Die programmatische Basis unserer Politik (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Dezember 2003)

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Die programmatische Basis unserer Politik
Dezember 2003

1848 schrieben Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei: "Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie zeichnet sich [...] dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat."

Auf diese grundlegenden Behauptung, die sich von einer mehr als eineinhalb Jahrhunderte langen historischen Entwicklung bestätigt sieht, stützen sich das Programm und die Praxis der proletarischen Revolutionäre.

Seit dem Beginn des XVI. Jahrhunderts haben die Entwicklung des Bürgertums und der Manufakturproduktion mit dem auf Amerika, Afrika und Indien gerichteten Handel die Ausdehnung des Welthandels mit sich gebracht, oft in der Form von Plünderungen und, im Gegenzug, der Schaffung eines Binnen- und Weltmarktes.

Die Industrialisierung verursachte eine Fluchtbewegung der Landbewohner in die Städte sowie eine zunehmende Verstädterung und die Erscheinung des Industrieproletariates, das sich um die Produktionsstätten in gesundheitsschädlichen Elendsvierteln und unter abscheulichen Arbeitsbedingungen zusammendrängte.

Mit der industriellen Revolution in den ersten Jahren des XIX. Jahrhunderts entwickelte sich der Weltmarkt wesentlich. Die Industrialisierung zuerst Westeuropas, dann der Ostküste der USA führte zu einer echten internationalen Arbeitsteilung und zum modernen Proletariat hervor.

Das mit der Entwicklung der Bourgeoisie verbundene Wachstum der industriellen und landwirtschaftlichen Produktionskapazitäten schuf die wirtschaftlichen Grundlagen, mittels derer alle körperlichen, materiellen und intellektuellen Bedürfnisse der ganzen Weltbevölkerung befriedigt werden können.

Es ist von nun an möglich, eine Welt frei von Hunger, Elend, Ausbeutung und Verfremdung zu schaffen. Für diese kommunistische Gesellschaft wollen wir handeln.

Der Geburtenüberschuss in der Mehrheit der unterentwickelten Länder wird kein Problem sein, im Gegensatz zu den Behauptungen mancher Wissenschaftler, die ihn für die Unterentwicklung verantwortlich machen. In den westlichen Ländern konnte man unter dem Einfluss des Lebens- und Kulturniveaus eine Stabilisierung, wenn nicht sogar einen Rückgang, der Geburtenziffer feststellen. Die Bevölkerung wächst lediglich dank der Zuwanderung aus armen Ländern.

Der Kampf des Proletariates kann sich also nicht auf den Rahmen nationaler Grenzen beschränken. Ganz im Gegenteil: Es ist ein internationaler Kampf mit dem Ziel, die wirtschaftliche und politische Herrschaft der Bourgeoisie zu zerstören und die Arbeiterklasse auf weltweiter Ebene in einer wirtschaftlich und politisch herrschenden Klasse zu organisieren. Der Internationalismus bringt diese grundlegende Gemeinschaft der Interessen und Ziele zum Ausdruck, und nicht eine einfache Solidarität. Auf politischer Ebene bedeutet das, dass die Kommunisten "in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen." Weil die russische Revolution isoliert blieb, hatte sie zur Folge die durch Stalin verkörperte schreckliche bürokratische Degeneration.

Nur im Rahmen des Aufbaus einer weltweiten, für die sozialistische Revolution (oder zumindest in diese Perspektive) kämpfenden Partei kann man einen Teil der Arbeiterklasse und der anderen proletarischen Klassen, die mittelbar oder unmittelbar ausgebeutet werden, für die revolutionären kommunistischen Ideen gewinnen, um hier in Frankreich eine revolutionäre kommunistische Partei aufzubauen.

Auch wenn es derzeit keine solche Internationale gibt, müssen wir uns also trotzdem unaufhörlich darum bemühen, die Probleme des Proletariats und der französischen Gesellschaft unter dem Blickwinkel der politischen und sozialen Interessen des internationalen Proletariats zu betrachten.

Unser Programm stützt sich auf die politischen Errungenschaften der revolutionären kommunistischen Bewegung, und folglich auf die programmatischen Grundlagen, wie sie im Manifest der Kommunistischen Partei, in den ersten vier Kongressen der Kommunistischen Internationale und im Übergangsprogramm, dem Gründungsprogramm der Vierten Internationale, formuliert werden.

