(vom LO-Parteitag vom Dezember 1989 verabschiedet)
Die Ostblockstaaten, die sogenannten "Volksdemokratien", haben sich in den letzten Monaten schnell geändert, einer nach dem anderen. Der Begriff "Volksdemokratie" selbst wird für einige von ihnen sogar bald überholt, insofern als dieser eine Art von besonderen Staatsformen bedeutete, die sich auf dem politischen und wirtschaftlichen Gebiet durch ihre Abhängigkeit von der sowjetischen Bürokratie kennzeichnete (die aber nie demokratisch, nie populär, und natürlich nie sozialistisch waren).
Diese Entwicklung nahm fast so viele verschiedene Formen an, wie es nationale Verhältnisse gibt.
In Polen wird sie dadurch charakterisiert, dass ein Vertreter der Opposition, die sich offen zum Westen bekennt, der katholische Politiker Mazowiecki, Regierungschef geworden ist und dass die stalinistische Staatspartei und Solidarnosc in der Regierung zusammenarbeiten.
In Ungarn hat die stalinistische Staatspartei selbst, von oben her die äußere Form und das Etikett gewechselt: Sie habe mit dem Regime der letzten 40 Jahre gebrochen; sie änderte feierlich ihren eigenen Namen, sowie den des Regimes, das sie leitet, und bekennt sich nunmehr offen zur Sozialdemokratie, preist Mehrparteiensystem und verkündet, dass sie westlichen Kapitalismus bewundert.
In der DDR hat sich einer der strengsten - jedenfalls als so noch vor kurzem betrachtet -Parteiapparate des Ostblocks, in aller Eile für politische Reformen eingesetzt, er wird von einer gewaltigen Massenbewegung angetrieben (die er duldet, ja sogar auch fördert). Er versucht sich sogar als natürlicher Vertreter dieser Bewegung zu behaupten und tritt dabei in Wettbewerb mit neu gegründeten Oppositionsgruppen wie "Neues Forum", welches mehr oder weniger mit der Sozialdemokratie und den Grünen im Westen verbunden ist.
In Bulgarien schließlich siegte der neue Wind, mit Hilfe des biologischen Alterungsprozesses, über Schiwkow, den ältesten der stalinistischen Ostblockdiktatoren. Augenblicklich hat sich nur die Komposition des Politbüros geändert, aber auch dort will die Partei zeigen, dass sie die Reformen selbst einführt.
Über die verschiedenen Formen, Entwicklungsrhythmen und die schon erreichten Entwicklungsstufen hinweg, haben all die geplanten oder schon eingeleiteten Reformen in allen diesen Volksdemokratien gemeinsame Züge.
Auf wirtschaftlichem Gebiet laufen sie alle auf eine Verringerung des staatlichen Einflusses hinaus: Lockerung oder gar Abschaffung der staatlichen Zwangsplanung und des Außenhandelsmonopols, auf wachsende Autonomie, wenn nicht offene Privatisierung der Betriebe; auf wachsende Integration in den kapitalistischen westlichen Weltmarkt.
Auf politischem Gebiet zielen alle Veränderungen auf mehr Unabhängigkeit von der Sowjetunion und (Anerkennung des Westens, sowie auf die Abschaffung der wichtigsten diktatorischen Aspekte, besonders derjenigen, die die Abhängigkeit von der Sowjetunion zeigten (Schließung der Grenzen zum Westen, Einparteiensystem, verschiedene Symbole, die diese Abhängigkeit kennzeichnete...).
Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass die Einleitung der Reformen von oben her gemacht wird, und dass ihre politischen Folgen zumindest bis jetzt noch völlig von den Regierenden kontrolliert werden (gleichgültig, ob es sich um Regierende handelt, die noch ausschließlich oder mehrheitlich von der alten stalinistischen Nomenklatura - mit einem neuen Namen oder nicht - kommen, oder ob die Regierenden, wie in Polen, aus den großen Arbeiterstreiks 1980/81 aufgetauchten Politiker integriert haben.
Die Regierenden haben diesen Prozess umso besser unter Kontrolle, als die Bevölkerung diese Entwicklung aktiv oder passiv unterstützt.
Das Kleinbürgertum, das mehr oder weniger in allen Volksdemokratien existiert und direkt in der staatlichen Produktion, oder mehr an ihrem Rande Geschäfte macht, wächst besonders schnell in Ungarn und Polen seit mehreren Jahren, und kommt in dem immer größeren Raum, der privatem Eigentum und Profitstreben eingeräumt wird, bestens zurecht.
