Frankreich: Lutte Ouvrière im Präsidentschaftswahlkampf (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von September 2016)

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Frankreich: Lutte Ouvrière im Präsidentschaftswahlkampf
September 2016
Lutte Ouvrière gibt für die Präsidentschaftswahlen im April-Mai 2017 die Kandidatur von Nathalie Arthaud bekannt.
Seit 1974 ist unsere Organisation bei allen Präsidentschaftswahlen dabei gewesen. Von 1974 bis 2007 wurde Lutte Ouvrière dabei von Arlette Laguiller vertreten und 2012 von Nathalie Arthaud.
Seit unserer ersten Kandidatur hat sich der politische Kontext mehrfach verändert. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, um bei den Wahlen anzutreten, wurden ebenfalls verändert, und das nicht in einer positiven Richtung.
1974 reichten noch die Unterstützungsunterschriften von 100 Abgeordneten, um bei der Wahl anzutreten, heute schreibt das Gesetz 500 vor. Verschiedene andere Veränderungen bezüglich des Verfahrens der Unterschriften wurden im letzten April vorgenommen, die alle das Ziel haben, die Kandidatur von Minderheitenströmungen schwieriger zu machen. Hinzu kommt, dass die Apparate der großen Parteien Druck auf ihre Abgeordneten ausüben, um sie davon abzuhalten, für Kandidaten kleiner Strömungen zu unterschreiben.
Dank der demokratischen Gedanken der Abgeordneten, um genauer zu sagen einzig der Bürgermeister der kleinen Kommunen und dank ihres Mutes diesem Druck zu wiederstehen, konnten wir bis heute diese Hindernisse überwinden. Wir sind guter Dinge, dass wir es auch für die nächsten Präsidentschaftswahlen schaffen werden.
Indem wir uns systematisch zu den Wahlen aufstellen, führen wir eine Tradition der revolutionären, kommunistischen Bewegung fort. Eine Tradition, die uns von anderen revolutionären Strömungen wie Anarchisten oder Ultralinken, unterscheidet, die die Teilnahme an Wahlen ablehnen.
Während Lenin die „bürgerlich-demokratischen und parlamentarischen Vorurteile“ in der Arbeiterklasse bekämpfte und erstrecht den Wählerfang, fasste er diese Tradition mit einer knappen Formel zusammen: nämlich, dass „die Beteiligung an den Parlamentswahlen und am Kampf auf der Parlamentstribüne für die Partei des revolutionären Proletariats unbedingte Pflicht ist“.
In revolutionären Zeiten, in denen die Mobilisierung demokratische Klassenorgane wie die Arbeiterräte hervorbringt, wird die Beteiligung an Wahlen zu einer taktischen Frage: Teilnahme oder Boykott (dazu kann man sich Lenins Verhalten bezüglich der Duma-Wahlen in den verschiedenen Phasen der Revolution 1905 anschauen). Aber außerhalb dieser besonderen Momente sind die Wahlkämpfe ein Teil des politischen Kampfs, den eine revolutionäre kommunistische Organisation führen muss. Sie geben ihr die Möglichkeit vor einem größeren Publikum, ihr Programm und die Positionen zu verteidigen, die den politischen Interessen der Arbeiterklasse entsprechen. Sie bringen sie dazu, sich den verschiedenen Teilen der Bourgeoisie auf diesem Gebiet gegenüberzustellen. Außerdem sind sie ein Mittel, um zu überprüfen, welche Resonanz diese Positionen bei den Wählern aus der Arbeiterklasse und der einfachen Bevölkerung findet. Die Wahlen sind ein Thermometer, sagte Lenin zu seiner Zeit.
Sie sind jedoch kein passives Messinstrument. Sie ermöglichen den Wählern eine Wahl auszudrücken. Im Vergleich zu anderen Wahlen in Frankreich haben die Präsidentschaftswahlen den Vorteil, dass sie dies auf der Ebene des ganzen Landes ermöglichen.
Wir werden hier jetzt nicht den sehr relativen Wert dieser Messung diskutieren. Ein ganzer Teil der Arbeiterklasse, die ausländischen Arbeiter, hat gar nicht das Wahlrecht und das allein reicht schon dafür, dass die Wiederspiegelung der Stimmung bei den Wahlen in Bezug auf das politische Bewusstsein der Ausgebeuteten sehr stark verzerrt ist.
