(Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2018 verabschiedet)
Die anhaltenden Spannungen in den internationalen Beziehungen sind der Ausdruck der Dauer und der Vertiefung der Krise des Kapitalismus.
Sie scheint lange her, die Zeit als die Spitzenpolitiker der Großmächte und die in ihrem Dienst stehenden Schreiberlinge eine friedliche Zukunft und die dümmsten Hellseher sogar das Ende der Geschichte vorhersagten.
Die beiden sich gegenüber stehenden Blöcke verschleierten damals die Tatsache, dass der wahre Grund dafür, dass die imperialistische Weltordnung kontinuierlich in Frage gestellt wird, im Wesen selbst dieser Ordnung liegt, die auf der Unterdrückung der Völker und noch grundlegender auf der kapitalistischen Ausbeutung und Konkurrenz beruht.
Die Sowjetunion wurde im Westen als der Hauptstörfaktur der Weltordnung dargestellt, dabei war die führende Bürokratie einer ihrer Ordnungshüter, die dabei allerdings ihre eigenen Interessen zu wahren suchte.
Ein Vierteljahrhundert nach dem Untergang der Sowjetunion haben sich die internationalen Beziehungen keineswegs entspannt.
Heute werden die Interessenkonflikte zwischen den verschiedenen imperialistischen Mächten selbst deutlich. Und was die Beziehungen zwischen den imperialistischen Mächten und der unterentwickelten oder halb entwickelten Mehrheit auf der Welt betrifft, haben diese nie aufgehört, Herrschaftsverhältnisse zu sein und als solche zu erscheinen.
Die führenden Kreise der zweitrangigen imperialistischen Mächte berufen sich ständig auf den Multilateralismus, als deren Verfechter Macron zu erscheinen versucht.
Unter Multilateralismus verstehen diese Leute keineswegs das Mitspracherecht der anderen, kleineren kapitalistischen Nationen. Diese Formulierung ist das Gejammer der politischen Spitzen der weniger mächtigen Imperialismen, die das Diktat der USA erleiden, in diplomatischer Sprache. Trump tut nichts anderes, als mit der ihm eigenen Brutalität das Kräfteverhältnis laut auszusprechen, das zwischen den imperialistischen Mächten selbst herrscht.
Militärausgaben und Kriegsgefahr
Bisher ist der Handelskrieg eher verbal als real, so groß ist die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit der kapitalistischen Länder.
Die von den USA erwogenen oder bereits getroffenen Maßnahmen zum Schutz bestimmter Kategorien ihrer kapitalistischen Unternehmen schaden anderen, die aus ihren Subunternehmen oder Rohstofflieferanten im Ausland Profit ziehen.
Die schiere Ankündigung oder auch die teilweise Verwirklichung protektionistischer Maßnahmen haben in der finanzialisierten Weltwirtschaft allerdings Auswirkungen auf die Kapitalbewegungen, die dazu beitragen, die Wirtschaft noch chaotischer zu machen.
Die Handelskriege, selbst beschränkt auf Gebührenerhöhungen, erhöhte Zollbarrieren und die Festlegung von Einfuhrquoten, führen schon an sich zu erhöhten Spannungen in den internationalen Beziehungen. Diese Spannungen bleiben nicht auf die Diplomatie beschränkt.
Die weltweiten Militärausgaben haben 2017 eine Summe von 1.700 Milliarden Dollar erreicht oder 230 Dollar pro Bewohner dieses Planeten. Den Löwenanteil stellen die Rüstungsausgaben. Diese astronomische Summe steigt noch und erreicht Höhen, die man sich während des kalten Kriegs kaum hätte vorstellen können.
Die Waffenproduktion war von Anfang an ein wichtiger Faktor für die Entwicklung des Kapitalismus.
"Der Militarismus, sagte Rosa Luxemburg, begleitet alle historischen Phasen der Akkumulation (des Kapitals)." Die staatlichen Rüstungseinkäufe (Waffen und militärische Infrastrukturen) dienten zu allen Zeiten dazu, den Markt für die kapitalistischen Unternehmen zu vergrößern und oftmals als Motor für diesen Markt. Mit Erreichen des imperialistischen Stadiums - um auf die Feststellungen von Rosa Luxemburg zurückzukommen - "nutzt das Kapital den Militarismus immer energischer, um sich mittels Kolonialismus und Weltpolitik die Produktionsmittel und Arbeitsformen der nicht kapitalistischen Länder oder Bevölkerungsschichten anzueignen." In wirtschaftlichen Krisenzeiten spitzt sich dieser Trend zu.
Weltweit stellen seit langem die Rüstungsproduktion und der Handel mit Waffen Absatzgebiete für die Monopolkonzerne, die die Waffenherstellung beherrschen, dar. Der französische Imperialismus ist einer der der führenden Waffenhändler weltweit.
Einer der Aspekte des Waffenhandels, und nicht der geringste, ist, dass er an der Plünderung der unterentwickelten Länder zugunsten der imperialistischen Mächte beiträgt. Es ist eine neue Form des Dreieckshandels: Die imperialistischen Mächte (und ein paar andere) lassen ihre Waffenindustrie laufen, um die Machthaber in den unterentwickelten Länder mit dem zu versorgen, was sie brauchen, um ihr Volk im Zügel zu halten. Diese Leute lassen ihre eigene Bevölkerung für die Panzer, Flugzeuge und sonstigen Raketen vom letzten Schrei bezahlen, die dazu beitragen, die Profite in den mit dem Militarismus verbundenen Industrien hochzuhalten. Die haushohen Rüstungsausgaben zahlreicher Staaten armer Länder füttern die Waffenkonzerne und Banken der imperialistischen Länder.
Die Interventionen der imperialistischen Mächte gegen unterdrückte Völker, Kriege zwischen rivalisierenden Regionalmächten oder Bürgerkriege örtlicher Unterdrücker gegen ihr eigenes Volk, die Kriege auf der Welt haben seit dem Zweiten Weltkrieg nie aufgehört. Sie sind sich ständig erneuernde Absatzmöglichkeiten für die Kapitalisten der Waffenindustrie und dienen zugleich als Testgelände für ihre Erzeugnisse. Die mit dem Kriegsgeschäft verbundenen Industrien haben einen bedeutenden Anteil an der Verschwendung der Ressourcen des Planeten und der menschlichen Kreativität.
Anstatt einen zunehmenden Teil der gemeinsamen Intelligenz der Menschheit darauf zu verwenden, die Existenzbedingungen der Menschen zu verbessern und dafür zu sorgen, dem Planeten eine kontrollierbare Zukunft zu sichern, richtet sich diese gemeinsame Intelligenz selbst gegen den Menschen. Sie ist zugleich Zeichen der immensen Fähigkeiten des Menschen und der Umlenkung dieser Fähigkeiten gegen die Interessen der Menschheit: Nachdem das Weltall in ein Gelände für Militärmanöver umgewandelt wurde, wird jetzt der Cyberkrieg zu einem Aspekt der Militärstrategie.
Die allgemeine Beschleunigung des Rüstungswettlaufs ist ein ernstzunehmender Gradmesser für die wachsenden Spannungen in der Welt. Die Gefahr eines Krieges ist nicht nur eine Möglichkeit, die aus dem Wesen selbst des Kapitalismus entsteht, sondern eine konkrete Wahrscheinlichkeit, jedenfalls in den Augen der politischen und militärischen Verantwortungsträger der Bourgeoisien.
Es wäre Zeitverschwendung, über die Frage zu spekulieren, welcher der lokalen Kriege sich zu einem verallgemeinerten Konflikt auswachsen könnte.
