Frankreich: eine innere Lage, die vom Wahlkampf geprägt ist (aus Lutte de Classe von Dezember 2021)

Print
Frankreich: eine innere Lage, die vom Wahlkampf geprägt ist
Dezember 2021

Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2021 verabschiedet

 

Die Bourgeoisie kann mit den 5 Jahren Macron wirklich zufrieden sein. Mit seiner Parlamentsmehrheit hat er die Politik gemacht, die er zuvor versprochen hat und hat somit die Feuerprobe bestanden. Die hauptsächlich von der einfachen Bevölkerung geprägten Bewegung der Gelbwesten hat nicht zu einer größeren politischen Krise geführt und keine Bedrohung für die bourgeoise Ordnung dargestellt. Macron hat sie sich sogar zu nutzen gemacht, um das autoritäre Arsenal des Staates zu ergänzen. Er war auch in der Lage, die Gesundheitskrise und die aufeinanderfolgenden Lockdowns zu bewältigen, ohne dass die Großbourgeoisie die Zeche dafür zahlen musste.

Die Übernahme der Kosten der Kurzarbeit durch den Staat wurde als eine Hilfe für die Arbeitenden dargestellt. Sie war jedoch vor allem die Garantie für die Großbourgeoisie die Arbeitskräfte zu halten. Abschaffung der Vermögenssteuer, Flat-Tax, Konjunkturprogramme und verschiedene Investitionshilfen - die Großbourgeoisie ist ihm für sein Gesamtwerk dankbar. Und wie sollte sie das nicht sein, wenn die Gewinne bereits gigantisch sind und die Aussichten noch verlockender?

Macron nutzte die Covid-Epidemie geschickt, um ein Gefühl der nationalen Einheit um ihn und seine Regierung herum zu erzeugen. Außerdem öffnete er die Staatskassen weitgehend für Einzelhändler und Gastronomen, um die durch die Lockdowns, Ausgangssperren und Schließungen verursachten Verluste auszugleichen. Nachdem er 2017 weitgehend die Stimmen der Sozialistischen Partei (PS) ausgesaugt hatte, gab er der Rechten ein politisches Geschenk, indem er seine Premierminister aus deren Reihen wählte, Darmanin zum Innenminister und Le Maire zum Wirtschaftsminister ernannte und ein Gesetz verabschiedete, das angeblich den fundamentalistischen Islamismus bekämpfen sollte. Er beließ es nicht dabei, so dass nach seinem Fernsehauftritt am 9. November sogar Le Figaro die Analyse seiner Ansprache mit „Kurswechsel nach rechts im Hinblick auf 2022“ überschrieb. Bis April kann sich noch viel ändern, aber Macron, der in den Umfragen für die erste Runde in Führung liegt, gilt als klarer Sieger für die zweite Runde, unabhängig davon, wer sein Gegner ist.

Zu Beginn des Wahlkampfs sorgt Zemmour für eine Überraschung. Inspiriert von Macrons erfolgreichem politischen Schachzug gegenüber der Linken im Jahr 2017 versucht Zemmour, die gleiche Masche gegenüber der Rechten und der extremen Rechten zu wiederholen. Die Niederlage von Marine Le Pen 2017 und die Rechtsentwicklung im politischen Leben, die durch seinen Erfolg beim Sender CNEWS bestätigt wurde, haben ihn in seinem Vorhaben bestärkt, die harte Rechte zu vereinen, ein Vorhaben, das von Marion Maréchal Le Pen oder Robert Ménard angepriesen wird.

Auch wenn er sich noch nicht zum Kandidaten erklärt hat, hat ihn der Erfolg seiner Kandidatur in den Umfragen, der bei rund 15% der erwarteten Wählerstimmen liegt, schließlich davon überzeugt, sein Glück zu versuchen. Den Meinungsforschern zufolge könnte Zemmour ein Viertel von Fillons Wählern aus dem Jahr 2017 für sich gewinnen. Die traditionalistische christliche Strömung, die sich gegen die Homo-Ehe und die künstliche Befruchtung mobilisiert hat, hat in ihm ihren Helden gefunden. Einige lokale Führungskräfte der Republikaner liegen bereits im Clinch mit ihrer Partei, weil sie diese oder jene Äußerung Zemmours zum Islam, zu Pétain oder zu Frauen begrüßt und übernommen haben. Ciotti, Kandidat bei der Vorwahl der Rechten, hat selbst gesagt, dass er im Falle einer Stichwahl zwischen Macron und Zemmour für letzteren stimmen würde.