Da jede Präsidentschaftswahl in einem konkreten politischen Kontext stattfindet, waren natürlich unsere Ausrichtung und unsere Argumentation auf diese Umstände bezogen. Wir haben jedoch in all diesen Wahlen als revolutionäre Kommunisten teilgenommen, mit dem Ziel eine Klassenpolitik zu verteidigen.
Im Jahr 1974, vor dem Hintergrund der politischen Rückständigkeit Frankreichs, war unsere erste Teilnahme an den Wahlen vor allem geprägt von der Tatsache, dass Arlette Laguiller die erste Frau war und die erste Arbeiterin, die als Kandidatin bei den Präsidentschaftswahlen angetreten ist. Dass eine Frau sich in dieser „Republik der Männer“ zur Wahl stellte, wie Arlette Laguiller es ausdrückte, war ganz neu.
Unsere Genossin musste nicht mal die Sprache der bürgerlichen Feministen aufnehmen. Allein ihre Kandidatur war eine Demonstration des Unterschieds zwischen einer kommunistischen Strömung und den politischen Vertretern der Bourgeoisie, die durch die Tatsache, dass sie ein soziales System verteidigen, das auf der Ausbeutung beruht, ihren Frauenhass zur Schau tragen genauso wie vielen anderen reaktionären Dreck.
Der Klassencharakter unserer Kandidatur
Wir haben es immer abgelehnt, den Klassencharakter unserer Kandidatur in einer Schwemme von Forderungen und verschiedenen Zielen, die von den verschiedenen Kategorien der Unterdrückten kommen, untergehenzulassen, auch wenn diese Ziele und Forderungen wirklich legitim sind.
Wir hatten diese Diskussion in der Vergangenheit vor allem mit Strömungen, die sich in dieser Zeit wie wir auf den Trotzkismus beriefen und die Anliegen, Forderungen verschiedener Kategorien in den Vordergrund stellten, sei es von Gefängnisinsassen und ihren Haftbedingungen, sei es die Situation von verfolgten sexuellen Minderheiten oder die Solidarität mit einer bestimmten unterdrückten Bevölkerung. Wir teilen die Solidarität mit einem großen Teil dieser Kämpfe, aber wir wollen nicht, dass die Ausbeutung der Arbeiterklasse nur als ein Grund zwischen anderen erscheint.
Und zwar aus einem ganz wichtigen Grund: wir wollen uns nicht als Vertreter einer dieser speziellen unterdrückten Gruppen hinstellen, sondern als Vertreter des Bewusstseins der Arbeiterklasse. Die Zukunft der Gesellschaft und all dieser Formen der Unterdrückung, die aus ihr entstehen, hängen letztendlich von der Fähigkeit des Proletariats ab, seine historische Perspektive wiederaufzunehmen und die kapitalistische Ordnung zu stürzen.
Eine revolutionäre kommunistische Arbeiterpartei würde sich der meisten dieser Kämpfe annehmen, indem sie sie, sofern das möglich ist, in den grundlegenden Kampf des Proletariats für seine Emanzipation integriert. Während sie also die Unterdrückungen auf diesem Gebiet bekämpfen würde, gäbe es weder eine Zweideutigkeit gegenüber, noch eine Unterordnung unter Strömungen, die sich in die kapitalistische Gesellschaft integrieren.
Wir sind nicht an diesem Punkt. Für eine Organisation, die noch nicht ernsthaft in der Arbeiterklasse verankert ist, mit allem was das bedeutet an Ansehen und politischem Einfluss, ist es lebensnotwendig, auf dem Klassenstandpunkt zu bleiben, wenn sie Vertrauen auf dieser Basis gewinnen will.
Noch wichtiger ist es, dass die Entscheidung „im Lager der Arbeitenden“ zu sein nicht aufgegeben wird, indem man sich hinter Politiker des Bürgertums einreiht, und seien sich noch so links von der Linken.
Die Treue zu den Ideen des Klassenkampfs, der Wille „dem Lager der Arbeitenden Gehör zu verschaffen“, die alle unsere Kampagnen für die Präsidentschaftswahlen gekennzeichnet haben, haben es ermöglicht, dass sich über die Jahre eine politische Strömung gebildet hat, die sich in dieser Idee wiederfindet. Dies schlägt sich in verschiedener Weise in unseren Wahlergebnissen nieder. Je nach Kontext der Wahl hat ein Teil derjenigen, die sonst für unsere Kandidatin gestimmt haben, aus anderen Gründen als dieser grundlegenden Achse unseres Wahlkampfes gewählt. Aber, auch wenn diese Strömung je nach Zeitpunkt unterschiedlich ist und in jedem Fall eine Minderheit, so existiert und behauptet sie sich.
