Liebe Genossinnen und Genossen!
Wir haben euer Schreiben vom 19. April erhalten, in dem ihr uns ein Treffen vorschlagt. Ihr führt derzeit Gespräche mit der „Volksunion“ von Jean-Luc Mélenchon, um bei den Parlamentswahlen ein „Bündnis und gemeinsame Kandidaturen (...) auf der Grundlage eines Programms des Protests gegen die Politik Macrons, des Bruchs mit der bürgerlichen Politik und der kapitalistischen Logik zu ermöglichen.“ Ihr schreibt: „Wir wissen, dass ihr dieses Vorgehen nicht teilt“. Das ist das Mindeste, was man sagen kann.
Ihr wagt es ernsthaft, Mélenchons Programm als „Bruch mit der bürgerlichen Politik und der kapitalistischen Logik“ zu bezeichnen! Und wie kann man das Entstehen „eines erneuerten Reformismus, der radikaler ist als das, was die PS seit 1983 verkörperte“, positiv finden, wenn man weiß, zu welchen Verheerungen der Illusionen geführt haben, die die Wahl Mitterrands 1981 geweckt hat?
Wir sind schon immer getrennte Wege gegangen. Das hat sich in diesem Präsidentschaftswahlkampf deutlich gezeigt, als ihr euch jeder ernsthaften Kritik am ehemaligen PS-Minister und PS-Senator Mélenchon, dem Verteidiger der französischen Rüstungsindustrie und des Rafale-Kampfflugzeugs, verweigert habt. Und nach dem ersten Wahlgang erklärtet ihr, dass „keine einzige Stimme aus unserem Lager an Le Pen gehen darf, weil es lebenswichtig ist, dass die extreme Rechte am Sonntag geschlagen wird“, mit anderen Worten: Ihr habt zur Wahl von Macron aufgerufen.
Ihr präsentiert euch als „die Linke der Linken“ mit dem Projekt, "wieder eine echte Linke aufzubauen" - mit dem Ziel, von den Enttäuschungen in die Regierungs-Linken als auch von dem Wunsch nach Einheit aller linken Kräfte zu profitieren.
Es stimmt, ihr habt - wenn auch in abgeschwächter Form - in der Vergangenheit die Falle angeprangert, die der Reformismus und der Glauben, durch Wahlen die Dinge verändern zu können, für die Arbeiter darstellt. Ihr seid auch nie in eine Regierung eingetreten. Aber vor allem deshalb, weil sich die Gelegenheit nie geboten hat. Mélenchons Partei „Das widerspenstige Frankreich“ hat sich noch nicht kompromittiert, weil sie noch nicht an der Regierung war. Sie ist heute in der Lage, das Ziel zu verwirklichen, das ihr euch gesetzt habt: „wieder eine echte Linke aufzubauen“. Deshalb überrascht uns eure Beteiligung an diesem Vorhaben nicht.
Was uns betrifft, so bleiben wir bei unserer politischen Linie. Und anstatt eine Flickschusterei des Reformismus zu unterstützen, werden wir in den nächsten Tagen unsere Teilnahme an den Parlamentswahlen in allen Wahlkreisen Frankreichs ankündigen, um das „Lager der Arbeitenden“ zu verteidigen. Wir werden, wie auch bereits im Präsidentschaftswahlkampf, dort die Notwendigkeit bekräftigen, dass die Arbeitenden sich organisieren müssen, um ihre Klasseninteressen zu verteidigen und den Kampf gegen den Kapitalismus wieder aufzunehmen - letztlich mit dem Ziel, der Herrschaft der Bourgeoisie ein Ende zu setzen.
Wir ermessen den Ernst der Lage. Auch wenn der Aufschwung der extremen Rechten sich vorerst auf Wählerstimmen beschränkt, so stellt er dennoch eine Ermutigung für alle faschistischen Individuen und Gruppen dar, die über zahlreiche Verbindungen und potenzielle Kader im Staatsapparat, in der Polizei und in der Armee verfügen. Die Wiederwahl Macrons ist keineswegs ein Schutz, sondern für einige von ihnen vielleicht ein zusätzlicher Grund, zu direkten Aktionen gegen Migranten, Arbeiter und linke Aktivisten überzugehen.
Dies wird unabhängig von der Zusammensetzung der Nationalversammlung der Fall sein. Angenommen, euer Wunsch würde in Erfüllung gehen, d. h. es würden in großer Zahl Abgeordnete der „radikalen Linken“, wie ihr sie zu nennen pflegt, ins Parlament gewählt. Dann wäre dies nicht der Beginn des Sieges, sondern der Beginn der Konfrontation mit der extremen Rechten. Wenn ihr eure Warnungen vor der faschistischen Bedrohung ernst nehmen würdet, würdet ihr erkennen, wie wichtig es ist, Wahlillusionen und demokratischen Illusionen entschlossen entgegenzutreten.
Mit eurer Behauptung, dass die Wahl einer großen Zahl von Abgeordneten dieser Linken eine Mobilisierungsdynamik auslösen könnte, macht ihr euch selbst etwas vor. Mélenchon selbst wiederholt gebetsmühlenartig, dass eine Wahl für ihn und seine Partei die Notwendigkeit von Kämpfen unnötig machen wird! Das ist genau die Falle des bürgerlichen politischen Systems, die darin besteht, den Klassenkampf durch den Wahlkampf zu ersetzen.
Unsere Differenzen sind offenkundig, ohne neu zu sein. Sie sind in unseren unterschiedlichen Ansichten über die Art der zu gründenden Partei und ihre Rolle in einem revolutionären Kontext begründet.
Wir überlassen euch also euren Gesprächen mit der „Union Populaire“ (Volksunion) und schlagen euch vor, die Situation und unsere notwendige Politik öffentlich zu diskutieren, und zwar bei der Debatte, die während unseres Festes in Presles, d.h. am Samstag, den 28. Mai, geplant ist. Dies wird eine Gelegenheit sein, unsere Meinungsverschiedenheiten umfassender zu erörtern.
Wir erwarten nicht, euch zu beeinflussen, vor allem nicht in dieser Zeit des politischen Rückschritts und der Rechtsentwicklung des gesamten politischen Lebens. Wir werden also jeder auf dem Weg weitermachen, den wir für uns selbst gewählt haben. Bisher konnten weder ihr noch wir die Gültigkeit unseres politischen Konzepts unter Beweis stellen. Die Geschichte hat vor dem einzig möglichen Zeugen - den ausgebeuteten Massen - bisher nicht zwischen uns entschieden.
Mit revolutionären Grüßen,
Das Exekutivkomitee von Lutte Ouvrière
Mit revolutionären Grüßen,
Das Exekutivkomitee von Lutte Ouvrière