Im Gegensatz zu Marine Le Pen, die von den rechten führenden Köpfen und ihren Netzwerken in der Großunternehmerschaft abgeschnitten ist, hat Zemmour seine Zugänge in der Partei der Republikaner und seine Verbindungen zu den Netzwerken der Macht. Der Stammbaum seiner Wahlkampfmanagerin zeugt davon. Sarah Knafo, ehemalige Studentin an der Elitenschule Sciences Po und der ENA, Mitglied des Rechnungshofs und mit verschiedenen Persönlichkeiten der Rechten und der PS verbunden, würde auch im Umfeld von Macron, Barnier oder Pécresse nicht aus der Reihe fallen. Auch die anderen Vertrauten von Zemmour sind entsprechend: Banker, Wirtschaftsbosse und ehemalige Mitglieder der Rechten. Und erinnern wir uns: Zemmour ist seit Jahren regelmäßiger Kolumnist in Dassaults Zeitung Le Figaro, trotz seiner beiden Verurteilungen wegen Rassismus. Ein Beweis dafür, dass der Sicherheitsgürtel, den Chirac gegen Le Pen und die Nostalgiker von Pétain und Französisch-Algerien errichtet hatte, rein politisch und künstlich war.

Bisher ist keiner der mutmaßlichen Kandidaten der Republikaner in der Lage, den zweiten Wahlgang zu erreichen. Die Umfragen spiegeln die Wahlabsichten nur annähernd oder gar nicht wider. Aber Xavier Bertrand erreicht bestenfalls 10% der Stimmen der Befragten. Und es handelt sich nicht nur um einen Rückstand. Die Rechte sieht sich zwischen Macron auf der einen und Zemmour auf der anderen Seite eingeklemmt. Während Macron mit Unterstützung von Überläufern - François Bayrou, Édouard Philippe, Bruno Le Maire und Gérald Darmanin - die zentristische Wählerschaft erobert hat, spricht Zemmours Rechtsextremismus den traditionalistischen, ja auch rassistischen Rand der rechten Wählerschaft an. Die klassische Rechte verfügt jedoch nach wie vor über ein starkes Netzwerk von Abgeordneten und Prominenten, das es ihr ermöglichen kann, wieder ins Spiel zu kommen.

Zwischen Marine Le Pen und Zemmour herrscht Krieg, zumindest vorerst. Die rassistischsten und fremdenfeindlichsten Le Pen-Anhänger sind von Zemmours obsessiven und ungezügelten Ausfällen gegen Muslime und Einwanderung begeistert. Hinzu kommt, dass ihre Kandidatin die Präsidentschaftswahl bereits zweimal verloren hat und sich, da sie seit Jahren im politischen Leben präsent ist, zum Teil freiwillig institutionalisiert hat, wobei sie viel von ihrem anrüchigen und systemfeindlichen Aspekt verloren hat. Allein schon aufgrund seiner Persönlichkeit stellt Zemmour ein neues politisches Angebot dar, das die Begeisterung wecken kann, die die RN oder die Rechte nicht mehr zu wecken vermögen.

Derzeit versucht Zemmour nicht, sich speziell an die untersten Wählerschichten zu wenden. Abgesehen von dem ach so demagogischen Versprechen, den Führerschein mit Strafpunkten abzuschaffen, hat er keine Maßnahmen hervorgehoben, die den Bedürfnissen der Arbeitenden gerecht werden könnten. Sein „soziales“ Programm orientiert sich an dem von Sarkozy 2007 oder Fillon 2017: „Um mehr zu verdienen, muss man mehr arbeiten“.

Kann er allein aufgrund seiner Anti-Immigranten-Tiraden in die ärmsten und verwirrtesten Schichten der Arbeiterklasse vordringen und so Marine Le Pen überholen? Wie wird sich die Fehde zwischen Le Pen und Zemmour weiterentwickeln? Wird sie zur Auslöschung der einen oder des anderen oder zu einer Doppelkandidatur führen? Das wird nur die Zukunft zeigen. Doch auch wenn die zweite Hypothese für die Ambitionen der beiden, in die zweite Runde zu kommen, fatal sein könnte, wird die rechtsextreme Wählerschaft durch die Existenz eines zweiten Kandidaten nicht verringert, sondern vergrößert.

