Frankreich - Der tödlichen Bedrohung durch die Nationale Front muss eine Offensive der Arbeiterklasse entgegengesetzt werden (übersetzt aus Class Struggle - Britain - von April-Mai 1997)

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Frankreich - Der tödlichen Bedrohung durch die Nationale Front muss eine Offensive der Arbeiterklasse entgegengesetzt werden
April 1997

Während des vergangenen Jahrzehntes haben sich in einigen europäischen Ländern, als hässliche und bedrohliche politische Nebenwirkungen der wirtschaftlichen Krise, extrem rechte Parteien entwickelt.

In Großbritannien dagegen ist die extreme Rechte bislang kaum mehr als eine Reihe sich gegenseitig bekämpfender Sekten geblieben, trotz der Auswirkungen dieser Krise, die in mancher Beziehung hier viel drastischer als anderswo sind. Dafür gibt es bestimmt eine ganze Reihe von Gründen, der wichtigste davon scheint die ungebrochene Herrschaft der Tory Partei der vergangenen 18 Jahre zu sein. Weil, diese Partei während dieser gesamten Zeit eine bequeme Heimat für eine riesige Kolonne von reaktionären Politikern gewesen ist, die unter einer anderen Regierung, von den extremen Rechten angezogen würden.

Das könnte sich ändern, sobald nach den kommenden Parlamentswahlen wieder die Labour Party an die Macht kommt. Dann wird es für die meisten aus dem rechten Flügel der Tory-Partei viel weniger Anreize geben noch Mitglied zu bleiben. Einige dieser Politiker werden dann glauben jetzt wäre für sie die richtige Zeit gekommen auf eine neue Karriere zu setzen, indem sie sich in ein neues ultrarechtes Abenteuer stürzen und versuchen die reaktionären Strömungen auszunutzen, die durch die Krise innerhalb der Gesellschaft verursacht werden. Die Orientierungslosigkeit und der Frust, der durch die unternehmerfreundliche Politik der Labour Party an der Macht verursacht wird, könnten bei dieser Entwicklung dann als beschleunigender Faktor wirken.

Frankreich liefert ein anschauliches Beispiel für solch eine Entwicklung, mit dem Anwachsen von Le Pens Nationaler Front unter der linken Regierung der 80er. Deshalb ist es für Revolutionäre in Großbritannien wichtig die Mechanismen zu verstehen, die es der Nationalen Front ermöglicht haben in Frankreich zu einer wichtigen Kraft zu werden und die Lehren daraus zu ziehen.

Der Einfluss der Nationalen Front heute

Im Februar hat eine Reihe von Ereignissen, über die in Großbritannien ausführlich berichtet worden ist, den Einfluss deutlich gemacht, den Le Pens Nationale Front (NF) in der französischen Politik erreicht hat.

Zunächst gewann die Nationale Front bei Nachwahlen zum Stadtrat in Vitrolles, einer Satellitenstadt von Marseille in Südfrankreich. Dies war nicht das erste mal dass die Nationale Front die Macht in einem Stadtrat übernommen hat. Bei den Kommunalwahlen von 1995 gewann Le Pens Partei die Mehrheit in den Räten von drei Städten in Südfrankreich, wovon zwei viel größer als Vitrolles sind. Aber im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zu der Parlamentswahlen im nächsten Jahr, wurde der Nachwahlen in Vitrolles von den Medien eine besondere Bedeutung zugemessen, als Wählerbarometer und Warnung, dass im neuen Parlament durch aus mehr als nur einige Abgeordnete der Nationalen Front sitzen könnten.

Dann gab es im Lauf des Februars eine Anzahl breiter Proteste und Demonstrationen gegen den Entwurf eines neuen Anti-Einwanderer-Gesetzes - benannt nach dem jetzigen Innenminister, Jean-Louis Debré. Nicht etwa dass es vom Standpunkt der herrschenden rechten Koalition eine wirkliche Notwendigkeit für noch mehr Gesetze gegen Immigranten gäbe. Die Unzahl von Gesetzen, die sie von ihren Vorgängern, einschließlich der von der Sozialistischen Partei geführten Regierungen der 80er, übernommen hat, gab ihr alle nötigen Waffen in die Hand, weit mehr als sie brauchte, um eingewanderte Arbeiter zu kontrollieren und einzuschüchtern. Ihr einziger Grund für die Einführung noch weitgehenderer Gesetze war ihr ständiger Drang der fremdenfeindlichen Demagogie der Nationalen Front hinterherzulaufen, wieder im Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf die Parlamentswahlen im nächsten Jahr, wo die herrschenden Parteien mit der Nationalen Front um die Stimmen eines Teils der Wähler konkurrieren werden. Das unterstreicht wieder einmal die Tatsache, dass die NF stark genug geworden ist, um die Tagesordnung der rechten Parteien zu beeinflussen.

