Was bedeutet es politisch, "im Lager der ArbeiterInnen" zu sein? (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - Mai 2007)

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Was bedeutet es politisch, "im Lager der ArbeiterInnen" zu sein?
Mai 2007

Einige politische Aktivisten haben sich angegriffen gefühlt durch das Plakat, auf dem wir über Arlette Laguiller schreiben: "Wer anderes könnte ehrlich behaupten, im Lager der Arbeiter zu sein?"

Einige haben gesagt: "Aber es gibt auch andere, die die Arbeiter verteidigen", und Kandidaten haben gesagt, dass sie selber Arbeiter seien.

In der Tat kann man ein Arbeiter sein und oft dennoch überhaupt nicht die Arbeiter verteidigen. Und man kann vorgeben, sie zu verteidigen in der Art von Marie-George Buffet, Ségolène Royal oder sogar Sarkozy, der behauptet, die Arbeit wieder aufzuwerten und den Arbeitern mehr Lohn zu verschaffen, indem er die Steuern und Sozialabgaben auf die Überstunden abschafft.

Man kann auch so tun, als verteidige man die Arbeiter durch einige Phrasen, die untergehen in einer Flut anderer, ökologischer, globalisierungskritischer, antikapitalistischer oder antiliberaler Forderungen, die nicht für eine wirkliche Veränderung des sozialen Kräfteverhältnisses zwischen der Arbeitswelt und der kapitalistischen Klasse stehen.

Der Liberalismus, die Globalisierung oder die Verwüstung des Planeten sind die Folgen des Kapitalismus, und keine von ihm unabhängigen Fehler. Also, bevor dieses soziale System endgültig gestürzt werden kann, muss man dafür sorgen, dass die Arbeiter und die Bevölkerung möglichst genau die Taten und vor allem die Finanzen, das heißt die Buchführung und die Vorhaben der großen Konzerne und der kleinen Betriebe, die meist von ihnen abhängen, kontrollieren können.

Deshalb können wir sagen, dass niemand anderes als Arlette Laguiller ehrlich behaupten kann, sich im Lager und ausschließlich im Lager der Arbeiter gegen die Bourgeoisie befindet.

Auf derselben Ebene haben sich die Presse und einige andere oft lustig gemacht über die Formulierung "Arbeiterinnen, Arbeiter", die von Arlette Laguiller systematisch bei ihren Veranstaltungen gebraucht wird.

Auf der anderen Seite machen sie sich nicht lustig über alle die Politikerinnen und Politiker, die sich an die "Französinnen und Franzosen", die "Bürgerinnen und Bürger" oder an die ,geschätzten Landsleute' wenden. Dabei könnten sie es, denn sie gebrauchen diese absolut abgenutzten Formulierungen schon wesentlich länger als Arlette die ihre.

Aber diese Formulierungen sind nicht nur abgenutzt, sie sind vor allem eine Lüge.

Denn alle "Franzosen", alle "Bürger" oder auch alle "geschätzten Landsleute" sind nicht gleich, weder vor dem Gesetz noch in der Gesellschaft. Auf der einen Seite gibt es die Reichen und auf der anderen Seite die Armen. Es gibt die kleinen und großen Unternehmer, und es gibt diejenigen, die sie bereichern, die Arbeiter. Die ersten profitieren von der Arbeit der letzteren, die selbst nur ihre Arbeit zum Leben haben, oder besser gesagt ihren Lohn, denn sie profitieren nicht von dem Produkt ihrer ganzen Arbeit.

Aber unter den Arbeitenden gibt es die lohnabhängigen Arbeiter, und es gibt die Gastwirte, die Inhaber eines Frisörladens, die Handwerker, die Unternehmer eines Kleinbetriebs, die sagen, dass sie ebenfalls arbeiten. Formal stimmt das. Der Unterschied ist jedoch, dass sie nicht nur von ihrer eigenen Arbeit leben, sondern auch von der Arbeit derjenigen Arbeiter, die sie ausbeuten. Und in den großen Betrieben werden sie es teilweise unter abscheulichen Bedingungen, sei es an den Fließbändern der Automobilindustrie, in den Bergwerken, denn es gibt sie noch, auf dem Bau und in allen Bereichen menschlicher Aktivität, die im Besitz der Unternehmer sind, von der Chemieindustrie bis zu den Nähereien.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den verschiedensten Kategorien der lohnabhängig Beschäftigten. Es gibt Arbeiter, Angestellte, Techniker, mittlere und höhere Angestellte, Krankenschwestern, Lehrer, Eisenbahner, Postboten... und die Liste dieser Kategorien ist sehr lang. Viele von diesen Arbeitern wollen leider nicht mit den anderen in einen Topf geworfen werden, und sie halten sich teilweise für etwas Besseres. Und die am wenigsten bewussten von ihnen wollen nicht gleich bezahlt werden. Sie interessieren sich nicht für die Einkommen der Reichsten, sondern fühlen sich nur an ihrem Platz, wenn es schlechter bezahlte Arbeiter gibt als sie.