Das russische Flugzeug, das im 17. September 2018 von seinen eigenen Verbündeten des Assad-Lagers über Syrien abgeschossen wurde, ist zwar ein kleiner Zwischenfall geblieben, so sehr waren die Protagonisten bestrebt, ihn klein zu halten, dennoch steht es symbolisch für die Lage im Nahen Osten, wo sich ununterbrochen bewaffnete Banden, Flugzeuge und Raketen kreuzen, die sowohl von der offiziellen syrischen Armee als auch von den Rebellen und/oder israelischen, russischen, türkischen oder amerikanischen Akteuren ausgesandt wurden. Das bedeutet natürlich nicht, dass jeder beliebige Zwischenfall sich ausdehnen oder gar zu einer weltweiten Feuersbrunst werden kann. Damit das Attentat von Sarajevo zum Auslöser des Ersten Weltkriegs werden konnte, waren weit stärkere Interessenkonflikte zwischen Imperialismen nötig als die unbedeutende Person eines Kronprinzen der Habsburger.
Zum jetzigen Zeitpunkt könnte niemand eine so deutlich sichtbare Bruchlinie ausmachen, wie die, die mit der Machtergreifung der Nazis in Deutschland 1933 nicht nur deutlich zeigte, dass der Marsch in Richtung Weltkrieg begonnen hatte, sondern auch welche Lager sich dabei gegenüberstehen würden.
Die Versailler Verträge, die den Anspruch hatten, den Ersten Weltkrieg zu beenden, kündigten zugleich den Zweiten Weltkrieg an, wie die Kommunistische Internationale damals aufzeigte. Der deutsche Imperialismus als großer Verlierer wurde vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise in gewisser Weise dahin gedrängt, seine Revanche zu nehmen und seine verlorenen Einflussgebiete zurückzuerobern.
Die Geschichte wiederholt sich nie genau gleich. Die kriegerische Eskalation könnte die Form einer Ausdehnung lokaler Kriege annehmen, wie es z.B. im Nahen Osten geschehen ist.
Zahlreiche Spannungsgebiete auf der Welt dauern fort und neue Kriegsdrohungen treten auf. Muss man in Europa selbst an die jüngsten Kriege im Balkan oder die Konflikte zwischen den Staaten, die aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangen sind, insbesondere Russland und die Ukraine, oder den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan erinnern? In einem weit größeren Maßstab befinden sich Indien und Pakistan noch stets im Kriegszustand, was in Kaschmir regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen führt.
Die imperialistische Weltordnung steht ständig neu in Frage.
Gegen den reaktionären Rückschritt, das politische Erwachen des Proletariats
Die reaktionäre Entwicklung der Dinge, die sich in mehreren Ländern in einer Verschiebung nach extrem rechts zeigt, insbesondere in Europa, ist in Lateinamerika mit dem Wahlsieg von Bolsonaro, der am 1. Januar 2019 das Amt des Präsidenten von Brasilien antreten wird, konkret geworden. In diesem Land, das so lange Jahre eine harte Militärdiktatur erdulden musste, die dem Imperialismus gehorchte und den Privilegierten, nämlich dem Bürgertum der Aristokratie der Landbesitzer, zu Diensten war, wurde dieser reaktionäre ehemalige Fallschirmjäger dank der Stimmen eines bedeutenden Teils der armen Wählerschaft, gewählt, darunter auch Wähler, die in der Vergangenheit Lula unterstützt hatten.
Die Linken tragen eine immense Verantwortung für diesen Rückschlag! Die Partei der Arbeiter von Lula und Dilma Rousseff, seit 13 Jahren an der Macht, hat die Hoffnungen, die die armen Massen in sie gesetzt hatten, enttäuscht und verraten. Sie hat sie nicht nur politisch entwaffnet, sie hat sie in die Arme ihrer schlimmsten Feinde getrieben. Die reformistische Linke an der Regierung hat, als sie mit der Wirtschaftskrise und ihren Folgen konfrontiert war, die Drecksarbeit gemacht und die Geschäfte des Bürgertums und des Imperialismus loyal geführt. Nachdem die Arbeit getan war, brauchte ein bis dahin unbekannter rechtsextremer Politiker nur noch die Arme ausbreiten, damit ihm der Sieg in den Schoss fallen konnte. Und die Militärhierarchie, die für 20 Jahre brutale Diktatur verantwortlich ist, erscheint von ihren Verbrechen reingewaschen und kann sich sogar den Luxus leisten, als Garant der Konstitution und der Demokratie zu posieren.
Auch die Verantwortung eines großen Teils der linksextremen Organisationen sei erwähnt. Sie sind lange Zeit hinter der Partei der Arbeiter hergelaufen und haben sie damit gerechtfertigt, anstatt die ausgebeuteten Klassen vor dieser Regierung zu warnen, die sich auf die Arbeiter beruft, um sie zu Gunsten der besitzenden Klassen zu verraten.
Unabhängig von der Politik der künftigen Regierung bedeutet der Wahlerfolg von Bolsonaro schon jetzt eine unmittelbare Bedrohung. In diesem Land, das von der Gewalt der gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt ist, ist sie eine Ermunterung für die bewaffneten Banden, die offiziellen der Polizei, die der Gangs in den Favelas, die der Großgrundbesitzer auf dem Land, sich an denen zu vergreifen, die ihre Ordnung infrage stellen: Gewerkschaftler, landlose Bauern, alle die irgendwie kämpferisch sind oder als Gegner des Regimes erscheinen.
In vielen armen Ländern zeigt sich die reaktionäre Entwicklung der Dinge darin, dass reaktionäre ethnische oder religiöse Kräfte wiederaufleben und sich immer öfter auch etablieren, um die latente Opposition gegen den Imperialismus zu verkörpern, zu kanalisieren und zu beherrschen.
Die revolutionäre Welle von 1917-1919, die das Proletariat in Russland an die Macht brachte, hatte in den unterdrückten Ländern der damaligen Zeit die Wirkung eines Elektroschocks. Die von dieser revolutionären Welle des Proletariats ausgelösten Hoffnungen kristallisierten rund um das revolutionäre Russland zahlreiche Formen der Rebellion gegen die imperialistische Unterdrückung.
Nachdem die revolutionäre Flutwelle wieder abgeklungen war, verwandelte der Stalinismus weltweit die Hoffnungen in Illusionen gegenüber radikalen nationalistischen Strömungen. Um die Massen besser irreführen zu können, haben sich diese Strömungen eine Zeit lang hinter der kommunistischen Fahne versteckt. Die erste Generation nationalistischer Führer, die direkt oder indirekt vom Stalinismus geschult worden waren, wie Mao Zedong, Ho Chi Minh oder Kim Il-sung haben, als sie an die Macht kamen, einer großen Zahl von Nachahmern aus dem nationalistischen Kleinbürgertum von Asien über Afrika bis Lateinamerika eine Methode an die Hand gegeben, um das Aufbegehren ihres jeweiligen Volkes zu flankieren, zu kanalisieren, zu lenken.