Nichts davon ist gänzlich neu. Schon seit einigen Jahren war das Wachsen der NF bereits eine ernste Bedrohung für Frankreichs politische Landschaft gewesen. Seit ihrem ersten Durchbruch bei den Europawahlen von 1984, nährten sich ihre Wahlerfolge aus der Kombination folgender Faktoren: dem tiefen sozialen Abstieg durch die kapitalistische Krise, unterstützt durch die unternehmerfreundliche Politik der linken Parteien, sobald sie an der Macht waren; einer Reihe von hochrangigen Korruptionsskandalen, in die alle parlamentarischen Parteien verstrickt sind; und schließlich der daraus resultierenden Ver¬bitterung und dem Misstrauen gegenüber Politikern im Allgemeinen und gegenüber linken Ideen im Be¬sonderen.

Zahlenmäßig ist die Wählerschaft der Nationalen Front in den letzten Jahren mehr oder weniger stabil geblieben. Allerdings hat es dabei eine wichtige und potentiell gefährliche Entwicklung gegeben - das Anwachsen der NF Wählerschaft aus, und ihres Einflusses in den ärmsten Bevölkerungsschichten. Diese Entwicklung ist das direkte Ergebnis der Politik der linken Parteien an der Macht. Diese linken Regierungen führten die Vergabe staatlicher Subventionen und Vergünstigungen an die Kapitalistenklasse und die Reichen in einem Umfang weiter, wie es sich vorher keine rechte Regierung zugetraut hatte. Selbstverständlich brauchten die rechten Parteien, als sie wieder an die Macht kamen, mit der Politik ihrer linken Vorgänger als Rechtfertigung, bloß entlang der gleichen Linie weiter zu machen.

Als ein Ergebnis hiervon ist ein ganzer Teil der Arbeiterklasse brutal in schwere Armut getrieben worden, während linke Ideen unter diesem Sektor und darüber hinaus diskreditiert wurden. Viele aus diesen ärmeren Schichten gewannen so die Überzeugung, dass weder die rechten noch die linken Parteien jemals ernsthaft etwas gegen die Plage der Arbeitslosigkeit tun werden. Dies hat dann das Ansehen der Nationalen Front unter diesen Schichten loch erhöht, ganz einfach, weil sie in der vergangenen Zeit die einzige Partei in der Opposition geblieben ist.

Die traditionellen Parteien haben der rassistischen Rhetorik der NF den Weg geebnet

Seit 1984 ist das Anheizen rassistischer Vorurteile für die NF das wichtigste Mittel gewesen um Wähler zu gewinnen. Ursprünglich war diese Taktik hauptsächlich unter einer Schicht von rechten Wählern erfolgreich, die traditionell für solche Demagogie und allgemein für das ganze Bündel reaktionärer Ideen die von der NF vertreten werden, besonders empfänglich war. Diese Schicht bestand hauptsächlich aus Wählern aus der Mittelschicht, die immer mehr von der Unfähigkeit der traditionellen rechten Parteien frustriert wurden.

Aber bereits vor 1984 hatten die Maßnahmen der linken Parteien in der Regierung angefangen der fremdenfeindlichen Demagogie der NF den Weg zu bahnen. Als diese Parteien 1981 an die Macht kamen, wurde geschätzt, dass etwa 300.000 Einwanderer "illegal" in Frankreich arbeiten würden, das heißt, ohne die nötige Aufenthaltsgenehmigung. Im August 1981 machte die linke Koalition ihre erste und letzte freundliche Geste gegenüber diesen "ille¬galen" immigrierten Arbeitern, indem sie verkündete, dass ihr Status legalisiert würde, wenn sie sich bis zu einem Stichtag registrieren ließen. Gleichzei¬tig machte sie aber genau das, was sie bei der vorherigen rechten Regierung verurteilt hatte - sie machte die Ausgabe der Aufenthaltsgenehmigung von einer richtigen, regelmäßigen Arbeit abhängig. Für die illegalen immigrierten Arbeiter, von denen viele nur gelegentlich oder am Rande der Legalität beschäftigt waren, wurde dieser Legalisierungsprozess zum alptraumhaften Rennen gegen die Zeit, um rechtzeitig einen richtigen Arbeitsvertrag zu ergat¬tern.