Wenn sie kämpfen, wenn sie zum Beispiel streiken, dann sind ihre Forderungen unterschiedlich von denen anderer, und so streiken sie für Forderungen, die nur ihre Kategorie betreffen.

Oft sind die Bewegungen, die man heute sieht, Kämpfe der Arbeiter gegen die Entlassungen, oder genauer gesagt, gegen ihre eigene Entlassung, weil der Boss einen so genannten "Sozialplan" beschlossen hat und einen Teil von ihnen auf die Straße schmeißen will. In dem Moment kämpfen sie mit dem Rücken zur Wand. Ihr Streik stört den Unternehmer nicht, der ja die Produktion verringern will. Sie kämpfen in der allgemeinen Gleichgültigkeit der Arbeiter der anderen sozialen Kategorien, die sich nicht betroffen fühlen, wenn sie nicht gar manchmal erleichtert sind, dass der Kelch für dieses Mal an ihnen vorbei gegangen ist.

In der Vergangenheit und vor allem zu der Zeit, als es viele Arbeiter gab - nicht nur in der Industrie, sondern im Allgemeinen Menschen, die Handarbeiter waren arbeiteten - da hatte die große Mehrheit von ihnen das Bewusstsein, zu einer gleichen und gemeinsamen sozialen Klasse zu gehören und auch das Bewusstsein, dass es in dieser Gesellschaft zwei große Klassen gibt: Die Unternehmer auf der einen und die Arbeiter auf der anderen Seite. Zwei wichtige Klassen mit entgegen gesetzten Interessen, denn sie Teilen sich auf sehr ungleiche Weise das Sozialprodukt, das durch die Aktivität der Lohnabhängigen geschaffen wird.

Heute hat dieses Bewusstsein eine Tendenz zu verschwinden, und man könnte glauben, dass es sogar komplett verschwunden ist. Das ist nicht ganz wahr. Man kann in einigen sozialen Konflikten sehen, dass es, wenn auch begrenzt, wieder erscheint. Man kann dort sehen, dass es noch im Bewusstsein der Arbeitenden existiert, und dass es niemals aus dem Bewusstsein der Unternehmer verschwunden ist. Man braucht sich heute nur die Vorschläge der Führer des Unternehmerverbandes anzuhören, um zu sehen, wie sehr sie die allgemeinen Interessen ihrer eigenen sozialen Klasse zu verteidigen wissen.

Diese Situation ist zum Teil Gründen geschuldet, die nicht nur von den Arbeitern selbst abhängen.

Die Wurzeln der Einheit der Arbeiter

Da ist zunächst die Tatsache, dass die politischen Parteien wie die Sozialistische Partei, die zu ihren guten Zeiten, im 19. Jahrhundert, die Arbeiterklasse verteidigten, dies heute nicht mehr tun. Sie verteidigen nicht ihre moralischen und nicht einmal ihre materiellen Interessen. Sie haben nur einen Wunsch: Sich in den Staatsapparat der Bourgeoisie zu integrieren, dort Abgeordnete, Senatoren, Minister und Berater von diesem oder jenem zu haben, nicht um das Los der Massen zu verändern, sondern um ihr eigenes zu verändern.

Gleichzeitig haben auch die Gewerkschaften der Arbeiter ihren grundlegenden Charakter geändert. Sie sind heute mehr dazu geneigt, mit den Unternehmern zu reden statt die Arbeiter zu organisieren, um diese in die Lage zu versetzen, sich zu verteidigen und vor allem damit sie den Willen haben, dies gemeinsam zu tun. Die Gewerkschaften vertreten nicht die Tatsache, dass es eine einzige Arbeiterklasse gibt, egal um welche Kategorien es geht. Sie verteidigen vor allem die Forderungen einzelner Kategorien, um ihre Existenz zu rechtfertigen. Sie sind der Auffassung, dass sie mehr Chancen haben, etwas zu erreichen, wenn sie nur wenig verlangen. Sie denken, wenn sie nicht offensiv sind, haben sie eher eine Chance, ihren Verhandlungspartner, den Unternehmer, zu erweichen, und dass dies ausreicht, um ihren Einfluss in der Arbeitswelt zu erhalten. Sie bereiten keine Kämpfe mehr vor und organisieren sie auch nicht mehr, sondern sie denken, dass sie nur durch die Verhandlungen mit der Unternehmerschaft und durch die Gesetze, die ihre "gewerkschaftlichen Rechte" schützen, existieren.

