Indien: Die Regierung Modi, die Krise und Corona

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Januar 2021

Der folgende Text ist adaptiert an einen Artikel der Zeitschrift Class Struggle (n°111, Winter 2020), herausgegeben von der trotzkistischen Gruppe Workers Fight in Großbritannien.

Als dieser Artikel am 29. November 2020 in Druck ging, waren in Indien fast 10 Millionen Fälle von Covid-19 registriert und damit so viele wie in keinem Land der Welt mit Ausnahme der USA. Was die Zahl der Todesopfer betrifft, so befand sich Indien damals mit 136.696 Verstorbenen hinter den USA und Brasilien an dritter Stelle [1]. Doch die Zahlen steigen schnell: am 12.11.2020 gab es die Hälfte der in Asien gezählten Fälle in Indien, jedoch bleibt dort die Zahl der Getesteten eine der niedrigsten der Welt. Tatsächlich zeigten kürzlich Blutuntersuchungen, dass auf jeden identifizierten Fall, 80 – 130 Fälle der Kontrolle entgehen.

Davon abgesehen, wenn man sich an die offiziellen Zahlen hält, hat Indien eine der niedrigsten Todesraten der Welt, nämlich 10,07 pro 100.000 Einwohner. Ein sehr niedriger Wert im Vergleich zu Großbritannien mit 86,7 und den USA mit 80,95 / 100.000. Aber selbst da handelt es sich um eine Unterschätzung. In Indien wird die Todesursache offiziell nur in 22% der Fälle präzisiert. Darüber hinaus registriert keiner der Bundesstaaten, die Indien bilden, die vermutlich durch Covid-19 verursachten Todesfälle. Das Virus hat sich in letzter Zeit in den ländlichen Regionen ausgebreitet, denen praktisch völlig die minimalen sanitären Infrastrukturen fehlen, die es in den Städten gibt, was die Unterschätzung nochmals vergrößert.

Die Beschäftigten des Gesundheitswesens, die weiterhin zu lange arbeiten und eine zu große Patientenzahl versorgen, waren die ersten an der Front. Es ist unmöglich, den Einfluss der Krise auf sie zu erkennen, denn der Zentralstaat hält es nicht für nötig, die Zahl ihrer Toten zu registrieren. Noch dazu, wenn die sanitäre Infrastruktur unwirksam und weitgehend privatisiert ist, bleibt sie völlig unfähig der Pandemie die Stirn zu bieten. Die von Covid-19 betroffenen Patienten sterben in den Krankenhäusern, da sie keinen Sauerstoff erhalten. Die Reichen können sich selbstverständlich einen Krankenhausaufenthalt im Privatsektor mit Beatmungsgeräten zu astronomischen Preisen leisten.

Tatsächlich übersteigt der Anteil der Gesundheitsausgaben im BIP Indiens kaum 1%, das heißt, eines der niedrigsten Niveaus der Welt. Vor der Pandemie mangelte es an 600.000 Ärzte und 2 Millionen Krankenschwestern. Anders gesagt, die Patienten mit dem Glück der Krankenhausbehandlung, erhalten nur eine sehr begrenzte Versorgung.

Die erste Reaktion der Regierung Modi auf die Pandemie, als die Zahl 500 erreichte, war eine Ausgangssperre, die das ganze Land betraf. Diese Maßnahme hatte nicht nur katastrophale Auswirkungen auf das Leben von Millionen Arbeitern […] sondern sie führte zu einem Anstieg der Infektionsraten, die auch nach Aufhebung der Restriktionen progressiv anstiegen. Ende November erhöhten sich in zahlreichen Teilen des Landes die Infektionen erneut, darunter in der Hauptstadt Neu-Delhi [2].

Kerala, die Ausnahme

Kerala war der einzige Bundestaat Indiens, der die Pandemie in den Griff bekam. Von den 36 Millionen Einwohnern waren am 24. November 2020 nur 2.071 an Covid-19 verstorben. Die Mortalitätsrate der positiv Getesteten betrug im Oktober 0,35%, eine der niedrigsten im ganzen Land.

Diese Zahlen rühren nicht etwa daher, dass Kerala reicher wäre als die anderen Bundesstaaten Indiens. Eher das Gegenteil ist der Fall: Das Pro-Kopf-Einkommen ist niedriger als der nationale Durchschnitt. Darüber hinaus war es einer der Bundesstaaten, die dem Virus zuerst ausgesetzt waren, und dies auch noch in überproportionaler Weise, da eine halbe Million Studierende und Arbeiter aus anderen Teilen Indiens und aus der Golfregion nach Kerala zurückkam (ca. 17% der arbeitsfähigen Bevölkerung Keralas arbeiten außerhalb des Bundesstaates). Schließlich ist der Anteil älterer Menschen mit Vorerkrankungen höher, und auch die Bevölkerungsdichte ist größer als in Keralas Nachbarstaaten – von denen einige mehr als fünf Mal so viele Tote zählen.

