In den Medien wird viel über das Übel der zunehmenden Drogenabhängigkeit berichtet. Mehrere Arbeiterviertel in Marseille wurden von Morden erschüttert, die im Zusammenhang mit dem Drogenhandel standen: 42 Tote seit Jahresbeginn. Auch Städte im Südosten, die zu Filialen von Marseille geworden sind, sind betroffen: insbesondere Arles, Aix-en-Provence, Toulon und Martigues. In Nîmes wurde eine öffentliche Bibliothek geschlossen, weil sie zu einer Drehscheibe des Drogenhandels geworden war. Dies sind nur einige Beispiele aus den Medien über die 4.000 in Frankreich bekannten Plätze, an denen die Dealer ihre Drogen verkaufen. Hinzu kommen Uber-shit und andere Lieferdienste frei Haus.
Nach Angaben der ODFT (Französische Beobachtungsstelle für Drogen und Suchttrends) haben im Jahr 2022 2.100.000 gelegentlich und 600.000 Menschen regelmäßig Kokain konsumiert, 1.900.000 gelegentlich und 400.000 regelmäßig Ecstasy und 500.000 Heroin. Cannabis wird von 5 Millionen Menschen konsumiert, davon 1.300.000 regelmäßig und 900.000 täglich.
Welche Politik verfolgt die französische Regierung angesichts eines solchen gesamtgesellschaftlichen gesundheitlichen Problems? Repression! Denn bei der Politik der „Inneren Sicherheit“ und der Jagd auf Kleinkriminelle herrscht ein harter Wettbewerb zwischen der Rechten und der extremen Rechten. Um nicht zurückzustehen, droht Innenminister Gérald Darmanin den Konsumenten mit Strafen: „Wer seinen Joint raucht oder seine Linie Koks zieht, ist ein Stück mit verantwortlich für die Machtkämpfe zwischen den Drogenbanden“ (BFM, 5. April 2023).
Im Jahr 2022 trat der Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron dafür ein, den Besitz kleiner Mengen Cannabis nicht länger unter Strafe zu stellen, um so die Gerichte mittels Bußgeldern zu entlasten. Auch wenn es mittlerweile selten ist, dass jemand wegen des bloßen Konsums ins Gefängnis muss, so stellt die Jagd nach „Bußgeldern für geringfügige Straftaten“ (AFD) eine wichtige Aktivität der Polizei dar. Diese Art von schnell erledigten Verstößen verbessert die Aufklärungsquote, die bis zu 100 % betragen kann. Dies führt jedoch auch zu Spannungen, insbesondere in den ärmeren Stadtvierteln. So wurden im Jahr 2021 106.000 AFD-Bußgelder verhängt, von denen mehr als 97% Cannabis betrafen.
Das Kollektiv Polizei gegen die Prohibition erklärt: „Die Verfolgung der Konsumenten führt nicht zu Abschreckung. (...). Polizeibeamte und Gendarmen wenden viel Zeit dafür auf, ohne ein überzeugendes Gesamtergebnis zu erzielen. Die öffentlichen Gelder, die für diese Verfahren ausgegeben werden, sind exorbitant hoch.
Tatsächlich belaufen sie sich auf 1,72 Milliarden Euro, während das Budget für Prävention und Versorgung von Suchtopfern bei 917 Millionen Euro liegt.
Das Beispiel der Crack-Süchtigen in Paris macht das völlige Versagen dieser staatlichen Politik deutlich: Von der Polizei von einem Viertel in das nächste gejagt, streifen die Drogensüchtigen umher und verstärken das Unsicherheitsgefühl der Anwohner. Während Gesundheits- und Präventionsexperten die Einrichtung von Konsum- und Ruheräumen für Crack-Süchtige fordern, kritisierte Innenminister Gérald Darmanin im Juni 2021 in Lille diese „Räume, in denen man Drogen nimmt“, und fügt hinzu: „Drogen dürfen nicht begleitet, sondern müssen bekämpft werden.“
Die Repression wird umso schlechter aufgenommen, da die beiden am häufigsten konsumierten Drogen – Tabak und Alkohol – legal sind. Dabei waren diese 2019 für 73.189 bzw. 41.080 Todesfälle verantwortlich, während illegale Drogen für 1.230 Todesfälle verantwortlich waren. Die gesellschaftlichen Kosten von Cannabis belaufen sich auf eine Milliarde Euro, wovon 56% auf die Polizei und die Justiz entfallen.
