Der folgende Artikel basiert auf einem Diskussionsforum vom Bund Revolutionärer Arbeiter auf dem Fest von Lutte Ouvrière am 28. Mai 2023.
Kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 hat Bundeskanzler Scholz mit großem Pathos eine „Zeitenwende“ ausgerufen. In der Tat: Der Krieg hat die wirtschaftliche, politische und soziale Lage in Deutschland bedeutend verändert – und zwar in einer beeindruckenden Geschwindigkeit.
Der Krieg als wichtiger Schritt zur Durchsetzung von Aufrüstung und Waffenlieferungen
Zu Beginn des Ukraine-Kriegs gab es noch eine breite öffentliche Debatte über die Frage, ob Deutschland Sanktionen gegen Russland verhängen solle und Waffen an ein Land liefern dürfe, das sich im Krieg befindet. Letzteres war bis dahin ein Tabu gewesen. Und zunächst lieferte die deutschen Regierung… Helme. Ein Jahr später ist es oft nur noch eine Randnotiz wert, wenn die deutsche Regierung eine weitere Lieferung Kampfpanzer oder Drohnen genehmigt.
Bis zum Ukraine-Krieg waren Worte wie „Kampf fürs Vaterland“ oder „Helden auf dem Schlachtfeld“ Begriffe, die nur von Rechtsextremen benutzt wurden – so sehr waren sie noch immer mit der Nazi-Zeit verbunden, so sehr war die politische Kultur noch immer von der Losung „Nie wieder Krieg“ am Ende des 2. Weltkriegs geprägt. Heute gehören sie zum Alltagswortschatz von Journalisten und Politikern in einer ganz offen parteiischen Kriegsberichterstattung, in der die Bevölkerung auf Seiten der Ukraine mitfiebern soll.
Zu Beginn des Ukraine-Kriegs war ein Teil der Bevölkerung empört darüber, dass auf einmal 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgegeben werden sollten. Der Großteil der Bevölkerung hatte kaum einen positiven Bezug zur Bundeswehr. Diese war eher für Verschwendung, Peinlichkeiten und Skandale bekannt, wenn z.B. wieder einmal eine rechtsradikale Zelle in ihr aufflog (was vor allem 2017, 2020 und Ende 2022 für Aufsehen sorgte). Ein Jahr später wird die Bundeswehr als Schutz vor dem Diktator Putin gesehen, der nach der Ukraine auch Deutschland bedrohen könnte. Zwar empfinden viele Sorge und Unbehagen darüber, dass immer mörderischere Waffen geliefert werden, dass alle Staaten so extrem hochrüsten, dass das Säbelrasseln in Osteuropa und in Asien zunimmt, dass alles auf größere Kriege zusteuert, die niemand will. Doch da umgekehrt auch niemand das Gefühl hat, diese Entwicklung aufhalten zu können, verstärkt dies eher das Gefühl: Wenn alles auf Krieg zusteuert, müssen „wir“ ja aufrüsten.
Die Regierung und die Bourgeoisie haben es verstanden, die neue Situation auszunutzen: Ein Krieg, der Deutschland in vielerlei Hinsicht sehr nahe ist (geografisch, strategisch, wirtschaftlich und auch menschlich, da viele Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion, insbesondere aus Russland und der Ukraine, in Deutschland leben) hat ihnen die Möglichkeit eröffnet, endlich mit vielen Tabus zu brechen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs galten. Es ist ihnen gelungen, die öffentliche Meinung für die Erhöhung der Rüstungsausgaben und die Waffenlieferungen an die Ukraine zu gewinnen, die Militärinterventionen und Waffenverkäufe bis dahin mehrheitlich ablehnte.
Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges
Auf wirtschaftlichem Gebiet hatte die deutsche Regierung zunächst einiges versucht, um sich nicht an den ernsthafteren Sanktionen gegen Russland beteiligen zu müssen. Doch die US-Regierung hat ihnen keine Wahl gelassen. Die Herrschenden in Deutschland mussten sich entscheiden: entweder ökonomisch mit Russland zu brechen oder der Gefahr ausgesetzt zu sein, von den USA mit massiven Sanktionen belegt zu werden.
