Sechzig Jahre nach dem Zusammenbruch des III. Reiches: die Verantwortung des deutschen Großkapitals für Hitlers Machtergreifung
Wenn 2005, anlässlich des sechzigsten Geburtstages des Endes des Zweiten Weltkrieges, Massenmedien und Politiker reichlich daran erinnert haben, was der National-Sozialimus war, ist dagegen die Rolle der großen deutschen Unternehmer bei Hitlers Machtergreifung vollständig im Hintergrund geblieben. Man hat viel von der "nazistischen Barbarei" und besonders vom ungeheuerlichen Massenmord an Millionen Juden - umbenannt in ,Holocaust', um ihm einen religiöseren Anstrich zu geben -, von der notwendigen "Gedächtnispflicht" gesprochen, damit sich solche Ereignisse nicht wiederholen. Aber man hat jene Gründe nicht erwähnt, die erklären, wie solche Ereignisse möglich wurden. Was aber von all diesen denkwürdigen Reden blieb, ist, dass Hitler ein blutdürstiger Paranoiker war, der von sadistischen und brutalen Kerlen umgeben war, und der eine magnetische Wirkung auf seine Hörer ausübte. Aber wie konnte dieser Mann in einem Kulturland wie Deutschland an die Macht kommen, wie konnten die Handlanger, denen er befahl, die erste Komponente der Staatsmacht zu werden? Das alles ist ohne Antwort geblieben.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit hätte es niemand gewagt, die Verantwortung der deutschen Großindustrie bei der Machtergreifung der Nazis zu leugnen. Während der Vorbereitung des ersten Nürnberger Prozesses (in dem die Nazigrößen beurteilt wurden) - der die Legende bestärken sollte, nach der die Ablehnung des Faschismus die Sieger motiviert hätte -, wurde sogar in Erwägung gezogen, auch einen Vertreter der Industrie anzuklagen. Die Wahl fiel auf den alten Gustav Krupp, bevor noch die Frage des Zustandes seiner geistigen Gesundheit gestellt werden konnte.
Das alles war nur Komödie. Während die Mehrheit der in Nürnberg verfolgten Nazis an den Galgen geschickt wurde, konnten alle Personen, die Regierungsverantwortung für die Wirtschaft des Reiches übernommen hatten, ihren Hals retten. Schacht, Präsident der Reichsbank von 1933 bis 1939 und in dieser Funktion bestimmend für die Einführung der Kriegswirtschaft, wurde sogar freigesprochen. Aber niemand leugnete die Verantwortung der deutschen Industriellen bei Hitlers Machtergreifung, unter ihnen einige, wie Alfred Krupp, der Sohn von Gustav, der von den alliierten Gerichten verfolgt wurde.
Der Kalte Krieg setzte diesen Verfolgungen ein Ende. Der amerikanische Journalist und Historiker William Shirer erwähnt in seiner Arbeit "Aufstieg und Fall des Dritten Reiches", das in Frankreich Anfang der 60er Jahre veröffentlicht wurde, viele Einzelheiten über die finanzielle Unterstützung, die die deutschen Unternehmer Hitler gewährleisteten, und dies lange vor der Machtergreifung der Nazis. Für Shirer waren die deutschen Unternehmer, ebenso wie die rechten Politiker, die Hitler finanziert und auf seinem Weg zur Macht unterstützt hatten, Opfer ihrer Blauäugigkeit, ihrer Ahnungslosigkeit (was beweist, dass Shirer selbst sehr naiv, wenn nicht unaufrichtig, war!). Aber die tatsächliche Mitschuld der deutschen Industriellen am Nationalsozialimus wurde nicht diskutiert.
Die Dinge haben sich seitdem geändert. Das, was 1945 unmöglich geleugnet werden konnte, ist heute durch den Nebel der Zeit bedeckt und die gegenwärtigen großen Unternehmer, wie ihre Diener, haben die Erklärungen nicht gern, die die großen Bosse von gestern in Frage stellen, obwohl sie deutsch waren. Die Machtergreifung der Nazis vom Willen der großen deutschen Unternehmer zu erklären, die Arbeiterklasse und ihre Organisationen zu zerbrechen, klingt zu marxistisch in den Ohren der Leute, die in den intellektuellen Milieus die marxistischen Ideen heute als altmodisch betrachten.