Aber was Kerala besonders charakterisiert ist, dass es sich eines der widerstandsfähigsten Gesundheitssysteme des Landes rühmen kann, mit einem breiten Netz an Gesundheitszentren und Beschäftigten des Gesundheitswesens in den meisten Städten und Dörfern. Die Verantwortlichen des öffentlichen Gesundheitswesens haben Lehren aus der Ausbreitung des Nipah-Virus im Jahr 2018 gezogen, die sie ebenfalls effizient zu meistern in der Lage waren. Als die Covid-19-Pandemie kam, war das Gesundheitssystem vorbereitet. Bereits im Januar 2020 wurden Direktiven erarbeitet, also noch bevor die Pandemie das Land erreichte. Ein effizientes System von Gesundheitszentren für Covid-19-Patienten wurde in ganz Kerala errichtet. Es umfasste Einrichtungen, in denen Menschen in Quarantäne isoliert werden konnten, sowie ein effektives System der der Kontaktverfolgung. Der Staat Kerala hat es auch auf lokaler Ebene geschafft, eine ganze Armee freiwilliger Gesundheitshelfer zu mobilisieren, und hat sie in die Belegschaften und Netze der örtlichen Gesundheitsprogramme integriert. Er hat ebenso 15.541 Auffanglager und Zufluchtsstätten für die Wanderarbeiter eingerichtet, das heißt weit mehr als die Hälfte der 22.567 Lager, die in ganz Indien eingerichtet wurden.

Der Hauptgrund für diese besondere Situation ist zweifellos, dass in den örtlichen Behörden und der Regierung des Bundesstaates Kerala die kommunistische Partei Indiens (KPI) und die marxistische kommunistische Partei Indiens (KPI-M) vorherrschend sind und seit einem halben Jahrhundert eine Politik verfolgen, die darauf abzielt, die Lebensbedingungen der Armen zu verbessern. Diese Parteien haben dort ebenfalls die Löhne der indischen Arbeiter angehoben, haben eine Agrarreform durchgeführt und eine Alphabetisierungsrate von 90% erreicht – was bei Weitem die höchste Alphabetisierungsrate in ganz Indien ist. Auch wurde ein Netz sozialer Hilfen geschaffen, das besser ist als im irgendwo sonst in Indien. All das hat sowohl die Gesundheit wie auch die Ernährung der Bevölkerung verbessert. Es hat auch dazu geführt, dass die Maßnahmen der örtlichen Regierung zur Pandemiebekämpfung besser verstanden und daher auch mehr befolgt wurden. Dieser letzte Punkt hängt auch damit zusammen, dass es in Kerala eine mächtige, von der kommunistischen Partei getragenen Vereinsbewegung zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse in der einfachen Bevölkerung gibt. Natürlich wird so etwas nicht von Publikationen wie der britischen Wochenzeitung The Economist veröffentlicht, die sich im April 2020 über die Art und Weise wunderte, wie Kerala die Pandemie meistert. Aber es zeigt sehr gut, wie ein funktionierendes Netz medizinischer Grundversorgung auf lokaler Ebene das grundlegende und notwendige Mittel zur Bekämpfung einer Pandemie ist.

Die nationale Ausgangssperre und die Arbeiterklasse

Die plötzliche Ankündigung Modis einer totalen nationalen Ausgangssperre am 24. März 2020 – ohne die geringste Vorbereitung – führte zu einem allgemeinen Chaos mit katastrophalen Folgen für die Arbeiterklasse. Diese Ausgangssperre wurde innerhalb von nur vier Stunden verhängt und durchgesetzt und führte unter anderem dazu, dass der gesamte Zugverkehr der indischen Eisenbahnen eingestellt wurde. Die Unternehmen nutzten die Gelegenheit, um drei Monate keine Löhne zu zahlen. Arbeiter hatten von einem Tag auf den anderen kein Geld mehr, um ihre Miete, Nahrung oder Medikamente zu bezahlen. Anders als in den reichen Ländern Europas wurde kein Kurzarbeitergeld eingeführt. Am härtesten betroffen waren die über 100 Millionen Wanderarbeiter, die – hunderte Kilometer von ihren Dörfern entfernt – in Industriegebieten und Stadtteilen eingesperrt wurden und dort Nichts zum Überleben hatten. Sie versuchten mit allen Mitteln nach Hause zurückzukehren. Nach Regierungsangaben kehrten zwischen März und Mai über 10 Millionen Wanderarbeiter in ihre Heimatdörfer zurück, das heißt ebenso viele wie bei der 1947 durch die Teilung Indiens verursachten Völkerwanderung.

