel von der riesigen Studentenbewegung von 1986 gegen das Projekt des Ministers Devaquet? Die Polizei war auch damals sehr brutal gewesen, es gab zahlreiche Verletzte und einen Toten, den Studenten Malik Oussékine.
Nein, "Mai 68" war auch die größte Welle von Arbeiterstreiks, die Frankreich seit 1936 gesehen hat. Es gab bis 13 Millionen Streikende in dieser Welle, die sich bis Ende Juni ausbreitete. Und genau das war die Ursache für die Kraft dieser Bewegung. Diese Streikwelle erschreckte nicht nur die Regierung, sondern auch die französische Bourgeoisie. Und die Erinnerung an diese Streiks erschreckt die Rechte in Wirklichkeit bis heute, diese Rechte, die immer noch auf Mai 68 ausspuckt, oder Sarkozy, der sich kürzlich wünschte, "dem Geist von Mai 68 ein Ende zu machen".
Die politische Lage kurz vor Mai 1968
Wie war die politische Lage kurz vor Mai 1968? Seit einigen Jahren hatte sich ein breiter Teil der studentischen Jugend politisiert. Das hatte mit der Opposition gegen den Algerienkrieg angefangen. Und bei diesem Problem konnte sich die Jugend in den Parteien der traditionellen Linke nicht zurechtfinden.
Die Sozialistische Partei hatte sich nämlich in der Repression in Algerien tief kompromittiert. Seinerseits hatte die Kommunistische Partei (PCF) während des Algerienkrieges ein zweideutiges Verhalten eingenommen: Sie sprach sich für den Frieden in Algerien aus, verweigerte aber der Jugend, die sich gegen die Ausdehnung des Militärdienstes auf 24 Monate entgegenstellte, eine aktive Unterstützung.
Im Wesentlichen hatten die UNEF, die Hauptstudentengewerkschaft, und die PSU, eine zeitweise links von der Sozialdemokratie stehende kleine Partei, den Protest organisiert. Besonders die verbotene Demonstration für das Recht des algerischen Volks auf die Unabhängigkeit im Oktober 1960.
Kurz vor 1968 mobilisierte auch der von dem amerikanischen Imperialismus in Vietnam geführte Krieg einen Teil der Studierenden. In diesem Zusammenhang verstärkten sich in diesem Milieu die revolutionären Gruppen, die die PCF-Tageszeitung L'Humanité mit Missachtung "Linksradikalen" nannte.
Im Frühling 1968 wurde die Jugend auch von studentischen Problemen in Aufregung versetzt. Aber ein Teil dieser Jugend fühlte sich von breiteren politischen Fragen betroffen, besonders von den Kriegen gegen arme Länder.
In den Universitäten stieg das Fieber. Fast jeden Tag gab es Veranstaltungen, Versammlungen, bis Studenten, unter ihnen Cohn-Bendit, aus der Universität Nanterre ausgeschlossen wurden. Da nahmen die Empörung und die Aufregung zu.
Nach der vorläufigen Schließung der Nanterre-Universität am 3. Mai wurde eine Protestversammlung in der Sorbonne (Pariser Universität) organisiert. Die Polizei griff ein. Die im Hof für diese Kundgebung versammelten Studenten wurden festgenommen. Protestveranstaltungen gegen diese Verhaftungen und Schlägereien wiederholten sich dann mehrfach im Studentenviertel Quartier Latin. Die Zusammenstöße zwischen Studenten und Polizeikräfte waren sehr gewaltsam. Die Sorbonne wurde ebenfalls geschlossen. Infolge dessen und als Antwort auf die Verurteilung von Studenten rief die UNEF zum allgemeinen und unbeschränkten Studentenstreik ab 6. Mai und zur Kundgebung vor der Sorbonne auf.
Eine Woche lang, vom 6. Mai bis zum 10. Mai, fanden in Paris sowie in Provinzstädten wie Toulouse, Caen oder Straßburg Großkundgebungen statt. Die Studenten demonstrierten nicht mehr nur für ihre ursprünglichen Forderungen, sondern nun auch gegen die Polizeibrutalitäten und für die Befreiung ihrer eingesperrten Kollegen.
Auf die Forderungen der akademischen Jugend antwortete die Staatsmacht mit dem Einsatz von Spezialeinheiten der Polizei, mit Knüppeln und Tränengasgranaten. Aber die Studenten ließen sich das nicht gefallen. Jeder neue Einschüchterungsversuch brachte neue Kundgebungen.
