Pressemitteilung von Lutte Ouvrière zu den Europawahlen vom 26. Mai 20
Am Abend der Europawahlen freute sich das Rassemblement National (Le Pen), die République en Marche (Macron) überholt zu haben. Letztere freute sich, ihre Verluste durch eine stärkere Wahlbeteiligung begrenzt zu haben. Aber die Wählerschaft aus der arbeitenden Bevölkerung - die Lohnabhängigen, Arbeitslosen, Rentner aus der arbeitenden Klasse - ist in bedeutenden Teilen abseits der Wahlen geblieben. Zu den Nichtwählern muss man all diejenigen hinzurechnen, die so angewidert von den Wahlen sind, die nichts an ihrem Los ändern, dass sie sich im Vorfeld nicht einmal mehr als Wähler haben registrieren lassen. Ganz zu schweigen von all jenen, die als Migranten kein Wahlrecht haben, obwohl sie in diesem Land ausgebeutet werden und ein wichtiger Teil des Proletariats sind.
Das politische Spiel ließ den Wählern aus der arbeitenden Klasse nur die Wahl zwischen Macron, dem karikaturalen Vertreter der bürgerlichen Arroganz und Dreistigkeit den Arbeitern gegenüber auf der einen und der Millionärin Le Pen auf der anderen Seite. Eine Wahl also zwischen Pest und Cholera.
Als das System der sich abwechselnden rechten und linken (also konservativen und sozialdemokratischen) Regierungen noch funktionierte, profitierte die Sozialdemokratie von einer Vergangenheit, die sie noch mit der Arbeiterbewegung verband.
Abgesehen von der Ablehnung, die die Sozialdemokratie heute in der Bevölkerung hervorruft, wird das gesamte System der bürgerlichen Demokratie in Frage gestellt - so offensichtlich ist es geworden, dass die Wahlen nichts verändern, sondern nur dazu dienen zu verschleiern, dass sich eben nichts ändert.
Die Bourgeoisie der großen imperialistischen Mächte hat mit dem Parlamentarismus ein System gefunden, das es ihr ermöglicht, ihre Herrschaft in der Gesellschaft zu verschleiern. Es vermittelt der Bevölkerung die Illusion, dass von ihr und ihrer Stimmabgabe das gesellschaftliche Leben abhängen würde, das in Wahrheit der rücksichtslosen Diktatur des Großkapitals unterliegt. Aber diese Illusion funktioniert nur, solange sie glaubwürdig ist. Dies ist immer weniger der Fall.
Hierin liegen die Wurzeln der Krise der bürgerlichen Demokratie, ebenso wie die Gründe für den Anstieg von politischen Kräften, die Anhänger autoritärer Regime sind.
In einer Zeit, in der die bürgerliche Demokratie durch den Bankrott des Kapitalismus, die Wirtschaftskrise, die Gefahr von Kriegen und Umweltkatastrophen untergraben wird, haben einige als einziges Ziel, die Sozialdemokratie wieder aufzubauen.
Solange die Linke unter den Arbeitern eine gewisse Glaubwürdigkeit besaß, war sie ein Mittel, um die Arbeiterbewegung an das institutionelle System der Bourgeoisie zu ketten. In dem Maße, wie sie diese Aufgabe erfüllte, nutzte sich die Linke ab und ist schließlich daran kaputt gegangen. Und alle, die sie wieder reparieren wollen, täuschen die Arbeiter, während die Gesellschaft in Richtung Abgrund gedrängt wird.
Den Rechten mit all dem reaktionären und arbeiterfeindlichen Dreck entgegenzutreten, kann nicht durch Wiederbelebung der Leiche der alten Parteien geschehen. Was hierfür wieder aufgebaut werden muss, ist die Arbeiterbewegung, damit diese die Flagge des Kampfes gegen die Diktatur der Bourgeoisie in der Gesellschaft wieder aufnimmt.
Wie klein die Zahl derer, die sich in den Ideen des Klassenkampfes wiederfinden, heute sein mag - sie sind es, die die Zukunft verkörpern. Die Arbeiterklasse ist keine Abstraktion. Bevor es zu einer politisch bewussten Entscheidung wird, sich seiner Klasse, "dem Lager der Arbeiter" anzuschließen, ist es eine gesellschaftliche Realität.
Der Krieg, den die große Bourgeoisie gegen die Arbeiter führt, kann nur mit dem Ende jeder Form von Klassenkampf aufhören, das heißt mit der Zerstörung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.
Der Widerstand gegen den Kapitalismus wird vom Kapitalismus permanent selbst geschürt, von der Gier der großen Bourgeoisie und von ihrer Unfähigkeit, auf ernsthafte Probleme der Menschheit zu reagieren.
Die kapitalistische Gesellschaftsorganisation kann nur funktionieren, indem sie einen Teil der Gesellschaft, das Proletariat, ausbeutet und unterdrückt. So grausam die Diktatur der Großbourgeoisie auch sein mag und gerade wegen dieser Grausamkeit wird sie früher oder später eine Revolte auslösen.
In dieser Revolte kann die Minderheit bewusster Arbeiter die Mehrheit werden und die Gesellschaft verändern, indem sie der Herrschaft über das Großkapital durch die Enteignung der Großbourgeoisie ein Ende setzt.
Die Ergebnisse von Lutte Ouvrière, so bescheiden sie auch sind, bestätigen die Präsenz einer politischen Strömung, die die revolutionäre Tradition der Arbeiterbewegung, den Internationalismus gegen den Aufstieg des Nationalismus und die rote Fahne gegen die Nationalflagge der Bourgeoisie aufrechterhält. Diese Strömung zu stärken und ihr die Kraft zu geben, in den Klassenkampf einzugreifen, den die Arbeiter gegen die große Bourgeoisie führen müssen, ist die wesentliche Aufgabe in dieser Zeit der Wirtschaftskrise und der kapitalistischen Klassenoffensive. Aus dieser Anstrengung kann die revolutionäre Arbeiterpartei hervorgehen, die die materiellen und politischen Interessen der Ausgebeuteten vertritt.
Die Arbeiterklasse hat die Kraft und die Mittel, der Diktatur des Großkapitals in der Gesellschaft ein Ende zu setzen. Ihr fehlt das Bewusstsein für ihre gewaltigen Möglichkeiten. Dieses Bewusstsein kann nur in einer Partei verkörpert werden, deren Ziel es ist, die gesellschaftliche Revolution bis zum Ende zu führen, einer revolutionären kommunistischen Partei. Die Zukunft der Menschheit und vielleicht sogar ihr Überleben hängen davon ab.
Nathalie Arthaud und Jean-Pierre Mercier