Nachdem der Stalinismus sein Werk getan hatte, warf das protestierende Kleinbürgertum der unterdrückten Länder sogar die Wörter Kommunismus und Sozialismus über Bord, um auf die reaktionärsten und anachronistischsten Formen des Nationalismus zuzubewegen. Diese Entwicklung zog sich über viele Jahre durch viele Emanzipationskriege und Guerillas, manchmal siegreich manchmal nicht, von Lateinamerika bis Afrika (insbesondere Algerien) hin. Der Volksaufstand gegen den Schah von Iran 1979 war der erste, der unter der Führung erwiesenermaßen reaktionärer Kräfte davongetragen wurde. Der arme und unterdrückte Teil der Welt hat seitdem viele andere Formen eines Wiederauflebens der Vergangenheit, die von dem Gegenwartsbesitz ergreift, erlitten (religiöser Fundamentalismus, Ethnizismus, Kommunitarismus). Unter ihrem Einfluss oder bei Erfolg unter ihrer Führung ist die Anfechtung des Imperialismus bestenfalls steril, schmiedet aber in den meisten Fällen neue Ketten für die Unterdrückten.
Allein ein Wiederaufleben des revolutionären Kommunismus und der bewussten Kämpfe des Proletariats können dem Kampf gegen die imperialistische Unterdrückung eine positive Perspektive verleihen.
Eine Reihe von Intellektuellen, die sich der Verschlechterung der internationalen Beziehungen und der damit verbundenen Kriegsgefahr mehr oder weniger bewusst sind, verlieren sich heute in Mutmaßungen, um zu erraten, welche Stoßrichtung die nächste weltweite Feuersbrunst haben wird.
Die einen stellen fest, dass das westliche Lager ein gutes Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dabei ist, sich unter der Führung der USA neu zu bilden, indem sie den kalten Krieg gegen Russland mehr oder weniger neu erfinden. Dabei ist zu bedenken, dass das Atlantikbündnis (NATO) gegen die Sowjetunion geschaffen wurde. Die NATO ist mit dem Zerfall der Sowjetunion nicht von der Bildfläche verschwunden. Seit der Integration der ehemaligen Volksdemokratien und im Anschluss daran der Länder des Baltikums hat sie ihre Tätigkeit in Richtung der anderen Länder, die aus dem Zerfall der UdSSR hervorgegangen sind, insbesondere Georgien und die Ukraine, nie eingestellt. Die NATO ist weiterhin ein Instrument der Wiederaufnahme einer "modernisierten" Form der Containment-Politik der USA über Russland.
Andere sehen in China den Hauptrivalen der USA.
Seit dem Sieg der Revolution, die das Mao-Regime an die Macht brachte, ist China zweifelsfrei ein Problem für den amerikanischen Imperialismus.
Wir wollen hier nicht auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen China und den USA in den letzten 70 Jahren zurückkommen. Die jüngste Geschichte hat die Zeit, in der das in Mao-Regime vorgab, gegenüber dem Revisionismus von Chruschtschows und seinen Nachfolgern den echten Kommunismus zu verkörpern, endgültig hinter sich gelassen. Das chinesische Regime hat zwar das kommunistische Etikett und an der Spitze des Staats eine Partei beibehalten, die sich weiterhin darauf beruft, hat dabei aber sein ursprüngliches Markenzeichen, nämlich seine Weigerung, sich der Herrschaft der imperialistischen Mächte zu unterwerfen, aufgegeben.
In den vergangenen 30 Jahren hat sich China von einer nach außen abgeschotteten staatlichen Wirtschaft zu einer relativ offenen Wirtschaft für das Kapital der imperialistischen Mächte entwickelt. Das Regime behält zwar seine diktatorische Form, erlaubt aber und begünstigt sogar die Akkumulation von Privatkapital.
China hat es geschafft, sich eine bedeutende Präsenz auf dem Weltmarkt zu sichern. Die Integration in die kapitalistische Weltwirtschaft erfolgte jedoch weitgehend über eben diesen Staatsapparat, der es dem Land lange Zeit ermöglicht hat, der Herrschaft der imperialistischen Mächte Widerstand zu leisten.
Welche auch die Politik und der politische Diskurs des chinesischen Staates gewesen sein mögen, der chinesische Staat ist nicht aus einer proletarischen Revolution hervorgegangen. Er war immer das Instrument der politischen Interessen seiner nationalen Bourgeoisie, selbst zu Zeiten, in denen es so schien, als sei er von der Bourgeoisie getrennt, zu Zeiten, in denen er das künftige Allgemeininteresse dieser Bourgeoisie gegen die besonderen Interessen einiger ihrer Mitglieder vertrat.
Die wiedererstarkende chinesische Bourgeoisie hat von der maoistischen Vergangenheit oder genauer gesagt von dem hauptsächlich bäuerlichen Volksaufstand, der Mao an die Macht brachte, einen Staatsapparat geerbt, der in der Lage ist, unterschiedlichem Druck des Imperialismus standzuhalten. Weit mehr als das kommunistische Etikett, an das niemand mehr glaubt (die imperialistischen Mächte am allerwenigsten), ist es diese Fähigkeit dieses Staates eines noch zu weiten Teilen unterentwickelten Landes, dem Imperialismus standzuhalten, die in den Augen des Imperialismus die Erbsünde Chinas darstellt.
Was es China heute ermöglicht, seine Wirtschaft zu entwickeln und sich zugleich auf der internationalen Bühne in die obersten Ränge zu hissen, sind Etatismus und Zentralismus. Es ist dieser Etatismus, gestützt auf die größte Bevölkerung der Welt, der es China heute ermöglicht, nicht nur zu einer militärischen und diplomatischen Macht zu werden, sondern auch, seinen Einfluss auf viele arme Länder, insbesondere in Afrika, auszudehnen, und damit den ehemaligen Kolonialmächten Konkurrenz zu machen.
Das Projekt einer neuen "Seidenstraße", die zunehmende wirtschaftliche Präsenz Chinas in Afrika, ihre Militärstützpunkte im Ausland, insbesondere in Dschibuti, nähren die Hirngespinste über einen chinesischen Imperialismus, der eine Bedrohung für den Weltfrieden wäre. Die Bedrohung allerdings nicht von China aus, sondern vom Imperialismus, insbesondere dem amerikanischen. Nicht die chinesischen Kriegsschiffe kreuzen vor New York oder Seattle, es sind die amerikanischen, die im chinesischen Meer patrouillieren.
Zwar wurde das asiatische Gegenstück der NATO, das Militärbündnis SEATO, aufgelöst, aber China bleibt von einem Bündnissystem eingekreist, dass unter der Schirmherrschaft der USA einen ganzen Teil des asiatischen Ostens, von Taiwan bis Japan über Südkorea und die Philippinen umfasst.
Die Entwicklung der Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea scheint die Spannungen in dieser Region, die 1950-1953 Schauplatz eines Militärkonflikts war, der um ein Haar in einen Weltkrieg gemündet wäre, zu glätten.
Das nordkoreanische Regime ist ein Überbleibsel des Koreakriegs und mehr noch der Spaltung der Welt in zwei Blöcke. Die Diktatur, die sich in der Familie Kim weiter vererbt, konnte dem imperialistischen Druck standhalten, wobei ihr die anti-imperialistischen Gefühle der Bevölkerung zugutekamen.
Die Lage des Landes an der Schnittstelle der Einflussbereiche dreier Großmächte - China, die Sowjetunion, heute Russland, und die USA - schien zunächst ein Nachteil zu sein und erweist sich heute als Vorteil für die Führer des Regimes. Der letzte Sprössling der Familie Kim, Kim Jong-un, pokert - bisher erfolgreich - hoch, indem er sich mit Atomwaffen ausrüstet, um seine Entschlossenheit, sich von den USA nichts gefallen zu lassen, deutlich kundzutun. Der Bluff richtet sich zugleich an seine eigene Bevölkerung, da er damit die Radikalität seines Nationalismus zur Schau stellen und zugleich neue Opfer verlangen kann. Es ist wahrscheinlich, dass er dies getan hat, um - ein wenig nach dem Beispiel des Castro-Regimes in Kuba - eine Art der Integration in die imperialistische Weltordnung zu finden, wobei er aber versucht, nicht zu sehr zu ihrem Opfer zu werden. In der imperialistischen Welt werden Länder, die schwach erscheinen, rücksichtslos platt gewalzt.
