Es ist zwar nicht neu, dass gewisse Strömungen, die behaupten, der radikalen Linken anzugehören, Bewegungen folgen, die nicht nur außerhalb der Arbeiterklasse stehen, sondern ihr sogar feindlich gegenüberstehen. Aber vor einigen Jahrzehnten verkleideten sich diese Bewegungen mehr oder weniger als Sozialisten. Heute fühlen sich die Führer der Bewegungen, die darauf abzielen, die Volksmassen der Länder der Dritten Welt oder die aus der Einwanderung stammende Bevölkerung der Industrieländer anzuführen, nicht mehr verpflichtet, eine solche Bezugnahme zu verwenden, und die Verwirrung großer Teile der radikalen Linken ist umso sichtbarer. Das dritte Europäische Sozialforum (ESF), das im Oktober in London stattfand, ist ein gutes Beispiel dafür. Tariq Ramadan, der weltliche Fundamentalist, den Millionen von Fernsehzuschauern in letzter Zeit beobachten konnten, der sich hartnäckig weigerte, die Steinigung ehebrecherischer Frauen zu verurteilen, und sich heuchlerisch hinter der Forderung nach einem „Moratorium“ - also einem vorübergehenden Aussetzen der Strafe - versteckte, war einer der Stars. Und die Tatsache, dass es eine Debatte zwischen ihm und dem damaligen Innenminister Sarkozy war, ändert nichts an der Sache.
In ihrer Ausgabe vom 21. Oktober wendet sich Rouge, die Wochenzeitung der Ligue Communiste Révolutionnaire, gegen die Art, wie die Presse über dieses Europäische Sozialforum berichtet hat. Indem sie insbesondere die KP-Zeitung L'Humanité zitiert - welche unter der Überschrift ‚Genug ist genug‘ über die Anwesenheit von Ramadan schrieb: „Acht Reden in etwas mehr als vierundzwanzig Stunden, das ist ein Rekord, den das Londoner ESF wirklich hätte vermeiden können“ -, gab der Redakteur von Rouge ein „zweifellos“ zu und fügte aber sofort hinzu: „Warum die Aufmerksamkeit auf einen sehr nebensächlichen Aspekt des Forums lenken?“
Aber wie kann man sich auf die revolutionären Ideen berufen und behaupten, dass die demonstrative Anwesenheit von Islamisten bei diesem Forum ein „sehr nebensächlicher Aspekt“ ist?
Diese Anwesenheit stand im Zusammenhang mit der Politik der Hauptveranstalterin dieses Forums, der britischen Socialist Workers Party, die seit langem diejenigen, die sie als „radikale Islamisten“ bezeichnet, umwirbt. Aber das Problem ist nicht auf die radikale Linke jenseits des Ärmelkanals beschränkt.
Das islamische Kopftuch, ein Werkzeug der Befreiung?
In Frankreich äußerte sich die Selbstgefälligkeit eines Teils der radikalen Linken gegenüber Islamisten vor allem in der Frage des Tragens des Kopftuchs in den Schulen. Dieses Problem wurde 1989 öffentlich angesprochen, als der Schulleiter des Gymnasiums von Creil (Nordfrankreich) beschloss, Mädchen, die sich weigerten, am Unterricht ohne Kopftuch teilzunehmen, den Zutritt zu seiner Bildungseinrichtung zu verweigern. Im Namen der individuellen Freiheit oder mit der Begründung, dass den Ausgeschlossenen der Zugang zu öffentlichen Schulen nicht verwehrt werden dürfe, demonstrierten eine Reihe linksradikaler AktivistInnen neben verschleierten Frauen und Bärtigen, welche mehr oder weniger diskret um sie herumstanden. Viele von ihnen waren mit der britischen Socialist Workers Party verbunden. Einige schlossen sich der Gruppe Socialisme par en bas an und wurden später Mitglieder der LCR oder der JCR [LCR-Jugendorganisaiton, NdÜ].