Das Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 unterstreicht die unersetzliche Rolle, die das Proletariat in den sozialen Veränderungen spielt: "Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staates, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren".

In dieser Textpassage kommt auch die tatsächliche Bedeutung des 1852 von Marx geprägten Begriffes "Diktatur des Proletariats" zum Ausdruck. Es handelt sich um die demokratische Macht des "zur herrschenden Klasse organisierten Proletariats" (was nichts mit der Verformung dieses Begriffes durch die Stalinisten zu tun hat, die damit die bürokratische Diktatur der UdSSR rechtfertigten). Es ist nur insofern eine Diktatur, als dass ihre wesentliche Funktion darin besteht, "despotische [...] Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse" vorzunehmen, da dies das "Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise" darstellt.

Die Arbeitermacht wird das Gegenteil des Bürgerstaates sein, der sogar unter dem Deckmantel der demokratischsten Regimes einen diktatorischen Charakter hat, in seiner wesentlichen Funktion der Verteidigung des bürgerlichen Eigentums und der kapitalistischen Produktionsweise.

Die "demokratische Diktatur des Proletariats" wird von Anbeginn demokratischer sein müssen als die demokratischste Herrschaft der Bourgeoisie, wo das hinter den Wahlinstitutionen versteckte Großkapital diktiert. Der Untergang der politischen Herrschaft der Bourgeoisie ist vorausbestimmt. Sie wird einer Assoziation Platz machen, in der "die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist".

Diese marxistische Anschauung des Staates, seiner Rolle und seiner Natur, die heute bürgerlich ist, nach der Revolution aber proletarisch sein wird, und sein unvermeidlich voranschreitender Untergang angesichts der Veränderungen in der Gesellschaft wurden im August 1917 zwischen zwei Revolutionen von Lenin formuliert und vor allem verteidigt. Es war zwischen der Revolution von Februar 1917, die zum Sturz des Zarismus führte, und jener Revolution, die im Oktober-November das Bürgertum stürzte.

In seiner im August 1917 verfassten Schrift Der Staat und die Revolution nahm Lenin Marxens Gedanken, die unzählige Opportunisten angeblich vertreten und dabei verformt hatten, wieder auf. Er erläuterte die Ideen von Marx und Engels angesichts der Erfahrung der russischen Revolutionen von 1905 und 1917 und der revolutionären Krise seiner Gegenwart.

Aus den ersten vier Kongressen der Kommunistischen Internationale leiten wir die Überzeugung ab, dass eine Partei unentbehrlich ist, um die sozialistische Revolution zu vollbringen.

"Nur in dem Fall, wenn das Proletariat als Führer eine organisierte und erprobte Partei mit streng ausgeprägten Zielen und mit handgreiflich ausgearbeitetem Programm über die nächsten Maßnahmen sowohl auf dem Gebiet der inneren wie auch der auswärtigen Politik hat, wird die Eroberung der politischen Macht nicht als zufällige Episode erscheinen, sondern sie wird als Ausgangspunkt dienen zu einem dauernden kommunistischen Aufbau der Gesellschaft durch das Proletariat." (Im Juli 1920 vom 2. Kongress der Kommunistischen Internationale angenommener Text).

Das unterscheidet uns nicht nur von den Anarchisten, sondern auch von einer Vielzahl aktueller Bewegungen, die jegliche Vorstellung einer politischen Organisation der ausgebeuteten und unterdrückten Klassen ablehnen. Sie sprechen lediglich von "sozialen Bewegungen", doch hinter ihrer angeblich unpolitischen Einstellung verstecken sich häufig reformistische, wenn nicht sogar reaktionäre, politische Ziele.

Wir unterscheiden uns damit aber auch von den Anhängern einer "Arbeitermassenpartei". Nur in einem Kontext zunehmender revolutionärer Aktivität, nur wenn die große Mehrheit der Arbeiterklasse selbst überzeugt ist, dass es notwendig ist, die politische Herrschaft zu übernehmen - nur dann könnte eine Partei, die für die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft kämpft, eine Massenpartei sein. Das Konzept einer "Arbeitermassenpartei" dient im Allgemeinen den Vertretern einer reformistischen Politik als Zuflucht. In normalen Zeiten sind die Arbeitenden in ihrer Gesamtheit nicht revolutionär. Ganz im Gegenteil: Die Massen sind reformistisch. Lediglich in kritischen Zeiten greift das Gefühl der Notwendigkeit einer radikalen politischen Veränderung auf die Massen über. Außerhalb dieser Perioden kann nur ein kleiner Teil der Arbeitswelt für die revolutionären Ideen gewonnen werden.