Tag für Tag und Demo nach Demo zeigte sich die Bevölkerung mit den Studenten, und bald mit den Gymnasiasten, immer solidarischer. Die Gewalt der Repression schockierte sie. Die Entschlossenheit der jungen Demonstranten, erzeugte Bewunderung, besonders bei den jungen Arbeitern. Zum ersten Mal seit langem hatten tatsächlich Demonstranten in Paris der Polizei widerstanden - übrigens viele von diesen Polizisten wurden während des Algerienkrieges "ausgebildet".
Die traditionelle Linke, derer Gewicht ziemlich wichtig war (bei der Parlamentswahl von Juni 1967 erreichte die PCF 22,5 % der Stimmen, die Sozialisten 16,5 %) unterstützte die Studentendemos nicht, ganz im Gegenteil. Sie hörte nicht auf, sie herabzusetzen. Sie erzählte von den Gewalttätigkeiten, die die "Provokateure" bei den Kundgebungen verursacht hätten, aber niemals von der Gewalt auf der Seite der Polizei oder der Spezialeinsatztruppen, die von der Pompidou-Regierung entsandt wurden.
Der PCF-Führer Georges Marchais schrieb so in L'Humanité am 3. Mai: "Diese falschen Revolutionäre müssen energisch demaskiert werden, weil sie objektiv die Interessen der gaullistischen Macht und der großen kapitalistischen Monopole bedienen".
Die Studenten setzten also ihre Bewegung fort, ohne die Linke, das heißt ohne die sozialistische Partei, die ohnehin ziemlich schwach war, und auch ohne die PCF. In der Nacht am Freitag, dem 10. Mai, versammelten sich die Pariser Studenten erneut im "Quartier Latin". Die Barrikaden der Gay-Lussac-Strasse wurden das Symbol des Widerstandes. Als die Polizisten angriffen, machten sie es mit einer besonderen Rohheit: Sie knüppelten die Sanitäter nieder, sie rissen Verletzte aus den Tragbahren. Es gab Hunderte Verletzte.
Die Gewalt der Repression, die direkt von den Radioreportern beschrieben wurde, führte im ganzen Land zu einer großen Empörung. Dieses Mal riefen die Arbeiterorganisationen, zusammen mit der UNEF, zu Kundgebungen am 13. Mai und zum Generalstreik auf um die Solidarität mit den Studenten.
Das war ein spektakulärer Umschwung: Die Gewerkschaften riefen immerhin auf, mit denen zu demonstrieren, die sie am Vorabend noch behandelten als "Unverantwortliche, die in den Händen der Regierung arbeiten".
Der 13. Mai
Am 13. Mai standen im ganzen Land alle Räder still. Den ganzen Tag lang gingen überall in Frankreich Hunderttausende Studenten und Arbeiter auf die Straße. Nach Presseangaben waren sie in der Hauptstadt eine Million. Die Internationale wurde gesungen, die roten Fahnen flatterten über den Demos. Die Arbeiter und die Studenten waren trotz der Zurückhaltung der [PCF-nahen Gewerkschaft] CGT gemeinsam auf der Straße. Sie riefen mit Beziehung auf Präsident Charles de Gaulle: "Zehn Jahre sind genug!" Der Enthusiasmus war riesig, die Demonstranten wurden sich ihrer Kraft und ihrer Anzahl bewusst. Man hatte seit Juni 1936 keine solche Mobilisierung mehr gesehen.
Es handelte sich nicht um Demonstrationen und um einen Streik, die auf besondere Forderungen konzentriert waren. Die Wut war ganz einfach gerade dabei zu explodieren. Tatsächlich handelte es sich um einen politischen Streik. Zur Solidarität mit der studentischen Bewegung kam die tiefe Unzufriedenheit der Bevölkerung gegenüber der gaullistischen Macht, die seit zehn Jahren alles monopolisierte, hinzu.
Unbeabsichtigt diente der 13. Mai als Zünder des Generalstreiks. Am nächsten Tag gab es überall in den betrieben "Elektrizität in der Luft". Die Gewerkschaftsorganisationen hatten den 13. Mai als einzelnen Protesttag veranstaltet - ohne weitere Perspektive. Sie hatten an diesem Tag keinerlei weitere Proteste angekündigt oder vorgesehen.