In den Bus- und Eisenbahnstationen von Städten wie Neu-Delhi und Bombay stürzten sich hunderttausende Arbeiter in die letzten Busse oder Eisenbahnen, um nach Hause zu kommen. Diese Situationen schufen regelrechte Brutstätten wie das Virus und wiederholten sich jedes Mal, wenn die Ausgangssperre ausgeweitet wurde. Als der öffentliche Verkehr zu funktionieren aufhörte, riskierten die Arbeiter ihr Leben, um zu Fuß, per Fahrrad oder per Anhalter die hunderte Kilometer in der Sommerhitze zurückzulegen. Wie jene 18 Arbeiter, die auf einen fahrenden Betonmischer stiegen und sich in der Betonmischmaschine versteckten, um von Bombay nach Uttar Pradesh zu gelangen. Oder jene 15 Stahlarbeiter, die nahe der Stadt Aurangabad von einem Zug zermalmt wurden, als sie sich nach einem langen Marsch neben den Bahngleisen ausruhten. Sie wählten diesen Weg, um nicht auf der Autobahn von der Polizei angegriffen zu werden. Man schätzt, dass durch die schrecklichen Bedingungen auf diesen Wanderbewegungen mindestens 1.000 Arbeiter starben.

Von Anfang an wollten die Unternehmer die Abreise der Arbeiter verhindern. Denn sie hatten Angst, ohne Arbeitskräfte dazustehen, wenn die Fabriken wieder öffnen dürften. In Manesar zum Beispiel, einem Industriegebiet nahe Delhi, das wegen seiner Konzentration an Autofabriken das Detroit Indiens genannt wird, verhaftete die Central Industrial Security Force (eine vom Zentralstaat geschaffene Polizei zum Schutz der Industriebetriebe) alle Arbeiter, die einen Rucksack trugen – unter dem Vorwand, der Rucksack sei ein Zeichen dafür, dass sie in ihre Dörfer zurückkehren wollen würden! Vielerorts zwang die Polizei die Arbeiter, die zu Fuß in ihre Herkunftsdörfer zurückwollten, in Busse einzusteigen, die sie … in die Industriegebiete zurückbrachten, die sie eben verlassen hatten! Manchmal setzte die Polizei Gewalt ein, um die Arbeiter zum Umkehren zu zwingen. Der Dachverband der indischen Industrie forderte sogar ein Gesetz, das die Arbeiter zwingen sollte, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Die Wut der Arbeiter angesichts dieser Maßnahmen explodierte in den Straßen mehrerer Industrieregionen des Landes, besonders vom 2. bis 4. Mai, nachdem Modi im Fernsehen die Verlängerung der Ausgangssperre bekannt gab. In der Stadt Surat - im Staat Gujarat – versammelten sich tausende Arbeiter und forderten, nach Hause gebracht zu werden und nicht zur Arbeit gezwungen zu werden. Die Textil- und Diamanten-Arbeiter zertrümmerten Schaufensterscheiben, stürzten parkende Autos um, verwüsteten die Diamanten-Börse und prügelten sich mit der Polizei. Zahlreiche gemäßigtere Protestbewegungen brachen in Chennai aus [3]: Die Bauarbeiter zogen durch die Straßen und forderten, dass die Regierung ihre Rückkehr nach Hause organisiert. In Rajasthan bewarfen 2500 Arbeiter der Zementfabrik die Polizei mit Steinen und gingen auf die Fabrik los. Proteste fanden in Städten, Gemeinden und in 21 Industriegebieten der 36 Bundesstaaten und in Gebieten der indischen Union wie Bangalore und Hyderabad, in der Region von Delhi, im Staat Jammu statt. In Rajasthan bewarfen 2.500 Arbeiter einer Zementfabrik die Polizei mit Steinen und gingen auf die Fabrik los ... In 21 der 36 Bundesstaaten Indiens kam zu Protesten, in Städten, Gemeinden und Industriegebieten: in Städten wie Bangalore und Hyderabad ebenso wie im Staat Madhya Pradesh, in der Region Delhi ebenso wie im Staat Jammu.

Diese Demonstrationen zwangen die Zentralregierung und die Regierungen der Bundesstaaten letztlich, spezielle Züge bereitzustellen, um die Arbeiter in ihre Herkunftsregionen zurückzubringen. Doch selbst jetzt noch versuchte die Bourgeoisie einzugreifen: So strich der Premierminister des Staates Karnataka nach Gesprächen mit Vertretern des nationalen Immobilienunternehmerverbandes zehn dieser Züge wieder! Die Transportbedingungen in den tatsächlich fahrenden Zügen waren entsetzlich Die Zentralregierung selbst gibt zu, dass dabei 97 Menschen starben, weil es auf diesen sehr lange dauernden Reisen kein Wasser und keine Nahrungsmittel gab. Auch hatten überall die Güterzüge Vorfahrt, da sie für die Unternehmer wichtiger waren.