Die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017
Die nächste Präsidentschaftswahl hat mit den vorhergehenden gemeinsam, dass dort Politiker gegeneinander antreten, deren Ziel es ist, das Land im Sinne der kapitalistischen Gesellschaft zu regieren, das heißt für die Interessen der Bourgeoisie. Sie hat außerdem mit allen vorherigen Wahlen im Rahmen der V. Republik gemeinsam, dass die verschiedenen Meinungen, die noch in der ersten Wahlrunde ausgedrückt werden können, gekürzt, gefiltert und kanalisiert werden, damit eine zweite Wahlrunde zustande kommt, wo derjenige gewählt wird, der die Bevölkerung für die Bourgeoisie unterdrückt.
Was sich allerdings im Laufe der Zeit verändert hat und vor allem über die Jahre unter Regierungen linker Parteien, das ist die Verachtung, die die Wählerschaft aus der einfachen Bevölkerung ihnen entgegenbringt, deren Stimmen es diesen Parteien ermöglicht haben, die Präsidentschaft der Republik oder die Regierung zu erlangen, mit Mitterrand, Jospin und letztlich Hollande.
Diese institutionelle Linke, die an der Regierung immer dem Großbürgertum gedient hat, aber deren Wählerschaft sich zum größten Teil aus Arbeitenden bestand, ist heute bei einem Teil ihrer Wähler in Misskredit geraten und wird von ihnen abgelehnt. Die Tatsache, dass der derzeitige Präsident nicht nur keine Chance hat wiedergewählt zu werden, sondern auch bei Umfragen nur an vierter Stelle steht, ist nur ein vager Ausdruck von dem Abscheu, ja dem Hass, den die sozialistische Regierung selbst bei einem Teil ihrer traditionellen Wählerschaft auslöst.
Die von Mitterand vor seiner Wahl 1981 verursachten Illusionen, nach langen Jahren der Rechten an der Macht, sind überhaupt nicht vergleichbar mit der Ablehnung von Hollande nach den 5 Jahren seiner Präsidentschaft. Der Unterschied liegt dabei nicht in der Persönlichkeit der jeweiligen Männer und noch weniger in der Klassennatur ihrer Politik.
Der Unterschied ist hingegen groß zwischen der Unterstützung und den jeweiligen Wahlhelfern der beiden Männer unter den Arbeitenden. Mitterrand wurde zu einem Großteil gewählt Dank der Arbeiterklasse. In dieser Zeit war die PCF (die kommunistische Partei Frankreichs) noch stark und hatte zahlreiche Aktivisten in der Arbeiterklasse. Sie haben sich zu Stimmenfängern für diesen Politiker des Bürgertums gemacht, der zu den Politikern zählt, die sich in der IV. Republik am meisten abgenutzt haben.
Nach fünf Jahren an der Regierung, die geprägt sind von seiner arbeiterfeindlichen Politik, hat Hollande nicht mehr die Möglichkeit Illusionen bei der einfachen Bevölkerung zu wecken. Selbst im Jahr 2002 war seine Wahl vor allem eine Abwahl Sarkozys.
Und Hollande kann nicht mehr auf die PCF zählen, dass diese ihm Wahlhelfer in der Arbeiterklasse stellt. Die PCF selber hat ihr Ansehen in der Arbeiterklasse verloren, vor allem wegen ihrer Unterordnung unter Mitterand und seine Politik. Ihre Fähigkeit die Wählerschaft unter den Arbeitern zu beeinflussen, hat also nicht mehr viel damit zu tun, was sie einmal war.
Nachdem sie zur Wahl von Hollande beigetragen hat, hat die PCF ihn während der ersten Zeit seiner Präsidentschaft mittels ihrer Aktivisten in der CGT geschont. Später hat sich die PCF distanziert, um sich in einer halben Opposition zu positionieren.
