Ende Januar erfuhr man, dass die "alten/ehemaligen chinesischen Kapitalisten" ihre Bankeinlagen, Finanztitel und das Gold, alles was während der "Kulturrevolution" 1966 beschlagnahmt worden war, zurück erhalten sollen. Außerdem erhalten sie die aufgelaufenen Zinsen auf diese Summen, und verschiedene Beträge, die ihnen als Werksleiter zugestanden hätten, usw.). Sie haben auch das Recht, ihre ehemaligen Fabriken als Angestellte des chinesischen Staates zu leiten, oder eine Rente/Pension zu bekommen, wenn sie schon zu alt sind. Die Rechte ihrer Erben werden anerkannt.
Man erfährt so, dass die "Ex-Kapitalisten", die im Laufe der Kulturrevolution endgültig verschwunden zu sein schienen, immer noch existieren und ein Redner, der auf einer Versammlung von zwei hundert Persönlichkeiten der chinesischen Industrie- und Handelswelt sprach, "die Hoffnung ausdrückte, dass die Industriellen und die patriotischen Geschäftsleute in besonderer Weise zur Entwicklung des Tourismus, von Dienstleistungen, im Außenhandel und in Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung teilnehmen sollen.
Diese Maßnahmen sind recht beschränkt, und selbst wenn sie angewendet werden, sehen sie nicht die Rückerstattung der Unternehmen an die « Ex-Kapitalisten" vor. Außerdem vermerkt ein Journalist von "Le Monde", dass es sich um Geld in chinesischer Währung handelt, was natürlich die Verwendungsmöglichkeiten sehr einschränkt. Doch genügte dies einer beträchtlichen Zahl westlicher politischer Kommentatoren, darin den Beginn einer radikalen Richtungsänderung in Bezug auf den Kapitalismus innerhalb Chinas zu sehen.
Gibt es eine Entwicklung zum Privatkapitalismus in China?
Kann man tatsächlich sagen, dass das Regime den Weg zur Wiederherstellung eines Systems freier Konkurrenz in China einschlägt? Wahrscheinlich nicht.
Es gibt sicherlich eine gewisse Anzahl von Gesten, die in diese Richtung zu gehen könnten. So sollen etwa die Auslandschinesen dazu ermuntert werden, ihr Geld in China anzulegen. Aber in welcher Form? Wird es ihnen erlaubt sein Direktinvestitionen zu tätigen? Und in diesem Falle fragt es sich, welchen Einfluss sie auf die Entwicklung dieser Unternehmen haben werden. Oder müssen sie auch in Zukunft fortfahren, ihr Geld für 7,5 % Zinsen in chinesischen Banken anzulegen, was darauf hinausläuft, dass sie dem chinesischen Staat ohne eine andere Gegenleistung als die festverzinsliche Zahlung ihr Kapital (was bisher schon 400 Millionen US-Dollar betrifft) zur Verfügung stellen? Man spricht auch von einer "weichen" Haltung Chinas gegenüber Macao: Der chinesische Staat, der diese ehemalige portugiesische Kolonie de facto beherrscht, begnügt sich damit, alle ökonomischen Strukturen dort zu belassen, und sich auf das Einkassieren der Devisen zu beschränken, die dort der Tourismus und das Glücksspiel einbringen. Darüber hinaus hat er zugesagt, diesen Weg auch weiterhin zu gehen, wenn Macao wieder an China angeschlossen/wiedervereinigt sein würde.
Das ist der gleiche Status, den China auch Taiwan gegenüber vorschlägt. Die chinesische Führung erstrebt den Wiederanschluss dieser Insel, die gegenwärtig von den chinesischen Nationalisten (Tschiang Kai-Schek) beherrscht wird. Auch hier haben sie angekündigt, bei einer Wiedereingliederung die ökonomischen Strukturen dort nicht zu Ändern. Nichts weist darauf hin, dass die nationalistische Führung diesen Vorschlag akzeptiert, aber allein, dass dieser Vorschlag von China gemacht wurde, ist von Bedeutung.