Aber Mode ist nun mal ansteckend und richtet manchmal Schäden an, wo man sie nicht erwartet. So konnte man in der Ausgabe von Rouge, der Wochenzeitschrift der LCR vom 24. März unter dem Titel "Nationalsozialismus und Großkapital", einen ganzseitigen Artikel lesen, dessen Vorwort ankündigte, auf "die vereinfachende Auffassung der Verhältnisse zwischen Unternehmern und Nationalsozialismus" zu antworten, nach der letztere Marionetten der Ersten gewesen sind." Unter "vereinfachender Auffassung" verstand man jene, die Lutte Ouvrière im Leitartikel ihrer Betriebszeitungen vom 24. Januar unter dem Titel "die Gedächtnispflicht bedeutet, sich an alles zu erinnern!" vertreten hatte, und die in der folgenden LO-Wochenzeitschrift zurückgenommen wurde. Dieser Artikel von Lutte Ouvrière antwortete auf all jene die, anlässlich des sechzigsten Geburtstages der Befreiung von Auschwitz, nicht aufhörten, über die Gedächtnispflicht zu sprechen, indem sie einen großen Teil der Geschichte im Dunkeln ließen.
Mitten im Artikel von Rouge behauptete sinngemäß ein kleiner Text, "die Nazis als einfache Handlanger der Unternehmer zu betrachten sei historischer Widersinn".
Natürlich hatte Lutte Ouvrière weder das Wort "Marionette", noch den Ausdruck "einfache Handlanger der Unternehmer" benutzt, aber es ist eine alte Methode schlechter Polemik, seinen Gesprächspartnern Äußerungen in den Mund zu legen, die sie niemals gemacht haben!
Was hatte also die "vereinfachende" Lutte Ouvrière geschrieben? Das zitiert Rouge: "Lange vor der Machtergreifung der Nazis haben die Nazimilizen von beachtenswerten finanziellen Hilfen im Auftrag der großen deutschen Unternehmen wie Krupp und Thyssen profitiert, die in ihnen ein Werkzeug sahen, das fähig war, sich der deutschen Arbeiterklasse entgegenzustellen. Diese Hilfstruppen hatten Tausende wütende Kleinhändler rekrutiert, die durch die 1929 ausgebrochene Wirtschaftskrise ruiniert waren, aber rekrutierten auch in den niederen Gesellschaftsschichten. Die Unternehmer bestanden nie besonders auf der Moral ihrer Handlanger."
Die Rolle der großen deutschen Unternehmer
Aber, wendet der Redakteur von Rouge ein, "die Machtergreifung von Hitler erklärt sich nicht nur durch die Unterstützung der großen deutschen Unternehmer." Das ist richtig. Die Rolle der großen Unternehmer ist im Rahmen der deutschen Wirtschaftslage Anfang der dreißiger Jahre und der gewalttätigen Spannungen zwischen den sozialen Klassen dieser Zeit zu betrachten. Aber darüber will der Redakteur von Rouge nicht sprechen. Er beruft sich auf den amerikanischen Historiker R. Paxton, wenn er sagt, "die ausführliche Prüfung der Archive der Industrie zeige, dass die Mehrheit der deutschen Geschäftsleute alle nicht marxistischen politischen Formationen unterstützten, die auch nur die geringste Chance hatten, sich den Marxisten entgegenzustellen". Aber was beweist das? Selbst wenn sich ,vorsichtige' Geschäftsleute gefunden hätten, um finanziell auch der Sozialdemokratie zu helfen (und es hat vielleicht solche gegeben, weil die sozialdemokratische Führung seit 1914 auf der Seite der bürgerlichen Ordnung stand), tut das der Sache keinen Abbruch, dass viele deutsche Großindustrielle finanziell der Nazipartei geholfen haben, ihre "Sturmabteilungen" (SA) ein Klima von schleichenden Bürgerkrieg aufrechtzuerhalten.
"Der Fall des Stahlkonzernbesitzers Thyssen, der sehr früh Hitler unterstützte (aber sich 1939 von ihm abwendete) ist eine Ausnahme", fügt bekräftigend der Redakteur von Rouge hinzu. Aber da stehen wir, um es freundlich zu sagen, vor einer absoluten Unwahrheit.