Heute ist es jedoch nicht die Wahlstrategie der PCF, die sich verändert hat, sondern die Mittel, die sie nutzt, um sie umzusetzen. Die Führung der PCF hat früher all ihren Einfluss in der Arbeiterklasse genutzt, damit Mitterrand gewählt wird und alle bissig bekämpft, die die politische Vergangenheit von diesem anprangerten. Heute hat sie nicht mehr dieselben Möglichkeiten. Auf eine Politik mit katastrophalen Folgen für die Arbeiterklasse folgte ein lächerliches Schauspiel, indem die PCF sich auf die Suche nach einem Kandidaten machte, der sie gerne als Trittbrett hätte.
Eine allgemeine Rechtsentwicklung
Die von Hollande angekündigte Wahlflucht und der Misskredit der PS finden im Kontext einer Rechtsentwicklung statt. Die Wählerschaft aus der einfachen Bevölkerung ist ins Wanken gekommen und ohne Orientierungspunkt. Im besten Fall wendet sie sich von der Politik und den Wahlen ab und flüchtet sich in eine Enthaltung. Im schlimmsten Fall schaut sie in Richtung Marine Le Pens, weil „wir die ja noch nicht ausprobiert haben“. Das ist eine Form die sich abwechselnden Parteien abzuwehren, „die man schon zu viel ausprobiert hat“. Diese Entwicklung gefährdet immer mehr den fortwährenden links-rechts Wechsel, der seit einem halben Jahrhundert die Grundlage der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie in Frankreich ist.
Es sind diese sterbenden Wechsel, die alle großen bürgerlichen Parteien und ihre Kandidaten versuchen wieder aufleben zu lassen. Die der Rechten versuchen es, um den Platz von der abgelehnten Linken zu übernehmen. Die der Linken versuchen es über die inneren Unstimmigkeiten zwischen Konkurrenten hinaus, die mehr oder weniger durch die Jahre mit Hollande bloßgestellt sind, um zu versuchen zu überleben. Ihr einziges Wahlargument ist, dass es mit der Rechten schlimmer wäre.
Die Front National war bisher von diesen rechts-links Wechseln auf Regierungsebene ausgeschlossen. Dieser Ausschluss liegt an der traditionellen Rechten, aus Gründen, die in der politischen Geschichte Frankreichs liegen. In einigen europäischen Ländern waren oder sind rechtsextreme Parteien vom selben Typ wie die FN in die Regierungsmacht eingebunden. Und zwar in Koalitionen mit der klassischen Rechten, aber auch mit sozialdemokratischen Parteien wie es zum Beispiel in Österreich von Zeit zu Zeit der Fall ist.
In Frankreich hat die FN aus dieser Ausgrenzung von Seiten der anderen Parteien des Bürgertums, deren Opfer sie wurde, geschickt ein Wahlargument gemacht. Die Ausgrenzung aus den rechts-links Wechseln ist in den Augen eines wachsenden Teils der Wählerschaft zu einer guten Eigenschaft geworden, weil sie selbst die Parteien dieser Wechsel ablehnt.
So muss man anmerken, dass ein Macron auf seine Art, sei er auch noch so sehr ein Produkt des Systems, versucht sich auf dieselbe Entwicklung der Wählerschaft zu stützen. Auch wenn ihr jeweiliger Werdegang unterschiedlich sein mag, so erinnern die politischen Bestrebungen des jungen Bankiers sehr an die des Komikers Beppe Grillo in Italien, zumindest in der Hinsicht, dass beide zu der links-rechts Gegnerschaft auf Distanz gehen.
In Wirklichkeit macht die FN, indem sie sich als eine Anti-System-Partei darstellt, der Bourgeoisie ein richtiges politisches Geschenk, das die traditionellen Wechsel ersetzt. An die Stelle der rechts-links-Gegnerschaft tritt im Laufe der Wahlen ein neuer Wechsel, auf der einen Seite die alten, entlarvten Parteien der rechts-links Wechsel und auf der anderen Seite die FN.
Die Wahlen können nur als Sicherheitsventil funktionieren, wenn sie den mit der Regierungspolitik Unzufriedenen die Illusion anbietet, dass sie diese verändern können, indem sie bei der nächsten Wahl für diejenigen stimmen, die in der Opposition sind.