Die Entscheidung war schnell getroffen. Das bedeutete jedoch, dass die deutsche Industrie – und nebenbei die Bevölkerung – innerhalb weniger Monate von ihrer wichtigsten Energieversorgung, vom günstigen Gas aus Russland abgeschnitten wurde. Hektisch hat die Regierung daraufhin teuer Gas in der halben Welt gekauft (u. a. in Norwegen, den USA und Katar). Und nun gibt sie weitere dutzende Milliarden Euro aus, um die Gas- und Strompreise für die Industrie zu subventionieren, damit sie ihre Waren auch weiterhin zu wettbewerbsfähigen Preisen ins Ausland verkaufen kann.
Für die deutschen Konzerne ist dies umso wichtiger, da deren Exporte durch Inflation und Krise weltweit ohnehin schon zurückgehen. Doch wie lange wird der deutsche Staat die Möglichkeit zu solchen massiven Subventionen haben, nachdem er in den letzten drei Jahren bereits über 500 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen hat?
Die Regierung scheint außerdem realisiert zu haben, dass sie – angesichts der massiv zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China – in absehbarer Zeit gezwungen sein könnte, sich aus an Sanktionen gegen China zu beteiligen, was noch viel weitreichendere Folgen hätte als im Fall von Russland.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die deutsche Wirtschaft stärker mit der chinesischen verflochten als jede andere in Europa. China ist seit Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner. Deutschland exportiert Waren im Wert von über 100 Milliarden Euro nach China und importiert Waren im Wert von rund 200 Milliarden Euro aus China. Schon der geringste Rückgang dieses Handels hätte negative Folgen für beide Volkswirtschaften, die chinesische und die deutsche.
Die Politiker versuchen daher jetzt, die Bevölkerung propagandistisch auf Auseinandersetzungen mit China und die damit verbundenen Opfer vorzubereiten. Besonders tun sich dabei die Grünen hervor. Die grüne Außenministerin Baerbock liefert sich unter allen möglichen Vorwänden Wortgefechte mit der chinesischen Regierung, die in Wahrheit an die deutsche Bevölkerung gerichtet sind. Und der grüne Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, Habeck, verbietet aus demagogischen Gründen den Verkauf vollkommen unwichtiger Anteile deutscher Firmen an chinesische Unternehmen und appelliert regelmäßig an die deutschen Unternehmen, sich von China „unabhängiger“ zu machen.
Weniger offensiv wiederholen auch alle anderen Parteien, von der CDU und der AfD bis hin zur SPD und der Linken und ebenso die Gewerkschaften, dass man wieder mehr „in Europa produzieren“ und „unabhängiger“ werden müsse: von China... und von den USA. Als könnte es „Unabhängigkeit“ geben in einer Wirtschaft, in der alles Kapital miteinander verflochten ist und die zwingend auf Rohstoffe und Vorprodukte der ganzen Welt angewiesen ist!
"Wirtschaftliche Unabhängigkeit" als erste Phase der Vorbereitung auf eine Kriegswirtschaft?
Für Deutschland ist diese Art der Propaganda tatsächlich neu. Protektionistische Ideen waren bislang kein Thema, nicht mal bei der AfD – und auch nicht bei den Gewerkschaften. Das ist nicht wirklich überraschend, da die deutsche Wirtschaft massiv auf Exporten basiert. Zu offensichtlich war, was für massive wirtschaftliche Verschlechterungen sie nach sich ziehen würden. Doch seit dem Spätsommer 2022 wird das Leitmotiv der „wirtschaftlichen Unabhängigkeit“ nun so oft und von allen Seiten wiederholt, dass es kaum noch jemand hinterfragt.
All dieses Gerede führt in keiner Weise dazu, dass die deutschen Kapitalisten weniger in China investieren würden. Ganz im Gegenteil, deutsche Unternehmen investierten hier 2022 so viel wie noch nie zuvor.
Die angeblichen Maßnahmen der Regierung für mehr „wirtschaftlichen Unabhängigkeit“ sind letztlich vor allem massenhaft neue Subventionen für die Konzerne... gepaart mit kriegerischer Propaganda. Pharmakonzerne, die Wirkstoffe „nicht nur in Asien“, sondern auch in Europa produzieren, werden zum Beispiel bevorzugt und dürfen höhere Preise verlangen. Der US-Konzern und Halbleiter-Produzent Intel erhält 10 Milliarden Euro nur dafür, dass er eine Mikrochip-Fabrik in Magdeburg baut – als Vorbereitung auf einen möglichen militärischen Konflikt um Taiwan.
Mit ihrer einhelligen Forderung nach „wirtschaftlicher Unabhängigkeit“ beteiligen sich damit alle Bundestagsparteien und die Gewerkschaften letztlich am ideologischen Einstimmen der Bevölkerung auf künftige Kriege. Und damit auch an der Vorstellung, dass die Zukunft zwangsläufig aus Opfern und noch mehr Schwierigkeiten bestehen muss.