Das Übergangsprogramm (September 1938), die Fortsetzung der vorhergegangenen programmatischen Texte, analysiert die bürokratische Degeneration des ersten Arbeiterstaates und verteidigt das kommunistische Programm gegen die stalinistischen Verformungen. Vor allem aber definiert es die "Übergangsforderungen [...], die ausgehen von den augenblicklichen Voraussetzungen und dem heutigen Bewusstsein breiter Schichten der Arbeiterklasse und unabänderlich zu ein und demselben Schluss führen: Der Eroberung der Macht durch das Proletariat". Dabei unterscheidet es "das Minimalprogramm, das sich auf Reformen im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft beschränkte, und das Maximalprogramm, das für eine unbestimmte Zukunft die Ersetzung des Kapitalismus durch den Sozialismus versprach."

Auf dieses Programm stützen wir uns, wenn wir entsprechend der gegenwärtigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation ein Verbot von Massenentlassungen unter der Androhung von Betriebsbeschlagnahmen fordern, vor allem in den Unternehmen, die zynisch ihre Gewinne aushängen. Es handelt sich um eine Übergangsforderung, da für ihre Realisierung ein Stand sozialer Kämpfe notwendig ist, der es ermöglicht, das kapitalistische Privateigentum in Frage zu stellen.

Die Forderung, das Geschäfts- und Bankgeheimnis abzuschaffen, ist ebenfalls eine Übergangsforderung, da nur das Proletariat sie verwirklichen kann. Selbstverständlich, wenn die Offenlegung der Buchhaltung und die Transparenz der Geschäfte Gesetzesartikel blieben oder wenn allein die Organismen der Klassenkollaboration, wie Betriebsräte, das Recht hätten, die Konten der Unternehmen zu überprüfen, wären diese Ziele einfach nur reformistisch. Wenn jedoch das mobilisierte Proletariat diese Prüfung übernimmt, ermöglicht ihm das, die Konten der Unternehmen und der Banken zu kontrollieren, in ihre Verwaltung einzugreifen und schließlich die gesamte Verfügung des Industrie-, Geschäfts- und Bankkapitals durch die Großbourgeoisie infrage zu stellen.

Das Übergangsprogramm ist ebenfalls der Schlüssel zum Verständnis der bürokratischen Degeneration des ersten Arbeiterstaats und aller durch den Stalinismus herbeigeführten Verformungen des Programms und der grundlegenden Werte der Arbeiterbewegung. Gegenüber den zahlreichen Bewegungen, die sogar vor, besonders aber nach dem Tod Trotzkis den Begriff des degenerierten Arbeiterstaats für die UdSSR aufgegeben haben, und damit auch das allgemeine Konzept eines Arbeiterstaats, haben wir immer die Analyse Trotzkis verteidigt.

Obwohl die Sowjetunion zerfallen ist und die Mehrheit ihrer Führer zum Kapitalismus zurückzukehren arbeitet, stellen wir auch heute diese Analyse nicht grundlegend infrage. Wir situieren uns in der Fortsetzung dieses politischen Kampfes, denn auch heute lassen sich gewisse Charakterzüge der ehemaligen Sowjetgesellschaft nicht ohne die Analysen Trotzkis erklären. Vor allem aber ist die Entwicklung zur totalen sozialen und wirtschaftlichen Herrschaft der Bourgeoisie noch lange nicht abgeschlossen.

Die 1938 von Leo Trotzki gegründete Vierte Internationale blieb bis zum seinen Tod 1940 die einzige politische Fortsetzung der Bewegung, die zuerst vom Internationalen Arbeiterassoziation von Marx und Engels, dann bis zum Ersten Weltkrieg von der Zweiten Internationale und in den Jahren zwischen 1919 und 1923 von der Kommunistischen Internationale verkörpert wurde. Auch wenn die Vierte Internationale als internationale Führung den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt hat, so ist das Übergangsprogramm, ihr Gründungsprogramm, trotz der Umstände, unter denen es verfasst wurde, doch der beste existierende Leitfaden für die proletarischen Revolutionären. Der Wiederaufbau einer revolutionären kommunistischen Internationale ist deshalb ihre grundlegende Aufgabe.