Ebenso gut kommt die Nomenklatura der Manager zurecht: mit der schnell wachsenden Betriebsautonomie, mit dem neuen Recht in Polen und Ungarn, direkt mit dem Westen Handel zu treiben, Kredite aufzunehmen usw.; sie besitzen heute so viel oder vielleicht sogar eine größere Macht über "ihre" Betriebe als westliche Direktoren der großen Betriebe! Diese Kategorien ziehen sicherlich den größten Nutzen aus den eingeleiteten Veränderungen.
Die Intellektuellen aber über sie hinweg auch alle anderen Schichten der Gesellschaft, einschließlich der Arbeiterklasse, profitieren in unterschiedlicher Weise von der Liberalisierung dieser Regimes, von der mehr oder weniger großen Meinungsfreiheit.
Was die Arbeiterklasse betrifft, so hat sie keinerlei Grund, das alte Regime zu verteidigen, auch nicht diejenigen Aspekte, die ihr von den Regierenden jahrzehntelang als "sozialistisch" angepriesen wurden. Weder diese Regimes, noch ihre "Leistungen" resultieren aus einem vom Proletariat über das Bürgertum des Landes errungenen Sieg. Sie wurden der Arbeiterklasse mit diktatorischer grausamer Gewalt durch die sowjetische Bürokratie von oben her aufgezwungen, wobei die Arbeiterklasse die schwerste Last trug.
Unter diesen Umständen können die eingeleiteten Reformen den Arbeitenden nur als eine Lockerung der Diktaturen erscheinen, die immer gegen sie gerichtet waren. Sicherlich haben die Arbeitenden keinen Grund, der sowjetischen Beschlagnahme nachzutrauern, sei es aus nationalen Gründen oder weil diese sowjetische Beschlagnahme - und die Besatzungskräfte, auf denen sie sich stützte- der allerletzte Garant der bestehenden Diktaturen war. Vielmehr erscheinen nach dem offensichtlichen Scheitern der bürokratischen Kommandowirtschaft selbst Privatisierungen als geeignet, um wenigstens ein ausreichendes Warenangebot in den Geschäften zu ermöglichen, auch wenn das nicht garantiert, dass man sie auch kaufen kann.
Nachdem die Sowjetunion die Ostländer zu einem militärischen Glacis gemacht hat, findet sie sich heute mit deren Entfernung ab.
Auch das Unabhängigkeitsstreben ist gar nicht neu, welches die Staatsapparate dieser Länder zeigen, ob deren Regierende aus strengen Stalinisten bestehen -insofern, als dieses Wort noch etwas bedeutet - oder aus pro-westlichen Politikern: Nachdem das Abkommen mit den imperialistischen Siegermächten des Krieges zerbrochen und der "Kalte Krieg" gegen die UdSSR begonnen war, konnte die sowjetische Bürokratie nur durch Gewalt und ständigen Druck auf diese Staatsapparate, jene Länder in einen Schutzwall für die UdSSR verwandeln.
Dort, wo die sowjetische Bürokratie diesen physischen Druck auf die Staatsapparate nicht ausüben konnte, haben sich diese mehr oder weniger entfernt. (Jugoslawien l948 wollte mehr oder weniger Verbindungen mit dem Westen behalten; oder Albanien ab 1960, das sich in die Autarkie zurückzog, was nur die niedrige Stufe seiner Wirtschaftsentwicklung möglich machte.
Sobald die sowjetische Bürokratie den Druck lockerte, oder auch nur diesen Anschein erweckte, kam die Bewegung natürlich wieder in Gang: Die Jahre politischer Unsicherheit nach Stalins Tod, die aus dem Konkurrenzkampf um die höchste Macht in Moskau entstand, haben bei den von der Bürokratie unterdrückten Völkern nicht nur Hoffnungen erweckt, die Volksrevolten ausgelöst haben, wie 1953 in Berlin in der DDR, oder 1956 in Ungarn und Polen. Sie haben auch Politiker wie Imre Nagy in Ungarn oder Gomulka in Polen, vorangetrieben, die mehr oder weniger offen die Unabhängigkeit gegenüber der Sowjetunion forderten. Durch die blutige Unterdrückung der ungarischen Revolution wurde das Experiment Nagy und zur gleichen Zeit der Arbeiteraufstand erstickt. Das war zugleich eine Warnung für Gomulka und andere. Ebenso verhinderte nur der militärische Einmarsch der sowjetischen Truppen, dass Dubcek 1968 in der Tschechoslowakei ein Programm verwirklichte, welches sehr ähnliche Reformen vorsah, wie sie heute von den stalinistischen Parteien in Ungarn, Polen oder in der DDR geplant oder schon verwirklicht werden.