Aber auch wenn es den Arbeitern gelungen war, in ihre Dörfer zu gelangen, war dies für sie natürlich auch keine dauerhafte Lösung. Denn sie hatten nun keine bezahlte Arbeit mehr, und es war sehr schwierig für sie. Das einzig existierende System war das 2008 eingeführte Gesetz zur Sicherung der Beschäftigung im ländlichen Raum (National Rural Employment Guarantee Act). Dieses garantiert 100 Arbeitstage pro Jahr zum Mindestlohn, das heißt 200 Rupien, ca. 2,25 Euro pro Tag. Nach offiziellen Angaben stieg nach der Ausgangssperre die Zahl der nach diesem Gesetz registrierten Arbeiter in vielen Staaten um über 150%. Und nicht weniger als 15 Millionen Arbeitern wurde der Aufnahmeantrag in dieses Unterstützungsprogramm verweigert. Nach Ende der Ausgangssperre am 1. Juni begannen die Arbeiter in die großen Städte zurückzukehren. Doch der beispiellose Konjunktureinbruch (er betrug von April bis Juni 2020 minus 23,9%) bedeutet, dass es schwierig ist einen Arbeitsplatz zu finden. Zahlreiche Betriebe entließen die Arbeiter einfach während ihrer Abwesenheit. Viele Arbeiter entdeckten nach ihrer Rückkehr, dass sie keinen Arbeitsplatz mehr hatten.

Doch die Situation derer, die in den Städten geblieben sind und ihre Arbeit bei Wiederöffnung der Betriebe aufnahmen, war kaum besser. Im August hatte der Druck, die Arbeit - ohne die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen - wieder aufzunehmen, offiziell bereits zu über 30 Arbeitsunfällen mit 75 Toten und 100 Verletzen geführt.

Die Regierung bevorzugt es, keine Angaben über die Ausbreitung des Virus in den Industriegebieten bekannt zu geben. Doch diese sind bedeutende Ansteckungsherde. Während der Ausgangssperre entschied die Regierung, dass Transportwesen, Bergwerke, Eisen- und Stahlindustrie lebenswichtig seien, und so mussten tausende Arbeiter in diesen Branchen weiterhin dichtgedrängt arbeiten. Verschiedene Bergwerksunternehmen gingen so weit, ihren Arbeitern mit Entlassung zu drohen, wenn sie nicht am Arbeitsplatz erschienen. Aber selbst nach Ende der Ausgangssperre wurden Beispiele bekannt, insbesondere in den Unternehmen Maruti, Bosch und Oppo, wo Infektionen von den Unternehmern absichtlich nicht gemeldet wurden, um die Produktion nicht zu behindern. So verzeichnete am 26. Juni eine Fabrik in Bajaj im Westen des Staats Maharashtra, in der 8.000 Arbeiter Motorräder herstellen, 140 Ansteckungen und 2 Todesfälle. Statt die Produktion zu stoppen, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen, schickte die Direktion Briefe an die zu Hause gebliebenen Arbeiter, die sich schützen wollten, und drohte, kein Gehalt mehr zu zahlen. Wie zu erwarten war, überschritt die Zahl der Infizierten 10 Tage später 250 Fälle und 5 Tote. Die in den letzten Monaten normal gewordene Arbeitszeitverlängerung hat zwei weitere Faktoren für die Ausbreitung des Virus begünstigt: die Müdigkeit und die Dauer, die man täglich mit anderen potenziell Infizierten zusammen ist.

Modi im Dienst der Kapitalisten

Die durch Covid-19 bedingte Verlangsamung der Weltwirtschaft hat sich für Indien als desaströs erwiesen. Schon 2010 war es schon klar, dass das Jahrzehnt mit jährlichen Wachstumsraten von durchschnittlich über 8% zu Ende ging. Seitdem sind die Wachstumsraten jedes Jahr gesunken. Nach der weltweiten Finanzkrise von 2007/2008 sind die Investitionen ununterbrochen zurückgegangen. 2019 befand sich Wirtschaft offiziell in einer Rezession. Trotz der Hilfsprogramme und der Senkung der Körperschaftssteuer von 30 auf 20% gab es im 2. Halbjahr 2019 einen Arbeitsplatzabbau in der Textil-, Metall-, Leder- und Automobilindustrie. Allein in der Autoindustrie wurden 350.000 Arbeitsplätze vernichtet. Als deutlich wurde, dass sich die Rezession wegen der Pandemie noch verschärfen würde, versuchte Modi für das ausländische Kapital so attraktiv wie möglich zu machen. Am 12. Mai – nach ungefähr etwas mehr als einem Monat Ausgangssperre – verkündete er während einer Fernsehansprache die Annahme seines Programms Atmanirbhar bharat, für ein „unabhängiges Indien“. Aber diese nationalistische Demagogie ist nur ein Versuch, die Aufmerksamkeit von der Katzbuckelei vor dem indischen und ausländischen Kapital abzulenken.

[…] Modi versucht nämlich, Indien für ausländische Investitionen attraktiver zu machen, die sich normalerweise auf China zu bewegten […] durch eine im September neu in Kraft getretene Arbeitsgesetzgebung. Diese Politik brachte ein paar Resultate. Foxconn, das für Apple die iPhones montiert, verlagerte einige Standorte nach Indien. Samsung eröffnete im Juli vor den Toren Delhis die größte Smartphone-Fabrik der Welt. Diese Politik heizte die indisch-chinesischen Spannungen bis hin zu militärischen Grenzscharmützeln an. […]