Dann, im folgenden Jahr, zog die Regierung, der auch Minister aus der Kommunistischen Partei angehörten, die Schraube für alle Immigranten noch weiter an, indem sie die vorgeschriebenen "Aufenthaltsbescheinigungen" einführte - die gleichen, die auch im Zentrum der Proteste vom Februar, gegen den Gesetzentwurf von Debré, standen. Das bedeutete, dass ab 1982 jeder, der einen Ausländer einladen wollte länger an seinem Wohnort zu bleiben, sich eine solche Bescheinigung von seinem lokalen Rat besorgen musste, damit sein Gast überhaupt ein Einreisevisum bekommen konnte. Angeblich sollte damit sichergestellt werden, dass hier lebende Ausländer anständig untergebracht sind. Aber tatsäch¬lich wurde damit einfach ein Vorwand geschaffen um Visumanträge abzulehnen und besonders um zu verhindern, dass eingewanderte Arbeiter ihre Familien mit nach Frankreich holen können.

1982 und 1983 begannen die großen Entlassungswellen der 80er, besonders bei den Autofabriken um Paris. Die Autoindustrie beschäftigte eine große Anzahl eingewanderter Arbeiter, die in den 60ern direkt in ihren Heimatländern von den Konzernen selbst angeworben worden waren. Im Februar 1983 löste der massive Arbeitsplatzabbau eine Reihe von Streiks in diesen Autowerken aus. Die Antwort von Pierre Mauroy, dem damaligen Premierminister, war die Streikenden als "von den Ayatollahs manipuliert" anzugreifen.

Damals benutzte die Nationale Front bereits ihre gegenwärtige rassistische, gewöhnlich migrantenfeindliche Rhetorik, ihre Unterstützung bei den Wahlen war aber noch unbedeutend. Es war die Politik der linken Regierung, die, indem sie, bei der dann steigenden Arbeitslosigkeit, auf die sogenann¬ten "illegalen" Einwanderer als wichtigen Auslöser zeigte, die das Anwachsen der fremdenfeindlichen Gefühle in der Bevölkerung ermutigt hat und diesen ein Ansehen verschafft hat, das sie anders womöglich nie bekommen hätten.

Dann kamen 1986 (die Rückkehr der Rechten in die Regierung), 1988 (die Sozialistische Partei wieder im Amt) und die endgültige Rückkehr der rechten Parteien 1993. Jedes Mal verschärfte die neue Regierung die Gesetzgebung gegen eingewanderte Arbeiter, oder machte zumindest spektakuläre Gesten, um zu beweisen, dass sie diese wirklich umsetzen würde. Und jedes Mal wurde dies im Namen des Kampfs gegen "Illegale Einwanderung" gemacht. Es war dieses ständige sich Überbieten zwischen den rechten und linken Parteien, was den Gedanken, dass die eingewanderten Arbeiter irgendwie Schuld an der nie dagewesenen Arbeitslosigkeit seien, mehr und mehr geläufig machte.

Der Nutzen, den die Politiker aus diesem gefährlichen Spiel zogen ist offensichtlich. Es ermöglichte ihnen die Aufmerksamkeit der Wählerschaft abzu-lenken, besonders jener aus der Arbeiterklasse, weg von den wirklichen Ursachen der sozialen Krise - der Ausbeutung der Wirtschaft durch die Bourgeoisie. Während diese Ursache damit absichtlich verdunkelt wurde, konnte die Kapitalistenklasse so gedeihen, trotz Wirtschaftskrise, indem sie die Schrauben gegen die arbeitenden Menschen ständig immer mehr anzog. Und die Nationale Front konnte die Zahl ihrer Wähler weiter steigern, indem sie das wachsende Ansehen fremdenfeindlicher Vorurteile ausnutzte.

Die Ziele der Nationalen Front

Nachdem dies erklärt wurde, kann es bestenfalls irreführend sein, wenn nicht sogar eine gefährliche Ablenkung von den wirklichen Problemen, wenn man die Nationale Front bloß als rassistische Partei beschreibt, wie es die britischen Medien gewöhnlich tun. Die Nationale Front ist weitaus pragmatischer und ehrgeiziger.