Die extreme Rechte belastet bereits den gesamten Wahlkampf, in dem rechte und manchmal sogar linke Kandidaten Vorschläge von Zemmour oder Le Pen aufgreifen. Montebourg, der vor einigen Jahren noch als links von der PS gehandelt wurde, versprach beispielsweise, Geldüberweisungen von Einwanderern an ihre Familien in Ländern zu blockieren, die ihre aus Frankreich ausgewiesenen Bürger nur widerwillig aufnehmen, bevor er seine Versprechungen wieder zurückzog. Der Souveränismus, auch wenn er von „links“ kommt, führt geradewegs in die rechtsextreme Kloake.

Dieses Gewicht der extremen Rechten gibt sowohl im Umfeld der eingewanderten Arbeiter/innen als auch in linken Kreisen zu Recht Anlass zur Sorge. Von denjenigen, die Faschismus schreien, sind viele der Meinung, dass die Gefahr nun von Zemmour ausgeht. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Begeisterung für Zemmour von anderer Art ist als die für Le Pen. Zemmours gewalttätige und provokative Sprache berührt zwangsläufig die identitäre und aktivistische Bewegung. Sie kann die Nostalgiker faschistischer Methoden bestärken, die davon träumen, mit den Immigranten abzurechnen und sich mit der Linken und den Arbeiterorganisationen anzulegen. Damit sich ihre Methoden durchsetzen, wäre jedoch eine soziale Radikalisierung erforderlich, die kleinbürgerliche Gruppen dazu bringen würde, sich zu mobilisieren, auch auf gewalttätige Weise. So weit sind wir nicht, zumindest noch nicht.

Die ungezügelte Äußerung reaktionärer Ideen kann jedoch ein Schritt zur Stärkung dieser rechtsextremen aktivistischen Keimzellen sein. Scharmützel und Razzien von Glatzen gegen linke, antifaschistische oder anarchistische Aktivisten oder deren Räumlichkeiten, die derzeit noch eine Randerscheinung sind, könnten zunehmen, ebenso wie die Demonstrationen der Identitären gegen Migranten. Ohne dass es sich dabei um eine faschistische Bewegung handeln würde, wäre dies bereits eine ernsthafte Bedrohung für die Arbeiterbewegung und die Arbeitenden.

Die Demagogie der extremen Rechten ist ein höchst gefährliches Gift für die Arbeitenden. Das Gegengift ist jedoch nicht bei den Politikern zu suchen, die mit ihrer arbeiterfeindlichen Politik den Boden für die extreme Rechte bereitet haben. Es liegt in der Fähigkeit der Arbeiterklasse, den Kampf für ihre Klasseninteressen wieder aufzunehmen. Sie liegt im Bewusstsein der Arbeiter/innen, dass sie in der Lage sind, ihr Schicksal durch den Kampf gegen die Großunternehmer zu ändern, und sogar die politische Perspektive zu haben, die gesamte Gesellschaft zu verändern.

Trotz ihrer Versuche, mediale Coups zu landen, scheinen die Parteien der Regierungslinken aus dem Spiel zu sein. Indem er sich sehr früh an die Startlinie stellte, hoffte Mélenchon, der bei der Präsidentschaftswahl 2017 7 Millionen Stimmen (19,58%) erhielt, das Spiel zu seinen Gunsten zu entscheiden und sich als Kandidat der Linken durchzusetzen. Doch die Grünen, die durch die Ergebnisse der Europawahlen 2019 und vor allem der Kommunalwahlen 2020 gestärkt werden, und die Sozialistische Partei, deren Würdenträger nach der Niederlage von 2017 ihre Rathäuser und Regionen behalten konnten, sind damit nicht einverstanden. Was die Kommunistische Partei (PCF) betrifft, die sich über die Strategie uneins ist, mit der sie ihren langsamen Einflussverlust stoppen kann, hat sie schließlich die Kandidatur von Fabien Roussel in den Mittelpunkt gestellt, anstatt erneut als Handlanger von Mélenchon zu dienen.