Weder die Existenz noch die Macht dieser Unabhängigkeitsbestrebungen im Ostblock der Sowjetunion gegenüber bilden etwas Neues in der letzten Zeit, sondern nur die Reaktion der Sowjetunion ihnen gegenüber ist neu.
Gorbatschow hat letzten Endes diese Zentrifugalkräfte freigesetzt, indem er darauf verzichtete (auf die einzig wirksame Weise, nämlich militärisch, dagegen einzugreifen.
Die Zukunft wird sagen, inwiefern seine Politik auf diesem Gebiet von der gesamten Bürokratie unterstützt wurde.
Auf politischem Gebiet hat die Bürokratie in diesen Ereignissen nichts gewonnen, sie hat ihre militärischen Bastionen verloren, ohne dass - oder vielleicht bevor - die imperialistischen Mächte ihr Sicherheitsgarantien geben (die sowjetischen Besatzungstruppen haben bis jetzt die Oststaaten, wo sie stationieren, nicht verlassen, und diese Staaten haben den Warschauer Pakt auch nicht verlassen, das bildet eine Garantie nur gegen die Völker, und nicht gegen die eventuelle militärische Offensive des Imperialismus).
Auf wirtschaftlichem Gebiet hat die Sowjetunion auch nichts zu gewinnen, denn die Ostblockländer werden ihre Produktion nach den Verkaufsmöglichkeiten auf dem kapitalistischen Weltmarkt - gegen Devisen - lenken und nicht mehr danach, was der SU nützlich ist (in Rubeln bezahlt, die außer des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe nicht zu benutzen sind, und immer weniger in dem RGW).
Aber die neuesten Ereignisse in Afghanistan sollten die Bürokratie daran erinnern lassen, dass sie schließlich nichts anderes machen kann als Gorbatschows Politik zu führen: und zwar so tun als würde sie die Entwicklung anregen, die sie sowieso nicht verhindern kann.
Am Beispiel Ungarns, das die Staatsbetriebe zur Zeit privatisiert, das das Außenhandels-Monopol abgeschafft hat und ausländische Investitionen fördert, das die ausländischen Investitionen wieder voll gestattet, das das Privateigentum der Produktionsmittel und die Aktionengesellschaften, die Börse, wieder eingeführt hat usw., an diesem Beispiel sehen wir, dass die Sowjetunion die wirtschaftliche Integration der Ostblockländer in den kapitalistischen Weltmarkt heute nicht mehr verhindert.
Die Hindernisse, wenn es einige gibt, kommen allein davon, was diese Länder sind, und davon, was ihnen die kapitalistische Weltwirtschaft zu bieten, bzw. nicht zu bieten hat.
Richtung Unterwerfung und nicht wirtschaftliche Entwicklung
Abgesehen von der DDR als Teil des imperialistischen Vorkriegs-Deutschlands und zum Teil auch von der CSSR, waren die Ostblockländer immer halb- oder unterentwickelte Länder.
Die von der Sowjetbürokratie aufgezwungenen wirtschaftlichen Veränderungen wiesen, was ihre bürgerlich-nationale Entwicklung betraf, durchaus nicht nur Nachteile auf. Sie gaben auch den nationalen Staatsapparaten die Möglichkeit die ähnliche Wirtschaftspolitik, wie einige andere unterentwickelte Staaten (z.B. Kuba, China, oder auch z.T. Algerien) durchzuführen: d.h. sie konnten versuchen, eine Art primitive Akkumulation von Kapital mit staatlichen Mitteln und auf Kosten der Arbeiterklasse zu realisieren.
Trotz der den Arbeitenden dieser Länder am Anfang der fünfziger Jahre aufgezwungenen Zwangsarbeit, was allerlei Formen der stalinistischen Auffassungen im Wettbewerbsbereich (nationale Formen des Stakhanowismus) entspricht, trotz Ausplünderung der Bauernschaft, und auch trotz all jener Schwerindustrie-Komplexe, die von den Regimes als "Beweis" für die Überlegenheit der "sozialistischen" Wirtschaft zur Schau gestellt wurden, trotz alledem bleiben diese Länder weiterhin unterentwickelt. Die stalinistische Scheinform der primitiven Akkumulation von Kapital erwies sich als so wenig erfolgreich wie ihresgleichen in den unterentwickelten Ländern unter imperialistischen Herrschaft wie in Portugal, oder Südkorea, und manchmal sogar weniger.