Wenn Thyssen vielleicht eine Ausnahme ist, ist er es in dem Sinne, dass er gewissermaßen ein Vorläufer war, da er ab 1923 die noch wenig bekannte Nazipartei finanzierte, wie auch andere weniger einflussreichen Bosse. Emil Kirdof, der ,König der Kohle' des Ruhrgebietes, übereinstimmte schon 1929 Thyssen. Und als 1929-30 die Wirtschaftskrise auch Deutschland trifft, nahmen die Dinge einen anderen Umfang an. Hitler bemühte sich, "die Beziehungen zu den großen Industriemagnaten systematisch zu pflegen" , berichtete in einem Buch sein Pressesprecher Otto Dietrich. Er stützte sich dafür auf Göring, der in die Welt der Großbourgeoisie bestens eingeführt war. Und dessen Rufe blieben nicht ungehört.
William Shirer zitiert eine lange Namenliste und präzisiert, dass diese unvollständig sei, weil ihr Verfasser beim Nürnberger Prozess "ein sehr schlechtes Gedächtnis hatte." Dieser Zeuge war Funk, der für die Finanzen der Nazipartei verantwortlich gewesen war, bevor er zum Minister unter Hitler aufstieg.
Auf dieser Liste findet man bunt gemischt: von Schnitzler, einen der Direktoren der IG Farben, Rosterg und Diehn aus der Kaliindustrie, Cuno, von der Schifffahrtsgesellschaft, Conti aus der Gummiindustrie, Otto Wolf, Kölner Industrieller, von Schröder, ein wichtiger Bankier derselben Stadt, die Deutsche Bank, die Commerz- und Privat-Bank, die Dresdner Bank, die Deutsche Kreditgesellschaft und die Versicherungsgesellschaft Allianz.
Die Nazipartei stellte große finanzielle Ansprüche. William Manchester, der Autor einer der Familie Krupp gewidmeten Arbeit, schätzt, dass 1932 allein die Erhaltung der SA mehr als zwei Millionen Mark pro Woche kostete.
Die Industriemagnaten und die Nazi-Schergen
Alle deutschen Geschäftsleute wurden natürlich nicht gleichzeitig Anhänger der Nazis. In Augen mancher waren diese Schergen nicht sehr vorzeigbar. Das war zuerst der Fall von Gustav Krupp (als von Bohlen und Halbach geboren, fügte er den Namen Krupp seinem eigenen Familiennamen hinzu nachdem er mit besonderer Genehmigung von Wilhelm dem Zweiten die Erbin des "Kanonenkönigs" geheiratet hatte). Jenseits dieser Klassenvorurteile konnte außerdem die Demagogie der Nazis ihre Furcht erwecken.
Tatsächlich waren die durch die Wirtschaftskrise verbitterten Kleinbürger, die das Gros der SA bildeten, nicht "einfache Handlanger der Unternehmer". Sie hassten die Arbeiterbewegung beinahe so sehr wie die Grossunternehmer, die das Unglück der Ladeninhaber ausgenützt hatten. Um sie zu rekrutieren, musste man ihnen Honig ums Maul schmieren. Diejenigen, die seinen Namen und sein Ursprungsprogramm ernst nahmen, sahen im "Nationalsozialismus" einen Gegner der Reaktion und des Kapitalismus. Und in den Machtkämpfen, denen sich die nazistischen Führer hingaben, stützten sich einige auf diese Annahmen. Sie spielten mit der Idee, dass die SA die Macht mit Gewalt an sich reißen könnte, um das ,nationalsozialistische Programm' zu verwirklichen.
Aber dieses Programm, von dem Trotzki sagte, dass es die "Frucht der rhetorischen Akustik" war, weil "von den eigenen Improvisationen des Beginns im Gedächtnis des Agitators -Hitler - nur das haften blieb, was Billigung fand" , war nur vorgesehen, um Truppen zu erobern. Aus dem gescheiterten Putsch von 1923 hatte Hitler die Schlussfolgerung gezogen, dass er die Macht im Rahmen der Institutionen erlangen musste. Natürlich berührten ihn formalrechtliche Skrupel nicht, sondern das Bewusstsein, dass die Machtergreifung nur mit Einverständnis der leitenden Klassen möglich war.