Dies ist natürlich eine Fehleinschätzung, denn es gibt heute sehr wenig Arbeiter, die gewerkschaftlich organisiert sind, das heißt, die Mitgliedsbeitrag bezahlen, und noch wesentlich weniger, die ein wenig ihrer Zeit dafür verwenden, das gewerkschaftliche Leben zu organisieren. Aber die Verhandlungen, die im Zusammenhang mit den gewerkschaftlichen Rechten existieren, erhalten sie am Leben, und dafür brauchen sie gar keine Mitglieder.

Einige unter den gewerkschaftlichen und politischen Aktivisten, die ihre Ideen noch nicht aufgegeben haben, sind der Meinung, dass diese Situation unumkehrbar ist. Die Aktivisten von Lutte Ouvrière wissen, dass es im sozialen und politischen Leben Höhen und Tiefen gibt, dass es lange Zeiträume gibt, in denen das Klassenbewusstsein der Arbeiter zurückgeht, aber dass es auch Momente gibt, in denen es plötzlich wieder nach oben schießt und wo die Arbeiter den Geist der Solidarität, der Zusammenarbeit, die Dynamik und die Kampfbereitschaft wieder finden, die ihre Welt charakterisieren.

In der Vergangenheit hat man als Beispiel die Solidarität der Bergleute genannt. Wenn es einen Unfall in einem Bergwerk gab, ertönten die Sirenen in den Zechensiedlungen und alle Bergleute der umliegenden Zechen kamen gerannt, um ihren Kameraden zur Hilfe zu eilen, wobei sie manchmal ihr eigenes Leben riskierten. Das stimmte in den Zechen, das stimmte für die Seeleute, das stimmte für die Industrie oder für den Bau und es ist heute noch wahr. Eben das ist die Solidarität, die man auf der Arbeit lernt. Aber diese Solidarität wurde erhalten von den bewusstesten Arbeitern, die in den Gewerkschaften und den Arbeiterparteien organisiert waren.

Diese Solidarität findet man jedoch in den Kämpfen wieder, in denen die Arbeiter das Risiko auf sich nehmen, Geld und manchmal sogar ihren Arbeitsplatz zu verlieren, aber in denen sie davon überzeugt sind, dass von ihrem Sieg alle profitieren werden.

Natürlich beginnt man keinen Kampf aus Spaß. Für die Arbeitenden ist das kein Spiel. Es handelt sich nicht darum, ein paar Scheiben einzuschmeißen, eine Zahlstelle auf der Autobahn zu blockieren, ein paar Reifen zu verbrennen oder Büros zu verwüsten.

Nein, es handelt sich um eine Kraftprobe zwischen den Unternehmern und den Arbeitern. Es handelt sich darum, die Unternehmer in ihrem Geldbeutel zu treffen, indem man die Arbeit niederlegt, indem man die Fabriken besetzt. Jeder Lohnabhängige riskiert dabei, Geld zu verlieren, aber die Unternehmer verlieren wesentlich mehr davon, wenn die Beschäftigten die Arbeit niederlegen. Ihr Reichtum kommt von der Arbeit, von der Arbeit der Anderen, und ihr Geldbeutel ist wesentlich empfindlicher als ihr Herz.

Die Aktivisten von Lutte Ouvrière arbeiten, um solche Organisationen wieder aufzubauen. Zunächst einmal um wieder eine politische Organisation aufzubauen, aber sie kämpfen auch im Inneren der Gewerkschaften, nicht um politisch zu werben, sondern um sie möglichst kämpferisch zu machen und sie dahin zu drängen, die allgemeinen Interessen der Beschäftigten besser zu vertreten.

Zu den Wahlen anzutreten ist für sie kein Selbstzweck. Es handelt sich ganz einfach darum, die Redefreiheit, das bisschen Demokratie, was in dieser Gesellschaft existiert zu nutzen, um ihre Ideen zu verteidigen, um sie bekannt zu machen und die größtmögliche Anzahl an Arbeitern für sie zu gewinnen. Aus diesem Grund passen sich unsere Kandidaten nicht den Ideen an, die kurzzeitig die Jugend bewegen. Dies zu tun würde ihnen vielleicht Stimmen einbringen. Aber nur auf Kosten dessen, was sie eigentlich verteidigen wollen. Sie stützen sich ausschließlich auf das Klassenbewusstsein der Arbeiter. Wenn dieses zurückgeht, dann geht auch der Anklang von Lutte Ouvrière zurück. Aber ihre Aktivisten werden sich nicht den Modeströmungen anpassen, insofern als diese Strömungen nicht zukunftsträchtig für die Gesellschaft sind.