Einige in der verbliebenen linken Wählerschaft bedauern diese Unfähigkeit, sich zusammenzuschließen. Derzeit sind jedoch alle Kandidaten der Linken vom Rückgang der linken Wählerschaft betroffen. Der am wenigsten unpopuläre unter ihnen, Mélenchon, kommt nicht über 10% der Umfragewerte hinaus, und die Gesamtheit der Kandidaten kommt zusammen mit Mühe und Not auf weniger als 30% der Wahlabsichten. Das kann sich natürlich noch ändern, aber fünf Jahre nach dem Ende der katastrophalen Präsidentschaft Hollandes ist die Regierungslinke festgefahren und scheint heute aus dem Rennen um den Élysée-Palast ausgeschlossen zu sein.

Die gesamte Linke zahlt weiterhin den Preis für den Verrat, den sie während ihrer Regierungszeiten begangen hat. Zu Recht sind viele Wähler auf die Idee gekommen, dass Macron, die PS und die Grünen das Gleiche sind, da sie gemeinsam regiert haben. Und dass die PCF nicht weit davon entfernt ist, da auch sie mit der PS regiert hat und ihr sehr oft als Stimmenfänger für die Arbeiterschaft diente. Indirekt geraten sogar La France insoumise von Mélenchon, die ihre Opposition gegen Hollandes Politik deutlich gemacht haben, in Verruf.

Die Linke leidet natürlich unter der hohen Wahlenthaltung, aber auch unter der Rechtslastigkeit des politischen Lebens, die feindselige Ideen gegenüber Migranten, Muslimen oder auch „Sozialhilfeempfängern“ begünstigt und mehr Autorität, Repression und Polizei fordert. Dieser Druck führte dazu, dass Fabien Roussel, Yannick Jadot und führende Vertreter der PS im Juni an einer von den Polizeigewerkschaften organisierten Kundgebung zum Thema „Die Richter tun nicht genug gegen die Straftäter“ teilnahmen. Und alle betonten, dass die „Migrationsströme“ kontrolliert werden müssten. Anstatt die Entwicklung hin zu immer reaktionäreren Ideen zu bekämpfen, begleiten und begünstigen sie diese.

Alle linken Kandidaten sind darauf bedacht, gegenüber der Bourgeoisie und der Gesellschaftsordnung Verantwortung zu zeigen und realistische Vorschläge zu machen. Jadot zollt der kapitalistischen Wirtschaft Tribut und wirbt für eine „ökologische und soziale“ Reindustrialisierung. Mélenchon und Roussel streiten sich über die Atomkraft, aber immer im Rahmen einer Marktwirtschaft. Ihre Vorschläge für die Arbeitenden sind ebenfalls verantwortungsvoll, Mélenchon schlägt zum Beispiel einen Mindestlohn von 1.400 Euro vor - als ob man davon gut leben könnte!

Angesichts der derzeitigen Kräfteverhältnisse bei den Wahlen könnte die Linke im Namen der nützlichen Stimme gegen Zemmour noch einen Teil ihrer Wähler an Macron verlieren. Dieser Druck steigt bereits und obwohl es in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen 2017 einen Anstieg der Enthaltungen gab, haben viele Wähler der PS, der Grünen oder auch von Mélenchon für Macron gestimmt. Wenn die Angst vor der extremen Rechten wächst, könnten diese schon in der ersten Runde für die nützliche Stimme für Macron empfänglich sein.

Die Abnutzung der Politiker, auch derjenigen, die noch nie regiert haben, das fehlende Vertrauen in die Politik und das Auftauchen von Überraschungskandidaten sind allesamt Anzeichen für politische Instabilität. Das bürgerliche politische System, das immer anfälliger für rechtsextreme Demagogen wird, läuft nur noch auf seinem rechten Bein.

Das linke Bein, das von Parteien verkörpert wurde, die in der Vergangenheit in der Arbeiterklasse verankert waren, wie es bei der PCF der Fall war, war entscheidend für die Rettung der bürgerlichen Ordnung, während der massiven sozialen Erschütterungen, die die soziale Bewegung vom Mai/Juni 1968 und noch mehr der Generalstreik mit Fabrikbesetzungen von 1936 darstellten. Jahrzehntelang konnte die Linke eine Rolle als Wahlventil spielen. Wenn die Rechte an der Macht in Verruf geriet, konnte sie durch das linke politische Personal ersetzt werden, das Zeit hatte, sich gegenüber der Bourgeoisie zu bewähren. Und sobald die Linke an der Macht verschlissen war, konnte die Rechte zurückkehren, wie es 1986, 1993 oder 2002 der Fall war.