Eine absurde Folge dieser Politik: Frankreich, das repressivste Land Europas, ist gleichzeitig der größte Cannabis-Konsument.
Aufgrund dieser Tatsache hat sich der EWSA (Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat) am 23. Januar dieses Jahres für eine kontrollierte Legalisierung von Cannabis als Freizeitdroge in Frankreich ausgesprochen. Dies wird seit Jahren unter anderem von der ANPAA (Association nationale de prévention en alcoologie et addictologie – nationale Vereinigung für Prävention von Alkohol- und Drogensucht), von Addictions France und dem Kollektiv um die medizinische Fachzeitschrift SWAPS gefordert.
Der gleiche Ansatz hat in einer Reihe von Ländern dazu geführt, mit der in Frankreich weiterhin betriebenen Politik zu brechen.
Entkriminalisierung und Legalisierung von Cannabis auf dem Vormarsch
Die deutsche Regierung hat gerade einen Plan vorgelegt, um den Freizeitkonsum von Cannabis ab 2024 zu legalisieren. Volljährige Konsumenten dürfen dann bis zu 25 Gramm besitzen und drei Pflanzen anbauen. Da das Gesetz rückwirkend gelten soll, können hierfür Verurteilte ihre Strafe aus dem Bundeszentralregister löschen lassen.
Dieser Politikwechsel im bevölkerungsreichsten Landes Europas ist ein Ereignis. Doch er ist Teil einer allgemeineren Entwicklung. Mehrere europäische Länder haben bereits die Initiative ergriffen, den Cannabis-Konsum zu entkriminalisieren (d.h. auf die Bestrafung des Konsums zu verzichten, ohne den Verkauf zu erlauben) oder ihn ganz zu legalisieren (also Verkauf und Konsum einen gesetzlichen Rahmen zu geben, ähnlich wie bei Tabak in Frankreich).
Portugal hat vor 20 Jahren den kleinen privaten Konsum aller Drogen unter bestimmten Bedingungen entkriminalisiert, während der Verkauf weiterhin unter Strafe steht. Auch andere Länder in Europa haben nach und nach aufgehört, den Besitz weniger Gramm Drogen im privaten Bereich zu verfolgen: Spanien, Italien, die Niederlande, Luxemburg und die Tschechische Republik.
In Südamerika erlaubt Uruguay, das den Konsum bereits 1974 entkriminalisiert hatte, seit 2013 den Konsum, den Anbau und den Verkauf von Cannabis in begrenzten Mengen. Kanada legalisierte 2018 den Freizeitgebrauch für Erwachsene (der medizinische Gebrauch wurde bereits 2001 legalisiert).
Die weltweit größten Auswirkungen haben jedoch die begonnenen Veränderungen in den USA, wo Cannabis 1937 verboten worden war. Mittlerweile haben bereits 41 der 50 Bundesstaaten den medizinischen Gebrauch und 19 den Freizeitgebrauch für Erwachsene legalisiert.
Unter Berufung auf das Beispiel der USA und Kanadas haben Befürworter der Legalisierung in Frankreich versucht, die Regierung davon zu überzeugen, dass dies finanzielle und steuerliche Vorteile mit sich bringen könnte.
Denn Cannabis ist auch ein riesiges Geschäft, das 54% des weltweiten Marktes für illegale Drogen ausmacht. Das heißt, über die Hälfte der geschätzten 162 Milliarden Dollar, die jedes Jahr mit illegalen Drogen verdient werden, werden durch den Cannabis-Verkauf verdient. Bislang liegt diese Branche in den Händen von Drogen-Kartellen. Ein Teil dieses riesigen Geldes in die Hände zu bekommen, weckt Appetit. Ende Juni 2023 fand in Berlin eine Konferenz über den Handel mit Cannabis statt. An der Konferenz nahmen 5.000 Personen aus 80 Ländern teil. Man erwartet, dass sich der legale weltweite Cannabis-Umsatz 2023 auf 37 Milliarden US-Dollar beläuft, der hauptsächlich in den USA (81%) und Kanada (12%) erzielt wird.