So liegt das Bruttonationaleinkommen pro Einwohner (im entwickeltesten Land der Ostblockländer, der DDR, an dem von Irland nahe; dasjenige Ungarns oder der Tschechoslowakei erreicht nicht dasjenige Spaniens; und was Albanien betrifft, seine wirtschaftliche Rangordnung liegt irgendwo zwischen Papuasien und Senegal. Selbst wenn die Zahlen des Nationalprodukts mit Pinzette zu manipulieren sind, gibt das trotzdem eine Idee vom Grad der Entwicklung dieser Länder.
Was hätten also die privilegierten nationalen Klassen der Ostländer gegen ihre Einführung unter die bürgerlichen Nationen dem westlichen Großkapital anzubieten? Billige Arbeitskräfte, aber entsprechend wenig interessante Verbrauchermärkte, veraltete Betriebe, auch wenn sie gerade neulich errichtet wurden, geringe Arbeitsproduktivität. Das bedeutet, dass die wirtschaftlichen Beziehungen, auch wenn sie ohne Zügel sind, die gewöhnlichen Beziehungen sein werden, wie sie zwischen reichen und unterentwickelten Ländern bestehen. Daraus wird sich sicherlich ergeben, dass die Ostblockländer zu wirtschaftlichen Vasallenstaaten der imperialistischen Mächte sein werden, insbesondere der BRD, die jetzt ihr traditionelles "Hinterland" wiederfindet, aber sicher wird keine harmonische wirtschaftliche Entwicklung entstehen.
Diese Unterwerfung hatte übrigens wirklich begonnen, bevor die Integration in den Westen sich beschleunigt: ein besonderer Beweis dafür ist die hohe Verschuldung Polens oder Ungarns den westlichen Banken gegenüber. Die Folge ist, dass der IWF allmählich im Leben der Volksmassen dieser Länder ohne Besatzungstruppen in den Ländern eine größere Rolle als Moskau spielt.
Die beschleunigte Integration in die kapitalistische Wirtschaft wird eine weitere Verschlechterung der Situation in den meisten Ostblockstaaten umso weniger verhindern, als diese Verschlechterung nicht nur eine Folge der bürokratischen Kommandowirtschaft ist. Sie ist auch eine Folge der schon seit 20 Jahren zunehmenden Integration in die kapitalistische Weltwirtschaft: finanzielle Verschuldung, Abhängigkeit von westlichen Gebrauchsgütern sowie die immer größere Notwendigkeit, Absatzmärkte zu finden, um die Gebrauchsgüter zu bezahlen und den Schuldendienst zu versichern.
Die immer größere Integration dieser Länder in die westliche kapitalistische Wirtschaft wird sogar nicht unbedingt die allgemeine Lage ihrer Wirtschaft ändern. Die Regierenden in Polen wie in Ungarn wollen wohl ihre Betriebe versteigern, aber ob sie Käufer finden, ist nicht sicher! Das nationale Kapital bleibt trotz aller neuen Maßnahmen, um seine Akkumulation zu fördern, so schwach wie es in der Vergangenheit immer war. Sicher wird das ausländische Kapital von einem großen Teil der existierenden Produktionseinrichtungen nicht interessiert sein, obwohl die niedrigen Löhne ihm gute Perspektiven bieten.
Trotz des Aufsehens, das einige Privatisierungen hervorrufen, besonders in Ungarn, werden sich höchst wahrscheinlich die privaten, nationalen oder ausländischen Investitionen auf einige wenige profitable Sektoren beschränken und werden den größten unrentablen Teil der nationalen Wirtschaft dem Staat überlassen. Das Ausmaß der Verstaatlichungen hängt nicht von der Ideologie sondern von der Ohnmacht der nationalen Bourgeoisie ab. Und zwar aus denselben Gründen, und vielleicht in demselben Ausmaß, wie man es in Ländern wie Algerien, beziehungsweise in der Elfenbeinküste oder Haiti bemerkt, wo trotz totaler Abhängigkeit von der "Marktwirtschaft" ein wichtiger Teil der Wirtschaft verstaatlicht ist, wenn auch nur deshalb, weil ein großer Teil der örtlichen Bourgeoisie lieber als Parasit von den Staatsbetrieben lebt, als dass sie das Risiko eingeht, private Betriebe zu gründen.