Offensichtlich kann es sich dabei um reine Propaganda handeln, um Versprechungen, die China wieder zurücknehmen kann, wenn die Wiedervereinigung erstmal erfolgt ist. Doch was wird im gegenteiligen Falle passieren, wenn ein Taiwan, wo das Privatkapital Koenig ist, tatsächlich zu China zurückkehrt? Es stellt sich also die Frage, ob die Kapitalisten von Taiwan und Macao tatsächlich das Recht zu Direktinvestitionen in China erhalten werden.
Die Art wie das chinesische Regime auf längere Sicht das Taiwan- und Macao-Problem regeln wird, könnte auch Hinweise darauf geben, wie es sich den privaten Kapitalen gegenüber verhalten wird.
Ein anderer Weg wie privates Kapital in China wieder eingeführt werden kann ist natürlich die Einfuhr ausländischen Kapitals, da die aktuelle Politik der chinesischen Regierung immer wieder dazu auffordert, was schon viele Kommentare veranlasst hat.
Gegenwärtig werden entsprechende Verträge hauptsächlich mit japanischen Unternehmen vorbereitet oder schon unterschrieben, aber auch mit französischen und amerikanischen Firmen. Aber wenn sie an das ausländische Kapital appelliert, ihm anbietet in China in Unternehmen mit gemischter (chinesisch-ausländischer) Beteiligung zu investieren, stellt sich die Frage, nach der Art der Beziehungen zwischen der chinesischen Führung und den Investoren. Welche Rechte wird sie bei der Leitung ihrer eigenen Angelegenheiten zu gewähren bereit sein? Bisher scheint die chinesische Regierung nur Verträge akzeptiert zu haben, wo die (ausländischen) Firmen im Austausch für ihre Technologie und ihr Kapital aus einem Teil der zum Export bestimmten Waren bezahlt werden. Bis jetzt jedenfalls stand es völlig außer Frage, den ausländischen Kapitalisten freien Zugang zum chinesischen Markt zu gewähren, oder sie dort investieren zu lassen, wo sie es wollen, in welchen Branchen auch immer, und auch mit ihren Gewinnen konnten sie nicht machen was sie wollten.
Die Frage ist also, ob die chinesische Führung die Absicht hat, auf dem Weg zu einer kapitalistischen Wirtschaft mit freier Konkurrenz weiter (als bisher) zu gehen, und ob die kürzlich gemachten Versprechungen eine Bresche darstellen, die es dem privaten chinesischen Kapitalismus erlauben, sich weiter zu entwickeln als bisher. Wenn man auch die Zukunft nicht voraussagen kann, so kann man doch im Lichte der bisherigen Politik des chinesischen Staates gegenüber seinen Kapitalisten festhalten, dass er sich nicht prinzipiell gegen die privaten Interessen der Kapitalisten stellt.
Die Beziehungen des chinesischen Staates zu seinen Kapitalisten
Das Programm Maos und seiner Mitstreiter sah nicht den Sozialismus vor, sondern die Modernisierung des chinesischen Staates und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und war ein bürgerlich nationalistisches Programm. Diese wirtschaftliche Entwicklung sollte durch den Aufstieg des Kapitalismus erfolgen, und es sah vor, die Kapitalisten zu unterstützen und zu schützen. Im Namen des "Blocks der vier Klassen" (patriotische Bourgeoisie, Bauern, Arbeiter und Intellektuelle), im Zeichen dieser heiligen Allianz übernahm die chinesische Kommunistische Partei die Macht. Der daraus hervorgehende chinesische Staat war ein bürgerlich nationaler Staat, der für die chinesische Bourgeoisie die nationale Unabhängigkeit brachte, d.h. das Ende der ausländischen Inbesitznahme der chinesischen Wirtschaft. Er brachte ebenso sichere Zollschranken, in deren Schutz sie die Möglichkeit hatte die Industrie ohne Furcht vor ausländischer Konkurrenz zu entwickeln, die Einigung des Landes, d.h. die Schaffung eines nationalen Absatzmarktes.