Die Tabakkonzerne versuchen, sich breiter aufzustellen und die Verluste auszugleichen, die ihnen durch den Rückgang des Tabakverkaufs entstehen. Vor allem jedoch haben die Spirituosen-Hersteller den Weg bereitet. Der Chef des US-amerikanischen Spirituosenkonzerns Constellation Brands, der für das Bier Corona bekannt ist, hat 2018 fast 4 Milliarden US-Dollar gezahlt, um sich mit 38% am Kapital von Canopy Growth zu beteiligen. Das britische Unternehmen DIAGEO (Bailey's, Johnnie Walker, Smirnoff, Guinness) hat den Markt für Getränke, die aus Cannabis hergestellt werden, im Visier. Heineken verkauft sein mit Cannabis versetztes Bier in den USA.
Auch Pernod Ricard beobachtet den Markt genau. Wie die Tabakkonzerne strecken auch die Alkoholhersteller ihre Fühler aus, um in der bestmöglichen Position zu sein, wenn der Cannabis-Markt geöffnet wird – eine Entwicklung, die sie für unvermeidlich halten.
Dass Staaten und kapitalistische Großkonzerne in den Drogenhandel verwickelt sind, ist nichts Neues – und zwar nicht nur bei Alkohol und Tabak. Dies hat im Gegenteil eine wichtige Ära in der kapitalistischen Entwicklung geprägt.
Kapitalisten als Pioniere des Drogenhandels
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich der Kapitalismus mit Hilfe der Kolonisierung. Die westlichen Großmächte häuften Gewinne und Kapital an, indem sie die Märkte mit Hilfe von Kanonenschüssen öffneten und eroberten. Auf diesem Weg Auf diesen Wegen verbreiteten die kapitalistischen Staaten auch die Drogen, die eine Quelle großer Profite waren.
Opium wird aus Schlafmohn gewonnen. Diese hochgradig psycho-aktive Substanz hat eine beruhigende Wirkung, die seit der Antike als Schmerzmittel genutzt wurde. Die britische Ostindien-Kompanie baute den Opiumhandel absichtlich aus und führte zwei Kriege, um ihn in China durchzusetzen. Dieses riesige Land weigerte sich, seinen Markt für die westlichen Mächte zu öffnen. Da eine kleine chinesische Elite das im Land verbotene Opium konsumierte, schmuggelten die Briten, die das Opium in Indien herstellten, es zunächst über die Triaden (eine chinesische Mafia) nach China.
Dieser Schmuggel diente als trojanisches Pferd, um den gesamten chinesischen Markt zu öffnen. Die Reaktion des Kaisers, der das Opium vernichten ließ, lieferte dem britischen Staat einen Vorwand, um im Namen der Handelsfreiheit gegen China in den Krieg zu ziehen. Dies war der erste der beiden Opiumkriege. Der Kaiser wurde gezwungen, Opium zu legalisieren und sein Land für den Handel zu öffnen. Auf Opium baute die HSBC-Bank (Hong Kong & Shanghai Banking) ihr Kapital und ihre Gewinne auf.
In Die Akkumulation des Kapitals, das 1913 veröffentlicht wurde, schrieb Rosa Luxemburg:
„Die Periode der Erschließung Chinas für die europäische Kultur, d. h. für den Warenaustausch mit dem europäischen Kapital, wird durch den Opiumkrieg inauguriert, in dem China gezwungen wird, das Gift aus den indischen Plantagen abzunehmen, um es für die englischen Kapitalisten zu Geld zu machen. (...) Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fiel das Opium so stark im Preise, daß es rapid zum „Volksgenußmittel“ wurde. Noch im Jahre 1821 betrug die Einfuhr des Opium nach China 4.628 Kisten zum Preise von durchschnittlich 1.325 Dollar, dann fiel der Preis auf die Hälfte, und 1825 stieg die chinesische Einfuhr auf 9.62l Kisten, 1830 auf 26.670 Kisten“.
130 Jahre lang wurde Opium in China verkauft und führte dort zu einer massiven Abhängigkeit. Im Jahr 1906 gab es in China 13 Millionen Opiumsüchtige. Millionen Chinesen, von der Armut getrieben, wanderten in die großen Häfen von London, Amsterdam oder San Francisco aus und brachten den Opium-Konsum mit sich. In einem Bumerang-Effekt ernteten die imperialistischen Staaten durch diese Diaspora im Gegenzug eine massenhafte Verbreitung der Droge in den imperialistischen Zentren.
1882 war das koloniale Frankreich dabei, Indochina zu unterwerfen. Um seinen Haushalt auszugleichen, kaufte der französische Staat ab 1882 in einer Manufaktur im Herzen von Saigon Roh-Opium. Die „Régie de l'opium“ wird gegründet. Spanien und Holland machen es Frankreich nach. Die Opium-Industrie läuft von da an auf Hochtouren.