Le Pen ist an sich nicht mehr rassistisch als jeder durchschnittliche bürgerliche Politiker. Wenigstens ist er nicht rassistisch wenn es um Ausländer geht die reich sind. Er zeigte während des Golfkrieges eine glühende Unterstützung für Saddam Husseins Regime und unterhält auch einige gute Beziehungen zu einigen Ölbaronen aus der Dritten Welt.

Le Pens Slogan - "Drei Millionen Immigranten sind drei Millionen Arbeitslose\" - ist selbstverständlich eine zynische Lüge. Aber bei all seiner groben Dummheit, ist dieser Slogan genauso zur Ablenkung von den wahren Problemen unserer Zeit gedacht, wie das immigrantenfeindliche Überbieten der traditionellen Parteien. Damit konnte die Nationale Front als lautstärkere und radikalere Opposition gegen die Arbeitslosigkeit auftreten als jede der anderen Parteien, dies ohne jemals die Verantwortung der Kapitalisten zu problematisieren. Soweit sich ihre Politik anscheinend nur in diesem Slogan kon¬zentriert, ist die NF in der Lage gewesen die Vorstellungen der leichtgläubigsten aus den ärmeren Bevölkerungsschichten - auch von Leuten die nicht besonders rassistisch sind - für sich zu gewinnen, indem sie ihnen die Illusion gaben, die Nationale Front biete ihnen einen "neuen", "radikalen" Ausweg aus ihrem Elend.

Für Le Pen ist Rassismus aber nicht mehr als ein Hebel, um Unterstützung zu mobilisieren ohne dabei seine wirklichen Ziele aufzudecken. Weil die Nationale Front gar keine gewöhnliche Partei ist. Gut, die meisten ihrer Kader sind zweitklassige Politiker, die von den traditionellen rechten Parteien gekommen sind, weil sie glaubten in der NF eine neue, erfolgreichere Karriere machen zu können. Le Pen selbst ist ein scharfer Politiker, der seit den 1950ern im, oder am Rande des parlamentarischen Systems überlebt hat. Aber Le Pen war auch Offizier im Algerienkrieg und prahlte stolz mit der Folter der französischen Armee an algerischen Nationalisten. Er war Abgeordneter der ehemaligen "Poujadisten"-Bewegung, eines fehlgeschlagenen Versuches in den 1950ern eine faschistische Partei aufzubauen. Wie er kommt der harte Kern der Nationalen Front aus extrem rechtem Umfeld.

Je stärker sich die Nationale Front vorkommt, umso weniger wichtig wird es für sie ihre wirklichen Absichten hinter dem Vorhang ihrer fremdenfeindlichen Demagogie zu verbergen. Dies ist im vergangenen Jahr immer deutlicher geworden. Zum Beispiel im vergangenen September erklärte Le Pen bei einer Versammlung der NF-Jugend: "Wir werden wahrscheinlich noch eine Zeit der Krise durchleben müssen. Aber Krisen sind die Geburtshelfer der Geschichte. Immer wenn es ein Patt gibt, so wird es im allgemeinen aufgelöst indem die menschliche Natur bis an ihre äußersten Möglichkeiten getrieben wird, damit Platz geschaffen wird für eine neue Zeit (...) Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass nur die Nationale Front unser Land aus ihrer jetzigen Dekadenz retten kann(...) Es wird die Zeit kommen, wo all dies ein Ende hat. Es wird eine Revolution geben. Die extreme Linke bereitet sich mit den Mitteln, die wir alle kennen, auf diese Zeit vor(...) Ich glaube, ihr müsst euch selbst auch darauf vorbereiten, weil die alten, wurmstichigen Strukturen unseres Landes an irgend einem Punkt zusammenbrechen werden". Le Pen hat sich bestimmt schon in der Vergangenheit ähnlich "radikal" geäußert, nur nicht so offen.