Unser politisches Programme

Der Wiederaufbau einer Internationale setzt den Aufbau proletarischer Parteien, die die historische Rolle des Proletariats verteidigen, in allen Ländern der Welt voraus. Das hindert die Arbeiterparteien in den jeweiligen Ländern nicht daran, ihre unmittelbaren Interessen, d. h. jene der ganzen Gesellschaft, zu schützen, doch geschieht das, ohne die allgemeinen Interessen aus den Augen zu verlieren und in ihrem Rahmen.

Für uns ergibt sich daraus, dass unsere GenossInnen in den Betrieben an den kleinen und großen Kämpfen teilnehmen, die die Arbeitenden und die Ausgebeuteten im Allgemeinen führen, um ihre Existenzbedingungen zu verteidigen. Daraus folgt auch, dass sie sich in der Gewerkschaft engagieren müssen. Aber in den kleinen und großen Kämpfen gegen die Bourgeoisie und ihren Staat genauso wie in der Gewerkschaft - vertreten die kommunistischen Revolutionäre, in den Worten des Manifests der Kommunistischen Partei, "stets die Interessen der Gesamtbewegung."

Der Aufbau authentischer proletarischer Parteien und der Kampf für die sozialistische Revolution erfordern eine strenge sowohl politische als auch organisatorische Abgrenzung des Klassenterrains, auf dem sich die Revolutionäre situieren sollen. Gegenüber den "Fronten" verschiedener Art, die die Arbeiterklasse im das Schlepptau bürgerlichen Organisationen und Interessen sehen wollen, sollen die Revolutionäre besonders die Notwendigkeit einer unabhängigen proletarischen Organisation und Politik verteidigen. Ihr Ziel ist die Begründung der demokratischen Macht des Proletariates, die die durch eine revolutionäre Parteienvielfalt vertreten ist.

Die bürgerliche Gesellschaft erhält eine Vielzahl von Formen der Unterdrückung und des gesellschaftlichen Ausschlusses aufrecht und reproduziert sie. Das betrifft Frauen, nationale bzw. ethnischen Minderheiten und viele andere, denn sie produziert laufend neue - etwa Papierlosen, Obdachlosen - und ruft momentane oder dauerhafte Protestreaktionen hervor, wie das bei den vielfältigen Folgen der kapitalistischen Wirtschaft häufig der Fall ist.

Die kommunistischen Revolutionäre unterstützen den Kampf gegen die kapitalistische Struktur, sogar wenn dieser nur beschränkt und partiell ist. Dabei schreiben sie diesen Bewegungen jedoch nicht automatisch revolutionären Charakter zu, den sie meist nicht haben.

Der Stalinismus hat die Mehrheit der Ziele der Arbeiterbewegung verformt oder ihrer Bedeutung entmächtigt, etwa "Antiimperialismus", "Antikapitalismus" oder sogar "Internationalismus". Daraus ergibt sich, dass sich heute zahlreiche politische Strömungen, die in keiner gegenwärtigen noch vergangenen Verbindung mit der Arbeiterbewegung stehen, sich dieser Ausdrücke bedienen und umso mehr Lärm mit ihnen machen, als sie sie ihrer Bedeutung entmächtigt haben.

Die globalisierungskritische Strömung ist nur die letzte Verwandlung dieser Art von Bewegungen, die einige von der Arbeiterbewegung geerbte, aber bedeutungslos gewordene Begriffe benutzen, indem sie die Empörung oder sogar die Revolte kanalisieren, die diese oder jene schreiende Ungerechtigkeit oder katastrophale Folge der kapitalistischen Wirtschaft hervorruft.

Wir müssen uns klar und fest von diesen Bewegungen abgrenzen, ihre Sprache von Zweideutigkeiten befreien und ihre Politik anprangern, die trotz ihrer angeblichen Protesthaltung die bestehende soziale Ordnung respektiert.

Auf ähnliche Weise hat der Stalinismus die von der Dritten Internationale Wideraufgenommene bolschewistische Tradition der revolutionären kommunistischen Partei verformt. Der Begriff einer disziplinierten, demokratischen und vor allem den politischen Interessen des Proletariats absolut treuen Partei ersetzte er durch das der stalinistischen Partei, in der Disziplin von absolutem Autoritätsanspruch abgelöst wird. Dieser verbietet jegliche Kritik, die deutlich machen könnte, dass die Partei die Verteidigung der proletarischen Interessen aufgegeben hat, um sich zuerst in den Dienst der ehemaligen Sowjetbürokratie und später über deren Vermittlung in den der jeweiligen nationalen Bourgeoisie zu stellen.