Anfang des 20. Jahrhunderts veranlasste der massive Drogenkonsum, gepaart mit massivem Alkoholkonsum mehrere Staaten (darunter die Vereinigten Staaten), ihn zu verbieten. Die kapitalistischen Staaten hatten jedoch nie ein Problem, auf Drogen und Drogenhändlernetze zurückzugreifen, wenn es ihren Interessen diente.
Um 1943 auf Sizilien zu landen, nutzten die US-Truppen die Beziehungen, die ihre Regierung zum Boss der italienisch-amerikanischen Mafia (dem Drogenboss Lucky Luciano) aufgebaut hatte. Sizilien wurde praktisch der Mafia ausgeliefert, die mit allerlei Schmuggel und Spekulationen fast für eine Hungerkatastrophe sorgten. Kommunistische Aktivisten, Gewerkschafter und einfache Bauern, die versucht hatten, sich dem zu widersetzen, wurden massakriert.
Die CIA sorgte ebenfalls dafür, dass die Opium-Produktion in zwei Gebirgsregionen Asiens ausgebaut wurde: in den als Goldener Halbmond bekannten Staaten (Iran, Afghanistan und Pakistan) und im Goldenen Dreieck (Burma, Thailand und Laos). Diese Gebiete waren für die USA von strategischer Bedeutung, da sie als Puffer gegen die Expansion Chinas und der UdSSR dienen konnten.
Die Drogen sind seit den verschiedenen Verboten natürlich nicht verschwunden. Sie sind nur in andere Hände gelangt, nämlich in die der Mafia. Aber ohne die Unterstützung der kapitalistischen Staatsapparate hätte der Drogenhandel nie ein solches Ausmaß angenommen. Von der Wall Street bis zum kolumbianischen Dschungel, von Shanghai bis Kabul profitieren Kartelle, Mafias, Banken, Pharma-Unternehmen und politische Parteien finanziell vom Drogenhandel.
Eine heruntergekommene Gesellschaft kann sich von ihren Übeln nicht befreien
Auch wenn die Politik der Entkriminalisierung und erst recht der Legalisierung von Cannabis einen gewissen Effekt hatte, so zeigen sich auch schnell ihre Grenzen. Portugal wird in der Regel als Vorbild für die Entkriminalisierung genannt. Die Zahl der Cannabis-Konsumenten ist hier zwar gestiegen, liegt aber mit 11,7% der 15- bis 34-Jährigen weit unter den durchschnittlich 23,3 % in Europa. Die Zahl der Konsumenten schädlicherer Drogen ist gar nicht gestiegen. Und die Zahl der Festnahmen ist erheblich zurückgegangen.
Die Drogenproblematik besteht jedoch weiterhin. Portugal hat zwar eine pro-aktive Politik verfolgt, die Prävention und Behandlung zu einem öffentlichen Anliegen gemacht hat. Zum Beispiel werden straffällig gewordene Drogenkonsumenten therapeutisch behandelt. Doch die Zahl derjenigen, die einen Therapieplatz bekamen, ist zwischen 2009 und 2018 stetig gesunken. Denn die Finanzkrise von 2008 hat zu immer neuen Kürzungen des Gesundheits- und Sozialbudgets geführt. Und die Kürzungen gehen weiter.
In den Staaten, die Cannabis legalisiert haben, werden die durch Cannabis eingenommen Steuern von den verschuldeten öffentlichen Haushalten verschlungen, statt der Gesundheitsvorsorge zugute zu kommen.
In Kanada, wo Cannabis erst vor kurzem legalisiert wurde, befürchten die Verbände, dass – wie beim Alkohol – kommerzielle Interessen über gesundheitliche und soziale Fragen gestellt werden.
Nach den ersten Jahren seit der Legalisierung im US-Bundesstaat Colorado zu urteilen, hat die Legalisierung vor allem die Profite der Cannabis-Kapitalisten verbessert. Sieben Millionen Dollar gaben die Lobbyisten aus, um den Gesetzesentwurf zu beeinflussen. Ihr Ziel war durchzusetzen, dass die letztendliche Regelung es ihnen ermöglicht, Cannabis gewinnbringend verkaufen zu können – selbst wenn die öffentliche Gesundheit darunter leidet. Tatsächlich stieg die Rate der cannabisbedingten Krankenhauseinweisungen zwischen 2014 und 2019 von 1.418 auf 3.515 pro 100.000 Einwohner.