Diese Art, das Problem im Namen der Freiheit eines jeden, seine Religion auszuüben und seine Traditionen zu wahren, zu stellen, ist offensichtlich völlig falsch. Einerseits ist sie das Ergebnis einer paternalistischen Haltung eines Ethnologen, der ein Zeichen der Gleichheit zwischen allen kulturellen Praktiken setzt, und nicht das Ergebnis einer militanten Haltung. Andererseits übersieht sie die notwendige Solidaritätspflicht gegenüber allen Frauen, die sich weigern, unter dem Schleier eingesperrt zu werden. Aber das Schlimmste ist, dass diese Anhänger des Islamismus nicht zögern, die Realität völlig zu verschleiern, um ihren Standpunkt zu rechtfertigen.
So antworteten zwei von ihnen in einem Artikel, der im November 1994 in der Zeitung Socialisme International veröffentlicht wurde, auf die Frage: „Ist das Tragen des islamischen Kopftuchs ein Symbol der Unterdrückung von Frauen?“, unverblümt: „Nein. In einem Land, in dem die Machthaber zunehmend Rassismus einsetzen, um die Aufmerksamkeit der Arbeiter/innen abzulenken, ist das islamische Kopftuch vor allem ein Symbol des Widerstands gegen die religiöse und rassistische Unterdrückung, unter der junge muslimische Frauen leiden.“
„Religiöse Unterdrückung“? Man glaubt zu träumen. Obwohl viele Muslime ihre Religion nur in verwahrlosten Räumlichkeiten ausüben können und obwohl die einwandererfeindliche Demagogie oder der Rassismus bestimmter Gemeinden nicht immer ohne Bezug dazu stehen, betrachtet der französische Staat die muslimischen Religionsbehörden seit langem als gültige Gesprächspartner. Der Islam hat Anspruch auf seine wöchentliche religiöse Sendung im Fernsehen auf dem Fernsehsender France 2. Dabei bestand die Politik des „Ministeriums für Inneres und Religionsangelegenheiten“, unter den Linksdemokraten wie unter den Rechtsdemokraten, von Chevènement bis Sarkozy, bei all ihrer vorgeblichen Laizität darin, die Organisierung eines „Islam Frankreichs“ zu fördern.
Die Autoren des oben erwähnten Textes zitieren selbstgefällig die Worte eines Vertreters des Sozialministeriums, der 1994 bestätigte, dass das Tragen des Kopftuchs „ein Phänomen der Emanzipation sei. Mit ihren Kopftüchern fühlen sie sich emanzipiert. Indem sie sich der Autorität Gottes unterstellen, befreien sie sich von der Autorität ihrer Väter und Brüder“.
Dieselben Verteidiger der islamistischen Sache schreiben in einem anderen Text: „Alles deutet darauf hin, dass entgegen den Behauptungen der Rechten, die von der konformistischen Presse und einer Mehrheit der Linken verbreitet werden, die muslimischen Mädchen in ihrer Mehrheit aus Missachtung der herrschenden Moral beschlossen haben, dieses religiöse Zeichen zu tragen“. Selbst wenn dies zutreffen sollte, was ist mit dieser „Missachtung der herrschenden Moral“ gemeint? Wenn nicht der Respekt vor der von Islamisten vertretenen Moral, die Frauen zu minderwertigen Wesen macht, die ihren Vätern, Brüdern oder Ehemännern unterworfen sind? Sicherlich nicht das Streben nach einer Moral, die die Gleichstellung von Mann und Frau und das Recht der letzteren auf volle Freiheit verkündet!
Dass eine bestimmte Anzahl junger muslimischer Frauen das Kopftuch freiwillig trägt, ist zweifellos richtig. Für einige von ihnen ist es nur eine andere Art, ihre Teenager-Krise zu durchleben. Andere reagieren sensibel auf die Tatsache, dass es sie in den Augen der Medien interessant macht. Auf der anderen Seite gibt es auch diejenigen, die sich nicht in der Lage fühlen, den Kampf anzuführen, um sich davon zu befreien. Und schließlich gibt es diejenigen, die zutiefst an der reaktionärsten Auslegung des Islam festhalten. Aber was auch immer ihre Gründe für das Tragen des Kopftuchs sein mögen, dies ändert nichts an der Haltung, die alle Revolutionäre in dieser Frage einnehmen sollten. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, das Recht der Unterdrückten zu verteidigen, die Hand zu lecken, die ihre Leine hält, sondern zu versuchen, sie auf diese Unterdrückung aufmerksam zu machen.