Modi versucht ebenfalls, die Privatisierung staatlicher Unternehmen zu beschleunigen und die staatliche Kontrolle des Binnenmarktes abzubauen, um ihn vermehrt für multinationale Konzerne zu öffnen. Die Privatisierungen sind kein neues Phänomen. Sie waren schon seit Anfang der 1990‘er Jahre Teil der Politik, die von der Kongress-Partei begonnen und seitdem von allen Regierungen fortgesetzt wurde. Jedoch wurde dieser Prozess in den letzten Monaten beschleunigt. Die Regierung kündigte an, sie werde die noch vom Staat gehaltenen Anteile insbesondere an Eisenbahnen, Banken, Bergwerken und Fluggesellschaften, an Rüstungs-, Erdöl und Logistikunternehmen, an Schiffswerften, Elektrizitätsgesellschaften und Lebensversicherungen verkaufen. Die staatlichen Beschränkungen in der Landwirtschaft wurden ebenfalls gelockert, um Nahrungsmittelkonzernen den Marktzugang zu erleichtern. Im Verteidigungssektor und der Landwirtschaft wurde der Anteil erlaubter ausländischer Direktinvestitionen vergrößert.

Eine solche Politik hat selbstverständlich direkte Konsequenzen für 100.000‘den Arbeiter im öffentlichen Dienst. Die Privatisierung der Eisenbahnen zum Beispiel wurde zum ersten Mal 1995 diskutiert, als die Kongresspartei an der Regierung war. Sie blieb weiterhin auf der Agenda der Regierung sowohl der Kongresspartei wie der BJP. Die indische Eisenbahngesellschaft ist ein gigantisches und höchst integriertes Unternehmen mit über 1,2 Millionen Beschäftigten und etwa ebenso vielen Rentnern und transportiert 8,4 Milliarden Personen pro Jahr! Ganz offensichtlich könnte kein einzelnes Unternehmen, nicht einmal ein Konsortium, einen solchen Koloss übernehmen. Deshalb teilt die Regierung ihn in Einheiten auf, die für bestimmte Zonen, Gleisanlagen, Fahrzeuge, Instandhaltung und Produktion etc. zuständig sind, um schließlich diese Teile getrennt verkaufen zu können. Im September 2020 hat Modi über 150 Züge, die 109 rentable Linien befahren mit Konzessionen von 35 Jahren zum Kauf angeboten. Bombardier, Alstom, Siemens, NIIF, GMR, ISquared Capital und andere sind dabei, ihre Kaufangebote vorzubereiten.

Die Privatisierung der Eisenbahnen ist für die Arbeiter verheerend. Die Bahn-Aufsichtsbehörde hat 2019 ihre Absicht erklärt, in den nächsten drei Jahren die Lohnausgaben um 10% zu senken, die Belegschaft um 50% zu reduzieren und die Rechte der 50.000 Bahn-Gewerkschafter anzugreifen. Die Eisenbahner, die in Rente gehen, werden nicht mehr ersetzt. Im September 2019 gab es bereits 300.000 nicht mehr besetzte Stellen. Andere, die das Unternehmen verlassen, werden durch Leiharbeiter ersetzt. Mittlerweile arbeiten bereits mehrere hunderttausend Zeitarbeiter bei der Bahn, und zwar zu wesentlich schlechteren Bedingungen.

Diese Situation hat auch merkliche Auswirkungen auf die Passagiere. Der Fahrkartenpreis in den Privatzügen ist höher, 1.050 Bahnhöfe werden „Nutzungssteuern“ auf den Fahrpreis draufschlagen und so die Züge noch unerschwinglicher für die Armen machen. Während die Privat- und Güterzüge auf den Gleisen Vorfahrt haben, werden 500 als unrentabel geltende Linien, die vor allem die ärmsten Regionen des Landes befahren, gestrichen. Die staatlichen Krankenhäuser, Schulen und Wohnungen, die bislang für Bahnarbeiter vorgesehen sind, sollen verkauft werden – ebenso wie die der Bahn gehörenden Grundstücke, auf denen viele Wohnungen ohne Baugenehmigung errichtet worden sind. Im September, mitten in der Pandemie, waren 45.000 Personen von Zwangsräumung bedroht, weil sie in der Region von Delhi auf Grundstücken wohnten, die der Bahn gehören. Sie warten noch auf eine Gerichtsentscheidung.

Neben diesen Generalangriff auf die Beschäftigten des öffentlichen Sektors verlor eine große Anzahl von Beschäftigten des privaten Sektors ihren Arbeitsplatz, was die Arbeitslosigkeit, die bereits vor der Coronakrise einen nie dagewesenen Höchststand erreicht hatte, erheblich verschärfte. Die zwanzig Millionen Arbeitsplätze, die Modi im Wahlkampf 2014 versprochen hatte, entstanden natürlich nie. Im Gegenteil, 2017-2018 war die Arbeitslosenquote so hoch wie seit 45 Jahren nicht. Zwischen August 2019 und August 2020 verloren 21 Millionen Lohnabhängige und 11 Millionen Tagelöhner ihren Arbeitsplatz. Doch hinter diesen Zahlen verbirgt sich eine noch viel größere Arbeitslosigkeit, wenn man die Langzeitarbeitslosen berücksichtigt und diejenigen, die die Hoffnung aufgegeben haben, eine Arbeit zu finden. In den ersten drei Septemberwochen hatten nach Angaben des Zentrums zur Beobachtung der indischen Wirtschaft (CMIE) nur 37,9% der arbeitenden Bevölkerung tatsächlich einen Arbeitsplatz.