In Kalifornien geht es fünf Jahre nach der Legalisierung auch dem Schwarzmarkt weiterhin blendend. Er konkurriert mit der legalen Industrie, die durch Steuern benachteiligt wird. Der Jahresumsatz der Schattenwirtschaft beläuft sich auf 8 Milliarden US-Dollar, gegenüber 5,3 Milliarden US-Dollar für legales Cannabis – eine Zahl, mit der Kalifornien immerhin den Spitzenplatz im legalisierten Handel einnimmt.
Die Entscheidungen zu den Vorstrafenregistern wurden in den Bundesstaaten, die legalisiert haben, mit Spannung erwartet. In San Francisco wurden im Februar 2019 8.100 Verurteilungen im Zusammenhang mit Cannabis aufgehoben. Diese Maßnahme wurde von vielen als Wiedergutmachung für Schwarze gesehen, die viermal häufiger als Weiße wegen Cannabisbesitzes vorläufig festgenommen worden waren.
In Illinois wurden im Dezember 2019 11.000 Amnestien ausgesprochen. Im Oktober 2022 beschloss Joe Biden, alle bundesweiten Verurteilungen wegen des bloßen Besitzes von Cannabis aufzuheben. Es besteht jedoch die Gefahr, dass für die Ärmsten die Repression weitergeht: Denn diese versorgen sich auch weiterhin weitgehend auf dem Schwarzmarkt, um die 10-15 % Steuern auf legalisierte Produkte nicht zahlen zu müssen. Laut der American Civil Liberties Union (ACLU) hat die Legalisierung von Cannabis im Bundesstaat Washington entgegen dem von ihren Befürwortern behaupteten Ziel die ‚Rassenunterschiede‘ bei den Festnahmen nicht verringert, sondern im Jahr 2020 sogar noch vergrößert.
Heute beschränken einige Länder den Cannabis-Konsum auf bestimmte Gemeinschaftsräume wie Coffee-Shops. Aber die Profitlogik wirkt auch hier. Der staatlich kontrollierte Tabakverkauf in Frankreich verhindert nicht die Überprofite der Tabakkonzerne.
In einer Gesellschaft, in der die Staatsapparate vor allem die Interessen ihrer Bourgeoisie unterstützen, kann es gar nicht anders sein.
Der freie Verkauf von sogenanntem Freizeit-Cannabis wird zweifellos zunehmen und normaler werden. Aber das wird nichts an der Tatsache ändern, dass es sich um eine Droge handelt. Die Wahl des Begriffs „Freizeit“ verschleiert im Übrigen die Realität. Denn genau wie zum Beispiel beim Alkohol darf ein vorübergehender Konsum nicht über die Gefahren einer Sucht hinwegtäuschen, die Risiken für die Wachsamkeit, das Autofahren und die Konzentrationsfähigkeit mit sich bringt und besonders dramatisch wird durch ihre Auswirkungen auf das Gehirn, insbesondere bei jüngeren Menschen.
Das gesamtgesellschaftliche gesundheitliche Problem, das durch die Drogenabhängigkeit und das dadurch verursachte menschliche Leid entsteht, kann nur gelöst werden, wenn hierfür entsprechende menschliche Ressourcen – Ärzte, Pflegekräfte, Psychologen – bereitgestellt werden und die Bevölkerung selber bewusst in diesem Sinn aktiv wird.
Dies ist nicht die Priorität kapitalistischer Staaten. Man kann nicht wie Frankreich 413 Milliarden Euro zusätzlich für das Militär ausgeben, um Kriege vorzubereiten, dem Großkapital Milliarden schenken und sich um den Gesundheitszustand der Bevölkerung kümmern.
Die Mittel für Prävention und Behandlung von Drogensucht im Bereich der illegalen Drogen sind genauso knapp bemessen wie die Mittel für Prävention und Behandlung von Alkohol- und Tabaksucht. Die Steuern auf Alkohol bringen jährlich 3 Milliarden Euro ein, während sich die Behandlungskosten der gesundheitlichen Folgen des Alkohols auf 7,7 Milliarden belaufen! Das Budget zur Bekämpfung des Tabak-Konsums beträgt 140 Millionen, während die Steuern auf Zigaretten 14 Milliarden Euro einbringen!