Und überhaupt, von was für einer "Revolution" und was für einer "Neuen Zeit" redet Le Pen? Darüber kann es keinen Zweifel geben. Gleich nach ihrer Wahl führte die neue Bürgermeisterin der Nationalen Front in Vitrolles tollwütige Angriffe gegen eingewanderte Arbeiter durch - aber im gleichen Atemzug griff sie die Gewerkschaften an. Mégret, Le Pens rechte Hand in der Führung der Nationalen Front, erklärte jüngst auf einer öffentlichen Versammlung, dass "eine Gesellschaft, aufgebaut auf einer Hierarchie, die von persönlicher Leistung und natürlicher Veranlagung bestimmt wird", notwendig sei und dass Firmen wieder zu einem "feudalen" Regime über ihre Arbeitskräfte zurückfinden sollten.

Bei all der Demagogie der NF gegen die Arbeitslosigkeit, hat sie nicht die geringste Absicht Hand an die Bosse zu legen, die für die Massenentlassungen der letzten Jahre verantwortlich sind, im Gegenteil, sie will ihnen noch mehr "Freiheit" geben, das heißt, noch mehr Möglichkeiten um Profite aus der Arbeit der Arbeiterklasse herauszupressen. Und bei all ihrer immigrantenfeindlichen Demagogie der NF wäre sie bestimmt bereit den selben Bossen die Einfuhr von unterbezahlten Arbeitskräften aus der Dritten Welt zu gestatten, die in den Fabriken in Schlafquartieren zusammengepfercht werden, so wie es heute in den sogenannten "neuentstehenden Wirtschaftsräumen" Südostasiens gemacht wird und wie es viele französische Firmen selbst in der Vergangenheit praktiziert haben.

Das Wort "Revolution" meint, selbst wenn Le Pen es benutzt, das was es heißt, die Machtübernahme mit Gewalt. Wie würde Le Pen denn die Gesellschaft aus ihrer heutigen "Dekadenz" befreien, wenn nicht dadurch, dass er alle Kräfte beseitigt, die nach seiner Aussage dafür verantwortlich sind - das sind alle vorhandenen Parteien (besonders, aber nicht nur, die aus dem linken Spektrum), aber vor Allem sämtliche Organisationen der Arbeiterklasse, besonders die Gewerkschaften, denen Le Pen so oft vorgeworfen hat, dass sie die Bevölkerung als Geisel nehmen würden.

In dem zitierten kurzen Auszug aus Le Pens Rede sind alle Elemente einer faschistischen Politik enthalten, darin zeigt sich, dass Le Pen selbst eine solche Politik für einen künftig gangbaren Weg hält. Selbstverständlich sind das alles nur Worte - im Augenblick. Damit diese Worte zu Realität werden, bräuchte Le Pen viel mehr als die Millionen von Menschen, die heute bereit sind mal ihre Stimme für die Nationale Front abzugeben. Auf der einen Seite bräuchte Le Pen ein anderes Kräfteverhältnis innerhalb der Gesellschaft, damit er Zehntausende Menschen gewinnen könnte, besonders junge Menschen, die verzweifelt, aber auch entschlossen genug sind, um für die Nationale Front alles zu riskieren, auch ihr eigenes Leben. Auf der anderen Seite bräuchte Le Pen eine Bourgeoisie, die eine solche Angst um ihre Profite hätte, dass sie den Widerstand der Arbeiterklasse unbedingt auf irgend eine Weise zerschlagen wollte und dafür bereit wäre sich mit den enormen Problemen abzufinden, die damit verbunden wären, dass sie ihre Angelegenheiten solch dubiosen Leuten wie Le Pen und Konsorten anvertrauen müssten.

Die Lage in Frankreich dieses kritische Stadium noch nicht erreicht - nach keinem von beiden Kriterien. Aber die Nationale Front bereitet sich auf alle möglichen Eventualitäten vor, die sich aus der heutigen Situation entwickeln könnten. Außerdem könnte die "radikale" Politik, auf die sich Le Pen in seiner Rede bezog, eigentlich eine faschistische Politik, für ihn zu einer plausiblen Option werden, falls sich die augenblickliche Wirtschaftskrise drastisch verschärft - was tatsächlich eine der Möglichkeiten ist, die in der jetzigen Situation enthalten ist.

Die großen Parteien und die Nationale Front

Die Opposition der rechten Parteien zur Nationalen Front ist rein taktisch. Der einzige Grund, warum sie sich wegen dem guten Abschneiden der Nationalen Front Sorgen machen, ist weil die NF um die Stimmen einer ganzen Sektion ihrer eigenen Wählerschaft wirbt. Gleichzeitig ist Le Pen aber für sie, wie für die linken Parteien, hauptsächlich zum bequemen Alibi geworden.