Der Links-Rechts-Wechsel sorgte jahrzehntelang für eine komfortable politische Stabilität für die Bourgeoisie. Solange das Wirtschaftswachstum die Profitaussichten in die Höhe trieb, konnten linke Regierungen einige Verbesserungen für die Arbeiterschaft zugestehen. Ohne das Leben der Ausgebeuteten grundlegend zu verändern, nährten sie die Illusion, dass die Linke auf der Seite der Arbeitenden stehe.

Dieses politische Spielchen geriet ins Stocken, als angesichts der Wirtschaftskrise und des verschärften Wettbewerbs die Forderungen der Unternehmer immer härter wurden. Die Großunternehmer räumten der regierenden Linken keinen Spielraum mehr ein. Unabhängig von der politischen Ausrichtung der Regierung war die einfache Bevölkerung mit der gleichen arbeiterfeindlichen Offensive konfrontiert. Nach und nach verloren die Sozialistische Partei und die PCF ihre Wählerschaft.

Der traditionelle Links-Rechts-Wechsel geriet zunächst 2002 ins Wanken, als Jospin nicht in den zweiten Wahlgang kam, in dem Jean-Marie Le Pen gegen Chirac antrat. Das Totenglöckchen läutete 2017, als kein Vertreter der beiden klassischen Parteien der Alternanz in die zweite Runde kam, da Hollande bereits in der ersten Runde ausfiel und Fillon sich im „Penelopegate“ verhedderte. Macrons Machtantritt war nicht das Zeichen einer politischen Erneuerung, sondern das Ergebnis der Diskreditierung der Linken und des Wegfalls jeglicher Grundlage für eine reformistische Politik, die den Arbeitenden, aber vor allem den Gewerkschaftsapparaten, einige Vorteile bringen könnte. Das Problem der zunehmenden politischen Instabilität des bürgerlichen parlamentarischen Systems bleibt ungelöst.

Das Auftauchen von Zemmour in diesem neuen Wettstreit bringt keine Lösung. Zemmour wird von Bolloré unterstützt, dessen Sender CNEWS offenbar die gleiche Karte spielen will wie Fox News in den USA, der Trumps Lügen und Unflätigkeiten weiterverbreitet. Die Propaganda von Zemmour spielt für die Bourgeoisie die Rolle eines nützlichen Ablenkungsmanövers. Die Kluft zwischen ihrem Wohlstand und den Schwierigkeiten der arbeitenden Klassen ist so unverschämt, dass jede politische Ablenkung willkommen ist. Aber die Bourgeoisie braucht die eingewanderten Arbeitskräfte zu sehr, als dass sich die Wahnvorstellungen eines Zemmour über die „Remigration“ oder die Ausweisung von „zwei Millionen Ausländern“ an der Macht durchsetzen könnten. Eine durch soziale Mobilisierungen ausgelöste politische Krise ist eine ständige Bedrohung für die bürgerliche Ordnung. Die Großunternehmer suchen nicht nach einem Kandidaten, der sie anheizt und auslöst, sondern nach einem, der sie vermeidet und mit ihr umzugehen weiß.

Zemmour hat ebenso wenig wie Le Pen, trotz ihrer Bemühungen um Normalisierung und der Überarbeitung ihres EU-Programms, die Voraussetzungen, um in den Augen der Bourgeoisie ein guter Kandidat zu sein. Die Bourgeoisie würde die Macht über ihren Staatsapparat lieber einem politischen Personal anvertrauen, das sie kennt und dem sie vertraut, weil sie es bei der Arbeit gesehen hat, wie Macron oder einem der verschiedenen Kandidaten der Rechten. Die Tatsache, dass der farblose Barnier einer der Lieblingskandidaten der Republikaner bleibt, ist bezeichnend dafür, dass die Bourgeoisie sehr wohl mit einem gemütlichen Verwalter zufrieden wäre, wie die amerikanische Bourgeoisie ihn in Biden finden konnte. Die bürgerliche Demokratie macht es möglich, dass eher ein Trump als ein Biden aus den Wahlen hervorgeht.

Solange die Arbeiterklasse die Lage ohne Reaktion erduldet, nimmt die Bourgeoisie die Diener, die sich ihr bieten. Das kleine politische Spiel bleibt ein Schattenspiel. Angesichts der zunehmenden Wahlenthaltung, der Geringschätzung der Parteien, des gesamten politischen Systems und der Ohnmacht derer, die behaupten, an der Macht zu sein, sind die entscheidendsten Entwicklungen nicht auf dem Gebiet der Wahlen zu finden.