Es geht ihnen darum, wieder eine Partei aufzubauen, die die Arbeitenden benötigen, eine Partei, die ihre sozialen und vor allem politischen Interessen vertritt. Das ist möglich. Die Wahldemokratie, das haben wir oft gesagt, ist eine Falle, da die Arbeiter hier nicht die Mittel haben, sich speziell Gehör zu verschaffen. Diejenigen, die hier am meisten das Wort haben, verzerren alle Ideen, alle sozialen Fakten, die Wirklichkeit. Wenn Nicolas Sarkozy erklärt, dass er die Arbeit wieder aufwerten will, dann handelt es sich nicht um die Arbeit der Lohnabhängigen. Nein, er möchte unter diesem Namen die Lage der Unternehmer, insbesondere der großen Bosse aufwerten. Man braucht sich dafür nur anzuschauen, wer seine persönlichen Freunde sind.

Revolten der Jugend und Kämpfe der Arbeiter

Man könnte sagen, dass die Arbeiterkämpfe heutzutage zwar zurückgehen, aber dass sie durch die Kämpfe der Jugend ersetzt werden, durch die der Jugend in den ärmeren Vierteln oder der Schüler und Studenten.

Aber das stimmt nicht, denn so radikal diese Kämpfe auch sein mögen, sie haben überhaupt keine Möglichkeit, diese Gesellschaft in einem positiven Sinn zu verändern. Durch das Verbrennen der Autos seiner Nachbarn ändert man die Gesellschaft nicht. Man wird sie auch nicht ändern, wenn man die Räume seiner eigenen Schule oder Universität zerstört.

Selbstverständlich haben die Studenten im Kampf gegen den "Ersteinstellungsvertrag" (CPE) nicht nur das gemacht. Sie haben zahlreich an den großen Demonstrationen während jener Wochen teilgenommen. Sie haben Versammlungen organisiert, um ihre Bewegung zu koordinieren. Sie haben von keiner "Leitung" gesprochen, sondern von "Koordinationen", welche diese Bewegung mehr oder weniger geleitet haben, aber die nicht das Ziel hatten, die Gesellschaft zu ändern und vor allem, die die Unternehmer nicht störten. Sie haben die Regierung soweit gestört, dass diese sich zu einem Rückzieher gezwungen sah, aber sie waren keine Keimzelle oder auch nur der Versuch einer Gegenmacht zu der der Bourgeoisie. Deshalb ist es nicht diese Art von Kämpfen, die die Gesellschaft ändern können. Außerdem bleibt, wenn sie beendet sind, nichts von ihnen, denn ihre Akteure haben zwei oder drei Jahre später niemanden mehr, dem sie davon erzählen könnten.

Was die Demonstrationen angeht, selbst wenn sie sehr groß sind, so können sie zwar die Kämpfe beeinflussen, aber sie ändern selber nichts, wenn nichts Bedeutendes folgt.

Viele Jugendliche, die vom Gefühl her links sind, wenn sie auch teilweise der Sozialistischen Partei oder der PCF feindlich gesinnt sind oder gar in allen Parteien nur Sekten sehen, glauben, es würde ausreichen, auf die Straße zu gehen, um die Dinge zu ändern. Jene, die 2002 zwischen den beiden Wahlgängen der Präsidentschaftswahl an der Bastille demonstrierten und dann Chirac wählten (und damit Sarkozy) - überzeugt, den Faschismus zurückgedrängt oder gar gestoppt zu haben - standen neben der Realität. Wenn es zu dieser Zeit tatsächlich eine faschistische Gefahr gegeben hätte, wären sie an der Bastille massakriert worden und hätten vielleicht nicht einmal die Möglichkeit gehabt, bei einem verbotenen zweiten Wahlgang zu wählen.

Aber diese Kinderei resultiert nicht aus einem Mangel an Intelligenz, sondern viel einfacher aus einem Mangel an Erfahrung und politischer Kultur. Erfahrung und Kultur, die man nur erwerben kann durch die Teilnahme an den Aktivitäten einer Partei, die sich energisch und ausschließlich für die politischen und sozialen Interessen der Arbeitswelt einsetzt. Einer Partei, die in dieser Bevölkerung das Bewusstsein verteidigt und aufrechterhält, zu einer gleichen sozialen Klasse zu gehören.

Die Unternehmer, besonders die größten und mächtigsten, stört diese Art von Aktionen überhaupt nicht.