Der chinesische Staat enteignete diejenigen, die mit dem japanischen Kriegsgegner verbündet, und diejenigen die Tschiang Kai-schek nach Taiwan gefolgt waren.
Doch die Bourgeoisie konnte die Chance nicht nutzen, die Kapitalisten konnten die Wirtschaft nicht entwickeln, da sie dafür viel zu schwach waren und nicht über das notwendige Kapital verfügten. Der chinesische Staat hatte das Ziel eine starke Wirtschaft zu entwickeln und China zu einer Wirtschaftsmacht zu entwickeln. Darüber hinaus war er auch gezwungen das einfache Überleben zu garantieren, während China wegen der im kalten Krieg verhängten Blockade der USA praktisch vom gesamten Weltmarkt abgeschnitten war. So wurde der Staat dazu veranlasst, in immer dirigistischerer Weise in das Wirtschaftsleben einzugreifen. So wie es in fast allen unterentwickelten Ländern der Fall ist, die -wenn auch fast immer vergeblich - versuchen wirtschaftlich "abzuheben". Der chinesische Staat musste dazu alle Kapitalien und notwendigen Mittel in seinen Händen vereinigen, um der Produktion eine Orientierung zu geben und die entscheidenden Wirtschaftssektoren zu entwickeln. Durch den Zwang der Umstände beschlagnahmte der chinesische Staat 1949 einen sehr großen Teil der Wirtschaft.
Von den Japanern erbte er den in der Mandschurei aufgebauten Industriekomplex, der 90 % der chinesischen Schwerindustrie darstellte. Ebenso erbte er Fabriken und Handelsunternehmen von den "bürokratischen Bourgeois", die mit Tschiang Kai-schek verbunden waren und auch von der pro-japanischen Bourgeoisie.
Nach offiziellen Angaben befanden sich damit 1949 schon 34 % der chinesischen Wirtschaft in Staatshand (mit Ausnahme der chinesisch-ausländischen Mischunternehmen).
In diesem Zusammenhang entwickelten sich im Laufe der Jahre die Beziehungen des chinesischen Staates zu den Kapitalisten. Staatsaufträge orientierten die Richtung der Produktion, und der Staat gelangte erst zur Leitung der Betriebe und dann zu ihrem Ankauf.
Ende 1952 waren 53% der Betriebe in Staatsbesitz, und 1956 stellten die staatlichen und die Mischbetriebe fast 96% der Gesamtheit dar.
Diese Konzentration der Wirtschaft in den Händen des Staates erfolgte etappenweise. Und wenn es auch "Kampagnen" gegen die Kapitalisten gab, um sie von ihren Plätzen zu vertreiben, so achtete die chinesische Führung darauf, zu zeigen, dass sie deren Rechte respektierte.
Im Prinzip wurden die Eigentümer entschädigt und erhielten 5 % Zinsen auf das Kapital. Oft wurden sie dazu ermuntert, als Direktoren und staatlich angestellte Techniker in der Betriebs-Leitung zu bleiben.
Auf diese Weise existierte die Bourgeoisie 1966 nicht mehr als Inhaberin des Kapitals und Besitzerin der Produktionsmittel, wenn auch 1 Million der "nationalen Bourgeoisie" weiterhin ihre 5 % Zinsen auf ihr Kapital erhielten.
Die Zeit der Kulturrevolution von 1966 an, stellte eine Wende in der Haltung des chinesischen Staates gegenüber den Kapitalisten dar, der ihnen noch belassene Besitz wurde enteignet und oft wurden sie von den roten Garden angeklagt.
Die neue Wendung, d. h . heute (1978/1979) mit dem Versprechen der Rückgabe der Privilegien an die Ex-Kapitalisten stellt eine der Zick-Zack-Wendungen in der Politik des chinesischen Staates gegenüber der Bourgeoisie dar :kurvenreich, aber niemals grundlegend feindlich. Wenn man von einer radikalen Wendung reden kann, dann ist es einzig diejenige der Kulturrevolution.