Aber die Arbeitenden wollten es einfach nicht so lassen. Erste Streiks entstanden in der Provinz ab dem 14. Mai. Ihre unaufhaltsame Ausbreitung gab den Ereignissen des Mai 1968 eine ganz neue Bedeutung.
Am 14. Mai wurde in Bouguenais, in der Nähe von Nantes, der Streik in der Sud-Aviation-Fabrik fortgesetzt. Dort hatten schon seit drei Wochen Kurzstreiks über Lohnforderungen und Arbeitszeitverkürzung stattgefunden. Eine kleine Gruppe von Aktivisten um einen Mitglied der PCI (lambertistische Strömung) war innerhalb des Betriebs aktiv und ermutigte die Beschäftigten, im Gegensatz zu den Gewerkschaftsleitungen, weiter zu gehen. Die Arbeitenden beschlossen die Fabrik zu besetzen und den Werksleiter und einige leitende Angestellte einzusperren.
Innerhalb von wenigen Tagen hat sich der Streik schnell auf das Land ausgebreitet. Ab dem 15. Mai wurde die Renault-Fabrik in Cléon auf Initiative junger Arbeiter besetzt. Und dann hat sich eines aus dem anderen entwickelt. Seit dem 16. Mai breitete sich der unbeschränkte Streik mit Fabrikbesetzung in Renault-Flins, Renault-Le Mans und dann Renault-Billancourt bei Paris aus.
Diese ersten Streiks wurden mit örtlichen Aktivisten der CGT oder der [an der Sozialdemokratie orientierten Gewerkschaft] CFDT begonnen, ohne dass die Gewerkschaftsverbände die kleinste Anweisung gegeben hatten. Diese Arbeitseinstellungen wurden mit Aufmerksamkeit von allen denjenigen verfolgt, die noch arbeiteten. In den Werkstätten und in den Kantinen blieben die Radios an und die Nachrichten wurden mit Aufmerksamkeit gehört. Die Diskussionen über die Situation waren ununterbrochen, alle warteten auf etwas.
In dieser gespannten Stimmung beschlossen schließlich die Gewerkschaftsorganisationen bzw. die beherrschende CGT einen Schritt weiter zu gehen. Sie blieben dennoch sehr zurückhaltend und sagten nichts über Ziele einer Gesamtbewegung. Sie riefen nie alle Arbeitenden zum Generalstreik auf, aber sie ergriffen die Initiative, Fabrik nach Fabrik zum Streik aufzurufen. Sie riefen meistens auch zur Besetzung auf, da wo die Arbeiter es schon gemacht hatten.
Man war nur eine Generation von der großen Streikwelle vom Juni 1936 entfernt. Und viele Arbeiter erinnerten sich noch an die Heidenangst der Unternehmer vor den Fabrikbesetzungen. Da hatten sie befürchtet, ihre Fabriken, ihr Vermögen wie in Russland 1917 zu verlieren.
Die CGT wendet sich dem Streik zu
Die Leitung der CGT und dann der anderen Gewerkschaften gaben ihren Aktivisten also grünes Licht, um in den Streik einzutreten. Viele hielten sich schon bereit! Die Streikwelle erreichte dann schnell größeres Ausmaß. Den Medien nach wuchs die Anzahl der Streikenden von Tag zu Tag, sogar von Stunde zu Stunde. Am Freitagmorgen, dem 17. Mai, kündigten die Radiosender 100.000 Streikende an, nachmittags erzählten sie von 200.000 Streikenden und in der Nacht von 300.000. Nach Sud-Aviation und Renault, Hispano, Rateau, Babcock, Berliet, Rhône-Poulenc, Air France, der Bahn, der Pariser U-Bahn und den Werften in Saint-Nazaire unterbrochen fast alle die Arbeit.
Als De Gaulle am Morgen des 18. mai von einer Reise nach Rumänien zurückkam, waren die Streikenden mehr als eine Million. Am Abend kündigte die Presse zwei Millionen Streikende an. In den folgenden Tagen waren sie drei Millionen. Am 20. Mai verbreitete sich der Streik weiter - bis hin zu den Tankwarten, Taxifahrern, Kellnern und zu vielerlei kleinen Unternehmen. Im Land stand alles still.