Auch die katholische Kirche ist in der Lage, Tausende von Frauen aufzustellen, welche die reaktionären Ansichten des Papstes über Sexualität, Verhütung, Abtreibung ... und die Minderwertigkeit der Frauen, die des Priesteramtes nicht würdig sind, teilen. Aber was beweist dies, wenn nicht (und das ist für Marxisten offensichtlich), dass die herrschende Ideologie in der Lage ist, sich großen Teilen der Unterdrückten und Ausgebeuteten aufzudrängen?
Diejenigen, die behaupten, dass diese jungen muslimischen Frauen nicht unter dem Druck ihrer Väter das Kopftuch tragen, haben nicht ganz Unrecht. Sie stehen öfter unter dem Druck von Brüdern oder sogar von Jugendlichen aus der Nachbarschaft, denn, für viele von ihnen, sind diejenigen, die den Schleier nicht tragen, nur „Huren“. Aber diese Pro-Islamisten, die sich - ohne Angst, sich lächerlich zu machen – damit brüsten, feministisch zu sein, schauen einfach weg. Die Mädchen, die beleidigt oder misshandelt werden, weil sie das Kopftuch nicht tragen, die Gewalt gegen Frauen, das alles besteht für sie nicht. Wie z.B. Sohane, diese junge Frau, die im Pariser Vorort Vitry-sur-Seine lebendig verbrannt wurde, und ihr Mörder, der bei der Nachstellung des Verbrechens von jungen Leuten des Wohnviertels sogar noch Applaus bekam!
Socialisme par en bas stellt im Übrigen fest, dass leider die meisten Sympathisanten des Islamismus jung sind, und dass „ein Teil der älteren Migranten gegenüber der öffentlich behaupteten Erneuerung der religiösen Praxis feindlich eingestellt sind“. Diese Organisation setzt aber ihnen „die Jugendlichen, (die beginnen) ihre Gemeinschaft- und Religionszugehörigkeit stolz zur Schau zu stellen“, entgegen und fügt hinzu: „So kann man das immer häufigere Tragen des islamischen Kopftuchs in Frankreich verstehen“. Für diese seltsamen „Sozialisten“ waren es also nicht diejenigen, deren Verhalten die Integration nicht nur in die französische Gesellschaft, sondern auch in die Arbeiterklasse dieses Landes begünstigte - auch wenn es offensichtlich auch in ihrem Verhalten den Wunsch gab, auf sich nicht aufmerksam zu machen -, die das richtigere Verhalten hatten, sondern die Jugendlichen, die stolz waren, „ihre Gemeinschaft- und Religionszugehörigkeit zur Schau zu stellen“, was nur dazu beitragen kann, die Arbeiterklasse - jedoch die einzige respektable „Gemeinschaft“ für Revolutionäre - zu spalten!
Was halten sie von dem Verhalten der von den Islamisten beeinflussten Arbeiter, die sich weigern, die Hand einer ihrer Arbeitskollegin zu schütteln, weil sie eine Frau ist?
Was halten sie von dem auf alle Arbeitenden aus Ländern mit muslimischer Tradition ausgeübten und gar nicht diskreten Druck, um das Fasten während des Ramadan einzuhalten, auch wenn sie es nicht wollen, was auch ein Mittel zur Bekräftigung einer „Gemeinschaftszugehörigkeit“ ist? Kein Sozialist, der diesen Namen verdient, kann den Kommunitarismus, ob religiös oder nationalistisch, als positives Phänomen betrachten. Es ist definitionsgemäß ein spaltender Faktor in der Arbeiterklasse und als solche eine Ideologie, die man bekämpfen muss. Die Arbeiterbewegung hat sich immer die Aufgabe gestellt, allen Arbeiter/innen, unabhängig von ihrer Nationalität oder ihrer Herkunftskultur, unabhängig von ihren religiösen Vorstellungen, das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer und derselben sozialen Klasse, dem internationalen Proletariat, zu geben. Aber offensichtlich arbeiten diejenigen, die den Islamisten folgen, nicht in diese Richtung.