Die Zukunft wird zeigen, ob sein Kalkül aufgegangen ist. Aber auch hier wird die Sicherheit des nordkoreanischen Staats weniger durch seine kleine Atombombe gewährleistet als durch die Tatsache, dass weder China, noch Russland noch der amerikanische Imperialismus - zumindest im Moment - kein Interesse daran haben, das Risiko einer Krise einzugehen, an der unmittelbar drei Großmächte beteiligt wären, und nicht zu vergessen Japan, das sozusagen in der ersten Reihe der Zuschauerloge säße. Trotz der Zurschaustellung des Treffens zwischen Trump und Kim Jong-un bleibt die Region eine der größten Spannungszonen der Welt.
Naher Osten und Maghreb
Der Nahe Osten steht weiterhin im Zentrum enormer Spannungen. Der Appetit der verschiedenen Mächte auf seine Reichtümer und ihre militärischen Interventionen haben ihn in ein ständiges Konfliktfeld verwandelt. Zum Preis materieller Zerstörungen, Rückschritte und Leiden für die Bevölkerung.
Der syrische Bürgerkrieg scheint mit der Offensive des Regimes gegen Idlib, wo sich die verschiedenen Milizen der Rebellen versammelt haben, bei denen es sich in der Mehrzahl um Dschihad-Gruppen handelt, in sein Endstadium getreten zu sein. Die Militäroffensive geht Hand in Hand mit der Verständigung zwischen dem Regime von Baschar al-Assad, Russland und der Türkei, um letztere dazu zu bringen, diesen Gruppen ihre Unterstützung zu entziehen und sie eventuell bei sich aufzunehmen, wie wahrscheinlich auch ein neues Kontingent an Flüchtlingen.
So ist der Krieg dabei, mit einer Wiederherstellung der Kontrolle des Regimes von Damaskus über beinahe das ganze syrische Hoheitsgebiet zu enden. Die Intervention Russlands ab Ende 2015 hat es dem Regime erlaubt, seine militärische Lage wieder zu verbessern und zu verhindern, dass das Land völlig in die Hände der Milizen fällt, darunter die der Organisation Islamischer Staat, wodurch es völlig unkontrollierbar würde, wie es schon in Afghanistan und Libyen der Fall ist. Russland hat den USA geholfen, die imperialistische Ordnung zu retten, auch wenn für die amerikanischen Führer nicht in Frage kommt, ihr dafür zu danken.
Zwar hat diese Intervention den USA und nebenbei auch ihren europäischen Verbündeten erspart, dass Syrien und die Region im totalen Chaos versinken, jedoch ist der Preis, den sie dafür zahlen müssen, eine Verstärkung des Einflusses Russlands und des Irans, dem sie sich zu widersetzen versuchen. Die Proteste der amerikanischen und europäischen Führungskreise unter humanitären Vorwänden, ihre Warnungen an Syrien in Bezug auf den tatsächlichen oder angenommenen Einsatz chemischer Waffen sind keineswegs auf ihre Sorge für das Schicksal der Bevölkerung zurückzuführen. Ihr Zweck ist, die Präsenz der Westmächte in Syrien und der Region sicherzustellen.
Nach den Rückschlägen in Afghanistan und im Irak haben es die imperialistischen Führer vorgezogen, eine neuerliche direkte Militärintervention im Nahen Osten zu vermeiden. Sie haben sich vorläufig auf die kurdischen Milizen in Syrien und im Irak gestützt, die ihre eigenen Gründe hatten, sich dem Vorrücken der dschihadistischen Milizen entgegenzustellen. Dabei zeigt das imperialistische Lager jedoch nicht die geringste Absicht, einen Schritt in Richtung der Anerkennung der nationalen Rechte des kurdischen Volkes zu tun. Der Imperialismus stützt sich weiterhin vor allem auf die lokalen Mächte, wie Israel, aber auch Saudi-Arabien und seine Verbündeten.
Das saudi-arabische Regime will die Rolle seines Landes als bedeutende Regionalmacht und Verbündete der USA, vor allem gegenüber dem Iran bekräftigen. Das Regime hat seine Beziehungen zu Katar abgebrochen. Das Land wird der Nachsicht gegenüber dem Regime in Teheran beschuldigt, mit dem das Land sich die Nutzung bedeutender Gas- und Ölvorkommen teilt. Die saudischen Führer unterstützen z.B. weiterhin die dschihadistischen Milizen in Syrien und vor allem setzen sie in Jemen mit der Unterstützung der Emirate einen Krieg mit katastrophalen Folgen für die Bevölkerung fort. Dafür genießen Sie die offene Unterstützung des amerikanischen Imperialismus und insbesondere von Trump, aber auch eine mit mehr Heuchelei verbundene Unterstützung Frankreichs. Unter dem Vorwand, sich dem wachsenden Einfluss des Iran zu widersetzen, wird wieder einmal ein ganzes Land zerstört und in Einflusszonen aufgeteilt, um die sich die verschiedenen Milizen streiten, während die Bevölkerung in abschreckender Not und Verzweiflung versinkt. Zum Beispiel schätzen NGOs, dass mehr als 5 Millionen Kinder von Hungersnot bedroht werden.
Die Entscheidung Trumps, das Nuklearabkommen mit dem Iran infrage zu stellen, dass sein Vorgänger erwirkt hatte, wird in erster Linie von dem Interesse bestimmt, zu verhindern, dass der Iran stärker wird und an Einfluss gewinnt. Dieses Land, das viel Erdöl und eine große, gebildete Bevölkerung besitzt, versucht seit dem Fall des Schahs, eine relativ unabhängige Politik zu führen. Die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen mit den Ländern, die durch das Nuklearabkommen ermöglicht wurden, würde es nur noch mehr stärken. Indem er das Abkommen zerreißt, zwingt der amerikanische Imperialismus seinen westlichen Partnern aber auch seinen lokalen Verbündeten seine Entscheidungen auf. So wurde der Türkei, die seit mehreren Jahren versucht, eine ausgewogene Politik zwischen Washington und Moskau zu führen, der Befehl erteilt, ihre Beziehungen mit dem Iran einzustellen, und das obwohl diese für ihre Wirtschaft entscheidend sind. Darüber hinaus hat Trump verhängt Sanktionen, indem er Einfuhren von türkischem Stahl und Aluminium mit Zöllen belegt. Angesichts des geringen Gewichts dieser Einfuhren handelt es sich um eine symbolische Geste, aber auch sie zielt darauf ab, der Türkei und den anderen Regimes deutlich kundzutun, dass der amerikanische Imperialismus Herr über die Region zu bleiben gedenkt.
Die von Trump entschiedene Verlegung der amerikanischen Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem war wahrscheinlich zu einem großen Teil innenpolitisch motiviert, z.B. die jüdischen und vor allem die evangelischen Wähler zufriedenzustellen. Aber es geht auch darum, auf brutale Weise denjenigen, die die USA als ihre zuverlässigsten Verbündeten im Nahen Osten betrachten, ihre Unterstützung zu versichern. So will Trump nicht einmal so tun, als suche er eine ausgewogene Lösung für die Palästinenserfrage in einem Friedensprozess, der seit langem nur noch Fiktion ist. Das bestärkt die Netanjahu-Regierung und den rechtsextremen Flügel in Israel in ihrer unerbittlichen Haltung sowie die Arroganz der Verfechter einer Fortsetzung der Kolonisierung und der Annexion des Westjordanlands. Für das palästinensische Volk rückt die Aussicht auf Anerkennung seiner Rechte und auf einen eigenen Staat noch weiter in die Ferne. Die Isolierung des Gazastreifens und die Bestrafungspolitik der israelischen Führer machen die Lage für die Bevölkerung noch dramatischer.