Die Gewerkschaftsvorstände riefen tatsächlich zum Streik und zur Besetzung der Fabriken und der Büros auf. Sie konnten anders nicht machen. Die Arbeiter hätten nicht mehr auf ihren Aufruf gewartet. Sie bemühten sich aber, die Situation in ihrer Alleinkontrolle zu behalten. In den meisten Unternehmen wurden Besetzungen eher von Gewerkschaftern durchgeführt als von Arbeitern. Oft wurden die Arbeiter aufgefordert, einfach nach Hause zu gehen und sich täglich über den weiteren Verlauf zu erkundigen.
Die Gewerkschaftsvorstände erklärten den Arbeitern, dass die Absicht mit den Besetzungen wäre, "die Maschinen zu schützen" (dabei war gemeint: gegen vermeintliche Angriffe von Seiten der Linksradikalen oder der Faschisten, die von der PCF oft in einen Topf geworfen wurden) und nicht, wie im Juni 1936, das heilige Recht des Eigentums der Kapitalisten anzugreifen. Einige Arbeiter wunderten sich dann, warum die CGT selbst das Eigentum des Unternehmers schützte - in einem Augenblick, wo einige von denen, wie Dassault zum Beispiel, ihre Familien bereits in die Schweiz schickten!
Es war freilich tatsächlich so, dass die Gewerkschaftsverbände eine abkühlende Politik betreiben konnten, ohne auf allzu viele Probleme zu treffen. Der Streik war zwar kraftvoll. Aber keine linksradikale Organisation war imstande, der Arbeiterklasse eine andere Politik anzubieten, so dass diese Politik der Gewerkschaften wirkungsvoll bestreitet werde. Die riesengroße Mehrheit den Streikenden vertraute den Gewerkschaften. Die Streikenden waren sich der von den Bürokratien gespielten Rolle nicht bewusst. Sie konnten nicht glauben, dass es den Gewerkschaftsvorständen grundsätzlich vor allem darum ging, die Bourgeoisie nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
In vielen Städten blieben die Streikenden zu Hause und begnügten sich damit, regelmäßig im Betrieb vorbeizuschauen. Dann gingen sie wieder heim und überließen den Gewerkschaftsleitern die Besetzung der Fabrik und die Initiative.
Die Gewerkschaften machten auch alles, was sie konnten, um einen Schutzwall zwischen den Studenten und den Arbeitern aufzubauen. Sie wollten die Arbeiter von der rebellischen Jugend der Universitäten und der Gymnasien trennen, dank derer der Schwung nach Freiheit, Diskussion und Demokratie begonnen hatte. Die Gewerkschaftsvorstände wollten unbedingt verhindern, dass die revolutionären Ideen, die im Mai 1968 schnell wieder blühten und alle Diskussionen in Brand setzten, in die Arbeiterklasse eindringen.
So haben sich die Gewerkschaftsvorstände fast überall an der Spitze der Streiks gesetzt, manchmal durch "gewerkschaftsübergreifende Streikkomitees". Aber sie ließen die Bewegung einfach auslaufen.
Die Reaktion der Regierung
Die Situation hatte sich trotz alledem sehr verändert: Nicht nur die Studenten waren jetzt allein auf der Straße. Dieser Streik, der sich so schnell verbreitet hatte, beschäftigte ernstlich die Regierung und die Unternehmer. Sie brauchten ein Mittel zu finden, so dass diese Welle die alle Unternehmen des Landes überflutet hatte, zurückgeht.
Seit Samstag, dem 25. Mai hatten im Arbeitsministerium in der Grenelle-Strasse eilige Verhandlungen stattgefunden. Beteiligt waren Vertreter der Gewerkschaftsbünde, der Unternehmer und der Regierung. Ihr gemeinsames Ziel bestand darin, ein Mittel zu finden, um die Arbeiterklasse wieder an die Arbeit zu bringen.
Man weiß immer noch nicht, ob am Ende dieser Versammlung von den verschiedenen Verhandlern eine "Vereinbarung" unterschrieben worden ist. Der CGT-Generalsekretär Georges Séguy leugnete es, nachdem der Inhalt des "Protokolls von Grenelle" von den Arbeitern in Renault Billancourt, vor denen er ihn vorstellen wollte, ausgepfiffen worden war.
Das worüber sich George Séguy freute, war tatsächlich höchst fragwürdig. Was er als einen "historischen Erfolg" präsentierte, waren bloß 7 bis 10 % Lohnerhöhung in einer Zeit, wo die Inflation bei 5 bis 6 % pro Jahr stand. Für die Streikenden war dieses Verhandlungsergebnis weit weg davon was sie erwarteten.