Diese Zahlen sprechen für sich – und sie gelten für jede Form von Sucht. Es fehlt das Nötigste, um Suchtverhalten zu erkennen, Kranke zu betreuen und zu behandeln, aufzuklären und die Jüngsten in der Schule zu warnen. Die Vereine, die gegen Sucht, ob legal oder illegal, kämpfen, weisen ständig auf ihre Bedürfnisse hin: Zentren für Suchtpflege, -begleitung und -prävention, spezialisierte Entgiftungseinrichtungen, wie es sie für Alkoholismus gibt, Räume für risikoarmen Konsum, Beratungsstellen für junge Konsumenten. Heute führt der Cannabiskonsum dazu, dass 5.000 Konsumenten in den CSAPA (Zentren für Suchtbehandlung, -begleitung und -prävention) und 24.000 Jugendliche in den CJC (Beratungsstellen für junge Konsumenten) betreut werden. Hinzu kommt der gesamte Bedarf an psychiatrischer Betreuung in einer Zeit, in der diese Disziplin zum Stiefkind des Gesundheitswesens geworden ist.
Dabei waren es Kampagnen zur Prävention und dem Schutz der Bevölkerung, die es ermöglicht haben, dass seit dem 1. Februar 2007 das Rauchen an allen öffentlichen Orten verboten ist und der Tabakkonsum zurückgegangen ist. Es war die Prävention, die das Bewusstsein für die Gefahren des Alkohols vergrößert und zu einem Rückgang des Alkoholkonsums geführt hat.
Eine Prävention, die diesen Namen verdient, würde voraussetzen, dass die Verwendung der Milliarden öffentlicher Steuern kontrolliert würden, um sie für die Bekämpfung dieser Plagen einzusetzen. Eine Gesellschaft, in der das Wohlergehen der Menschen an erster Stelle steht, würde alles daran setzen, die Zahl der Männer und Frauen zu verringern, die von diesen Krankheiten betroffen sind.
Die wichtigste Prävention ist die Bekämpfung des Kapitalismus
Sucht ist eine Krankheit, aber eine Krankheit, deren entscheidende Faktoren gesellschaftlicher Natur sind, lange bevor sie körperlicher Natur sind. Alkoholismus, Drogensucht und zunehmend auch die Medikamentensucht finden ihren Nährboden in der Angst vor dem nächsten Tag, in unerträglichen Arbeits- und Lebensrhythmen, Konkurrenzdenken am Arbeitsplatz und ständigen Druck. All dies zermürbt einen großen Teil der arbeitenden Bevölkerung, darunter sehr viele Jugendliche.
Das Gefühl von Ohnmacht und Verzweiflung angesichts der Unmenschlichkeit der Gesellschaft führt zur Suche nach künstlichen Paradiesen, die nur für die Dauer eines flüchtigen Vergnügens paradiesisch sind, gefolgt von der Hölle des Entzugs.
Konsumenten nicht mehr als Straftäter zu betrachten, könnte zumindest dazu führen, dass all Formen der Repression und der Schikanen aufhören, die sich oft gegen die Jüngsten richten. Aus diesem Grund können revolutionäre Kommunisten dies nur unterstützen.
Der Kampf gegen legale wie illegale Drogen, gegen Alkoholismus, gegen jede Form von Entfremdung war eines der Hauptanliegen der Arbeiterbewegung. Nicht im Namen der Moral, sondern weil der Kampf gegen die Ausbeutung und für die Emanzipation volles Bewusstsein erfordert, während Süchte einen Kontrollverlust, eine Veränderung des Bewusstseins bewirken.
Sich bewusst zu werden, dass man die kapitalistische Barbarei stürzen kann, kann auf ganz andere Art stimulierend sein, weil es starke gemeinschaftliche Ideale und Hoffnungen mit sich bringt.
In seinem Streben nach Profit nutzt der Kapitalismus alles, selbst die schädlichsten Dinge: von den tödlichsten Waffen bis hin zu giftigen Produkten. Hauptsache, es lohnt sich! Das ist ein Zeichen seiner Fäulnis. Aus diesem Grund kann Prävention nur radikal sein: Durch eine tiefgreifende Umwälzung muss die Gesellschaft wieder auf die Füße gestellt werden, damit sie in erster Linie der Menschheit dient.
Ähnlich hat es Marx formuliert: Wenn die Gesellschaft ein Tal der Tränen ist, brauchen die Ausgebeuteten Opium, um ihr Leben zu ertragen – es sei denn, sie kämpfen dafür, es zu ändern.
23. Oktober 2023