So werden die Wirtschaftsreformen nur bewirken, dass die Arbeiterklasse von diesen Ländern ein paar mehr Leute von dem Mehrwert, den sie schafft, wird unterhalten müssen: Zu der parasitären Schicht, die sie bisher schon unterhält, kommen nun noch die westlichen Kapitalbesitzer hinzu, die die gesamten nationalen Betriebe oder nur Teile davon gekauft haben werden und die natürlich ihren Profit daraus ziehen wollen, so wie die einheimischen frischernannten Herren, die umso gieriger sind, als sie klein sind.
Ein Teil der Arbeitenden, die bisher wenigstens Arbeit und einen, wenn auch geringen Lohn hatten, wird zur Arbeitslosigkeit verurteilt werden; die Staatssubventionen auf den notwendigen Bedarfsgütern werden verschwinden. Vielleicht werden die Läden voll sein, aber durch die Inflation wird die Kaufkraft der Lohnabhängigen reduziert werden.
In Jugoslawien herrscht schon eine Inflation, die mit der Inflation in Argentinien wetteifert; Polen erreicht bald dieselbe Situation, obwohl der Zloty viermal nur im Jahr 1989 entwertet worden ist; und Ungarn scheint dabei, denselben Weg einzuschlagen. Die einzigen realen Leistungen der stalinistischen Regimes für die Arbeitenden (in Wirklichkeit wesentlich unbedeutender, als in der Propaganda), soziale Sicherheit und größerer Zugang zu den Bildungs- und Freizeiteinrichtungen als in gleichentwickelten Ländern im Westen, werden dieser neuen Entwicklung sicher bald geopfert.
Mit der jetzigen Entwicklung in den Volksdemokratien werden die sozialen Unterschiede vergrößert, sowie alles, was damit verbunden ist, besonders die Unterschiede zwischen den begünstigten Regionen und denjenigen, die nicht begünstigt sind.
Und in den Ländern unter ihnen, wo mehrere Nationalitäten nebeneinander leben, schlägt diese Differenzierung seit mehreren Jahren umso leichter den Weg des giftigen Nationalismus ein, als die Regierenden billige Demagogie darüber machen. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass der Demokratisierungsprozess, der in einigen Ostländern mehr oder weniger in Gang ist, fortbestehen kann, auch wenn der Konsens um die Reformen eine Zeitlang eine gewisse Basis zu der Liberalisierung, dem Parlamentarismus, dem Mehrparteiensystem bilden kann.
In den weniger armen Ländern, die zugleich auch durch Probleme von nationalen Minderheiten auf ihrem Boden weniger zerrissen sind, können diese parlamentarischen Strukturen, wenn sie eingeführt werden, eine gewisse feste Basis finden - aber nicht wirklich mehr als in Griechenland oder Argentinien.
Aber die übrigens eher relative Liberalisierung von Jugoslawien, wo es klar ist, dass die Diktatur nicht deshalb fortbesteht, weil es von der UdSSR abhängt - ,verhindert gar nicht den Belagerungszustand in Kosovo -.
Und wenn Rumänien und Albanien bis jetzt gar keine Spur von Liberalisierung von oben durchlassen, so kommt es vielleicht davon, dass die wahnsinnige Diktatur der Ceausescu-Familie oder die "farblosere" von den Enver Hodscha-Nachfolgern auf der allgemeinen Armut beruht, sowie auf sozialen und nationalen internen Gegensätzen -d.h. auf einer Basis, die fester ist, als die Treue zur stalinistischen Linie.
Die westliche Haltung: Vorsicht und Furcht vor der Destabilisierung
Auch wenn die aktuelle Hauptentwicklung der "Volksdemokratien" weg von der SU, und zurück zum Westen geht, das bedeutet nicht unbedingt, dass diese Entwicklung, im derzeitigen Rahmen guter Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA, auf einen einmaligen Umschwung von Bündnissen führt.
Selbst, wenn die "Volksdemokratien" innen- und wirtschaftspolitisch vollkommen "unabhängig" von der UdSSR werden, und sich eine nach der anderen pro-westliche Regierungen geben, bleiben die Daten der Geopolitik. Es sei denn, dass die Sowjetunion auseinanderplatzt, mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben würden, die Sowjetunion wird die herrschende militärische Macht im Osten Europas bleiben.
Die Vorsicht des pro-westlichen Teams an der Spitze der polnischen Regierung im Bereich der Außenpolitik, die Tatsache, dass es immer besorgt ist, die Empfindlichkeit von Moskau zu schonen, das alles gibt eine Idee davon, was die Entwicklung der Beziehungen zwischen diesen Ländern und der Sowjetunion sein könnte. Ein gutes Beispiel dafür wird von Finnland seit dem Ende des Krieges gegeben.