Welche Zukunft hat der Kapitalismus in China?
Welche Tragweite können die kürzlich in China getroffenen Maßnahmen haben? So spektakulär die Rehabilitierung der Ex-Kapitalisten auch erscheinen mag, so kann sie nicht zu grundsätzlichen Änderungen der chinesischen Wirtschaft führen. Es kann sich ganz einfach um eine symbolische Geste handeln, deren tatsächliche Durchführung bisher durch nichts bewiesen ist. Sie kann im Rahmen der aktuellen chinesischen Politik, die darin besteht ausländische Investoren ins Land zu holen, den Besitzern der ausländischen Kapitale zeigen, dass sie vom chinesischen Regime nichts zu befürchten haben.
Es kann aber auch der Beginn einer neuen Politik gegenüber einer gewissen Zahl von Unternehmern sein, denen der chinesische Staat erlauben könnte sich in den für sie erreichbaren und möglichen Sektoren zu entwickeln. Die Zukunft wird es zeigen. Doch diese Entwicklung kann in der chinesischen Wirtschaft nur in einem begrenzten, kleinen Bereich erfolgen.
Denn das entscheidende Problem Chinas ist die Unterentwicklung des Landes - woran Deng Xiaoping außerdem oft erinnert. Bei allen Wendungen ihrer Politik haben die aufeinander folgenden chinesischen Führungen immer - erfolglos - versucht, diesen Tatbestand zu ändern. Es ist diese Unterentwicklung, die den chinesischen Staat dazu geführt hat, eine omnipräsente, alles entscheidende Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung zu übernehmen, den Platz der chinesischen Kapitalisten einnehmend, die zu schwach sind, um den ökonomischen Erfordernissen des Landes zu entsprechen.
Die für die lebenswichtigen Sektoren des Landes heute notwendigen Kapitalmengen sind sowohl was die in China selbst lebenden Kapitalisten betrifft - die Auslandschinesen eingeschlossen - lächerlich gering. Laut einem japanischen Wirtschaftsforschungsinstitut fehlen China von heute (1978/79) bis 1985 allein um den laufenden Wirtschafts- Entwicklungsplan zu finanzieren 200 Milliarden US-Dollar. Die Guthaben der chinesischen Ex-Kapitalisten stellen nur einen winzigen Teil dieser Summe dar. Andererseits sprechen offizielle chinesische Angaben von der Hoffnung, auf insgesamt 1 Milliarde Dollar von den Auslands-Chinesen, wovon sich allerdings 400 Millionen schon in China befinden: Man ist also noch weit vom Ziel entfernt!
Auf jeden Fall hat man seit 30 Jahren gesehen, dass selbst mit der Intervention des Staates das ökonomische "Abheben" Chinas schwer möglich, wenn nicht sogar unmöglich ist. Die ausländischen Kapitalisten werden, wenn sie in China investieren, dies allein in Bezug auf die für sie möglichen Profite tun, und man wird sie entlohnen/bezahlen müssen. So ist es kaum ein solcher Appell (an das ausländische Kapital), der die Unterentwicklung beheben kann. Denn es ist die gesamte wirtschaftliche, finanzielle und technische Basis, an der es China mangelt, um dieses "Abheben" zu ermöglichen.
Und es ist ebenso diese Unterentwicklung, die den Rahmen und die Grenzen für die Entwicklung des chinesischen Binnenmarktes bestimmt, selbst wenn die chinesische Führung diese Entwicklung begünstigt. Was man mit Sicherheit sehen wird, ist eine Zunahme der Ungleichheiten im Lande. In dieser Hinsicht sind die den Ex-Kapitalisten erneut gewährten Privilegien ein deutliches Symbol. Vielleicht wird man das Entstehen kleiner und mittlerer kapitalistischer Unternehmen sehen. Aber die Herausbildung einer entwickelten kapitalistischen Wirtschaft, deren Trägerin eine mächtige nationale Bourgeoisie ist, das ist unmöglich.