Solange die FN eine rechtsextreme Partei bleibt, die das parlamentarische Spiel mitspielt, kann sie sich als Retter des bürgerlichen Parlamentarismus erweisen. Diese neuen Wechsel, die von Wahl zu Wahl stattfinden und vor allem in den Regionalwahlen im Jahr 2015 Gestalt angenommen haben, finden allerdings auf der Basis einer reaktionären Entwicklung statt und spiegeln ein immer weiter nach rechts Abgleiten des politischen Lebens im Land wieder.
Die bürgerliche republikanische Front, die sich während der zweiten Wahlrunde der Regionalwahlen im letzten Dezember gegen die FN gebildet hat, bedeutet faktisch die Unterordnung der linken Parteien unter die Rechte. Die sozialistische Partei ebenso wie die kommunistische Partei haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass die Rivalität zwischen der Linken und der Rechten durch eine Rivalität zwischen der Rechten und der extremen Rechten ersetzt wird.
Wenn Juppé siegreich aus der ersten Wahlrunde der Rechten hervorgeht und wenn die zweite Präsidentschaftswahlrunde ihn Marine Le Pen gegenüberstellt, ist es nicht schwer vorauszusehen, welche Wahl ein großer Teil der reformistischen Linken inklusive der PCF treffen wird. Wir brauchen uns nur an die Wahl von Chirac im Jahr 2002 erinnern.
Also auch wenn weder die Linke noch die Rechte bisher ihren Kandidaten nominiert hat, weiß man schon, um welche Achse sich ihr Wahlkampf drehen wird. Die rechte Tageszeitung Le Figaro hat vor kurzem getitelt: „Der Terrorismus mitten im Kampf von rechts und links“. In Zeiten der triumphierenden Wechsel haben die beiden Blöcke versucht sich voneinander zumindest in Worten voneinander zu unterscheiden. Jeder von ihnen ging in Richtung der Anliegen des Großteils seiner eigenen Wählerschaft, auch wenn sich beide gleichzeitig darauf vorbereitet haben, für die Interessen des Großbürgertums und der Bankiers zu regieren. Aber selbst diese feinen Unterschiede treten heute in den Hintergrund. Die Stars der Rechten ebenso wie die der Linken schüren die riesige Täuschung, die darin besteht, die Probleme einer Gesellschaft von 65 Millionen Individuen auf die „terroristische Bedrohung“ zu reduzieren.
Indem sie dies tun, finden sie sich auf demselben Gebiet wieder wie die FN. So kann sich diese nicht nur damit rühmen, den großen Parteien ihre Wahlthemen aufgezwungen zu haben, sondern auch sie mit der gleichen widerlichen, fremdenfeindlichen, chauvinistischen, gegen Immigranten gerichteten Hetze mitgerissen zu haben, die das ganze soziale Leben vergiftet.
Dies kann man gut am letzten Auftritt Hollandes im Wagram-Saal am 8. September sehen, wo dieser versuchte, als Verteidiger der Demokratie und der Republik gegenüber dem Terrorismus aufzutreten, wobei er in seiner Rede alles ausradierte, was sozial oder auch nur gesellschaftlich ist. Macht er dies in der Hoffnung, dass seine Quote ansteigt bis zu einem Punkt, wo er sich zur Wahl stellen kann, ohne Gefahr zu laufen, sich lächerlich zu machen? Macht er dies um der PS eine Zukunft zu erhalten und zu versuchen, dass sie nicht von zahlreichen Rivalitäten zerrissen wird?
Das jedenfalls ist der politische Kontext, in dem die nächsten Wahlen stattfinden.
Dem Lager der Arbeitenden Gehör verschaffen
Wie in der Vergangenheit stellen wir uns zur Wahl auf im Namen der kurzfristigen und langfristigen politischen Interessen der Arbeiterklasse. Und das erste dieser politischen Interessen ist gerade, klar als soziale Klasse aufzutreten, deren politische Interessen entgegengesetzt zu denen der Bourgeoisie sind. Das heißt, sich gegen alle Kandidaten zu stellen, die schon im Rennen sind oder sich später einbringen werden und sich auf den Boden der kapitalistischen Gesellschaft stellen, unabhängig von ihrem politischen Etikett, sei es links, rechts oder rechtsextrem, das sie zur Schau tragen, um ihre Wähler anzuziehen. Aber das heißt auch, sich gegen alle zu stellen, die angeblich die Linke wiederaufleben lassen wollen.