In einem Punkt sind sich die großen Parteien alle einig - dass es möglich sei Le Pen erfolgreich auf den Ebene der politischen Argumente zu bekämpfen - im Namen der "französischen republikanischen Traditionen" oder, im Fall der linken Parteien und einigen liberalen Politikern, im Namen des Antirassismus. Dass sie diese Angelegenheit auf die rein politische Ebene beschränken, erlaubt ihnen die durch und durch verfaulten sozialen Probleme, um die e wirklich geht, und die Rolle, die das kapitalistische Profitstreben dabei spielt, zu verbergen. Als ob man den politischen Kampf gegen Le Pen trennen könnte vom sozialen Kampf um die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen umzukehren! Als ob das Erstarken des Faschismus, falls es dazu kommen sollte, anders abgewehrt werden könnte als durch eine Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines Programms, das einen echten Ausweg aus dem augenblicklichen sozialen Verfall und besonders aus der Arbeitslosigkeit bieten kann!

In dieser Beziehung bot der Protest vom Februar ein anschauliches Beispiel für die Politik der großen Parteien.

Ursprünglich erhielt die Initiative einiger Film Direktoren für eine Petition gegen die weitere Verschärfung des Systems der "Aufenthaltsbescheinigungen", die Teil des Gesetzentwurfes von Debré waren, eine breite Unterstützung unter Intellektuellen. Die Demonstration vom 22. Februar in Paris, zu der sie aufgerufen hatten, wurde mit 100.000 Teilnehmern, sowie vielen weiteren Tausenden in anderen Städten, ein voller Erfolg. Die Regierung hat jedoch nicht nachgegeben, sondern nur vorgeschlagen, dass man, möglicherweise, die Art wie diese "Aufenthaltsgenehmigungen" gehandhabt werden, ändern könnte. In jedem Fall ist das Debré-Gesetz das geblieben was es sein sollte - eine demonstrative Art die Schrauben um die eingewanderten Arbeitenden weiter anzuziehen. Bei diesem Ereignis zeigte sich, dass die herrschende rechte Koalition mehr Angst vor Le Pen und möglichen Verlusten von Abgeordnetensitzen an die Nationale Front hat, die sich eventuell aus dem Vorwurf ergeben könnten, die Regierung sei "weich" gegenüber "illegalen Einwanderern". Mehr Angst jedenfalls als vor den zehntausenden Menschen, überwiegend Intellektuellen, mit liberalen oder linken Neigungen, die in den Großstädten Frankreichs demonstrierten.

Was die Sozialistische und die Kommunistische Partei anbelangt, so trafen sie einen verspäteten Beschluss an der Demonstration in Paris teilzunehmen, aber erst als absehbar geworden war, dass es ein Erfolg werden würde. Ihre Unentschlossenheit zeigte, dass sie von gegensätzlichen Sorgen gespalten waren. Sie wollten den linken Wählern gefallen, die den Protest unterstützten, dabei wollten sie allerdings nicht riskieren den Teil ihrer Wähler verlieren, der für Le Pens fremdenfeindliche Demagogie empfänglich ist. Genauso wollten sie ein starkes Profil gegen die Regierung vorzeigen, gleichzeitig aber nicht ihr Image als "verantwortungsbewusste" Regierungsparteien verstecken, das sie seit 1981 aufgebaut haben. Die absolute Krönung der Ironie war natürlich, dass sie schließlich mit gegen etwas protestierten, was eigentlich der zweite Schritt eines Gesetzes war, das sie selbst eingeführt hatten, als sie 1982 an der Macht waren!

Der Protest konnte seine Ziele nicht erreichen. Das bedeutet nicht, dass es falsch war ihn vorrangig zu organisieren. Protest ist oft notwendig und manchmal eine Pflicht, selbst wenn er dazu verurteilt ist rein symbolisch zu bleiben. Die Tragödie in der heutigen Situation liegt darin, dass das breite Milieu der Intellektuellen, die diesen Protest initiiert und durchgeführt haben, den arbeitenden Massen in der heutigen Gesellschaft überhaupt nichts anzubieten haben - außer wieder einmal für die Rückkehr einer linken Regierung zu stimmen. Die einzige Perspektive die sie haben ist eine erneute Beschwörung der gleichen sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen, der gleichen Verrätereien und Abstempelungen der eingewanderten Arbeiter, welche die Sozialistische Partei während ihrer zehnjährigen Amtszeit bereits durchgeführt hat.