Die Inflation belastet die Arbeiterklasse
Abgesehen von dieser neuen Aussicht auf große Kriege ist die größte soziale Verschlechterung für die Arbeiterklasse in diesem Jahr der massive Anstieg der Preise. Zwar hat die Regierung zumindest vorübergehend den Energiepreis gedeckelt. Er kostet nun maximal das Doppelte wie vor der Krise. Dies hat den Mittelschichten und vielen Facharbeiter-Familien zumindest die Existenzangst genommen. Doch quasi allen fehlen Hunderte Euro im Monat – eine Katastrophe für den ärmeren Teil der Arbeiterklasse!
Die Wut und Verbitterung darüber richtet sich zuerst gegen die rot-gelb-grüne Regierung, und innerhalb dieser Koalition ganz besonders gegen die Grünen. Die einstige Protestpartei, die aus der Studentenbewegung von 1968 hervorgegangen war, hatte sich vor rund 20 Jahren erstmals an einer Bundesregierung beteiligt. Die Beteiligung der Bundeswehr an den Kriegen im Kosovo (1999) und in Afghanistan (2001), den ersten Auslandseinsätzen der Bundeswehr seit 1945, fand ausgerechnet während ihrer Regierungsbeteiligung statt und führte zu erheblichen Unruhen in dieser Partei mit pazifistischer Tradition. Die Abkehr vom Pazifismus enttäuschte damals viele Mitglieder und Sympathisanten zutiefst und veranlasste die Partei, die Regierungskoalition noch vor Ende der Legislaturperiode zu verlassen. Heute, nach zwanzig Jahren Kur in der Opposition, brauchte sie nur wenige Monate an der Regierung, um den Hass eines Großteils der Arbeiterklasse auf sich zu ziehen.
Da sind die besonders kriegerischen Reden der Grünen gegenüber Russland und China, und vor allem die tiefe sozialen Verachtung und Arroganz dieser besseren Mittelschichtspartei. Die Grünen stellen die Tatsache, dass sich viele Arbeitende wegen der Inflation einschränken und verzichten müssen, auch noch ideologisch als notwendigen Beitrag zur Sicherung der Demokratie und zur Rettung des Klimas dar. Und als ob das nicht schon genug wäre, beschließen sie obendrein zusätzliche finanzielle Belastungen für die Arbeitenden unter dem Vorwand des Klimaschutzes.
Die extreme Rechte profitiert von der Wut über die Inflation
Die Grünen bieten damit den Rechten einen idealen Nährboden. CDU und AfD arbeiten sich an den unwichtigsten und rein symbolischen „Klimaschutz“-Maßnahmen der Regierung ab und zetern zum Beispiel, dass die Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke die Preise in die Höhe und damit die deutsche Wirtschaft in den Ruin treibe.
Sehr praktisch für die Konzerne! Statt auf die Krisengewinner, die großen Energie-, Lebensmittel und andere Konzerne, lenken CDU und AfD die Wut auf die Klima- und Energiepolitik der Regierung. Sie stellen es so da, als wären die Kapitalisten und die Arbeiter beide Opfer der hohen Preise und damit beide Opfer der angeblichen zerstörerischen links-grünen Politik. Nachdem die AfD nicht zuletzt durch ihre Nähe zu den Corona-Leugnern eher an Boden verloren hatte, sind ihre Umfragewerte in den letzten Monaten wieder auf 18% hochgeschossen – auf gleicher Höhe mit den Grünen und der SPD.
Auch die Industriegewerkschaften haben ihnen dabei geholfen. So haben IG Metall und IG BCE in den letzten Monaten unter anderem eine Kampagne für einen günstigen, staatlich subventionierten Strompreis geführt – aber nicht etwa für die Arbeiter, sondern... für die Industriekonzerne! Mit der Begründung, dass hohe Strompreise die deutsche Wirtschaft ruinieren würden.
Damit behaupten sie nicht nur, dass die Produktion in Deutschland für die Konzerne zu teuer sei und rechtfertigen damit deren nächste Angriffe auf die Arbeitsplätze und Löhne. Sie helfen letztlich auch den Rechten, deren ganze Propaganda ja auf den angeblichen gemeinsamen Interessen von Unternehmern und Arbeitern gegen die Regierung beruht.