Neue Arbeits- und Agrargesetze

Modi versucht zu beweisen, wie nützlich er für die Kapitalisten ist, indem er Maßnahmen ergreift, die den Auswirkungen der derzeitigen weltweiten Krise auf ihre Profite entgegenwirken sollen. Diese Maßnahmen hatten vor allem eins zur Folge: Angriffe auf die wenigen verbliebenen Schutzmaßnahmen für die Arbeiter in den Industriezentren und auf dem Land. Modi hat die Arbeit fortgesetzt, die die Regierungen vor ihm begonnen haben. Und er hat seine diesbezüglichen Anstrengungen seit der Pandemie verdoppelt.

Nach kaum einem Monat Ausgangssperre begannen die Regierungen einiger Bundesstaaten im Mai, ihre Arbeitsgesetze zu verändern, um ausländische Investoren anzulocken und ihnen die Geschäfte zu erleichtern. Ob der Bundesstaat von der BJP, der Kongress-Partei oder regionalen Bündnispartnern regiert wurde, machte keinen Unterschied. Alle beriefen sich auf die Tatsache, dass die Bundesstaaten auch das Recht haben, Gesetze zu erlassen, um bei der Anwerbung von Investitionen wettbewerbsfähiger zu sein. Für die gesetzlichen Rechte der Arbeiter bedeutet dies eine Nivellierung nach unten.

So hat die Regierung von Uttar Pradesh alle Arbeitsgesetze für drei Jahre suspendiert – nur drei Gesetze blieben in Kraft. Die Regierung von Madhya Pradesh befreite alle neuen Betriebe in den ersten 1.000 Tagen sowie alle Betriebe mit weniger als 40 Beschäftigten vom Großteil der Verpflichtungen, die nach den bestehenden Arbeitsgesetzen für sie gelten würden. Andere Dekrete erhöhten die Arbeitszeit. Anfang April verlängerte die Regierung von Gujarat die tägliche Arbeitszeit an sechs Tagen die Woche für drei Monate von 8 auf 12 Stunden. Zum ersten Mal seit fast einem Jahrhundert (seit dem Fabrikgesetz von 1922) hatten damit die Unternehmer das Recht, eine 72-Stunden-Woche einzuführen. Die von der Kongress-Partei regierten Staaten Rajasthan und Pandschab, die von der BJP regierten Staaten Himachal Pradesh und Mashya Pradesh sowie das von der Shiv Sena regierte Maharashtra [4] taten das Gleiche. Die Überstunden-Obergrenze wurde ebenfalls angehoben. Die Regierung von Maharashtra erhöhte sie von 75 auf 115 Überstunden pro Quartal und die Regierung von Karnataka sogar auf 125 Stunden.

Im September stimmte das Parlament dann der von der Zentralregierung vorgeschlagenen „Vereinfachung“ des Arbeitsgesetzes zu. Die 29 Arbeitsgesetze, von denen einige schon seit den 1940er Jahren in Kraft waren, wurden zu vier Gesetzen zusammengefasst: Gewerkschaften, Arbeitsvertrag, soziale Sicherheit sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Durch dieses bundesweite Gesetz wurden zahlreiche bereits von den Bundesstaaten durchgeführte Änderungen in einem nationalen Gesetz zusammengefasst. Einige lohnen, dass man sie hier erwähnt. So galten die Einschränkungen des Streikrechts bislang ausschließlich für Arbeiter der „lebenswichtigen Dienste“. Von nun an gelten sie für alle Arbeiter. Alle müssen nun Streiks 14 Tage vorher ankündigen. Die Ankündigung muss dem Unternehmer vorgelegt und von diesem genehmigt werden. Ein illegaler Streik kann zu hohen Strafen für die Arbeiter und zum Verbot einer Gewerkschaft führen. Die Betriebe können von jetzt an auch Arbeiter mit befristeten Verträgen immer und immer wieder verlängern, ohne ihnen irgendwann eine Festanstellung anbieten zu müssen. Schlimmer noch: Die Bosse können von nun an willkürlich unbefristete Verträge in befristete Verträge umwandeln.

Schließlich muss nach dem neuen Gesetz überhaupt nur noch dann ein schriftlicher Arbeitsvertrag mit dem Betrieb geschlossen werden, wenn der Betrieb mehr als 300 Beschäftigte hat (vorher lag die Grenze bei 100 Beschäftigten). Die Bundesstaaten sind darüber hinaus berechtigt, selbst diese 300er-Grenze noch anzuheben. Außerdem müssen die Betriebe mit weniger als 300 Beschäftigten zukünftig keine Genehmigung der Regierung mehr einholen, um einen Standort zu schließen oder Arbeiter zu entlassen. Dieses Gesetz entzieht also 90% der Fabrikarbeiter den Arbeitsvertrag.

