Nachdem sie am 10. Juni die zweitgrößte Stadt des Iraks Mossul, im Norden des Landes erobert haben, haben nun die die Milizen der fundamentalistische Gruppe ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien) eine Offensive Richtung Bagdad begonnen. Die irakische Armee, von der US-Regierung ausgebildet und für teures Geld ausgestattet, hat sich als vollkommen unfähig erwiesen, sich denen entgegen zu stellen. Meist sind ihre Soldaten lieber desertiert oder geflohen und haben Ausrüstung und Militärstützpunkte den islamistischen Milizen überlassen. Elf Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins und nach Jahren US-amerikanischer Besatzung ist der Irak dabei, tiefer denn je im Chaos zu versinken - in einem Chaos, das sich zu einem religiösen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten zu entwickeln droht.
Der 2003 nach dem amerikanischen Einmarsch geschaffenen fundamentalistischen Gruppe ISIS ist es in den letzten Monaten nach und nach gelungen, größere Teile der vorwiegend sunnitischen Provinzen im Norden, und besonders die Stadt Falludscha seit letztem Januar, unter ihre Kontrolle zu bekommen. Geholfen hat den Milizen sicher auch der Unmut der sunnitischen Bevölkerung über die Regierung von Premierminister Nuri Al-Maliki, die aus religiösen schiitischen Parteien besteht, während die Schiiten nur 54% der irakischen Bevölkerung ausmachen.
Diese Einteilung der Bevölkerung in Religionsgruppen haben die Herrschenden im Irak schon seit langem dazu genutzt, um ihren jeweiligen Einfluss in der irakischen Bevölkerung zu festigen. So hat sich das Regime von Saddam Hussein zum Beispiel besonders auf die sunnitische Minderheit gestützt, aus der er stammte - auch wenn offiziell Religion und Staat getrennt waren. Vor allem jedoch haben die amerikanischen Führer gezielt den religiösen Hass geschürt. Das war ihre Methode, um ein Fundament für die neue Regierung zu schaffen, die sie nach dem Sturz von Saddam Hussein einsetzten. Sie verboten seine Partei, die Baath-Partei, die die wichtigsten Kader des Regimes gab, und lösten die irakische Armee auf. Das neue Regime hatte von Anfang an eine religiöse, konfessionelle Grundlage und berief sich auf das islamische Gesetz, die Scharia, und stützte sich ausschließlich auf die schiitischen Parteien und Milizen. Das erste Ergebnis der Politik der USA war zwischen 2006 und 2009 ein blutiger Bürgerkrieg zwischen schiitischen und sunnitischen Milizen.
Im Bemühen um Beruhigung der religiösen Auseinandersetzungen umfasste dann die eingesetzte Regierung sunnitische Minister. Aber seit einem Jahr, nach der Repression der Demonstrationen, die im Frühling 2013 von sunnitischen Organisationen organisiert wurden, sind fast alle diese Minister abgetreten. Die irakische Regierung soll, weil sie seit dem Abzug der US-Soldaten Ende Dezember 2011 alleine ihre Macht durchsetzen muss, eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung verkraften. Weil sie aus einer Koalition von konkurrierenden Gruppen stammt, ist ihre Autorität in den letzten Monaten schwächer geworden.
Die Verschärfung der religiösen Auseinandersetzungen wurde noch mehr durch den Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien verstärkt. ISIS hat von Beginn an Kämpfer nach Syrien geschickt. Wie alle fundamentalistischen Kämpfer haben sie dort viel Unterstützung und Geld bekommen, und zwar von all den Staaten, die im syrischen Konflikt eingreifen wollen und dafür Truppen gesucht haben. Die Türkei, Saudi-Arabien, Katar haben diesen Milizen all die Waffen geliefert, die sie brauchten, und zwar mit der wohlwollenden Zustimmung der USA aber auch von Frankreich und der westlichen Staaten im Allgemeinen, die alle froh über diese Möglichkeit waren, das Regime von Assad zu schwächen.
Diese gut ausgerüsteten und kampferfahrenen fundamentalistischen Milizen sind dann aus Syrien in den Irak zurückgekehrt und kämpfen hier. Und unter ihren Angriffen droht das Regime, das die US-Führer an die Macht gebracht haben, zusammenzubrechen. Ganz offensichtlich wissen die USA nicht mehr wirklich, wie sie in dem Chaos überhaupt noch eingreifen sollen; in diesem Chaos, zu dessen Entstehung sie selber beitragen haben; in diesem Zerfall einer ganzen Region, den sie verursacht haben, aber den sie selber nicht mehr unter Kontrolle haben. So wenig, dass sie sogar über ein Bündnis mit dem Iran nachdenken, nach all den Jahren, in denen sie mit dem iranischen Regime auf Kriegsfuß standen.
In der Zwischenzeit bezahlt die einfache Bevölkerung auf fürchterliche Weise die Folgen dieser zynischen Politik und der amerikanischen Militärintervention, die ihnen - welch ein schlechter Scherz! - Freiheit und Fortschritt versprochen hatte. Zerstörung, Verarmung, Verfolgung, Herrschaft religiöser Milizen, Ausbreitung mittelalterlicher Weltanschauungen und Zerfall des Landes, das ist die Bilanz ihres imperialistischen Kriegseinsatzes.
20. Juni 2014