Auch der „Islamismus der Armen“ ist reaktionär
Chris Harman, einer der Führer der britischen Socialist Workers Party, unterscheidet zwischen dem „Islamismus der alten Ausbeuter“ und dem der „neuen Ausbeuter“, dem der „neuen Mittelschicht“ und dem der „Armen“. Aber zu sagen, dass die Menschen, die unter dem Banner des Islamismus antreten, je nach ihrer sozialen Situation diesem Engagement nicht den gleichen Inhalt geben, ist eine Binsenweisheit, die an den reaktionären Charakter dieser Ideologie nichts ändert. Die Bauern der Vendée, die sich in der Französischen Revolution gegen die von der Convention [Nationalkonvent, konstitutionelle Versammlung während der französischen Revolution, NdÜ] verordnete Wehrpflicht auflehnten, hatten natürlich nicht die gleichen Hoffnungen wie die sie umgebenden Junker oder gar die emigrierten Fürsten, für die sie ihr Blut vergossen. Ihre Cahiers de doléances (Beschwerdehefte) von 1789 unterschieden sich nicht von denen anderer Bauern des Königreichs. Andererseits wollten sie ihr Dorf nicht aufgeben, um eine Revolution zu verteidigen, die vor allem der Bourgeoisie der Städte zugutegekommen war. Die Chouannerie - wie man diese Aufstandsbewegung nannte, NdÜ - war eindeutig eine Volksbewegung, da sie sich auf einen großen Teil der einfachen Bevölkerung des ländlichen Westens des Landes stützte. Dennoch war sie offensichtlich eine reaktionäre Bewegung, und dies umso mehr, als der Adel des alten Regimes die Fäden dabei zog.
Die britische SWP kokettiert aber nicht mit dem „Islamismus der Armen“, sondern mit den islamistischen Intellektuellen, deren politisches Projekt sicherlich nicht darin besteht, für die Verbesserung des Loses der Armen zu kämpfen, auch wenn sie sich nur auf die Muslime beschränken. Wenn Tariq Ramadan in den Augen der SWP der Vertreter der armen Muslime ist, dann darf sich der Papst ebenso berechtigterweise als Vertreter der Armen in Lateinamerika bezeichnen!
Obwohl sie zwischen „Islamismus und Armen“ unterscheiden will, ist sich die SWP des reaktionären Charakters der vom Islamismus im Allgemeinen vermittelten Ideen durchaus bewusst. „Die Klassenbasis des Islamismus - schreibt Chris Harman - ist ähnlich wie die des klassischen Faschismus (...). Diese Bewegungen rekrutierten ihre Mitglieder sowohl aus den kleinbürgerlichen Angestellten und dem studentischen Milieu wie auch aus den Geschäftsinhabern und Freiberuflern des traditionellen Kleinbürgertums. Dies, zusammen mit der Feindseligkeit der meisten islamistischen Bewegungen gegenüber der Linken, den Frauenrechten und den säkularen Ideen, veranlasste viele Sozialisten und Liberale dazu, diese Bewegungen als faschistisch anzuprangern“. Nachdem er zu Recht behauptet hat, dass „dies ein Fehler ist“, erklärt er, dass „die kleinbürgerlichen Bewegungen nur dann faschistisch werden, wenn sie in einer bestimmten Phase des Klassenkampfes auftreten und eine bestimmte Rolle als Schlägertrupps spielen, die bereit sind, dem Kapital bei seinem Vorhaben, Arbeiterorganisationen zu zerstören, zu dienen“.