Auch vorher wurden die Arbeitsgesetze nur in den Staats- und in den Großbetrieben tatsächlich eingehalten, und auch dies mit zahlreichen Ausnahmen besonders bei den Gelegenheits- und Zeitarbeitern. In vielerlei Hinsicht ist die Realität der Ausbeutung vor Ort viel schlimmer als das, was die neuen Gesetze erlauben. Die Unternehmer haben seit langem die Gewohnheit, das Gesetz zu ignorieren. Letztlich hing die Frage, wie viel gesetzlichen Schutz es für die Arbeiter gab, immer davon ab, welches Kräfteverhältnis sie gegenüber den Unternehmern durchsetzen konnten. In diesem Zusammenhang bedeuten diese Änderungen der Arbeitsgesetzgebung in erster Linie, dass Modi den Unternehmern grünes Licht signalisiert: Wenn diese den Arbeitern die Daumenschrauben anlegen wollen, über die legalen Grenzen der Ausbeutung hinaus… so wird die Regierung sich beeilen, das Gesetz so zu ändern, dass es der tatsächlichen Situation entspricht! Viele Unternehmer jedoch haben die neuen Gesetze noch gar nicht in ihren Fabriken anzuwenden gewagt. Denn sie wissen: Wenn sie versuchen, die Situation mithilfe der neuen Gesetze zu ihrem Vorteil zu verändern, dann müssen sie mit Kämpfen rechnen.

Die Bauern wurden ebenfalls angegriffen. Drei neue Agrargesetze schaffen das Mandi-System ab, das seit 1966 in Kraft ist. Dies garantiert Mindestpreise für 23 verschiedene Feldfrüchte, begrenzte den Import von Waren zu Dumpingpreisen und schützte so die lokalen Märkte. Es verbot auch, Waren im großen Stil einzulagern und zu hamstern. Dieses System schützte einen bedeutenden Teil der Bauern vor den Preisschwankungen der nationalen Märkte und auch der Weltmärkte. Es führte auch dazu, dass die Lebensmittelpreise erschwinglich blieben. Die neuen Gesetze Modis schaffen all diesen Schutz ab. Sie ermöglichen den großen Nahrungsmittelkonzernen, den Markt völlig unter ihre Kontrolle zu bringen.

Private Zwischenhändler können die Ernte nun direkt von den Bauern kaufen und sie dann - wo immer im Land - zu dem von ihnen ausgehandelten Preis weiterverkaufen. Und diese Liberalisierung findet in einer Situation statt, in der das Land bereits eine wachsende Zahl landwirtschaftlicher Produkte aus den USA importiert – aufgrund eines zwischen Modi und Trump Anfang 2020 ausgehandelten Vertrages. Dies hat bereits zu einem Preissturz mancher Produkte auf dem indischen Markt geführt.

Der Beginn eines Gegenschlags?

Weder in der Industrie noch in der Landwirtschaft haben die Arbeiter still Gewehr bei Fuß gestanden. Ende September organisierten die indischen Bauern – angeführt von ihren 350 Organisationen – sehr große Protestaktionen. In den vorwiegend landwirtschaftlichen Staaten des Nordens – Pandschab und Haryane - blockierten die Demonstranten Autobahnen und Eisenbahnlinien und verbrannten Portraits der Minister. Ganze Dörfer, Frauen und Kinder eingeschlossen, nahmen an dieser Bewegung teil. In den Staaten Maharashtra, Madhya Pradesh, Tamil Nadu und Karnataka nahmen die Bauern in sehr großer Zahl an den Demonstrationen teil. Es schlossen sich ihnen Frauen und Gruppen der „Unberührbaren“ an. Am 5. November blockierten eine Million Demonstranten die Autobahnen und organisierten Versammlungen. Diese Mobilisierung zwang die Bauerngewerkschaften, von denen einige von reichen Bauern dominiert sind, sich unzweideutig gegen die Regierung zu stellen. Als die Unruhen stärker und stärker wurden, traten die Partei Shiromani Akali Dal, die im Pandjab Teil von Modis Regierungsbündnis war, sowie alle ihre Mitglieder aus Modis Zentralregierung zurück. Der Modi-Regierung blieb entsprechend wenig Spielraum.

Und damit war es nicht zu Ende. Am 27. November strömten zigtausende Bauern aus den Staaten Pandjab, Haryana, Rajasthan, Uttar Pradesh und Madhya Pradesh nach Delhi. Sie hatten Nahrung und Decken mitgebracht und waren entschlossen, bis zur Rücknahme der neuen Agrargesetze in der Stadt zu kampieren. Auf ihrem Weg versuchten die Polizei und verschiedene andere bewaffnete Einsatzkräfte des Staates, sie mit Tränengas und Wasserwerfern aufzuhalten. Aber sie schafften es nicht, die von den Bauern gegen sie errichteten Straßenblockaden zu durchbrechen.

Entscheidend wird natürlich erst der Gegenschlag der Arbeiterklasse gegen Modi und seine Angriffe sein. Was war bis heute die Reaktion der traditionellen Organisationen der Arbeiterklasse?