Natürlich kann eine solche Aktion die Regierung daran hindern, ein bereits beschlossenes Gesetz in Kraft zu setzen, wie es beim Gesetz über die "Ersteinstellung" (CPE) der Fall war. Aber für die Unternehmer ändert das nichts. Das ändert nur etwas für die politischen Lakaien des Kapitals, aber es verringert nicht die ökonomische Macht des Kapitals und ändert weder die Gesellschaft noch das soziale Kräfteverhältnis.

Die entscheidende Tatsache ist, dass die Arbeiter trotz der Entlassungen eine zahlreiche und stabile Klasse sind. In einem Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten bleiben Hunderte von ihnen 10, 20, 30 oder 40 Jahre in demselben Betrieb. Hunderte, die dieselben Erfahrungen sammeln, Hunderte, die sich untereinander kennen lernen, die Verbindungen knüpfen und solidarisch sind, und das vor allem, wenn es viele gibt, die sich für den Erhalt des gewerkschaftlichen Lebens engagieren oder gar für eine politische Partei, die die politischen Interessen der Arbeitenden vertritt.

Dagegen bleiben die Schüler nur kurze Zeit in der Mittel- beziehungsweise der Oberstufe, insbesondere diejenigen, die mit 15 bis 18 Jahren das Alter haben, um nachdenken zu können. Auch die Studenten sind nur ein paar Jahre lang Studenten. Nach diesen wenigen Jahren wird eine Minderheit Ärzte, Rechtsanwälte, Führungskräfte in Politik oder Wirtschaft, nachdem sie an einer Eliteuniversität studiert haben. Die überwiegende Mehrheit jedoch wird lohnabhängig. Sie werden intellektuelle Arbeiter, deren Leben wie das ihrer handarbeitenden Kollegen von ihrem Lohn abhängig ist. Auch ihre Zukunft hängt von ihren Bossen ab. Wenn ein Aufsichtsrat in Paris, Berlin, New York oder Tokio entscheidet, die Entlassung von Personal sei für ihren Aktienkurs an der Börse besser, dann entledigen sie sich ihrer als wären es einfache Taschentücher, auch wenn sie Ingenieure sind.

Das geschieht beispielsweise beim Airbus-Konzern und auch bei Peugeot-Citroën, wo Arbeiter, aber auch leitende Angestellte rausgeworfen werden. Das aber ist der Unterschied zwischen den Revolten der Jugend und den Arbeiterkämpfen.

Deshalb müssen die jungen Oberstufenschüler und Studenten, wenn sie zur Veränderung der Gesellschaft beitragen wollen, auch wenn sie noch jung und Schüler und Studenten sind, sich den Arbeitern anschließen. Sie müssen die Kultur, die sie bekommen haben und ihre weitherzigen Ideen, die sie als Jugendliche haben, einbringen. Sie müssen also zur Gründung einer Partei der Arbeitswelt beitragen, einer Partei zur Umwälzung der Gesellschaft, einer revolutionären Partei.

Aus diesem Grunde wenden wir, die Mitglieder von Lutte Ouvrière, uns im Wesentlichen an die Arbeiter, junge wie weniger junge.

Wir begrüßen den Enthusiasmus und die Radikalität der Schüler und Studenten. Wir verstehen die Gründe für die - wenn auch blinde - Gewalt der Jugendlichen in den benachteiligten Stadtteilen, während wir gleichzeitig deutlich machen, dass wir mit ihren Taten nicht einverstanden sind.

Gegenüber den Jugendlichen der Vorstädte ebenso wie gegenüber den Jugendlichen der Oberstufe und der Universitäten verteidigen wir eine Politik, die darin besteht, das politische und soziale Bewusstsein der Arbeiter zu stärken.

Natürlich, die Jugend der Vorstädte ist arbeitslos und die Schüler oder Studenten arbeiten noch nicht. Aber sie gehören dennoch der sozialen Klasse der Arbeiter an. Die Arbeiter, die Arbeitslosen und selbst die in Rente gegangenen Arbeiter gehören einer gleichen sozialen Klasse an und die Jugendlichen, wenn sie dies auch noch nicht sind, gehören doch vollständig zu dieser Klasse. Zunächst durch ihre Familie, in der sie geboren sind und wo sie leben, und auch durch ihre Zukunft, auch wenn sie sich weigern, diese Zukunft in Betracht zu ziehen.

Man kann sich fragen, was es bedeutet, heute sozialistischer oder kommunistischer revolutionär zu sein

Revolutionär sein bedeutet natürlich, für eine radikale Veränderung der Gesellschaft zu sein. Es geht dabei nicht um eine Revolution in der Literatur, den Künsten oder den Sitten wie 1968 und den darauf folgenden Jahren, noch um einen "Bruch", von dem ohne zu lachen die politischen Führer inklusive der Führer der Rechten heute reden.