Der Vollständigkeit halber hätte Chris Harman hinzufügen können, dass der Faschismus von Mussolini oder von Hitler ein Phänomen der Industrieländer war und dass selbst im Falle von Khomeinis Iran trotz der Rolle der Milizen der „Revolutionswächter“ der Gebrauch des Verweises auf den Faschismus unsachgemäß wäre. Aber einerseits bedeutet die Tatsache, dass der Islamismus nicht gleichbedeutend mit Faschismus ist, nicht, dass er nicht bekämpft werden soll; und andererseits leben die Islamisten, an die sich die SWP und ihre Nachahmer wenden, nicht in einem Land der Dritten Welt, sondern in Großbritannien und in Frankreich. Und es gibt gar keine Garantie dafür, dass die Großbourgeoisie dieser Länder im Falle einer sozialen Krise diese Bewegungen als arbeiterfeindliche Milizen nicht benutzen könnte.
Chris Harman sagt offensichtlich nicht, dass wir die Ayatollahs im Iran hätten unterstützen sollen: Seit dem Zusammenbruch des Schah-Regimes 1979 ist genug geschehen, dass sich niemand mehr traut, solchen Unsinn zu sagen. Er erlaubt sich sogar, linke Strömungen wie die „Volksmudschaheddin“ und die „Fedajin“ zu kritisieren, die Khomeini unterstützten, bevor er sie zerschlug (und die, nebenbei bemerkt und ohne ihre Politik zu rechtfertigen, unter dem Druck der Massen standen, die auf Khomeini gehofft hatten). Aber das hinderte die SWP in Großbritannien, wo sie offensichtlich nicht unter solchem Druck steht, nicht daran, in die Fußstapfen der von ihr so genannten „radikalen Islamisten“ zu treten, und es hinderte sie auch nicht daran, gegenüber der algerischen FIS größte Selbstgefälligkeit zu zeigen. In einer 1992 in Frankreich von ihrer Strömung veröffentlichten Broschüre sind zum Beispiel diese bedeutsamen Zeile zu lesen: „Von einem ideologisch-politischen Werkzeug der reaktionärsten Schichten in den 1970er Jahren konnte die muslimisch-fundamentalistische Bewegung vor 1988 zu einem Werkzeug der Kleinbourgeoisie werden, und dann sich zu einer kleinbürgerlichen Partei entwickeln, die von einem bedeutenden Teil der ärmsten und arbeitenden Massen als Lautsprecher gegen das bürgerliche Regime benutzt wird. (...) Sie war die einzige Massenpartei, die (...) das Volk dazu aufrief, das Regime zu stürzen und nicht zu reformieren, die zu einer Revolution und nicht zu kosmetischen Korrekturen aufrief. Der Aufstieg der FIS spiegelt den Aufstieg der revolutionären Gefühle (auch wenn sie sehr verwirrt sind) unter den arbeitenden und benachteiligten Klassen in Algerien wider“.
Dann kann man immer wiederholen, dass wir „unsere eigenen unabhängigen Organisationen aufbauen müssen, die weder mit den Islamisten noch mit dem Staat identifiziert werden können“, was ändert das? Dafür sollte man mit einer Politik beginnen, welche den von der muslimischen Religion beeinflussten Arbeitenden die islamistischen Führer nicht als mögliche Verbündete der Arbeiterklasse darstellt, und welche die Verwirrung über den zutiefst reaktionären und arbeiterfeindlichen Charakter des Islamismus und der Islamisten nicht noch vergrößert.
Das zweite Leben der „Dritten Welt“-Bewegung
Chris Harman zieht eine Parallele zu dem, was vor einem halben Jahrhundert in Argentinien geschah, und schreibt: „Obwohl Peron bestimmte Themen aus der faschistischen Bilderwelt entlehnte, übernahm er die Macht unter außergewöhnlichen Umständen, die es ihm erlaubten, Arbeiterorganisationen einzugliedern und zu korrumpieren, während er staatliche Interventionen nutzte, um die Profite der Großgrundkapitalisten in die industrielle Expansion, umzulenken.“ Und nachdem er, mit etwas Schönreden, auf die Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiterklasse in den frühen Jahren des Peronismus hinweist, kommt er zu dem Schluss: „Das ist genau das Gegenteil dessen, was unter einem wirklich faschistischen Regime geschehen wäre. Dennoch bezeichneten die liberale Intelligenz und die Kommunistische Partei Argentiniens das Regime weiterhin als ‚Nazi-Peronismus‘, was die Mehrheit der Linken heute in Bezug auf den Islamismus tut“.
