Für die Verteidigung der Pensionen (Zwei Artikel von Lutte Ouvrière im Mai 2003)

Imprimir
Für die Verteidigung der Pensionen
Mai 2003

Artikel von Lutte ouvrière (9. Mai 2003) über das Projekt der Regierung gegen die Pensionen in Frankreich

Der große Schwindel der Zahlen

Propaganda und Lügen, die sich auf angebliche "wirtschaftliche Notwendigkeiten" stützen, welche die Angleichung der Pensionen nach oben "unmöglich" machen, nicht aber nach unten, finden kein Ende. Das Zauberwort von der Bewegung der Unternehmen Frankreichs (Medef) und der Regierung ist der angebliche "demographische Schock". Nachdem, so geben sie vor, die Bevölkerung in den kommenden Jahren altern wird, gäbe es bei der Beibehaltung der für eine volle Pension notwendigen Beitragsdauer immer weniger Erwerbstätige, die für die immer zahlreicher werden Pensionisten einzahlen würden.

So präsentiert scheint die Sache dem gesunden Menschenverstand nach logisch. Nur, dass diese Argumentation von einer bestimmten weltanschaulichen Tendenz bestimmt ist.

Laut Experten und insofern man überhaupt sagen kann, was in 37 Jahren geschehen wird, gäbe es 2040 zwei Nichterwerbstätige (Pensionisten oder Kinder und Jugendliche) pro Berufstätigem. Heute sind es 1,6 Nichtserwerbstätige pro Berufstätigem.

Auf 40 Jahre aufgeteilt - wäre diese Entwicklung katastrophal? Absolut nicht. Aber um sie als katastrophal erscheinen zu lassen, verwendet man Ablenkungsmanöver und lässt gewisse Faktoren beiseite... dabei nicht die unwesentlichsten.

Sicherlich produzieren die Berufstätigen den sozialen Wohlstand, der es der Allgemeinheit ermöglicht, über die notwendigen Existenzmittel zu verfügen. Man möchte uns glauben machen, dass die Kapazität der Berufstätigen, den ehemalig Berufstätigen korrekte Pensionen zu sichern, allein vom zahlenmäßigen Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Pensionisten abhängig ist.

Das bedeutet aber unter den Teppich zu kehren, dass einerseits der produzierte Wohlstand jährlich anwächst (durch die Steigerung der Produktivität), und andererseits die Pensionisten nicht die einzigen sind, die von diesem Kuchen leben ohne zu arbeiten. Das tun auch und vor allem die Kapitalisten, die einen immer größeren Teil abziehen: laut offizieller Angaben 30 Prozent vor zwanzig Jahren, 40 Prozent heute.

Auf der Basis der aktuellen Pensionsniveaus wären für die Finanzierung der zukünftigen Rentner bis 2040 jährlich 0,56 Prozent des jährlichen Produktionszuwachses notwendig. Doch sogar in Zeiten wirtschaftlichen Rückgangs steigt die Produktivität um mindestens 1,5 bis 2 Prozent pro Jahr. Es gibt also bei weitem genug, um nicht nur die Pensionen zu bewahren, sondern auch die Löhne zu erhöhen!

Und das sogar ohne Einbezug der kolossalen Summen, welche die Bourgeoisie heute für sich beansprucht, und der Verschwendung, die massive und andauernde Arbeitslosigkeit bedeutet.

Das Szenario der Medef und der Regierung jedoch ist ein ganz anderes. Sie gehen nämlich davon aus, dass die gesamten zukünftigen Produktivitätszuwächse der Bourgeoisie - und nur der Bourgeoisie - zustehen. Der den berufstätigen und nichtberufstätigen Arbeitenden übrig gelassene Teil wird einmal und für ewig festgesetzt. Wenn man also innerhalb dieses Teils einigen etwas mehr gibt, muss man es gezwungenermaßen den anderen wegnehmen.

Die beunruhigenden Reden über Demographie und Pensionen sollen lediglich verbergen, dass die Bourgeoisie einen immer größeren Teil des Wohlstandes an sich reißen will.

 

Leitartikel der Betriebszeitungen vom 26. Mai 2003

Pensionen: "Weder jung in Unsicherheit noch alt im Elend!"

Das Ausmaß der Demonstrationen, die am 13. und 25. Mai stattgefunden haben, hat gezeigt, dass die Arbeitswelt den Raffarin-Fillon-Gesetzesentwurf zur Pensionsreform zurückweist, da er einen schweren Angriff gegen die Gesamtheit der Arbeitenden darstellt. Als ob nichts wäre, bereitet sich die Regierung darauf vor, das Projekt zu prüfen und es anschließend vom Parlament absegnen zu lassen. Am Abend der Demonstrationen selbst weigerte sich Sozialminister Fillon, jenem Gehör zu schenken, die nicht akzeptieren, für eine niedrige Pension länger arbeiten zu müssen.