Die zweite durchaus erfolgreiche Stoßrichtung der AfD ist die Aussage: „Wir sollten uns zuerst um unser eigenes Land kümmern statt um die Ukraine“, wobei sie geschickt das Geld für die Waffenexporte in einen Topf wirft... mit der Unterstützung für die über eine Million ukrainischer Geflüchteter in Deutschland.
In Ostdeutschland empfinden außerdem mehr Menschen Ablehnung gegenüber den USA. Die AfD nutzt dieses Gefühl aus, um nicht ohne Erfolg mit dem Slogan zu werben, dass man sich mit Russland gegen die Dominanz der USA zusammenschließen solle.
Auch die Strömung in der Linkspartei um deren ehemalige Ikone Sahra Wagenknecht, ebenso wie die kleine Deutsche Kommunistische Partei (DKP) argumentieren, dass „die russlandfeindliche Politik der Regierung die Wirtschaft kaputt“ mache. Dass die aktuelle Politik der USA der europäischen Wirtschaft schadet, ist zweifellos richtig. Aber in der Art und Weise, wie sie die USA kritisieren, unterstützen sie hinter dem antiimperialistischen Vokabular letztlich auch die Propaganda, dass Unternehmen und Arbeitnehmer gemeinsam Opfer der falschen Wirtschaftspolitik der Regierung wären.
Es ist nicht das erste Mal, dass Wagenknecht Ansichten der extremen Rechten übernimmt. Derzeit spricht sie von der Idee, eine eigene Partei zu gründen, in der sich die Wähler der Linken und der AfD wiederfinden könnten. Eine solche Partei könnte das Bewusstsein noch weiter vernebeln, da sie die Vorstellung vermittelt, dass es keinen Graben geben würde zwischen einer linken Arbeiterpolitik, wie Wagenknecht sie zu vertreten vorgibt, und den nationalistischen Ideen der Rechtsextremen, den schlimmsten Feinden der Arbeiterklasse.
Die Streiks für höhere Löhne im Frühjahr
All dies hat eine Reihe Arbeitende in den letzten Monaten nicht davon abgehalten, sich auf die einzige effektive Weise und gegen die wahren Verantwortlichen zu wehren: indem sie für höhere Löhne streiken.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es hat keine spontanen Bewegungen für höhere Löhne gegeben. Das, was es bislang an Warnstreiks gab, fand im Rahmen der Tarifrunden statt, zu denen die jeweilige Gewerkschaftsführung aufgerufen hat – und die diese auch beendet hat, wenn sie es für richtig hielt.
Aber ein Teil der Streikenden kam aus Bereichen, in denen es ungewöhnlich und vor allem schwierig ist zu streiken: 2.000 Leiharbeiter bei Volkswagen beispielsweise streikten zum allerersten Mal. Verkäuferinnen der Kaufhausketten Galeria Karstadt Kaufhof, deren Unternehmen offiziell bankrott ist, streikten dennoch für eine Lohnerhöhung von 450 Euro pro Monat.
Generell gab es einen größeren Druck der gewerkschaftlichen Basis und insbesondere der unteren Lohngruppen. Dies zeigte sich schon darin, dass ziemlich offensive Forderungen aufgestellt wurden, von mindestens 300 bis 650 Euro mehr pro Monat.
Der Druck der Basis zeigte sich auch in deutlich massiveren und mehrtägigen Warnstreiks. Oder bei der Deutschen Bahn darin, dass es jenseits der Lokführer und ihrer berufsständischen Gewerkschaft GDL seit über 40 Jahren überhaupt einmal ganztägige Warnstreiks gegeben hat.
Und am 27. März haben die Gewerkschaften von drei verschiedenen Branchen (Öffentlicher Dienst der Kommunen, Deutsche Bahn und Luftsicherheit am Flughafen) mit sehr hoher Beteiligung zusammen gestreikt, wodurch das gesamte Verkehrssystem einen Tag lang stillstand.
Einen solchen gemeinsamen Streiktag mehrerer Branchen gibt es in Deutschland sonst nie. Denn es gibt nach Branchen getrennte Tarifverträge, die Streiks nur selten und nur zu unterschiedlichen Zeiten in den einzelnen Branchen zulassen. Und dieses System wird in der Regel auch von den Gewerkschaften verteidigt, die den Großteil ihres Einflusses aus diesen branchenspezifischen Tarifverträgen beziehen.
Die bisherigen Ergebnisse dieser Tarifrunden sind meist hohe Einmalzahlungen von bis 3.000 Euro und für 2024 Lohnerhöhungen von 200-400 Euro mehr im Monat.