Die Entwicklung der stalinistischen Parteien und ihre Sozial-Demokratisierung auf politischer und organisatorischer Ebene haben eine Entwicklung vollendet. Unter dem Vorwand, ihre stalinistische Vergangenheit infrage zu stellen, haben die Kommunistischen Parteien - und besonders die französische KP - vor allem ihre Verweise auf die kommunistischen Traditionen aufgegeben. Diese Entwicklung hat sogar zur Ablehnung der Ansicht beigetragen, dass das Proletariat eine demokratische, jedoch zentralisierte und disziplinierte politische Partei brauche, um seine Befreiung zu erreichen. Im Kielwasser dieser Kommunistischen Parteien findet man eine ganze Reihe pseudo-revolutionärer Organisationen, die heute behaupten, dass die Partei in der sozialen Revolution nicht mehr die Hauptsache ist.

Nicht nur in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, wo die Aufgaben der bürgerlichen demokratischen Revolution erfüllt worden sind und das Proletariat eine zahlenmäßig bedeutende Klasse darstellt, besteht die Notwendigkeit einer revolutionären kommunistischen Partei, die sich weigert, sich in breiteren Fronten aufzulösen.

Das gleiche gilt für die "unterentwickelten" Länder, wo die Aufgaben der bürgerlichen demokratischen Revolution nicht erfüllt worden sind, die der imperialistischen Plünderung unterworfen sind und deren oft zahlenmäßig schwaches Proletariat mit einer wahnsinnigen Ausbeutung konfrontiert ist. Obwohl die große Mehrheit der armen Länder der Erde heute keiner direkten kolonialen Unterdrückung mehr unterworfen ist, erträgt sie doch noch immer - und zwar auf immer schlimmere Weise - die wirtschaftliche und politische Herrschaft des Imperialismus. Die grundlegende Veränderung, die sich aus der Entkolonisierung ergeben hat, ist die Tatsache, dass heute eine heimische Führungsschicht die Aufgaben der Unterdrückung der ehemaligen Kolonialmetropole übernommen hat. Die Staaten der armen Länder sind meist korrupte Diktaturen, die nach den imperialistischen Plünderungen ihre Bevölkerung noch weiter ausnehmen, um sich den letzten Rest von dem, was man ihr noch wegnehmen kann, zu holen. Das Elend der armen Massen ist dort grenzenlos.

Die Klassenwidersprüche in den armen Ländern bleiben folglich explosiv. Das Streben breiter Massen nach demokratischen Rechten und vor allem nach einem besseren Leben wurden während eines ganzen historischen Zeitalters, vor und nach der Entkolonisierungsbewegung, durch den Einfluss mehr oder weniger fortschrittlicher nationalistischer Organisationen des Kleinbürgertums kanalisiert, die manchmal sogar behaupteten, Marxisten-Leninisten zu sein.

Die imperialistische Plünderung hat jedoch diese Länder nicht nur ausgeblutet. Sie hatte außerdem den Rückgang des politischen Bewusstseins zur Folge. Die Ära des "fortschrittlichen" Nationalismus, des Panafrikanismus, verschiedener Arten von "Drittländertheorie", macht einer neuen Ära Platz. Man beobachtet ein Anwachsen der reaktionären Kräfte, in manchen Ländern des Fundamentalismus, in anderen des "Ethnismus". Die imperialistische Herrschaft wirft zahlreiche arme Länder in eine mittelalterliche Barbarei zurück, in ständig andauernden Kriegen und die Herrschaft der Kriegsherren.

In allen armen Ländern müssten die proletarischen Revolutionäre das antiimperialistischen Streben der Massen sowie ihr Streben nach demokratischen Rechten und Freiheiten in die Hand nehmen. Eine proletarische Partei würde versuchen, sich an die Spitze dieses Kampfes zu setzen. Sie würde durch ihre Politik beweisen, dass sie die Einzige ist, die diesen Kampf bis zum Ende führen kann.

Aber das muss auf einem Klassenterrain geschehen, was eine strenge Klassenunabhängigkeit erfordert. Die Partei muss ununterbrochen die ländlichen und städtischen Werktätigen auf ihre Klasseninteressen aufmerksam machen, auf das, was sie von den sozialen Kategorien, deren Vertreter vielleicht eine "antiimperialistische" Sprache sprechen, trennt oder sie gegen sie stellt. Das würde die proletarische Partei auf radikale Weise den fundamentalistischen Strömungen, den Ethnisten usw., gegenüberstellen. Gleichzeitig stünde sie dadurch in Kontrast zu den kleinbürgerlichen nationalistischen Organisationen, auch zu jenen, die sich fortschrittlich geben.