Revolutionär sein bedeutet, hinzuwirken auf eine so radikale Veränderung, wie es die französische Revolution im 18.Jahrhundert war, und eine noch tiefgehendere, als es die russische Revolution 1917 war, die sich auf ein einziges Land beschränkte, in dem obendrein noch 90% der Wirtschaft und der Bevölkerung rückständig waren, am rückständigsten in ganz Europa.

Eine solche soziale Veränderung zielt darauf ab, die kapitalistische Wirtschaft abzuschaffen und den damit verbundenen Imperialismus sowie ihre derzeitige Maske, den "Liberalismus" und die "Globalisierung".

Das bedeutet die Abschaffung des Privateigentums einer reichen Klasse an allen großen Produktions-, Verteilungs- und Transportmitteln. Das schlimmste ist nicht, dass sie diese Produktionsmittel besitzt, das schlimmste ist, dass ihre Funktionsweise nicht logisch und zusammenhängend ist. Sie ist zwar kohärent innerhalb eines Betriebs, aber zwischen den Betrieben und zwischen den Ländern finden der Austausch und die Verteilung auf anarchistische Weise statt. Sie läuft nach dem Prinzip der Suche des größtmöglichen Profits und der Konkurrenz zwischen Allen auf dem kapitalistischen Markt, wo die Regulierung des Austauschs immer nur verspätet stattfindet, über katastrophale Stöße. Dies führt zu einer enormen Verschwendung an sozialem Produkt und zu teilweise katastrophalen Wirtschaftskrisen. Diese Krisen führen zu einer drastischen Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiter, die nur durch deren eventuelle Reaktionen begrenzt wird. Die Kapitalistenklasse, die gefesselt ist an ihre Produktions- und Verteilungsweise, an die Regulierung durch den Markt, muss die Arbeitenden so viel wie möglich ausbeuten, um den größtmöglichen Profit daraus zu erzielen.

In den wirtschaftlich entwickelten Ländern begrenzen die Reaktionen der geballten und mächtigen Arbeitswelt - auch wenn sie diese Macht nicht immer einsetzen - den Grad dessen, was das Kapital vom Arbeitsprodukt an sich reißt. Aber selbst in den armen, sehr armen, unterentwickelten Ländern, in denen das durchschnittliche Einkommen je Einwohner oft hundert mal geringer ist als das pro Kopf-Einkommen in den Industriestaaten, Länder, in denen die Armut extrem, die Lebenserwartung um die Hälfte verkürzt und die Kindersterblichkeit katastrophal ist, selbst hier ist der globale Kapitalismus noch in der Lage, aus den armen Teufeln Mehrwert herauszusaugen. Natürlich weniger pro Einwohner als in den anderen Ländern, aber er gleicht dies durch die Masse wieder aus.

Für eine Veränderung der Gesellschaft ist es nötig, den Aufsichtsräten der großen Konzerne und auch der anderen die wirtschaftliche Macht aus den Händen zu nehmen, die es ihnen ermöglicht, eine soziale und politische Diktatur über die Gesamtheit der anderen Klassen auszuüben, wie auch immer die mehr oder weniger demokratischen Formen des Landes aussehen.

Revolutionär sein bedeutet, an der Vorbereitung einer solchen Veränderung der Gesellschaft, an einer solchen Revolution zu arbeiten. Dafür braucht man Instrumente, Parteien, welche die Erfahrung der arbeitenden Klasse, die Erinnerung an ihre Kämpfe darstellen und daraus Lehren ziehen, die ihre Mitglieder politisch ausbilden. Man muss also mindestens eine solche Partei schaffen, deren Propaganda und Tätigkeit in der Welt der Arbeit auch darin besteht, eine möglichst große Anzahl von jungen oder weniger jungen Arbeitern dazu zu bewegen, sich gemeinsam für das gleiche Ziel zu organisieren.

Die wirtschaftliche Diktatur der Bourgeoisie über die ganze Gesellschaft oder die soziale Demokratie ohne die Macht der Bourgeoisie

Aber die Akteure dieser sozialen Umwälzung und vor allem des sozialen und politischen Regimes, das durch sie entsteht, können nur die lohnabhängigen Arbeiter sein. Denn um gegen die wirtschaftliche Diktatur des Bürgertums kämpfen zu können, müssen sich enorm viele Individuen, die an einer solchen Umwälzung, an einer solchen Revolution interessiert sind, an den Entscheidungen und den Aktionen beteiligen.