Wie überall auf der Welt haben die indischen Gewerkschaftsführer seit vielen Jahrzehnten gezeigt, dass sie willige Bündnispartner der Bourgeoisie sind – und dass es ihnen viel mehr darum geht, die Energie der Arbeiter unter Kontrolle zu halten, als diese Energie für den Kampf für die Interessen der Arbeiter zu organisieren.

Trotz allem fühlen sich die Führer der kommunistischen Partei und der Kongresspartei von Zeit zu Zeit gezwungen, ihre Existenz zu rechtfertigen und rufen zu Generalstreiks und Demonstrationen in den großen Städten auf. Aber in diesem Jahr, angesichts der immensen Verschlechterung der Lebensbedingungen durch die Coronakrise und der tiefsitzenden Wut der Arbeitenden, sahen sie sich gezwungen mehr zu tun als ihren üblichen Zirkus.

Um ihre Ablehnung der Privatisierungspläne der Regierung deutlich zu machen, haben sie Ende Juni die Arbeiter der staatlichen Betriebe aufgerufen mobilzumachen. Vom 2. bis zum 4.Juli traten 500.000 Bergarbeiter und Arbeiter des Transportsektors in neun Bundesstaaten des Landes in den Streik – trotz der Truppen, die man aufmarschieren ließ, um sie einzuschüchtern und Streikbrecher zu schützen. Sie protestierten gegen die Privatisierung des Kohlebergbaus und forderten Lohnerhöhungen.

Am 26. November riefen diese Gewerkschaften zu einem Generalstreik im ganzen Land auf und koordinierten diesen Aufruf mit den Bauernorganisationen, mit denen sie in Verbindung stehen. Trotz der Verhaftung mehrerer Gewerkschaftsaktivisten am Vorabend des Streiks und obwohl der Streik in mehreren Bundesstaates auf Basis des Verbots öffentlicher Versammlungen von mehr als fünf Personen verboten wurde, traten an diesem Tag Millionen Arbeiter der Erdölraffinerien, der Metallindustrie, des Transportwesens, der kommunalen Stadtverwaltung, der Bergwerke, der Telekommunikation, der Banken, Baustellen, Versicherungen, Schiffswerften, Krankenhäuser, Häfen, Elektrizitätswerke sowie der Rüstungsindustrie in den Streik. In manchen Orten organisierten die Gewerkschaften Aufmärsche und Demonstrationen. Der Streik wurde besonders in Kerala, Tamil Nadu und Bengalen befolgt, wo manche Teile des Bundesstaates den ganzen Tag stillstanden. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei. In Assam verbrannten die Teeplantagenarbeiter Modi-Bilder. Die Wut und Kampfbereitschaft der jungen indischen Arbeiterklasse war für alle sichtbar.

Es ist nützlich, einen anderen Streik zu erwähnen, der vom 9. November an in der Autoindustrie organisiert wurde, die nicht von den Gewerkschaften zum Streik am 26. November aufgerufen war.

Durch die Entlassung von 500 Zeitarbeitern während der Ausgangssperre, die Beschleunigung der Fließbänder und Belästigungen durch einen Gewerkschaftsvertreter auf die Palme gebracht, gab es eine Fabrikbesetzung durch 1.200 Arbeiter der Toyota-Kirloskar-Fabrik – in der Nähe der Stadt Bengaluru im Staat Karnataka, im Süden des Landes. Die Unternehmer erklärten, dass der Streik illegal sei und die Arbeiter die Corona-Schutzmaßnahmen verletzen würden, indem sie sich versammeln. Aus Furcht, dass die Bewegung sich ausbreitet, sperrte das Unternehmen alle 6.500 Arbeiter seiner zwei Standorte aus. Innerhalb weniger Tage betrug die Zahl der Streikenden 3500. Trotz der Suspendierung von 39 weiteren Gewerkschaftsverantwortlichen und dem Befehl der Landesregierung, die Produktion wieder aufzunehmen, dauerte der Streik 20 Tage.

In diesen letzten Wochen gab es Streiks und Fabrikbesetzungen in der Textil- und Schuhindustrie sowie den Subunternehmen der Autoindustrie – gegen die Versuche der Unternehmer, unter dem Vorwand der Covid-19-Krise die Löhne zu senken und Einsparungen vorzunehmen. Wir können nur hoffen, dass der bei Toyota-Kirloskar organisierte Streik und die anderen Mobilisierungen, insbesondere die anhaltenden, sehr entschlossenen Bauern- und Landarbeiterproteste Anzeichen für die notwendigen Kämpfe der Zukunft sind.

 

27. November 2020

 

[1] Am 14 Januar 2021 hatte die Zahl der Opfer 150.000 überschritten.

[2] New Delhi, die Hauptstadt, ist Teil des Ballungsraums Delhi.

[3] Hauptstadt von Tamil Nadu, früher Madras.

[4] Faschistoid-nationalistisch-hinduistische Partei, die 1989 – 2018 Verbündete der BJP war.