Diese Rücksichtnahme wird sicher von den USA gefördert. Die USA sowie die zweitrangigen imperialistischen Mächte, die sich besonders für Osteuropa interessieren, haben gewiss viele Gründe, sich über die Entwicklung in Osteuropa, das bisher ihrem direkten Machteinfluss entgangen war, zu freuen. Aber es liegt in ihrem Interesse, dass alles reibungslos verläuft.
Es ist bedeutungsvoll, dass die politischen Führungskräfte der imperialistischen Welt zwar in Betracht ziehen, "die politischen Entwicklungen in Osteuropa in militärische Verhältnisse umzusetzen" (wie einer von denen auf unklare Weise sagte), dass sie jedoch viel öfter von unterschiedlichen Verhandlungen zwischen den beiden militärischen Blöcken, der NATO und dem Warschauer Pakt, sprechen als von der Infragestellung von diesen. Und die USA zeigen nicht einmal einen besonderen Eifer, die am meisten pro-westlichen Volksdemokratien zu ermutigen, den Warschauer Pakt zu verlassen, während die Möglichkeit davon jedoch, mindestens für Ungarn, zugunsten eines Neutralitätsstatus, von hohen sowjetischen Verantwortlichen anerkannt wurde.
Das Destabilisierungsrisiko, das die einen ebenso befürchten wie die anderen, betrifft nicht nur die Möglichkeit sozialer Explosionen, die nicht nur eine einfache Hypothese sind, wie die wiederholten Streiks in Polen, trotz der Anwesenheit und des Einflusses der Solidarnosc-"Feuerwehrleute" darstellen.
Es gibt auch nationale Gegensätze, irredentistische Bewegungen, und Gebietsansprüche zwischen Staaten, oder auch zwischen Teilen von einigen Staaten, die sich aus wiederholten Zerstückelungen ergeben, die ohne jede Rücksicht auf den Willen der Völker, von den Großmächten 1919 in Versailles, wie in Jalta/Potsdam 1945, durchgeführt wurden. Diese Gegensätze wurden durch die sowjetische Beschlagnahme jahrzehntelang verborgen, aber keineswegs gelöst. Sie haben sich manchmal sogar verschärft, und indem sie nun zu Tage treten, könnten sie aus Osteuropa und dem Balkan wieder jenes Pulverfass machen, das sie seit Beginn des letzten Jahrhunderts immer waren.
Ein Aspekt der Aufteilung von Jalta/ zumindest scheint trotz aller aktuellen Veränderungen fortbestehen zu müssen, mit der stillschweigenden Übereinstimmung von der SU und von den USA: Die Unantastbarkeit der nationalen Grenzen zwischen den Ostblockländern. Wenn eine dieser Grenzen in Frage gestellt wäre, könnten Kettenreaktionen entstehen, so anfechtbar und angefochten alle Grenzen in diesem Teil Europas sind (wenn es überhaupt irgendwo auf der Welt welche gäbe, die es nicht sind).
Der Fall der DDR
In dieser Hinsicht ist die DDR eine Art Ausnahme, so wie ein besonderer Fall in der gesamten Entwicklung der "Volksdemokratien". Indem die Sowjetunion ihr - wie allen anderen Volksdemokratien- das Recht zubilligte, ihr politisches und wirtschaftliches System selbst zu bestimmen, erkannte sie implizit auch das Recht auf die Vereinigung mit der BRD an. Selbst wenn diese Anerkennung nur implizit ist - Gorbatschow und Egon Krenz äußern sich ausdrücklich gegen eine solche Möglichkeit -, so hätte die SU kein anderes Mittel, es zu verhindern, als eine militärische Intervention, was sie selbst ausschließt.
Die Wiedervereinigung der zwei deutschen Staaten, die das Kräfteverhältnis zwischen den imperialistischen Mächten, - und besonders zwischen den europäischen imperialistischen Mächten, die in direkter Konkurrenz stehen, ändern würde, erweckt bei den Herrschenden dieser Mächte wenig Begeisterung, auch wenn sie sich in ihren öffentlichen Reden dafür aussprechen.
Es ist nicht einmal sicher, dass die deutschen Unternehmer diese Perspektive wirklich mit Begeisterung betrachten: Sie würden wahrscheinlich vorziehen, wenn die DDR-Arbeitenden als Grenzarbeitnehmer mit wesentlich niedrigeren Löhnen in die BRD kämen , oder vielleicht wäre es ihnen noch lieber, wenn die DDR-Arbeiter dort, wo sie sind, und für dieselben niedrigen Löhne, die sie jetzt bekommen, weiterarbeiten würden, aber für Thyssen, Krupp oder Daimler-Benz , die ihrerseits völlig frei wären, sich in der DDR niederzulassen.