Warum die lohnabhängigen Arbeiter und nicht andere soziale Kategorien, die manchmal ebenso durch dasselbe Wirtschaftssystem unterdrückt werden, ohne sich dessen immer bewusst zu sein? Das ist der Fall bei den Handwerkern, teils bei kleinen Unternehmern, bei den Mitgliedern der intellektuellen Klassen und bei vielen anderen noch, die zwar finanziell besser gestellt sind als die Arbeiter am unteren Ende der Leiter, die aber in einer unmenschlichen Gesellschaft leben, die wenig günstig ist für die menschliche und kulturelle Entwicklung, inklusive der eigenen.

Die lohnabhängigen Arbeiter sind natürlicherweise die soziale Kategorie, die in der größten Anzahl am selben Arbeitsort zusammengeballt ist, weil sie sich hier täglich zu Hunderten oder Tausenden zusammenfinden. Täglich können sie sich versammeln, entscheiden, demokratisch diskutieren, ohne sich zwangsläufig in die Hände von politischen Führern begeben zu müssen, die weit von ihnen entfernt sind. Und in jedem Fall, auch wenn sie auf solche Delegationen ihrer Macht zurückgreifen müssen, was notwendig ist in einem großen Land, so haben sie die Mittel, diese zu kontrollieren und sogar zu zwingen, im Sinne der Interessen der Bevölkerung zu handeln.

Das eben ist der Kommunismus, das ist die soziale Demokratie, die man der Diktatur des Kapitals entgegenstellen kann.

Natürlich kann man, aus Provokation oder als propagandistischer Slogan, wie Marx es tat, sagen, dass dies ebenfalls eine Diktatur sei. Aber eine soziale Diktatur der ungeheuren Mehrheit, der Arbeiterklasse, über eine verschwindend kleine Minderheit, die Bourgeoisie und die ausschließlich im Sinne der Interessen der gesamten Bevölkerung wirkt.

Daher können die sozialistischen und kommunistischen Revolutionäre, gestern wie heute oder morgen, nur auf die Arbeiter zählen, um die wirtschaftliche Basis der Gesellschaft zu verändern und eine demokratische Regierung zu errichten, eine Regierung, die sich nach und nach in der Gesamtheit der Bevölkerung auflösen wird, indem sie sich immer mehr dezentralisieren wird, je mehr die Konflikte zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten verschwinden werden.

Die Entscheidungen, die wir der Jugend vorschlagen

Das bedeutet es, Revolutionär zu sein, heute wie gestern, und genau deshalb können sich die Revolutionäre nicht damit begnügen, sich auf die Ausbrüche oder sogar Kämpfe der Jugend zu stützen, auch wenn die Jugend einen großen Platz in einer solchen Revolution haben wird.

Deshalb vertreten wir gegenüber der Jugend dieselben Ideen wie gegenüber den Arbeitenden. Wir wollen ihren Aktionen nicht auf dem Fuß folgen, noch in die Richtung dessen gehen, was sie unmittelbar beschäftigt noch der Wege, in die sie mit ihrer Radikalität gehen.

Wir sagen denjenigen, die vor die Bastille gezogen sind, um 2002 gegen Le Pen zu demonstrieren, nicht, das sie Recht hatten, und noch weniger denjenigen, die damals Chirac gewählt haben oder aufgerufen haben, für ihn zu stimmen. Wir sagen auch der Minderheit, die gegen die Wahl von Sarkozy demonstriert hat nicht, dass sie Recht hat, und wir werden es auch nicht sagen. Die Mittel, um die Dinge zu ändern, hätte man sich vorher geben müssen, nicht erst wenn die Wahl vorbei ist.

Die Wahl Sarkozys ist keine politische Katastrophe. Ihn so darzustellen, wie man Le Pen in der Vergangenheit dargestellt hat, ist die schlechteste Art, gegen die Unterdrückung durch die Finanzmächte, wie sie Sarkozy politisch repräsentiert, zu kämpfen.

Le Pen bedeutete nicht, dass der Faschismus an der Schwelle zur Macht stand. Und Sarkozy bedeutet nicht, dass der Faschismus das Amt des Präsidenten der Republik erobert hat. Er ist ein Mann der Rechten, aber nicht mehr als Chirac, Giscard, Pompidou oder de Gaulle, und auch nicht weniger als François Mitterrand, der ein falscher Mann der Linken war, der mit der Regierung von Petain geflirtet, die Repression in Algerien geleitet, Kämpfer der FLN und pro-algerische französische Kämpfer zum Tode verurteilt hat.

Man darf Gegenwart und Zukunft nicht als Katastrophe einschätzen.