Außerdem kündigte Séguy an, dass die Unternehmer akzeptiert hatten, 50 % der Streiktage zu bezahlen, aber unter der Bedingung, dass die Arbeitenden diese Tage späten nacharbeiten würden! Da wurde Séguy von den Arbeitern in Renault richtig ausgepfiffen.
Und dieses Protokoll von Grenelle sprach kein Wort weder über die Pensionen, noch über die Arbeitsdauer und über die mobile Lohnskala, das heißt über die automatische Lohnerhöhung nach einer Preiserhöhung.
Grenelle war zurückgelassener Brösel auf dem Tisch der Arbeitenden. Dagegen bekamen die Gewerkschaften Fortschritte für sie selbst, mit der Anerkennung der "Betriebsgewerkschaftsgruppen", mit Delegationenzeit und mit Gerichtsschutz.
Die Wahlen und die Niederlage der Linke
Aber vor allem wurde Grenelle ein wahrer Stoß in den Rücken der Beschäftigten. Die Gewerkschaftsvorstände spalteten ab diesem Moment die Bewegung: Sie behaupteten, es müsse "nach Branche oder Betrieb verhandelt werden".
Im gleichen Moment übernahm De Gaulle wieder die Initiative. Am 30. Mai kündigte er die Auflösung der Nationalversammlung und die Durchführung neuer Parlamentswahlen an. Sie waren für den 23. und 30. Juni geplant. Übrigens wurde die Armee unauffällig in Alarmbereitschaft versetzt.
Anstatt alles zu machen, um den Streik zu unterstützen, stürzten sich die linken Parteien in die Sackgasse der Wahl. Die offizielle Linke dachte, nach 10 Jahren mit De Gaulle sei die Zeit des Wechsels gekommen. Und getreu ihrer Linie kündigte die CGT auch an, "sie werde keineswegs die Wahlen stören".
Im Klartext bedeutete das, dass die Streikenden verlassen wurden, in einer Zeit wo sie noch imstande waren, ihren Willen durchzusetzen. Aber mit ihrer Weigerung, den Streik weiter zu unterstützen, suchten die linken Parteien den richtigen Weg nicht aus, um die Wahlen zu gewinnen.
Mitterrand zum Beispiel: Er hatte sich für den Fall neuer Präsidentenwahlen bereits als Kandidat erklärt und sich auch sofort von den streikenden Studenten sorgfältig distanziert und sie sogar als "Trottel" bezeichnet. Die anderen sozialistischen Führer behaupteten, man müsse vor den "falschen Revolutionären" gewarnt sein. Kurz gesagt betrachteten sie die Bewegung der Studenten mit höchster Missachtung.
Was es die PCF betrifft, hatte sie nicht aufgehört, die streikenden Studenten zu verleumden. Und sie rief die Arbeiter zur Rückkehr an die Arbeit auf. Wie konnte sie dann das Vertrauen der Volksschichten mit dieser Politik anziehen, während 13 Millionen Arbeiter im Streik waren?
Die Wahlen waren schließlich ein Misserfolg für die Linke. Die PCF verlor 600.000 Stimmen, die Sozialdemokraten fast ebenso soviel. Die Anzahl von ihren Abgeordneten wurde halbiert: Die PCF sank von 72 auf 34 Abgeordnete, die Sozialdemokratie von 116 auf 57 Abgeordnete.
CGT und PCF rechtfertigten sich dann: Sie erklärten, die zehn Millionen Streikenden hätten die Macht nicht gefordert. Das war richtig, aber war das ein Grund, alles in Bewegung zu setzen, um die Arbeiter unbedingt an die Arbeit wieder zu bringen?
Was hätten Organisationen gemacht, die den Einfluss der CGT oder der PCF in der Arbeiterklasse hatten und die wirklich die Interessen der Arbeitenden verteidigen wollten? Sie hätten sich bemüht, ehrgeizigere Ziele vorzuschlagen, die der Realität des Zeitpunktes entsprachen. Und vor allem hätten sie dieses Kräfteverhältnis ausgenützt, um die zukünftigen Kämpfe vorzubereiten.