In der Türkei spiegelte die Entscheidung des Präsidenten Erdogan, die Wahlen auf Juni 2018 vorzuziehen, seine Angst vor einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und seine Angst, am ursprünglich vorgesehenen Datum die Macht zu verlieren, wider. Die Wahl hat er gewonnen aber die Wirtschaftskrise, die in den Sommermonaten zum Absturz der türkischen Währung geführt hat, konnte er nicht vermeiden. Zum mangelnden Vertrauen in die wirtschaftlichen Aussichten kommen das neue Embargo, das Trump den Handelsbeziehungen mit dem Iran auferlegt hat, und die Spannungen mit den USA. Nach jahrelangem Wachstum, das zu einem Großteil von Bankkrediten genährt wurde, zieht sich das Kapital nun aus der Türkei zurück, was zu einer Geldentwertung führt, wie sie auch in anderen so genannten Schwellenländern zu beobachten ist. Viele Unternehmen mit Dollar- oder Euroschulden sind dabei, Konkurs anzumelden. Die Kaufkraft im senkrechten Fall, die Vervielfältigung der Entlassungen führen zu einer rapiden Verschlechterung der Lage für die Bevölkerung. Die Diktatur Erdogans schafft es nicht, die Reaktionen der Arbeitenden vollständig zu ersticken.
Eigentlich ist die Verschlechterung der sozialen Lage in der ganzen Region spürbar. Ende 2017 und Anfang 2018 flammte im Iran die Revolte auf, vor allem in den einfachen Bevölkerungsschichten. Im Sommer war es im Irak, dass sich die Bevölkerung in der Gegend von Basra gegen eine unerträglich gewordene Situation auflehnte und sich sogar gegen die schiitischen Parteien und Milizen, die die Region beherrschen, richtete. Selbst in Jordanien, einem Land, in dem man wenig an Proteste gewöhnt ist, haben im Juni Demonstrationen und Streiks stattgefunden, um gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen zu protestieren, die zum Rücktritt des Premierministers geführt haben. Kriege, materielle Zerstörung und wirtschaftliches Chaos verschlimmern in der gesamten Region die Lage der Bevölkerungsmassen, und das manchmal dramatisch. Die nationalistischen, kommunitären oder religiösen Überbietungen und Zusammenstöße können den Protest, der sich nunmehr auf sozialem Terrain zeigt, nicht verhindern.
Sieben Jahre nach dem "arabischen Frühling" hat dieser in eine Sackgasse geführt. In Tunesien wurde anstelle einer Revolution nur die Fassade des Regimes geändert. Im Höchstfall hat das ein paar Freiheiten gebracht, aber keinerlei Verbesserung der sozialen Lage. Diese verschlimmert sich in den drei Ländern des Maghreb (Tunesien, Algerien, Marokko), was in manchen Regionen zu Aufständen führt, während ein Teil der Jugend sich auf den Weg ins Exil macht. In Ägypten ist anstelle der Mubarak-Diktatur die noch härtere Diktatur von al-Sissi getreten. In Syrien mündete der Versuch, die Diktatur von Assad in Frage zu stellen, in einen derartigen Bürgerkrieg, dass der Sieg des Regimes heute als das geringere Übel erscheinen kann. In Libyen folgte dem Aufstand gegen das Gaddafi-Regime eine imperialistische Intervention, die unter dem Vorwand, die Bevölkerung vor einem Massaker zu retten, das Land letztendlich ins Chaos gestürzt hat. So ist Libyen heute die Arena von Zusammenstößen zwischen Milizen, hinter denen sich die Rivalitäten zwischen insbesondere dem französischen und italienischen Imperialismus verbergen. In der gesamten Region hat die Politik der imperialistischen Mächte den reaktionärsten Kräften Vorschub geleistet, und das oftmals in einem Maße, dass sie riskieren, die Kontrolle über sie zu verlieren.
Neuerliche soziale Explosionen sind unvermeidlich. Es lässt sich nicht vorhersagen, wann und wo sie auftreten werden, aber ohne proletarische revolutionäre Kräfte, die sich dafür einsetzen, den lokalen Bourgeoisien die politische Macht zu entziehen und die imperialistische Ordnung in der Region in Frage zu stellen, laufen sie Gefahr, in neuerliche Sackgassen zu münden.
Die USA in der Ära Trump
Trump, der 2016 mit dem Versprechen gewählt wurde, Amerika wieder groß zu machen, macht vor allem durch seine reaktionären Aussagen von sich reden. Dabei führt seit Jahrzehnten jede amerikanische Regierung eine noch rechtere Politik als die vorangegangene. Aber während die früheren Präsidenten, ob Demokraten oder Republikaner, ihren Maßnahmen bisher einen gesellschaftlich annehmbaren Lack verliehen, brüstet sich Trump der seinen mit rassistischen und frauenfeindlichen Äußerungen: Maßnahmen gegen Frauenrechte, Rückendeckung für Polizeibeamte, die Schwarze töten, Beleidigungen gegen protestierende schwarze Sportler, Ernennung eines der Vergewaltigung Verdächtigten an den Obersten Gerichtshof, unverhohlene Unterstützung der Waffenlobby... Er ist nicht der erste Präsident, der Immigrantenkinder von ihren Eltern trennt, aber der erste Präsident, der sich damit brüstet. Er fügt sich also in eine Entwicklung ein, die schon lange den Weg nach rechts eingeschlagen hat. Aber stärkt rassistischem und sexistischem Verhalten den Rücken. So ermuntert er den rechtsextremen Flügel, verschlimmert in der Arbeiterklasse existierende Spaltungen Und verschleiert dabei auch die Verschlechterung der Existenzbedingungen der Arbeiterklasse.
Über seine Politikerdemagogie hinaus hat Trump sich vor allem bemüht, den Reichsten des Landes zu dienen. Anfang 2018 ließ er eine Steuerreform verabschieden: Die Steuern werden im in den kommenden zehn Jahren um rund 1.700 Milliarden Dollar gesenkt werden. Diese Steuersenkungen sind ungleich verteilt: Über 1.400 Milliarden kommen den großen Unternehmen und den Reichsten 5% zugute, die restlichen 300 Milliarden werden auf die verbleibenden 95 Prozent verteilt. Wie schon die früheren Steuersenkungen unter Reagan, Bush und Obama werden sie die Spekulation nähren und eine Minderheit bereichern.
Die Börsenkurse brechen Rekorde und sogar viele bürgerliche Wirtschaftswissenschaftlicher finden die Kurse übertrieben. Sollte es in den nächsten Wochen zu einem neuen Börsenkrach kommen, wären die USA kaum in der Lage, ihre Banken zu retten, wie sie es 2008 getan haben. Das Haushaltsdefizit wird jedes Jahr größer und die Staatsverschuldung steigt rapide. Und während alle Zutaten für einen neuen Krach vereint sind, schauen Trump, die Haushaltsminister und die Chefetagen der US-Notenbank, die Bankiers und alle Großkapitalisten zwar mit Sorge in die Zukunft aber auch voller Vertrauen. Genau wie die Erste-Klasse-Passagiere der Titanic, die dem Orchester lauschten, während das Schiff schon sank, da sie darauf zählen konnten, dass die Rettungsboote für sie da sein würden, während die Passagiere der dritten Klasse sicher sein konnten, zu ertrinken.