Sobald er also aufgrund der Wirtschaftskrise die Möglichkeit sah, in kurzer Zeit an die Macht zu kommen, tat Hitler alles, damit der Diskurs seiner Partei für die Großunternehmer annehmbar wurde. Es stand nicht mehr in Frage, Verstaatlichungen vorzuschlagen, oder sich mit einigen Arbeiterforderungen solidarisch zu zeigen, was die Großgrundbesitzer hätte verärgern können. Den Unternehmern erklärte man jedoch, die Anwendung des "Führerprinzips", das die Nazipartei bestimmte, in den Unternehmen ihnen erlauben würde, dort uneingeschränkt zu herrschen.
Trotzki jedoch schrieb einige Tage nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler: "Nicht leichten Herzens entschloss sich die hochgestellte Clique zum Geschäft mit den übel riechenden Faschisten. Hinter den hemmungslosen Emporkömmlingen stehen zu viele Fäuste, darin liegt die gefährliche Seite der braunen Verbündeten; doch darin liegt auch ihr entscheidender, vielmehr ihr einziger Vorteil. Und dieser Vorteil entscheidet, denn die Zeit ist heute so, dass der Schutz des Besitzes nicht anders gesichert wird durch Fäuste." (Vor der Entscheidung, am 5. Februar 1933).
Während die Machtergreifung der Nazis für Trotzki eine feste Entscheidung der leitenden Klassen ("die hochgestellte Clique") war, ist sie für den Redakteur von Rouge das Ergebnis eines zufälligen Zusammentreffens von Umständen: "die inneren Sperrungen innerhalb der Rechte, die durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die sozialen von den Nazis selbst aufrechterhaltenen Unruhen (Straßenschlachten gegen die Kommunisten, politische Gewalttätigkeiten) bedingt waren, verursachten Hitlers Ernennung zum Kanzler..." Aber was "innere Sperrungen innerhalb der Rechte" angeht, arbeitete ein Teil dieser schon lange mit den Nazis zusammen und war seit Monaten für Hitlers Ernennung zum Kanzler aktiv.
Der vorwärts schreitende Anschluss der deutschen Rechtsparteien
Die Allianz eines Teils der Rechtsparteien mit den Nazis hatte begonnen, bevor die große Krise im Oktober 1929 ausgebrochen war, die die Welt in den Zweiten Weltkrieg führen sollte. Im Sommer 1929 schlug die Deutschnationale Partei Hitler vor, eine gemeinsame Kampagne zur Abschaffung des Young-Plans zu führen, eines amerikanischen Plans, dessen Ziel es war, die Kriegsentschädigungen, die Deutschland zahlen sollte, umzuschulden. Nun war diese Deutschnationale Partei keine unwichtige Splittergruppe. Sie hatte 73 Abgeordnete in den Wahlen von 1928 und wurde von 1909 bis 1918 von Alfred Hugenberg, dem ehemaligen Direktor von Krupp geleitet, der Eigentümer eines echten Pressereiches war, das die Hälfte der deutschen Zeitungen kontrollierte. Der Hugenberg-Konzern lieferte so Hitler eine ausgezeichnete Tribüne.
Im Oktober 1931 bildete dieselbe Deutschnationale Partei mit dem Stahlhelm, dem Bund der ehemaligen Frontsoldaten, und der NSDAP eine Allianz, die an jene von 1933, die "Harzburger Front", erinnerte.
Was für den Anschluss der gesamten deutschen Rechte an Hitler und die NSDAP entscheidend war, waren nicht nur "die Wahlergebnisse der Nazipartei ..., ihre Fähigkeit, die Straße zu besetzen und die Gewalttätigkeiten gegen die Linke, und die Lage politischer Sackgasse zu vermehren, in der sich die Rechte fand", wie es der Redakteur von Rouge behauptet. Die Geschichte zeigt es deutlich.
Hitler wurde nicht auf dem Höhepunkt des Aufstieges der Nazipartei in den Kanzleramt berufen, sondern im Gegenteil, nachdem diese ihren ersten Wahlrückgang seit 1930 verzeichnet hatte. Denn nachdem sie mehr als dreizehneinhalb Millionen Stimmen und 230 Abgeordnete in den Wahlen von Juli 1932 erhielt, verlor die NSDAP mehr als zwei Millionen Stimmen nach denjenigen vom November, und sie zählte noch nur 196 Abgeordnete.