Wir haben niemals behauptet, eine Internationale zu sein, nicht einmal in dem Sinn, wie es die IV. Internationale zu ihrer Gründungszeit war. Auch wenn sie auf organisatorischer Ebene extrem schwach war, wurde die IV. Internationale dieser Epoche doch von Trotski geleitet. Er alleine stellte das politische Kapital dar, das aus der Erfahrung der russischen Revolution und jener der III. Internationale hervorgegangen war. Es handelt sich um ein Kapital, das beinahe vollständig mit Trotzki verschwunden ist. Die verschiedenen trotzkistischen Strömungen, die spielten, eine Internationale zu sein, verbargen - ganz abgesehen von der Lächerlichkeit ihrer Behauptungen - den Verzicht der Bemühungen um sich in der Arbeiterklasse ihrer jeweiligen Länder zu verankern. Sie verdeckten dadurch die Tatsache, dass sie den Aufbau einer revolutionären kommunistischen Partei aufgegeben hatten.

Wir haben jedoch immer versucht, den Interessen des internationalen Proletariates entsprechend zu urteilen. Unter diesem Blickwinkel haben wir die neuen politischen Phänomene seit Trotzkis Tod, etwa die Volksdemokratien oder die chinesische Revolution, analysiert. Das hat uns oft zu Position geführt, die sich von denen anderer bestehender trotzkistischer Bewegungen unterschieden oder sogar gegensätzlich waren. Mit dem Untergang der Volksdemokratien ist zwar der Gegenstand unserer Meinungsverschiedenheiten verschwunden, nicht aber ihre Geschichte oder der Unterschied in den Methoden sozialer Analyse. Diese Unterschiede findet man in unserer jeweiligen Beurteilung der mehr oder weniger radikalen nationalistischen Strömungen wieder, die in den armen Ländern existieren. Auch in unseren jeweiligen Haltungen gegenüber der Sozialdemokratie und ihre diversen Verwandlungen sind diese Unterschiede ersichtlich.

Wenn sich die Möglichkeit bot, haben wir es ebenfalls als unsere Pflicht betrachtet, Aktivisten anderer Länder zu unterstützen, auf der Basis der revolutionären kommunistischen Ideen aktiv zu sein.

Trotz mancher relativer Wahlerfolge - bezüglich unserer Verankerung in der Arbeiterklasse sind - bleibt unsere Hauptaufgabe dieselbe als vor zwanzig oder dreißig Jahren.

Abgesehen davon, dass er bescheiden ist, macht Wahlerfolg noch keine Partei. Auch wenn wir an zahlreichen Solidaritätskundgebungen für verschiedene Völker oder besonders unterdrückte Bevölkerungsschichten teilgenommen haben, und wenn wir uns, wie es die Pflicht der revolutionären Kommunisten ist weiterhin an Wahlen beteiligen, so müssen diese Aktivitäten doch alle in der Perspektive der Aufbaus einer proletarischen revolutionären kommunistischen Partei stehen und ihr untergeordnet sei.

Die Erscheinung einer solchen Partei hängt natürlich nicht nur von uns ab, sondern von den Umständen, vom erneuten Selbstvertrauen des Proletariats hier in Frankreich sowie überall. Die Beibehaltung der Ideen und des Programms jedoch, die wir von einem mehr als eine eineinhalb Jahrhunderte langen Geschichte revolutionärer Arbeiterbewegung geerbt haben, hängt sehr wohl von uns ab. Wir müssen weiterhin versuchen, die Werktätigen um diese Ideen zu sammeln, und dürfen unser Gedankengut nicht für vorübergehende Erfolge in Bündnissen oder Fronten auflösen.

Was die günstigen Umständen betrifft, die es dem, was heute gesät ist, erlauben werden morgen zu wachsen, so schöpfen wir Hoffnung aus der Tatsache, dass die historische Entwicklung den Zielen der sozialen Veränderung der revolutionären Arbeiterbewegung Recht geben wird. Wir sind überzeugt, dass Kapitalismus, Ausbeutung, Unterdrückung und Kriege nicht die einzige mögliche Zukunft der Menschheit sind.

20. Oktober 2003