Und diese Maßnahmen haben weder die grund¬legenden Ursachen hinter dem Anstieg der Arbeitslosigkeit angegriffen - das sind das Profitstreben und der kapitalistische Markt - noch die rücksichtslosen Angriffe der Kapitalisten auf die Arbeiterklasse gezügelt. Ebenso wenig verschoben diese Maßnahmen die Opfer, die von den arbeitenden Menschen verlangt wurden auf die Profiteure. Diese Maßnahmen haben einen großen Teil der Arbeitenden in die Hoffnungslosigkeit geführt, indem sie diese davon überzeugt haben, dass die linken Parteien niemals etwas unternehmen wollten, oder niemals dazu fähig seien den Zerfall aufzuhalten - da diese Parteien dabei blieben ständig zu wiederholen, dass die einzig (Möglichkeit gegen die Arbeitslosigkeit zu kämpfen darin bestehe, zu garantieren, dass nichts unversucht bliebe, was die Konzerne, ihre Profite und noch all gemeiner, die Profite der Kapitalisten als Ganze stärken könnte. Genau deswegen können heute die meisten Werktätigen keinen Sinn mehr darin sehen noch für irgendein Ziel zu kämpfen, außer wenn ihnen gar keine andere Wahl bleibt als einen verzweifelten Widerstand gegen Entlassungen aufzunehmen.

Letztendlich waren es diese Maßnahmen, die indem sie die Arbeitslosigkeit weiter hochtrieben, auch die Hoffnungslosigkeit in den Arbeiterwohngebieten und die Orientierungslosigkeit in der Arbeiterklasse verbreitet haben, und dem Aufstieg der Nationalen Front, auch unter den arbeitenden Massen den Weg bereitet haben.

Der Kampf gegen die Bedrohung durch die Nationale Front

Der Aufstieg Le Pens nährt sich aus dieser Mischung aus Verarmung, sozialer Hoffnungslosigkeit und Arbeitslosigkeit. Dem kann nur damit begegnet werden dass die eigentlichen Ursachen angepackt werden, indem etwas von dem Boden wiedererobert wird, der in den vergangenen Jahrzehnten an die Reichen ver¬loren wurde, indem die kapitalistische Klasse als Ganze gezwungen wird tief in die Taschen mit ihren angehäuften Profiten zu greifen, um daraus die größten der aktuellen sozialen Nöte zu lindern - die Arbeitslosigkeit besonders. Reden, Märsche, Proteste sind notwendig um deutlich zu machen, dass diese Angriffe der Kapitalisten und, ihrer Regierung nicht ohne Widerspruch bleiben. Aber, nur auf sich allein gestellt können solche Aktionen bestenfalls symbolisch sein. Um wirklich gegen die Bedrohung durch die Nationale Front und den Druck, den sie in unserer Gesellschaft ausübt, zu kämpfen, ist eine weitaus ehrgeizigere Bewegung nötig, eine die mit einer Perspektive, die für die Gesellschaft als Ganze eine Lösung bietet - das heißt einer Perspektive, die zu einer glaubwürdigen Basis für eine Gegenoffensive durch die Arbeiterklasse werden könnte - auf die dahinter liegenden, tiefen sozialen Faktoren zielt.

Nicht etwa dass es in Frankreich zu wenig Streiks gäbe. Bloß sie sind überwiegend defensiv, isoliert und gehen um Probleme der beteiligten Beschäftigten. Um Ziele zu erreichen, die allen Arbeitenden nutzen, ist dagegen ein entschlossener Kampf nötig, der sich über die verschiedenen Teile der Arbeiterklasse ausbreitet. Und solch ein Kampf wird sich auf Ziele konzentrieren müssen, die wirklich die soziale Lage der arbeitenden Massen verändern, sowie die wirtschaftliche Vorherrschaft der kapitalistischen Klasse schwächen können.

Wie könnten solche Ziele aussehen? Damals, 1995, während der letzten Präsidentschaftswahlen, formulierte Lutte Ouvrière, die französische Organi-sation der IKU, solche Ziele in einem "Notprogramm".