Die Rechte fand sich auch nicht in einer "politischen Sackgasse", auch wenn ihre Vertreter kaum Lust hatten, politisches Harakiri zu begehen, da ihr nur die eine Möglichkeit übrig blieb, Hitler als Kanzler zu berufen.
Aber die Meinungen der Geschäftswelt zählten mehr als die Berechnungen der Parlamentarier. Und in dieser Hinsicht ist es bedeutungsvoll, was Hjalmar Schacht, Präsident der Reichsbank von 1923 bis 1930, einige Tage nach den Wahlen vom November 1932, an Hitler schrieb: "Ich habe die Gewissheit, dass die gegenwärtige Entwicklung der Ereignisse nur zu Ihrer Ernennung als Kanzler führen kann. Es scheint, dass unser Versuch, in diesem Ziel zahlreicher Unterschriften in den Geschäftskreisen zu versammeln, nicht vergeblich gewesen ist."
Der Bankier Baron von Schröder hatte tatsächlich einen Brief in diesem Sinne an den Präsidenten Hindenburg geschickt. Dank eines nach dem Krieg wieder gefundenen Exemplars wissen wir, dass sie 38 Unterschriften aufwies, darunter nicht nur die von Schacht, sondern auch die von neuen Hitler-Anhängern wie Krupp.
Als er zum Kanzler ernannt wurde, bat Hitler Hindenburg, den Reichstag aufzulösen, um Neuwahlen zu organisieren. Um die Kampagne der Nazipartei zu finanzieren, organisierten Hitler und Göring eine Versammlung, zu der sie die Vertreter des Großkapitals einluden. Hitler machte kein Geheimnis aus seinem Willen, das parlamentarische System abzuschaffen. "Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl", sagt er. Und zwei Tage später bemerkte Krupp in einer Notiz: "Ich habe den Reichskanzler Hitler wissen lassen, wie sehr ihm die etwa fünfundzwanzig anwesenden Industriellen für die klare Darlegung seiner Ideen dankbar waren". Für all die, die Hitler nicht wirklich verstanden hatten, redete Göring Klartext und erklärte: "Das verlangte Opfer wird so viel leichter zu bringen sein, wenn sich die Industriellen klarmachen, dass die Wahl am 5.März mit Sicherheit die letzte in den nächsten zehn Jahren sein würde, wenn nicht innerhalb der nächsten hundert Jahre." Krupp griff als Erster in die Tasche mit einer Spende in Millionenhöhe.
Zwar erhielten die Nazis keine absolute Mehrheit bei den Wahlen vom 5. März 1933, dennoch nahm der Reichstag die Ernennung Hitlers zum Kanzler einstimmig an - ausgenommen von dieser Entscheidung waren natürlich die 81 Abgeordneten der von jetzt an illegalen Kommunistischen Partei Deutschlands, die an der Ausübung ihres Mandats gehindert wurden, sowie die sozialdemokratischen Abgeordneten. Die rechten Parteien hatten beschlossen, zurückzutreten und lösten sich in den folgenden Wochen auf. Dies war der letzte Dienst, den sie der deutschen Bourgeoisie erweisen konnten.
Der Nationalsozialismus, das Großkapital und der Krieg
Was eine entscheidende Rolle in der Berufung Hitlers zur Macht gespielt hatte, war die Tatsache, dass auch die Vertreter der Großindustrie immer offener den Vertrag von Versailles in Zweifel zogen, um die deutsche Wirtschaft wieder zu beleben. Die deutsche Wirtschaft erstickte tatsächlich in den Grenzen, die die Alliierten nach der Niederlage von 1918 ihr aufgezwungen hatten. Aber um Deutschland wieder aufzurüsten und um den Krieg um die Eroberung neuer Rohstoffquellen, neuer Märkte, und neue Absatzmärkte für das Kapital auszulösen, musste man zuerst die Arbeiterklasse und ihre Organisationen niederschlagen. Und die Unterstützung Hitlers und seiner Milizen war unentbehrlich, um dieses Ziel zu erreichen.