Echte Organisationen der Arbeiterklasse hätten stärkere Lohnerhöhungen, eine richtige Verkürzung der Arbeitswoche, aber auch eine mobile Lohnskala gefordert. Das ist die einzige Weise, die Unternehmer zu hindern, durch die Inflation das zurückzunehmen, was sie durch den Streik abgegeben haben. Sie hätten eine richtige von der Bevölkerung ausgeübte Preiskontrolle vorgeschlagen. Sie hätten aber auch eine Arbeiterkontrolle über die Betriebsführungen populär gemacht, um die genaue finanzielle Situation der Unternehmen klar zu machen.
Die Zukunft sollte nämlich vorbereitet werden. Es gab in Frankreich eine Generation von Jugendlichen, die von den Streiks begeistert waren und die die Kraft dieser 10 Millionen Streikenden gespürt hatten. Diese Jugend hatte die Vorsicht, sogar die Furcht, der Bourgeoisie gemerkt. Und diese Jugend bewies ihre Kampfbereitschaft noch lange in den Jahren nach 1968. Aber die PCF und die CGT wollten vor allem den Generalstreik des Mai 68 nicht ausnützen, um die Jugend richtig politisch auszubilden.
Seit 1973/1974, mit dem Vorwand einer Erhöhung des Erdölpreises (der so genannte Ölschock) stoppte die Bourgeoisie jegliche Zugeständnisse abrupt. Die Kündigungspläne, die Betriebsstilllegungen fingen an. Diese Angriffe haben eine Periode mit immer größeren Schwierigkeiten für die Arbeiter eröffnet. Seitdem haben sich diese Angriffe weitaus verschärft.
Ein neuer Mai 68 ist notwendig!
Man hört, ein neuer Mai 68 sei notwendig. Damit sind wir einverstanden! Das stimmt, die gegenwärtige Periode ist dieser Epoche ähnlich. Wir ertragen auch die Preiserhöhung, die Arroganz der Rechten, die niedrigen Löhne, die Perspektivlosigkeit der Jugend.
Wir müssen uns also mit der Geschichte des Mai 68 beschäftigen, um Lehren daraus zu ziehen. Ins Besondere um welche Forderungen die Arbeiter in so einer Streikbewegung kämpfen müssen.
Zurzeit steigen die Preise: Wir brauchen also nicht nur eine allgemeine und ordentliche Erhöhung aller Löhne und Renten, sondern eine gleitende Lohn- und Rentenskala. Es ist auch notwendig, die Löhne mit der Preiserhöhung zu verbinden.
Die Statistiken der Regierung verschleiern den Umfang der Entlassungen und der Arbeitslosigkeit. Die großen Unternehmen legen immer weitere Fabriken still, sie entlassen immer mehr Arbeiter. Wir müssen Massenentlassungen verbieten und die Aufteilung der Arbeit unter allen erzwingen und zwar ohne Lohnverlust.
Wir müssen vor allem die großen Konzerne verpflichten, ihre Buchführung, ihre Einkommen und die Besitztümer der großen Eigentümer zu veröffentlichen. So wird sich beweisen, dass es ohne weiteres möglich ist, die wesentlichen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen: Das heißt, die Arbeitsstellen aufrechtzuerhalten, die Gehälter zu erhöhen, allen eine richtige Wohnung zu sichern.
Der erste Schritt in diese Richtung heißt, das Handelsgeheimnis, das Bankgeheimnis, das Industriellengeheimnis aufzuheben. Die Unternehmer bereiten ihre üblen Schläge gegen die Beschäftigten und die Gesellschaft in der Geheimhaltung der Aufsichtsräte vor. Die Arbeitenden haben das Recht, die "Geheimnisse" der Unternehmen, der Industrie- und Finanzgruppen und der ganzen Wirtschaft zu kennen. Unser Leben hängt eben davon ab.
Viele denken, es sei utopisch. Ist aber eine Mobilisierung aller Arbeitenden, um diese Forderungen durchzusetzen, eine Utopie? Nein. Dagegen ist der Glaube daran, dass wir unsere Lage und die der jüngeren Generation ohne eine breite Kampfbewegung verbessern könnten, reine Utopie.
Mai 68 hat vor allem eine Tatsache gezeigt: Jederzeit, sogar nach Jahren mit einer machtvollen Rechte, sogar in schweren Zeiten für die Arbeiter, sogar wenn Resignation überall herrscht, kann die Wut doch explodieren!