Auch wenn die Macht der Bourgeoisie und ihre Gesellschaftsordnung nicht durch die Instabilität dieses Schattenspiels bedroht werden, ist dies eine zusätzliche Schwachstelle, auf die die Bourgeoisie gut verzichten könnte. Die Hauptbedrohung liegt im Erwachen der Arbeiterklasse. Die IWF-Chefin Christine Lagarde sprach mit ihrer Aussage aus, was viele Großbourgeois im Hinterkopf haben müssen: „Ich befürchte, dass die Ungleichheiten das übertreffen werden, was sie während des goldenen Zeitalters des Kapitalismus waren, und ein Zeitalter des Zorns hervorrufen“. Letztendlich hängt die Zukunft viel mehr davon ab, wie sich die Krise entwickelt und wie sie sich auf die Arbeiterschaft, ihren Kampfgeist und ihr Bewusstsein auswirkt.

Für die Arbeitenden wird es keine Überraschungen geben. Auf der Ebene der Wahlen kann das Proletariat nichts gewinnen. Es kann nur auf dem Gebiet der Kämpfe gewinnen. Niemand weiß, wann und wie die Wut der Arbeiterklasse die abwartende Haltung und die Angst ablösen wird, aber diese Reaktionen stehen uns bevor. Ob es nun um die explodierenden Preise, die niedrigen Löhne und kleinen Renten oder den maroden Zustand der Krankenhäuser geht, Gründe dafür gibt es genug.

Unser Ziel in diesem Wahlkampf ist es, zu einer klassen- und arbeiterbewussten Stimmabgabe aufzurufen, um die Arbeiter/innen auf die bevorstehenden Kämpfe vorzubereiten. Unsere kleinen Ergebnisse bei den Regionalwahlen haben gezeigt, dass eine kämpferische Organisation in einer widrigen Situation einen kleinen Teil der Arbeiterschaft erreichen kann. Wir beteiligen uns am politischen Kampf, damit sich ein Lager behauptet, das eine eigene Politik, ein eigenes Programm und eigene Perspektiven hat, die im Gegensatz zu denen der Unternehmer und ihrer politischen Diener stehen. Während einige eine Kampagne über die nationale, ja sogar „gallische“ Identität führen wollen, wollen wir einen Wahlkampf führen, der die Identität als Arbeitende und Ausgebeutete ins Zentrum rückt sowie die politischen Interessen und die Kämpfe, die sich daraus ergeben.

Für Revolutionäre können gute Wahlergebnisse nur auf einen Wiederaufstieg der Kampfbereitschaft und des Bewusstseins der Arbeiterschaft folgen oder diesem vorausgehen. Mehr als mit unserer Wahlkampagne werden unsere Wahlergebnisse in erster Linie mit der Stimmung in der Arbeiterklasse zusammenhängen. Diese Stimmung hängt nicht von uns ab. Was von uns abhängt, ist, dass wir diese Kampagne, die in einer Zeit geführt wird, in der reaktionäre Ideen Hochkonjunktur haben, nutzen, um beim Aufbau der Partei, die die Arbeiterschaft braucht, voranzukommen.

Unser Wahlkampf wird nicht nur darauf abzielen, diese Ideen zum Ausdruck zu bringen, sondern auch diejenigen zusammenzubringen, die sie teilen. Das bedeutet, diese Wahlkampagne zu ihrer eigenen zu machen. Nicht nur in dem Sinne, dass sie aktiv daran teilnehmen, unsere Ideen zu verbreiten, sondern auch, dass sie sie tief teilen und verinnerlichen.

Der Wahlkampf wirft mehr oder weniger deutlich eine Vielzahl von Problemen auf, die das Funktionieren der Gesellschaft und die Beziehungen zwischen den verschiedenen sozialen Klassen betreffen. Diejenigen, die sich „im Lager der Arbeiter/innen“ sehen, müssen im Wahlkampf die Überzeugung gewinnen, dass unsere Perspektive, der Sturz der politischen Macht der Bourgeoisie, eine in sich stimmige Politik voraussetzt. In diesem Sinne kann der Wahlkampf ein kleiner Schritt auf dem Weg zum Wiederaufbau einer revolutionären kommunistischen Partei sein.

11. November 2021