"Die amerikanische Wirtschaft ist blühender denn je. [...] Es gibt die wenigsten Bezieher von Arbeitslosengeld seit 50 Jahren", trompetete Trump von der Tribüne der Vereinten Nationen. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 3,9%, die niedrigste Rate seit 1969, und nur halb so hoch wie gemittelt in der Eurozone. Als die Arbeitslosigkeit unter Obama bei 5-6% lag, war es Trump selbst, der sagte, dass sie in Wirklichkeit 28-29%, vielleicht sogar 35% oder gar 42% betrage. In Wirklichkeit zeigt sich keine Verbesserung der Beschäftigungslage. Natürlich hat es seit 2010 Einstellungen gegeben. Aber erstens arbeiten viele in Teilzeit und leben trotz einem oder mehreren Jobs unter der Armutsgrenze. Zweitens liegt die Erwerbsbeteiligung, die den Teil der Bevölkerung misst, die arbeitet oder Arbeit sucht, heute bei 62,7%. 2008 waren es noch 66%. 24 Millionen Erwachsene zwischen 25 und 54 sind davon ausgeschlossen. Und dabei handelt es sich nicht nur um Familienmütter. In Wahrheit sind mehr und mehr ältere Menschen gezwungen zu arbeiten, um ihre magere Rente aufzubessern, während ein großer Teil der Menschen im arbeitsfähigen Alter an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden, und das oft nach Jahren der Prekarität.
Tragweite und Grenzen der protektionistischen Politik
In seinem Wahlkampf hat Trump an protektionistischen Wahlversprechen nicht gespart, um die Wähler der einfachen Bevölkerung anzusprechen, die Opfer des seit 40 Jahren währenden, massiven Arbeitsplatzabbaus in der Industrie sind. Zwei Jahre später werden die Zwischenwahlen am 6. November vielleicht zeigen, ob er diese Wählerschaft mit seiner Politik halten konnte. Diejenigen, die Trump mit seiner Politik, seinen Lügen und den Skandalen rund um seine Präsidentschaft anwidert, und die Demokraten wählen, werden ihm den zweiten Teil seiner Präsidentschaft vielleicht erschweren. Aber die Demokraten näher an die Macht zu bringen, beeinträchtigt in keiner Weise die Herrschaft der amerikanischen Bourgeoisie über ihren Staat.
Bisher richten sich die protektionistischen Maßnahmen vor allem gegen China. Gegenüber diesem Land hat sich das amerikanische Handelsdefizit von 80 Milliarden $ im Jahr 2000 auf 335 Milliarden im Jahr 2017 vergrößert. Eine steigende Zahl chinesischer Güter wird nunmehr bei ihrem Eintritt auf den amerikanischen Markt mit Steuern oder Kontingenten belegt. China wehrt sich, hat aber dazu nur begrenzte Mittel. Die Güter und Dienstleistungen, die das Land in den USA kauft, stellen nur ein Drittel dessen dar, was die USA in China kaufen. Oder anders ausgedrückt, die USA haben in einem Handelskonflikt weniger zu verlieren. Auch mit Europa weist die amerikanische Handelsbilanz ein Defizit von rund 100 Milliarden Dollar auf und Trump als treuer Diener im Dienste der Interessen der Unternehmen seines Landes möchte die Krallen ihrer Konkurrenten stutzen. Dabei kann er sich auf die Tatsache stützen, dass die Staaten der Europäischen Union, die sich zwar zu einer Zollunion zusammengeschlossen haben, untereinander uneinig sind und in gegenseitiger Konkurrenz stehen. Ferner kann er sich auf die Schlüsselrolle des Dollars in den internationalen Handelsbeziehungen stützen, die die großen europäischen Konzerne z.B. zwingt, der amerikanischen Weisung, den iranischen Markt zu verlassen, zu gehorchen. Und schließlich stützt er sich auf die amerikanische Militärmacht.
Unter den Maßnahmen, die getroffen wurden, um die Interessen der Bourgeoisie seines Landes zu wahren, kann Trump sich z.B. damit brüsten, Ende August die Unterschrift Mexikos und nun auch Kanadas unter einer geänderten Fassung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens Alena erhalten zu haben. Zwar unterscheidet sich das neue Abkommen nicht sonderlich vom alten, aber es öffnet den kanadischen Agrarmarkt ein Stück weit für die Güter der USA, erhöht den Anteil der in diesen drei Ländern hergestellten Automobilbauteilen gegenüber den in Asien produzierten, und führt eine Klausel gegen das Sozialdumping in Mexiko ein, die weder den mexikanischen noch den amerikanischen Arbeitern Schutz bieten wird.
Im Grunde scheint die Politik der Trump-Regierung eher darin zu bestehen, die Wettbewerbsstellung der USA zu stärken als sich auf einen echten Handelskrieg einzulassen. Zum derzeitigen Zeitpunkt bleibt ein Großteil der von ihm angekündigten Schutzzölle unverwirklicht. Es gibt zwar Kapitalisten, die eine Erhöhung der Zölle befürworten, die amerikanische Bourgeoisie als Ganzes wünscht aber keinen Handelskrieg. Und die Demokratische Partei, die diese Bourgeoisie ebenso vertritt wie die Republikaner, steht einem solchen Handelskrieg feindlich gegenüber. Die Automobilhersteller in Michigan würden natürlich gerne den Anteil der koreanischen oder japanischen Fahrzeuge auf dem Inlandsmarkt verringern, aber der größte Teil dieser Fahrzeuge werden im Süden der USA hergestellt. Darüber hinaus wollen die amerikanischen Hersteller keine höheren Preise für Stahl bezahlen, sei er auch Made in USA! Zudem wollen sie ihre Fahrzeuge weiterhin im Rest der Welt verkaufen können. Die amerikanische Regierung wird derzeit von tausenden Ausnahmeanträgen von Unternehmen überschwemmt, die keinen durch Zölle verteuerten Stahl oder Aluminium kaufen möchten. Selbst ein großer Teil dessen, was aus China in die USA importiert wird, bringt in erster Linie den amerikanischen Kapitalisten etwas ein, so z.B. die in China montierten iPhones, deren Gewinne vor allem an Apple fließen.
Im Wirtschaftskrieg verfügen die USA darüber hinaus über andere Waffen als Zölle. In den internationalen Handelsbeziehungen, die vor allem in Dollar stattfinden, können sie Geld drucken oder sich verschulden, um ihr Handelsdefizit zu finanzieren, und dabei mehr verbrauchen als sie produzieren. Schließlich haben die USA zwar in der Tat in 30 Jahren 5,5 Millionen Industriearbeitsplätze verloren, d. h. 30%, jedoch ist die Industrieproduktion des Landes im gleichen Zeitraum um 60 % gestiegen. Die Ursachen des Arbeitsplatzabbaus sind in erster Linie beim Produktivitätszuwachs und der kapitalistischen Raffgier zu suchen.
Wir wissen nicht, ob die jüngsten Ankündigungen von Trump in Bezug auf den internationalen Handel, die zum Teil von den Wahlen am 6. November bestimmt wurden, in eine Zuspitzung der protektionistischen Maßnahmen münden können. Sollte dem so sein, wären die Folgen schwer abzuschätzen. Was wir wissen, ist, dass die Arbeitenden weder am Freihandel etwas zu gewinnen haben, der eine Facette der Wirtschaftspolitik der Bourgeoisie darstellt, noch am Protektionismus, der eine andere Facette dieser Wirtschaftspolitik der Bourgeoisie darstellt.