Das Zurückgreifen auf diese plebejischen Milizen, in denen jene zahlreich waren, die von einer "zweiten Revolution" träumten, war nicht unproblematisch und warf einige Probleme innerhalb der deutschen Bourgeoisie und im Generalstab auf, der ihr Lieblingswerkzeug war. Hitler konnte erst nach Hindenburgs Tod die Macht dieses Letzten mit derjenigen, die er beim Reichstag im März 1933 erhalten hatte, kumulieren, weil er Beweise der Armee gegeben, indem er einen guten Teil von den leitenden SA-Kadern während der "Nacht der langen Messer" von Juni 1934 liquidierte und die politische Rolle von diesen beschränkte. Nur weil diese SA in Polizeihilfskräfte kurz nach der Machtübernahme verwandelt wurden, konnte er die Arbeitsorganisationen zerbrechen.
Die dem Nationalsozialismus vom Großkapital zugeschriebene Rolle war für Trotzki augenfällig. Im Juni 1933 schrieb er in"Porträt des Nationalsozialismus": "Das Programm war für die Nazis nötig, um an die Macht zu kommen, aber die Macht dient Hitler durchaus nicht dazu, das Programm zu erfüllen. Die gewaltsame Zusammenfassung aller Kräfte und Mittel des Volkes im Interesse des Imperialismus - die wahre geschichtliche Sendung der faschistischen Diktatur - bedeutet die Vorbereitung des Krieges; diese Aufgabe duldet keinerlei Widerstand von innen und führt zur weiteren mechanischen Zusammenballung der Macht." Und er fügte weiter hinzu: "Die Zeit, die uns bis zur nächsten europäischen Katastrophe bleibt, ist befristet durch die deutsche Aufrüstung. Das ist keine Frage von Monaten, aber auch keine von Jahrzehnten."
Erkennend, dass "das III. Reich eine Quelle beachtenswerter Gewinne für (gewisse) Erwerbszweige war", schreibt der Redakteur von Rouge: "die Industrie, die für die kriegerischen Ziele des Regimes unentbehrlich war, verfügte über Handelsspielräume, die sie in der Nazimacht nicht vollständig belehnte. " Aber so geht man das Problem verkehrt an. Die "kriegerischen Ziele des Regimes", das heißt die Infragestellung der Situation, die vom Versailler Vertrag abstammte, waren auch die der Großindustriellen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es niemals Spannungen zwischen den deutschen Großunternehmern und dem Generalstab einerseits und den Nazimachthabern andererseits gab. Auch wenn sich diese ganze schöne Gesellschaft über das Endziel, das heißt über die Infragestellung des Versailler Vertrages, einig war, zeigten sich die Ersteren doch zuweilen besorgt über den Rhythmus, mit dem Hitler seine Operationen durchführte, und über die Frechheit, mit der er handelte. Aber Hitler profitierte von 1935 bis 1939 von der Passivität Frankreichs und Englands, zur Zeit der Wiedereinführung des Militärdienstes (1935), der Remilitarisierung des linken Rheinufers (1936), des Münchner Abkommens (1938), der Zerstückelung der Tschechoslowakei (im März 1939). Es geht darum, dass die sogenannten "Demokratien" vor allem nicht das Risiko eingehen wollten, das Hitlerregime zu erschüttern und so den Weg zu einer möglichen sozialen Revolution in Deutschland frei zu machen. Und die Opposition gewisser militärischer Kreise gegen Hitler blieb rein theoretisch ... bis zum Moment, wo die militärischen Niederlagen, die sich ab dem Winter 1942-43 häuften, die führenden deutschen Klassen dazu brachten, gegen Hitlers Willen einen Kompromiss mit den Alliierten in Betracht zu ziehen.
Politische und wirtschaftliche Macht
Aber für die führenden Klassen, ist es nicht so leicht, eine Diktatur wieder los zuwerden, die man selbst organisiert hat. Denn natürlich, besteht für die Bourgeoisie die Gefahr darin, die unteren Volksschichten in Bewegung zu bringen. Die einzige Kraft, mit der sie eventuell rechnen kann, ist die Armee. Dies gelingt in Italien 1943, als der Marschall Badoglio Mussolini ablöste. In Deutschland jedoch scheiterte es mit dem Attentat gegen Hitler und dem Versuch, einen Teil des Offizierskorps im Juli 1944 die Macht an sich zu reißen.