Wir werden der Jugend nicht sagen, dass die Globalisierung ein neues und weltumstürzendes Phänomen ist. Sie existiert in ihrer schlimmsten Form seit mehr als einem Jahrhundert. Und diejenigen, die aus der Globalisierungskritik oder dem Antiliberalismus eine Fahne machen, haben keine andere Alternative zu bieten, als die Rückkehr zu geschlossenen wirtschaftlichen Grenzen und zu Zollrechten zu fordern, die alle Konsumgüter im Inneren des Landes verteuern würden.

Die Erderwärmung ist eine angekündigte Katastrophe, aber die kapitalistische Gesellschaft verursacht Katastrophen, die heute schon aktuell sind und ebenso schlimm. Und gegen diese Katastrophen muss man kämpfen und nicht einfach nur versuchen, die politischen und wirtschaftlichen Führer der Erde davon zu überzeugen, verantwortungsbewusster zu sein, oder besser noch die Bevölkerung davon zu überzeugen, lieber mit dem Fahrrad als mit dem Auto zu fahren. Milliarden Bewohner der Erde haben kein anderes Transportmittel als ihre Füße. Denn sie haben überhaupt keine öffentlichen noch privaten Transportmittel. Und das zwingt sie, manchmal Dutzende Kilometer jeden Tag zu Fuß zu gehen. Hiergegen müsste man versuchen anzugehen.

Und dafür braucht man Werkzeuge. Und das erste Werkzeug, wie wir bereits sagten, ist eine mächtige politische Partei, die die politischen Interessen der Arbeitswelt vertritt, denn nur die Arbeitenden haben die ausreichende Anzahl, die Macht und die soziale Rolle, um die Gesellschaft auf wirtschaftlicher, sozialer und sogar ökologischer Ebene zu ändern und aus ihr eine wirkliche Demokratie zu machen.

Wir kandidieren bei Wahlen, sicher, aber vor allem, wie wir weiter oben gesagt haben, um eben diese Ideen zu verteidigen und nicht, um möglichst viele Prozente zu bekommen. Und wenn wir die bekommen, dann auf der Grundlage eben dieser Ideen.

In den Wahlen enthält unsere Propaganda Forderungen, die wir verbreiten wollen, damit sie die Forderungen zukünftiger Kämpfe werden, vor allem der großen Kämpfe. Und diese großen Kämpfe der Arbeiter haben eben die Eigenschaft, dass sie das Bürgertum angreifen, die Unternehmerschaft, indem sie die Produktion berühren, die Wirtschaft zum Stillstand bringen und so die Profite anhalten.

Darin besteht die Kraftprobe, in der man der Bourgeoisie grundlegende Forderungen aufzwingen kann.

Wir sprechen zwar in unserem Programm auch von einigen wirtschaftlichen Forderungen, die durch die konkrete soziale Lage der arbeitenden Klasse bedingt sind, wie die Wiederherstellung des Lebensstandards, bei den niedrigsten Löhnen wie bei allen anderen, den Stopp sämtlicher Subventionen für die kapitalistischen Unternehmen, um mit diesem Geld Stellen im Öffentlichen Dienst zu schaffen oder wie die Erhöhung der Besteuerung der Gewinne, um die notwendigen Sozialwohnungen zu bauen, die der ganzen Bevölkerung so dringend fehlen. Doch das Zentrum unseres Programms ist das Ziel der Kontrolle der Arbeiter, der Vereine, der gesamten Bevölkerung über die Buchführung und die Vorhaben aller großer Unternehmen sowie aller mittleren und kleinen Betriebe, die von diesen großen abhängen.

Das ist nicht das Programm einer Revolution, sondern eine zentrale Forderung für einen großen und allgemeinen Kampf, denn sie würde zu einer entscheidenden Veränderung im sozialen und politischen Kräfteverhältnis führen. Es wäre auch ein Übergang zwischen einem ausschließlichen Forderungskatalog und einem Programm, das in einer revolutionären Krise angemessen ist.

Demgegenüber werden wir nicht in die Richtung der vorherrschenden Strömungen innerhalb der Jugend oder einem Teil der Arbeiter gehen und vage und unbestimmte Ziele wie Globalisierungskritik, Umweltschutz oder einen unbestimmten Antikapitalismus vertreten, nur um Stimmen zu gewinnen. "Wählerstimmen bekommen" ist kein Selbstzweck. Selbst wenn wir gewählt würden, könnten wir ohne eine mächtige Massenbewegung, die die Mehrheit der Arbeiter vereint, nichts an der Gesellschaft verändern.

Deshalb wenden wir, die Mitglieder von Lutte Ouvrière, uns vor allem an die Arbeiter und an die jungen oder weniger jungen zukünftigen Arbeiter.

aus Lutte de Classe - Mai 2007