Russland und Ukraine: zwischen dem Hammer der Weltwirtschaftskrise und dem Amboss der internen Krisen
Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Sowjetunion kämpft Russland, die ihr Hauptbestandteil war noch immer, ihren Platz in der krisengeschüttelten kapitalistischen Welt zu finden. Dies umso mehr, da sich mit der Verschlimmerung dieser Krise die Rivalitäten zwischen den die Welt beherrschenden Großmächten weiter zuspitzen und dies die wenigen Möglichkeiten, die Neuankömmlinge - diese BRICS, zu denen Russland neben China, Indien, Brasilien und Südafrika gehört - haben, um sich im Imperialismus einen Platz an der Sonne zu sichern, noch weiter reduziert.
Zumindest in diesem Sinne verfolgen die Wirtschafts- und Finanzsanktionen, die die USA und die Europäische Union seit 2014 unter dem Vorwand der Annexion der Krim gegen Russland verhängt haben, dasselbe Ziel wie die anderen Sanktionen, die im Rahmen der sich weiter anspannenden Handelsbeziehungen insbesondere China treffen.
Zwar befand sich Russland für eine Zeit und aus ihren eigenen Gründen im gleichen Lager wie die Großmächte in Syrien, aber unterschwellig hat der kalte Krieg nie aufgehört. Was der Kreml als die Anerkennung seiner führenden Stellung durch die internationale Gemeinschaft - will heißen die Westmächte - ausgab, beschränkte sich in Wirklichkeit darauf, ihm die Rolle einer (sicherlich entscheidenden) Ersatztruppe in der militärischen Niederlage vom IS zuzuschreiben. Aber sobald dieses Ziel erreicht war, haben sich die USA und ihre Verbündeten beeilt, sich dem Anspruch Russlands, seinen Einfluss in der Region zu etablieren, systematisch und auch mit Gewalt entgegenzustellen.
Nicht dass Russland eine echte Bedrohung für die imperialistische Ordnung darstellen würde, aber der Imperialismus kann zu einer Stunde, da die kapitalistische Welt immer mehr in einer Krise versinkt, aus der kein Ausweg zu sehen ist, nur versuchen, sich die ganze Welt noch mehr zu unterwerfen.
Der ukrainische Präsident Poroschenko sagt nichts anderes, Als er sein Land Ende September als die Ostflanke der NATO gegenüber Russland bezeichnete. Zwar ist Kiew (noch) kein Mitglied der NATO, aber Washington und seine Verbündeten unterstützen dieses anti-russische Regime, in welchem sie eine Kriegsbeute des Westens sehen, unter großem Krafteinsatz.
Als Reaktion auf den Verlust dieser zweitgrößten ehemaligen Sowjetrepublik hat der Kreml 2014 die "Rückkehr zum Mutterland" der Krim und die Abspaltung des industriellen Donezbeckens orchestriert.
Dieses Kräftemessen zwischen Russland und dem Westen auf dem Rücken der Ukraine hat bereits über 10.000 Todesopfer, hunderttausende Flüchtlinge und riesige Zerstörungen verursacht und ist ein eiterndes Geschwür an der russischen wie der ukrainischen Gesellschaft.
In der Ukraine dient es als Rechtfertigung dafür, dass das Land einer nationalistischen Flutwelle mit einer starken rechtsextremen Komponente, der Herrschaft der bewaffneten Banden der mafiösen Oligarchen und einer noch schlimmeren Korruption als zur Zeit des verhassten Janukowitsch ausgesetzt ist. Das Regime hat einen solchen Grad der Zersetzung erreicht, dass es angesichts der nahenden Präsidentschaftswahlen Stimmen gibt, die zur Rückkehr zu einer Politik der starken Hand nach dem Vorbild Putins im von Jelzin ruinierten Russland aufrufen.
In Russland diente die "Rückkehr auf ewig" der Krim Putin in seinen hurrapatriotischen Unterfangen. Er hat einen Nationalfeiertag daraus gemacht und schwingt sie wie eine Trophäe und als Beweis für die wiedergefundene Größe des Landes mit dem Ziel, die Bevölkerung vor den Wagen der russischen Bürokratie zu spannen und sie ihr Schicksal oder zumindest die Lust, dieses zu ändern, vergessen zu lassen.
Das hat Putin letzten März genützt. Als Kandidat für ein viertes Präsidentschaftsmandat wurde er vor einer Reihe von Konkurrenten, die die Statistenrolle spielten, klar wiedergewählt, nachdem er zuvor den einzigen Politiker, der ihm wirklich hätte gefährlich werden können, aus dem Weg geräumt hatte. Es handelt sich um ausländerfeindlichen Rechtsanwalt, Korruptionskritiker und Lobsänger des freien Markts Nawalny, was ihn zum Liebling der russischen Kleinbürger und der westlichen Medien macht.
Kurz nach diesem Wahltriumph, als der Kreml einen neuen Erfolg feierte, nämlich die Gastgeberschaft für die Fußballweltmeisterschaft, war er zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten mit sozialem Protest konfrontiert. Grund dafür ist, dass die Regierung das Rentenalter um 5 Jahre für Männer und 8 Jahre für Frauen erhöhen will.
Putin, der diese Reform im Wahlkampf mit keinem Wort erwähnt hatte, ließ sie im Juni von seinem Premierminister verkünden. Sollte der Lärm um die Weltmeisterschaft nicht ausreichen, die Unzufriedenen zu übertönen, würde die Unbeliebtheit der Maßnahme auf den zurückfallen, der sie angekündigt hatte. Und da zwei Vorsichtsmaßnahmen besser sind als eine, ließ der Kreml in den Städten, in denen die Spiele stattfanden, Demonstrationen verbieten.
Eine Unterschriftensammlung der Gewerkschaften, die die Widerrufung der Reform verlangte, erhielt innerhalb weniger Tage 3 Millionen Unterschriften. Im Zuge dessen trotz Verbot und später trotz Sommerpause wiederholt Versammlungen abgehalten, zu denen Tausende, manchmal Zehntausende kamen.
Die als Opposition geltenden kleinen Gewerkschaften und Parteien, die diese Aktionstage abwechselnd organisierten, richteten sich nicht an die Arbeitenden in den Unternehmen. Und schon gar nicht riefen sie zum Streik auf, obwohl die Regierung die Arbeiterklasse als solche angriff. Angesichts der sehr weit verbreiteten Ablehnung der Reform und des Einbruchs der Beliebtheitsquote Putins haben diese Gewerkschaften und Parteien nicht einmal so getan als wollten sie die Bewegung über einen aktiven, aber begrenzten Bruchteil der Bevölkerung hinaus ausdehnen, denn ein sich ausbreitender sozialer und politischer Protest hätte sie in eine wirklich schwierige Lage gegenüber der Regierung gebracht.
Und gegen Ende des Sommers, als Putin als über dem Gemenge stehender Schiedsrichter posierte, indem er versprach, die Reform am Rande abzuändern, beeilten sich Gewerkschaften und Parteien der Opposition, ihm zuzustimmen.