Gegen die Arbeitslosigkeit sollten sich, nach diesem "Notprogramm", die Konzerne, besonders die profitablen, nur zwischen zwei Möglichkeiten ent-scheiden dürfen: entweder sämtliche Entlassungen zu stoppen oder andernfalls entschädigungslos enteignet zu werden. Alle staatliche Subventionen an Privatunternehmen sollten eingestellt, und die Regierung sollte gezwungen werden direkt im Öffentlichen Dienst mit dem eingesparten Geld Arbeitsplätze zu schaffen, indem im großen Umfang ein Programm zum Bau bezahlbarer öffentlicher Wohnungen aufgenommen wird und allgemein neue Aktivitäten aufgenommen werden, die der Gesellschaft als Ganze dienen. Natürlich wäre es notwendig für Alle die Löhne zu erhöhen und die Arbeitszeit auf ein Maß zu verringern das ein anständiges Leben ermöglicht.

Aber noch wichtiger wäre, so argumentierte das "Notprogramm", dass sich die Arbeiterklasse das Ziel setzen sollte sich die Mittel zu verschaffen, die nötig sind um zu verhindern, dass die sozialen Beziehungen der Klassenkräfte wieder auf ihre Kosten zurückgedrängt werden; damit die Bosse nicht mehr machen können was sie wollen, nur im Interesse ihrer Profite. Dazu ist Arbeiterkontrolle unbedingt nötig, und die die Kontrolle der Bevölkerung als Ganze über jeden Aspekt des Managements, der Finanzen, des Inventars der Konzerne, und wie damit umgegangen wird, wo ihre Profite landen, usw. - dies sollte ein grundsätzliches Ziel der Arbeiterklasse werden. Dazu gehört auch ganz besonders ein für allemal Schluss zu machen mit dem Geschäfts- und Bankgeheimnis, das es den Kapitalisten erlaubt ihre Diebstähle, Betrügereien und ihre Korruption von den Augen der einfachen Leute zu verbergen, während sie jene Beschäftigten schikanieren, die den Mut haben diese Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Solange die kapitalistische Klasse, besonders deren oberste Etagen, die alleinige Kontrolle über die Wirtschaft behalten, solange können die arbeitenden Massen auch nicht vor dem Wahnsinn dieses profitorientierten Systems geschützt werden. Nur die unmittelbare Kontrolle der Arbeitenden über jeden Aspekt des Wirtschaftslebens kann ihnen wirkliche Garantien geben. Ferner muss sich diese Kontrolle auf sämtliche Operationen des Staates erstrecken, von der örtlichen Verwaltungsebene bis zur obersten Spitze des Staatsapparates.

Weiter schloss das "Notprogramm" damit, dass es für eine Klasse, die aus Millionen Menschen besteht, die bei jedem möglichen Aspekt des sozialen Han-dels beteiligt sind, möglich sei solche Ziele umzusetzen. Aber diese Ziele umsetzen und noch wichtiger, diese Umsetzung auch den Kapitalisten aufzwingen, das kann nur durch eine gemeinsame Aktion der Arbeiterklasse erreicht werden.

Die Ziele, die von LO's "Notprogramm" aufgezeigt werden, sind als solche keine revolutionären Ziele. Es sind hauptsächlich Ziele, die von der katas-trophalen Situation diktiert sind, die sich in Frankreich, sowie eigentlich in sämtlichen Industrieländern, durch die kapitalistische Krise entwickelt hat. Den Kampf zur Durchsetzung dieser Ziele aufnehmen bedeutet allerdings, dass eine Partei nötig ist, die die Klasseninteressen der Arbeiterklasse vertritt, das ist eine revolutionäre Partei mit dem Ziel das kapitalistische System umzustürzen, eine kommunistische Partei.

Eine solche Partei gibt es in Frankreich genauso wenig wie sonst irgendwo auf der Welt. Und trotzdem, nur durch den Kampf eine solche Partei aufzu-bauen, einem Kampf, der nicht getrennt werden kann von der Vorbereitung der sozialen Gegenoffensive der Arbeiterklasse auf der Grundlage von Zielen, wie sie gerade aufgezeigt wurden, können Revolutionäre sich Hoffnungen machen ihre Rolle dabei zu spielen, zu gewährleisten dass die Bedrohung durch die Nationale Front effektiv eingedämmt und letztlich niedergeschlagen wird und dass gleichzeitig dieses katastrophale Abgleiten in die soziale Hoffnungslosigkeit effektiv umgekehrt wird.

25. März 1997