Es ist offensichtlich, dass der Peronismus der 1940er und 1950er Jahre nicht mit Faschismus gleichgesetzt werden soll. Aber zu schreiben, dass Peron die Profite der Großgrundkapitalisten „umlenkte“, ist eine Unwahrheit. Weder das argentinische Bürgertum als Ganzes noch die „Großgrundkapitalisten“ mussten unter Peron leiden. Letzterer verteidigte getreu die Interessen der Besitzenden, indem er einfach die außergewöhnlichen wirtschaftlichen Umstände des Endes des Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit, als es keinen Mangel an Märkten für argentinisches Fleisch und Weizen gab, benutzte, um zu versuchen, den Griff des US-Imperialismus ein bisschen zu lockern.
Aber indem er dem US-Imperialismus auf diese Weise entgegentrat, war Peron nicht „antiimperialistisch“ geworden, wenn dieses Wort irgendeine Bedeutung hat. Er stellte den Imperialismus im Allgemeinen nicht in Frage. Er forderte lediglich einen besseren Platz für Argentinien in der imperialistischen Weltordnung.
Letztlich ist es eine alte Idee von allerlei Dritte-Welt-Aktivisten, die hinter der Selbstgefälligkeit der SWP gegenüber dem Islamismus steckt. „Diejenigen Linken, die den Islamismus als eine ‚faschistische‘ Bewegung sehen, vergessen die destabilisierende Wirkung islamistischer Bewegungen auf die kapitalistischen Interessen im Nahen Osten zu berücksichtigen ...“. Als bestünde das Problem darin, kapitalistische Interessen zu „destabilisieren“, unabhängig davon, was als nächstes passiert, und nicht zu handeln, damit die Arbeiterklasse an die Macht kommt.
Dass sich die britische SWP viel mehr für die islamische Intelligenz als für den „Islamismus der Armen“ interessiert, wird deutlich, wenn Chris Harman schreibt, dass „die jungen Islamisten im Allgemeinen die klugen und anspruchsvollen Produkte der modernen Gesellschaft sind. Sie lesen Bücher und Zeitungen, sehen fern und sind sich daher aller Spaltungen bewusst, die innerhalb ihrer eigenen Bewegung auftreten (...). Sie werden heftige Debatten zwischen ihnen erleben ...“.
Die SWP erwartet viel von diesen Debatten, die „in den Köpfen einiger von ihnen Zweifel wecken werden. Die Sozialisten können von diesen Widersprüchen profitieren, um einige der radikalsten Islamisten dazu zu bringen, ihre Bindung an islamistische Ideen und Organisationen in Frage zu stellen“. Und die praktische Schlussfolgerung lässt sich mit einer lapidaren Formel zusammenfassen: „Mit Islamisten manchmal, mit dem Staat nie“.
Diese „Mit dem Staat nie“-Losung klingt vielleicht radikal, sie ist aber vollkommen dumm, denn nicht alle Gesetze, die vom bürgerlichen Staat ausgehen, sind rundheraus abzulehnen: Sollten wir gleichgültig gegenüber den Versuchen, die Gesetzgebung über den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch in Frage zu stellen, sein, unter dem Vorwand, dass eine bürgerliche Regierung, übrigens eine rechte Regierung, sie ins Leben gerufen hat? Sollten die Arbeiter/innen den zahlreichen Änderungen des (bürgerlichen) Arbeitsgesetzes gegenüber gleichgültig bleiben? In Wirklichkeit besteht das radikale Aussehen dieser Losung nur, um den Opportunismus gegenüber den Islamisten zu tarnen. Das französische Gesetz, das das Tragen des islamischen Kopftuchs in den Schulen verbietet, ist vielleicht heuchlerisch, wenn es das Problem auf dem Terrain der Laizität stellt, während es sich vor allem darum handelt, die Unterdrückung der Frauen zu bekämpfen, und man kann dem bürgerlichen Staat nicht trauen, wie es durchgesetzt wird. Aber sich dagegen zu stellen, bedeutet, den Islamisten direkt in die Hände zu spielen, mit der schändlichen Losung: „Mit dem Staat niemals, mit den Islamisten ja“.