Es ist aber schwer, sich einen freien Verkehr zwischen den zwei deutschen Staaten vorzustellen, der nur das Kapital und den Profit , und nicht die Personen, betreffen würde, besonders wenn die Sowjetunion nicht bereit ist, vor der deutschen wie internationalen Öffentlichkeit, die Verantwortung dafür zu tragen. Die Vereinigung mag sicherlich ziemlich komplizierte Rechtswege gehen, um die Empfindlichkeit von jedem zu schonen; vielleicht wird sie eine Zeit lang Tatsache sein, und im Recht wird man nur von "privilegierten Beziehungen zwischen den zwei deutschen Staaten" sprechen. Welche juristische Form sie auch annehmen mag, sie ist doch tief in der geschichtlichen Entwicklung verankert.
Wir wollen hier sagen: Auch wenn die Vereinigung völlig unter der Führung des Kapitalismus geschieht, so haben revolutionäre Kommunisten keinen Grund, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen, insofern als die Arbeiterklasse und die DDR-Bevölkerung, diese wünschen. Die aktuelle Teilung von Deutschland ist eine Barbarei, für die die Berliner Mauer ein ziemlich repräsentatives Symbol war. Auch wenn die Vereinigung in der Tat eine der imperialistischen Mächte stärkt, wäre die Abschaffung der Grenze, die Deutschland teilt, nur dann eine Niederlage, wenn es der ostdeutschen Arbeiterklasse durch die gegenwärtige Krise gelänge, politische Positionen in der DDR zu erringen, die durch eine Vereinigung in Frage gestellt wären.
Die Arbeiterklasse und die aktuelle Entwicklung
Es gibt schon politische trotzkistische Strömungen, die in der Entwicklung der Volksdemokratien, besonders in derjenigen der DDR mit ihren Massendemonstrationen, einen "neuen revolutionären Aufschwung" sehen. Andere werden vielleicht im Gegenteil eine "konterrevolutionäre Entwicklung" entdecken, die durch die Aufgabe des Monopols "der Partei", den Abbau der verstaatlichten Industrie, usw. charakterisiert ist. Für andere wiederum - oder auch dieselben- ist die Entwicklung ein Rätsel, wie sie selbst sagen, zum Beispiel in Polen, das sie für "einen deformierten Arbeiterstaat" hielten, und das heute von einem Mann geführt wird, der die katholische Kirche genauso innig verehrt, wie den sogenannten liberalen Kapitalismus.
Für uns, die diese Staaten immer als bürgerliche Staaten betrachtet haben - auch wenn sie von der Kontrolle durch die sowjetische Bürokratie geprägt waren, die sie ertrugen -, hat deren Wille, wieder in den "Schoß" der kapitalistischen Wirtschaft zurückzukehren, absolut nichts Geheimnisvolles. Ebenso wenig kann ihre Fähigkeit erstaunen, von oben aufgezwungene wirtschaftliche Strukturen zu zerstören, sofern es ihre eigene Unterentwicklung ihnen ermöglicht, die von oben eingeführt worden waren.
Und um sich zu fragen, ob man in den Volksdemokratien, mindestens in der heutigen Entwicklung der Ereignisse, einen revolutionären Aufschwung sehen soll, da sollte man noch einmal von der diesen Strömungen lieben Idee ausgehen, dass die Rolle der Arbeiterklasse in ihrer eigenen Revolution etwas völlig Nebensächliches ist.
In Ungarn, Bulgarien, CSSR usw. stellt die Arbeiterklasse bis jetzt keine eigenständige politische Kraft dar. In Polen ist sie es nichtmehr. Walesa und die Führung von "Solidarität" behaupten, dass sie die Arbeiterklasse vertreten. In der DDR stehen die Arbeitenden, die in der Massenbewegung mitwirken, anscheinend nicht auf dem Boden des Klassenkampfes.
Eines der schlimmsten Verbrechen des Stalinismus ist, die Organisationen der Arbeiterklasse dort physisch zerstört zu haben, wo es vor der Besatzung durch die sowjetische Bürokratie solche gab, und noch schwerer wiegt, die Ideen des Kommunismus und des Klassenkampfes in den Augen der Arbeiter selbst, in Verruf gebracht zu haben. Dies ist so schwerwiegend, dass selbst dort, wo z.B. wie in Polen, die Arbeiterklasse genug Kraft wiederfand, um zu kämpfen, und um sich zu organisieren, sie es um Ideen, Menschen und Organisationen tat, die offen reaktionär und ihren Interessen - selbst ihren unmittelbaren Interessen - grundsätzlich feindlich gegenüberstehen.