Und – was bei einem Teil der Streikenden Bitterkeit hervorrief – die Gewerkschaftsführer waren fast überall bereit, Vereinbarungen zu treffen, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als die Streikenden bereit waren, in einen unbefristeten Streik zu treten. Die Unternehmer ihrerseits machten deutlich, dass sie diesen Preis nur deshalb zahlten, weil sie im Gegenzug zwei Jahre Ruhe hatten: Denn gesetzlich sind Streiks in all diesen Bereichen nun zwei Jahre lang verboten. Aber in einer Zeit, in der die Arbeiterklasse mit Angriffen ganz anderen Ausmaßes konfrontiert sein könnte, steht nicht geschrieben, dass sie sich immer an dieses Verbot halten wird.
Natürlich liegt dies noch immer deutlich unter der realen Inflation. Und zur Verbitterung eines Teils der Streikenden hat die Gewerkschaftsführung fast überall genau dann einem Abschluss zugestimmt, als sie bereit waren unbefristet zu streiken. Die Unternehmer ihrerseits haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie diesen Preis auch nur zahlen, weil sie im Gegenzug „zwei Jahre Ruhe“ bekommen. Denn gesetzlich sind Streiks in all diesen Bereichen nun zwei Jahre lang verboten. Aber in einer Zeit, in der die Arbeiterklasse mit Angriffen ganz anderen Ausmaßes konfrontiert sein könnte, steht nicht geschrieben, dass sie sich immer an dieses Verbot halten wird.
Insgesamt sind die Tarifbewegungen der letzten Monate über das hinausgegangen, was Deutschland in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Auch die Höhe der Abschlüsse ist Ausdruck dieser Mobilisierung. Der sogenannte „Megastreik“ Ende März hat außerdem dazu geführt, dass einige zum ersten Mal über die Idee eines Generalstreiks nachgedacht haben (der letzte hatte 1948 stattgefunden). Allgemein haben diese Bewegungen ein Stück weit das Bewusstsein gestärkt, dass man, wenn man etwas durchsetzen will, lieber mit möglichst vielen zusammen kämpfen sollte – entgegen dem, was die Gewerkschaftsführungen in den einzelnen Branchen vorleben und verbreiten
Die Zukunft vorbereiten
Kommunistische Aktivisten können an diese Erfahrungen anknüpfen und darüber diskutieren, welche Macht Streiks haben können, wenn die Arbeitenden sich über Branchen hinweg zusammentun. Sie können und müssen ebenfalls darüber diskutieren, dass es sich die Arbeiterklasse auf Dauer nicht erlauben kann, sich an die Regeln und Streikverbote der Herrschenden und der Gewerkschaftsführungen zu halten: nicht nur, um angesichts der Inflation ihre Existenzbedingungen zu verteidigen, sondern auch angesichts der allgemeinen Unsicherheit der heutigen Krise, in der Gefahren noch ganz anderer Dimension drohen.
Bereits seit einem halben Jahr ist die deutsche Wirtschaft an Rande einer Rezession. Die steigenden Zinsen führen nicht nur dazu, dass allein im Bundeshaushalt die Zinszahlungen von 0 Euro auf 30 Milliarden Euro gestiegen sind. Mit den steigenden Zinsen erscheint auch das Gespenst einer möglichen Krise im Bau- und im Bankensektor am Horizont. Hinzu kommt die weltweit sinkende Nachfrage, insbesondere aus den für die deutsche Industrie entscheidenden Absatzmärkten China und USA, und zu allem Überfluss die protektionistischen Maßnahmen der USA.
All das könnte in absehbarer Zeit zu Angriffen ganz anderen Ausmaßes führen, auf die sich die Arbeiterklasse vorbereiten muss, wenn sie nicht nur wehrloses Opfer sein will. Ganz zu schweigen vom notwendigen Kampf gegen die ernste Bedrohung, die mit weltweiten Aufrüstung im Kontext der wachsenden internationalen Konkurrenz einhergeht. Als Revolutionäre in einem solchen Kontext politisch aktiv zu sein bedeutet selbst als kleine Gruppe darauf hinzuarbeiten, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter, die uns begegnen, sich dieser Gefahren bewusst werden und erkennen, dass nur die Arbeiterklasse die Kraft und die Mittel hat, die Menschheit aus diesem Strom zu retten, der auf den Abgrund zusteuert.
16. Juni 2023