In einem Vorwort zur amerikanischen Ausgabe der Lage der arbeitenden Klasse in England beschreibt Engels die Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse – eine Entwicklung an der er an der Seite von Marx großen Anteil hatte: „In europäischen Ländern brauchte die Arbeiterklasse Jahre und abermals Jahre, bis sie vollständig begriff, dass sie eine besondere und, unter den bestehenden Umständen, ständige Klasse der modernen Gesellschaft bildet.
Und wiederum brauchte sie Jahre, bis dies Klassenbewusstsein sie dahin führte, sich zu einer besonderen politischen Partei zusammenzutun, einer Partei, die allen alten, von den verschiedenen Gruppen der herrschenden Klassen gebildeten Parteien unabhängig und feindlich gegenübersteht.“
Dieser Text, der den Fortschritt zusammenfasst, der in dieser Zeit Dank Jahrzehnten des Kampfs, der politischen Kämpfe, der tastenden Versuche und des Fortschritts des Klassenbewusstseins vollbracht wurde, dieser Text scheint heute wie ein Hinweis, welchen Weg man nehmen muss. Diese Feststellung erinnert an die katastrophalen Konsequenzen für die Arbeiterbewegung, die zunächst die Niederlage und der Verrat der Sozialdemokratie und schließlich die Entartung des Stalinismus bewirkt haben. Die „Krise der revolutionären Führung“, von der Trotzki 1938 gesprochen hat, ist immer noch nicht gelöst.
Aber trotz des Zerstörungswerks der Sozialdemokratie und des Stalinismus am Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse fängt die Geschichte nicht wieder ganz bei null an.
Die Entwicklung des Kapitalismus hat den Gegensatz zwischen der kapitalistischen Klasse und der Arbeiterklasse nicht verschwinden lassen. Im Gegenteil, sie hat ihn verschärft. Und zwar nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene, wo der Gegensatz zwischen den Möglichkeiten der Gesellschaft ihr wirtschaftliches Leben zu beherrschen und ihrer Unfähigkeit dies zu tun stärker ist wie nie zuvor. Auch in allen anderen Bereichen des sozialen Lebens zeigen sich die Anzeichen der Fäulnis den Rückgang zur Barbarei.
Eben deshalb ist es für die Zukunft der Gesellschaft so notwendig, dass die Ideen, die durch die Erfahrungen der vergangenen Kämpfe der Arbeiterklasse hervorgebracht wurden, nicht verschwinden und sich behaupten.
Die Existenz einer Strömung, die dieses Erbe erhält, ist für die Zukunft kostbar. Egal wie klein sie sein mag, vor allem gemessen mit einem so wenig verlässlichen Instrument wie den Wahlen, so ist es doch nicht weniger die Hoffnung von tausenden Frauen und Männern, die die Ideen von einer sozialen Befreiung sowie die Ablehnung der heutigen kapitalistischen Gesellschaft teilen und die weiterhin dabei bleiben, dass sie zum „Lager der Arbeitenden“ gehören. Sie alle haben Teil, und sei es auch nur passiv, an der Weitergabe der revolutionären, kommunistischen Tradition und an deren Fortdauer im sozialen und politischen Leben als Gegenströmung zu der dortigen reaktionären Entwicklung.
Niemand kann heute vorhersagen, auf welchem Weg sich eine wirkliche revolutionäre kommunistische Partei wieder aufbauen wird, die in der Lage ist, einen bedeutenden Teil der Arbeitermassen für diese Ideen zu wiederzugewinnen. Das Einzige, was sicher ist, ist, dass diese noch zu schreibende Geschichte sich nicht nur auf der Ebene von Wahlen abspielen wird. Sie wird sich auf der Ebene von Kämpfen abspielen, über die die Arbeiterklasse wieder Selbstvertrauen und die Fähigkeit finden wird, sich zu mobilisieren, um ihre Klasseninteressen zu verteidigen. Die notwendigen Kräfte, um eine revolutionäre kommunistische Partei aufzubauen, werden aus der Arbeiterklasse selber kommen.
Nur indem die Arbeiterklasse sich im politischen Leben auf der Basis ihrer Klasseninteressen einmischt, kann sie also an ihre historischen Perspektive anknüpfen: die Zerstörung der auf Profit ausgerichteten kapitalistischen Ordnung der Gesellschaft und den Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft ohne Ausbeutung.
15. September 2016