Das Interesse der Arbeiterklasse wäre, die größere Liberalisierung auszunützen, um sich auszudrücken und zu organisieren. Ihr Interesse wäre umso mehr, dort, wo sich eine Massenbewegung entwickelt, eine Klassenpolitik zu vertreten. Die Zukunft wird uns sagen, ob sie die genügende Zeit haben wird, das notwendige Klassenbewusstsein zu bekommen, trotz des Erbes von vielen Jahrzehnten Stalinismus, und obwohl die Organisationen, die die Oppositionen gegen die regierenden Regimes führen, sich gar nicht auf dem Boden des Klassenkampfes stellen.
Der Klassenkampf ist jedoch nicht nur eine Idee, die man ablehnen oder verraten kann. Er entwickelt sich in den sozialen und politischen Auseinandersetzungen. Die Arbeiterklasse der Ostblock-Länder erleidet die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise, die durch die bürokratische Führung verschlimmert wird, noch härter als die Arbeitenden Westeuropas, da dort das Ausgangsniveau schon viel niedriger war. Das Wirtschaftswachstum der beiden Länder, die in der aktuellen "Umgestaltung" am weitesten engagiert sind (Polen und Ungarn), wird in diesem Jahr null sein, und in der Wirklichkeit sicher rückläufig sein. Im Kampf um die Verteilung des Nationaleinkommens haben die privilegierten nationalen Schichten und die internationale Bourgeoisie die besten Karten. Die Lebensbedingungen der Arbeitenden werden sich katastrophal verschlechtern, wenn sie sich nicht verteidigen.
Doch das Problem liegt nicht in den harten Abwehrkämpfen, welche die Arbeiterklasse in den Ostblockländern unvermeidlich führen wird (und in Polen, Jugoslawien etc. schon führt): Das Problem ist die Entwicklung ihres politischen Bewusstseins!
Alles, was wir über das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse dieser Ostländer sagen können, ist, dass es durch gewisse Illusionen gegenüber dem Westen, über dessen politisches und wirtschaftliches Funktionieren, geprägt ist. Illusionen, die sowohl von den sich an der Macht befindenden stalinistischen Parteien wie von denjenigen, die als Oppositionskräfte auftreten, verbreitet werden. Die Ereignisse werden diese Illusionen sicher zerstören.
Auch in Polen wird man die Verantwortung für die heute und künftig gegen die Arbeiter gerichteten Maßnahmen nicht ewig auf die vergangene stalinistische Verwaltung abwälzen können.
Die Arbeiterklasse dieser Länder hat am Beginn dieser Übergangszeit einige "gute Karten" in der Hand, weil die Regierenden der Volksdemokratien in den fünfziger Jahren den stalinistischen Größenwahn unterwürfig nachgeahmt haben, was sie dazu getrieben hat, in Ländern, die manchmal anfangs höher entwickelt waren als die SU, riesige industrielle Komplexe zu bauen: Die Arbeiterklasse ist meistens zahlreich und konzentriert. Überall bildet sie ein außerordentlich hohes soziales Gewicht. So hat sie in Ländern wie Polen, oder Ungarn, und auch einigermaßen in der DDR und in Rumänien, in den letzten Jahrzehnten wichtige Kämpfe geführt.
Sie hat schon Erfahrungen über den sich an der Macht befindenden Stalinismus und über den Kampf in der Diktatur. Mit dem "neuen Reformwind" wird sie sehen, wie jene Kräfte an die Regierung kommen, die sie bisher als Verbündete betrachtete, nur weil sie sich der Diktatur entgegenstellten. Sie wird sie beurteilen und sich so eine politische Meinung und ein politisches Bewusstsein über diese Leute schmieden können.
Was das Bewusstsein der Arbeiterklasse sowie auch die Entwicklung all dieser Länder besonders gefährdet, ist natürlich das Aufbrechen nationalistischer Strömungen. Je mehr die privilegierten Schichten der Wut der Massen ausgesetzt werden, desto mehr werden sie versuchen, diese Wut in die Barbarei nationaler Gewalt abzuleiten. Schon so ist es in Jugoslawien selbst. Schon so in den Verbindungen zwischen Ungarn und Rumänien. Dies wäre für die Arbeiter Osteuropas der Weg in eine blutige Sackgasse.
13. November 1989