In den letzten Monaten des Krieges verstärkten sich die Meinungsverschiedenheiten zwischen der nazistischen Macht und den Großunternehmern. Die Politik der verbrannten Erde, die von Hitler befohlene Zerstörung aller wirtschaftlichen Infrastrukturen in den Zonen, die von den Alliierten konnten besetzt werden, konnte die Bourgeoisie natürlich nicht zufrieden stellen. Der eigene Rüstungsminister des "Führers", Speer - natürlich mit den Industriellen sehr verbunden -, bemühte sich übrigens, diese Anweisungen zu sabotieren.
Aber diese in den letzten Monaten aus dem Krieg hervorgegangenen Probleme waren, im eigentlichen Sinn des Wortes, nur eine Begleiterscheinung. Im Vorwort von März 1945 zu seinem Buch Fascisme et grand capital (Faschismus und Großkapital) - dessen Erstausgabe von 1936 datiert -, schrieb Daniel Guérin bezüglich des Attentates vom 20. Juli 1944 und der Repression, die seinem Scheitern folgte: "Diese letzte Episode beweist, dass, dank dem furchtbaren Repressionswerkzeug, das er sich geschaffen hat, der Faschismus sich einen Augenblick lang halten kann, selbst wenn er vom Großkapital im Stich gelassen wird. Das für die Arbeiter bestimmte Blei kann auch dazu dienen, die Haut einiger Bürger zu durchlöchern. Aber nicht lange. Kein politisches System kann gegen die Klasse regieren, die die wirtschaftliche Macht besitzt. Sogar wenn das einigen Naiven missfällt, sind die alten Gesetze, die immer schon die Beziehungen zwischen den Klassen bestimmt haben, für einmal nicht defekt. Der Faschismus hat sie, wie durch Zauberhand, nicht unterbrochen. Zwischen Faschismus und Großkapital ist die Verbindung so eng wie der Tag, wo ihm das Großkapital seine Stütze nimmt, den Anfang des Endes für den Faschismus bedeutet."
Leider werden weder Guérin noch Trotzki, für "vereinfachend" gehalten, zu den Bezugnahmen des Redakteurs von Rouge, der es bevorzugt, "für die, die den Nationalsozialismus verstehen wollen", Ian Kershaw zu zitieren. Dieser Hochschullehrer, der sich sicher antifaschistisch gibt, schreibt nicht unbedingt aus dem Blickpunkt des Proletariats. Um ein Beispiel seiner Sichtweise zu geben, schreibt er im Abschluss seines Werkes "Was ist der Nationalsozialismus?" auf den sich Rouge bezieht, bezüglich gewisser Rock-Gruppen, die "mit nazistischen Ehrenzeichen behängt" auftreten, oder des Verkaufes auf der Costa Brava "von T-Shirts mit Hitlerbildern": "so bescheiden sein Beitrag auch immer sein kann, hat der Spezialist für den Nationalsozialismus nicht nur die Aufgabe aber auch die Pflicht, gegen diese Beleidigungen gegen demokratische und humanistische Werte anzukämpfen (...) weil man so hoffen kann, sich der Tatsache bewusst zu werden, dass die demokratischen und humanistischen Werte nicht für immer in den modernen Industriegesellschaften gegeben wurden, sondern dass sie ununterbrochen und kräftig geschützt werden müssen (...)".
Das Unglück besteht darin, dass sich unter allen Leuten, die Hitler hochleben ließen - und nicht nur in Deutschland - auch zahlreiche Intellektuelle fanden, die lange von sich sagten, "an die demokratischen und humanistischen Werte" gebunden zu sein, aber die, sobald sich das Problem im Rahmen sozialistischer Revolution oder faschistischer Diktatur stellte, das Lager der Nazis wählten, weil in ihren Augen, die "Werte" des Kapitalismus mehr zählten, als diejenigen der "Demokratie" und des Humanismus.
Daran zu erinnern, wie an die Verantwortlichkeit des deutschen Großkapitals für das Aufkommen des Nationalsozialismus, gehört auch zur "Gedächtnispflicht" für diejenigen, die das Lager der Arbeiterklasse gewählt haben.
10. Juni 2005