Der Minister greift auf einen alten Trick zurück: Die Arbeitenden des öffentlichen Sektors werden als privilegierte Egoisten hingestellt und mit denen des privaten Sektors entgegengestellt. Er war zynisch genug, sich als Verteidiger der Gleichheit aller Pensionisten zu präsentieren. Dabei wurden die aktuellen Unterschiede 1993 von der Regierung Balladur (konservative Rechte) eingeführt, die den Arbeitenden des privaten Sektors 40 statt 37,5 Jahre Beitragspflicht aufgezwungen hat.

Doch die Strategie, die Arbeitenden gegeneinander aufzuhetzen, funktioniert nicht mehr. Der Gesetzesentwurf verschlimmert die Lage für alle: Man kündigt 41 Jahre Beitragspflicht an, dann 42, und vielleicht wird die Dauer noch weiter verlängert werden.

Wir sollen uns in der Arbeit kaputt machen, sollen "von der Fabrik zum Friedhof" gehen oder mit einer stark reduzierten Pension in den Ruhestand treten: Das ist es, was sie für uns vorgesehen haben. Und wir werden nicht einmal zwischen diesen beiden Perspektiven wählen können: Die Unternehmer werden entscheiden, indem sie jene Arbeitenden auf die Straße setzen, die sie für abgenützt und deshalb nicht mehr rentabel halten.

Es kommt nicht in Frage, das zu akzeptieren. Umso weniger, als Fillon und Raffarin immer nur die Arbeitenden meinen, wenn sie davon sprechen, dass alle die gleichen Opfer bringen müssen. Unternehmer sind davon genauso wenig betroffen wie Reiche, denn "das wäre nachteilig für die Beschäftigungssituation", wie sie immer wieder betonen. Doch warum wäre es ein Nachteil für den Arbeitsmarkt, wenn man die Aktionäre für ihre Dividenden zahlen ließe, die Spekulanten für ihre Profite, die Kapitalisten für ihre Gewinne und die Führungskräfte für ihre Aktienoptionen?

Die Regierung wagt es, sich gegenüber den Interessen der verschiedenen Kategorien als Repräsentantin des Allgemeinwohls hinzustellen. Ihr Projekt aber reflektiert in keinerlei Hinsicht das Allgemeinwohl, sondern lediglich die jeweiligen Interessen der Besitzenden.

Gegen die "Straße" beruft sich die Regierung auf die "nationale Vertretung" im Parlament. Die Tatsache, dass die Regierung über die Mehrheit in der Nationalversammlung verfügt, rechtfertigt aber nicht die Maßnahmen, die all jene betreffen, die die Gesellschaft in Gang halten und den Großteil ihres Wohlstandes produzieren. Und ganz abgesehen davon: Erinnern wir uns, dass diese erdrückende Mehrheit im Parlament das Ergebnis der zur Volksabstimmung für Chirac gewordenen Wahl ist. Diese war von den Führern der ehemaligen Pluralen Linke (Regierungskoalition 1997-2002), allen voran der Sozialistische Partei, gewollt. Heute versuchen sie, sich als Verteidiger der Arbeitenden darzustellen.

Raffarin, Fillon und Co. wollen allen Arbeitenden ein von den Unternehmern diktiertes Projekt aufzwingen. Dadurch beweisen sie jedoch nur, dass allein die Straße, die Mobilisierung der Arbeitenden, in der Lage ist, sich gegen die Macht des Geldes zu stellen.

Die Regierung hat sich für eine Machtprobe entschieden. Auf dem Spiel steht nicht nur die Pensionsfrage, auch wenn die Rückwertsbewegung allein in diesem Bereich schon einen wesentlichen Rückschritt darstellen würde. Doch nachdem sie die Arbeitenden mittels der Pensionsfrage angegriffen haben, bereiten sich Unternehmer und Regierung auf einen weiteren Angriff vor: die Krankenversicherung. Das Ziel ist, die Arbeitenden zu höheren Beiträgen für weniger rückerstattende Leistungen und Medikamente zu verpflichten.

Jetzt ist also der Zeitpunkt, sich der allgemeinen Offensive gegen die Arbeitenden zu widersetzen. Die Aktionen müssen weitergehen und sich ausbreiten. Alle von den Gewerkschaften gebotenen Möglichkeiten, die Bewegung zu verstärken, müssen genützt werden. Die Streiks müssen sich verallgemeinern und sich auch auf Privatunternehmen ausweiten.

Wenn die Streiks und Demonstrationen die notwendige Zeit andauern und sich ausdehnen, werden die Minister, die Lakaien der Großunternehmer und Reichen, gezwungen sein, ihren gegen die Arbeitenden gerichteten Hass hinunterzuschlucken und ihre Projekte wieder einzupacken.