Hinter dem theoretischen Nebel, in dem sich die SWP bewegt, gibt es in ihrer Herangehensweise an die „radikalen Islamisten“ die Sorge, Partner zu finden, um die von ihr geforderte breite Wahlfront zu bilden. Dies ist der rein britische Aspekt des Problems. Aber wenn ihre Selbstgefälligkeit gegenüber dem Islamismus in bestimmten Bewegungen der radikalen Linken in anderen Ländern ein Echo findet, so ist das auf die Art und Weise zurückzuführen, wie die meisten Strömungen, die sich als revolutionär-sozialistisch bezeichneten, gegenüber der Entwicklung der Kämpfe um koloniale Unabhängigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Beziehung zur Dritten Welt-Bewegung standen. Damals schmückte die überwiegende Mehrheit der Organisationen, die behaupteten, trotzkistisch zu sein, die kleinbürgerlich-nationalistischen Führungen, die sich manchmal mehr oder weniger „sozialistisch“ nannten (das war in Mode), deren Programm aber keineswegs „sozialistisch“ war, mit attraktiven Farben. Die algerische Nationale Befreiungsfront, die castristische Bewegung, die vietnamesische Nationale Front für die Befreiung und viele andere wurden als „antiimperialistische“ Führungen dargestellt, die imstande waren, sich in echte Sozialisten zu verwandeln. Der Verlauf der Ereignisse zeigte, welchen Wert diese Illusionen hatten. Die Anzahl der Bewegungen, die fälschlicherweise als sozialistisch bezeichnet wurden, variierte je nach dem Grad an Optimismus, oder besser gesagt an Blindheit, der betrachteten linksradikalen Strömungen. Auch der Entwicklungsstand in der Verwandlung zum Sozialismus war unterschiedlich. Aber das Ergebnis dieser Analysen war immer das gleiche: den kleinbürgerlich-nationalistischen Führungen zu folgen und nichts zu tun, um die Arbeiter/innen gegen deren politischen Perspektiven zu warnen.
Heute haben die kleinbürgerlichen Führer, die um die Macht ringen, nicht mehr das Bedürfnis, sich Sozialisten zu nennen. In Ländern mit muslimischer Tradition neigen sie eher dazu, sich als Islamisten zu bezeichnen. Aber sowohl von ihren Zielen als auch von ihren Methoden her sind sie dennoch die Nachkommen der pseudosozialistischen Organisationen der vergangenen Jahrzehnte ... ebenso wie ihre Befürworter unter den radikalen Linken die Nachkommen der Dritten-Welt-Bewegung von einst sind.
Der einzige Unterschied, und noch dazu ein wichtiger, besteht darin, dass die europäischen revolutionären Aktivisten der 1950er/1980er Jahre sehr wenig Mittel hatten, die Ereignisse in Vietnam, Algerien oder Kuba zu beeinflussen, während die Aktivität der islamistischen Gruppen die Arbeiterklasse in Großbritannien, Frankreich oder Deutschland direkt betrifft.
Es ist in der Tat die Pflicht der Revolutionäre, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um eingewanderte Arbeiterinnen und Arbeiter ausländischer Herkunft für kommunistische Ideen zu gewinnen. Aber den islamistischen Führern den Hof zu machen, stellt keine Abkürzung zu diesem Ziel dar: Man kommt dem Ziel nie näher, wenn man ihm den Rücken kehrt!
10. November 2004