Das läutete das Ende der Bewegung ein. Was bleibt, ist das, was sich einige der Millionen Männer und Frauen, die mit der Bewegung sympathisierten, auch wenn sie nicht daran teilnehmen konnten oder wollten, aus dem, was sie in diesen drei Monaten beobachten konnten, gemerkt haben. Nämlich, dass der "gute Zar", sein Regime und diejenigen, deren Interessen sie dienen, nämlich die hohe Bürokratie und die Oligarchen, bereit waren, sie "bis zum Tode arbeiten zu lassen", wie es auf Flugblättern und Schildern hieß. Und dass es einen unverrückbaren Antagonismus zwischen "ihnen" und "uns" gibt, und dass, wenn sie, die Reichen, die Ausbeuter, die Parasiten den Staat und die Organisationen auf ihrer Seite haben, und darunter auch die Regierungspartei Vereintes Russland, die Arbeiter eine Partei brauchen, die die politischen Interessen ihrer Klasse vertritt.
Die krisengeschüttelte Europäische Union
Mehr als sechzig Jahre sind seit jenem 25. März 1957, an dem der Vertrag von Rom den gemeinsamen europäischen Markt schuf, um zu versuchen, einige Folgen der Zersplitterung Europas in Nationalstaaten zu überwinden, die ihren Volkswirtschaften gegenüber ihren Rivalen, die über große Hoheitsgebiete verfügen und in erster Linie die USA, die Luft zum Atmen nimmt, vergangen. In dieser langen Zeit konnte besagter europäischer Aufbau nur eine erbärmliche Missgeburt zur Welt bringen, eine dürftige Karikatur dessen, was die Einheit der Völker Europas sein könnte und sollte.
Bis zur Verschärfung der Konkurrenz zwischen den imperialistischen Bourgeoisien Europas und den USA durch die Finanzkrise 2008 tat die Europäische Union mehr schlecht als recht ihren Dienst. Aber gerade in Zeiten der Krise und des verschärften Wettbewerbs bräuchten die europäischen Bourgeoisien die Einheit, um stärkeren Rivalen standhalten zu können. Nun müssen sie aber nicht nur das Gesetz des Stärkeren, d. h. der USA, hinnehmen, sondern zeigt der angebliche europäische Aufbau auch noch überall Risse. Sogar die gemeinsame Währung, die in der Zeit ihrer Einführung als entscheidender Schritt dargestellt wurde, hat in der Eurokrise gezeigt, dass sie außer dem Namen nichts Gemeinsames hat, und dass das Spekulationskapital in der Lage ist, den Euro der imperialistischen Länder, insbesondere Deutschland und Frankreich, gegen den griechischen, portugiesischen und demnächst vielleicht den italienischen Euro auszuspielen.
Seit der Krise von 2008 befindet sich die Europäische Union ständig zwischen einer Krise und der nächsten. Die Finanzkrise ist zwar in den USA entstanden, hat Europa aber ebenso stark, wenn nicht stärker getroffen. Eurokrise, brutale Disziplinierung Griechenlands, Proteste gegen Brüssel von Seiten der Führungsriegen der osteuropäischen Staaten der Visegrad-Gruppe, der Brexit und seine Folgen, die so genannte Flüchtlingskrise, d. h. die verschiedenen, niederträchtigen Reaktionen der europäischen Staaten rund um die Ablehnung einer Aufnahme der Migranten: Die Fassade der Einheit ist sichtlich in der Auflösung begriffen, was sich manchmal auf wirtschaftlichem, manchmal auf politischem Terrain zeigt.
Vereint ist Europa heute vor allem durch die Wirtschaftskrise und ihre sozialen und politischen Folgen. Überall ist die Bourgeoisie in der Offensive gegen die Arbeiterklasse, wobei sich die Intensität je nach Mitgliedstaat unterscheidet. Überall nimmt die Armut derer, die die kapitalistische Krise zu Arbeitslosen gemacht hat, zu.
Natürlich unterscheidet sich die Situation in den imperialistischen Ländern Europas von der Lage in den anderen Ländern. Die förmliche Gleichheit zwischen den Ländern der Union verschleiert zu einem gewissen Grad die Herrschaft des imperialistischen Teils Europas, beendet sie aber nicht. Griechenland verdeutlicht dies. Die arbeitenden Massen Griechenlands wurden im Rahmen einer Sparpolitik, deren Hauptnutznießer die deutschen, französischen und britischen Banken waren, ausgeblutet.
Die Nationalisten bzw. Protektionisten aller Spielarten bringen hier in Frankreich regelmäßig mal den polnischen Klempner, mal den bulgarischen oder rumänischen LKW-Fahrer aufs Tapet. Aber sie verlieren weit weniger Worte darüber, dass das Kapital von Konzernen wie Renault, PSA, Mercedes oder Toyota, die großen Unternehmen der ehemaligen Volksdemokratien, die ihnen rentabel erschienen waren, aufgekauft haben und in den osteuropäischen Ländern auch heute noch von kompetenten Arbeitskräften zu Löhnen profitieren, die nur halb oder ein Drittel so hoch sind, wie die Löhne in den imperialistischen Ländern.
Seit über einem Jahrhundert erstickt die europäische Wirtschaft in der Enge der Nationalstaaten. Und es ist ein Jahrhundert her, dass Trotski die Unfähigkeit der europäischen Staaten den Kontinent zu vereinen als Ausdruck der Unfähigkeit der Bourgeoisie anprangerte, noch irgendetwas in Richtung eines Fortschritts für die Menschheit zu tun.
Europa hat die Rivalität zwischen den imperialistischen Bourgeoisien mit zwei Weltkriegen bezahlt, wobei jedes Lager versuchte mit Gewalt und Kriegsmitteln die durch die wirtschaftliche Entwicklung erforderlich gewordene Vereinigung des Kontinents durchzusetzen.
Der heutige Zustand Europas, das Aufeinanderprallen nationaler Interessen, die Unfähigkeit der Staaten, nicht nur gemeinsame Entscheidungen zu treffen, sondern sogar der Auflösung etwas entgegenzusetzen, zeigen, wie oberflächlich der europäische Aufbau in diesem halben Jahrhundert war und wie anfällig, weil widersprüchlich und fragil.
Die revolutionären Kommunisten stellen ihr Wirken in die Perspektive einer Vereinigung Europas und sind für die Abschaffung aller Grenzen, die es zersplittern. Das steht nicht im Widerspruch dazu, dass alle Völker Europas für ihre eigene Zukunft verantwortlich sind, in Zusammenarbeit mit allen anderen, ganz im Gegenteil.
Aber die Geschichte zeigt einmal mehr, dass dieses Ziel nicht durch Geschacher zwischen nationalen Bourgeoisien zu erreichen ist, sondern nur durch den revolutionären Umsturz der Bourgeoisie in allen Ländern des Kontinents und durch die Ergreifung der Macht durch das Proletariat.
Die politischen Debatten, die sich anlässlich der Europawahlen abzeichnen, versprechen eine Gegenüberstellung zweier Lager, wobei eines Europa weiter vorantreiben will und das andere dagegen ist. Diese Diskussion wird genauso verzerrt sein, wie die zwischen Links und Rechts, die hier in Frankreich lange als Ausdruck der Demokratie galt. Den beiden sich gegenüberstehenden politischen Lagern ist Europa ebenso egal wie seine Völker.
Hier ist anzumerken, dass die Staatschefs von Ungarn, Polen, der Slowakei, Österreich und seit Kurzem Italiens, die es ablehnen, Flüchtlinge auf ihrem Grund und Boden aufzunehmen, und diejenigen, die sich wie Macron ein menschlicheres Gesicht geben wollen, sich nur durch die größere Scheinheiligkeit der Letzteren unterscheiden. Wo Orban Stacheldraht auf dem Landweg der Flüchtlinge errichtet, lehnt es der "Humanist" Macron ab, dass die humanitären Schiffe, die den Migranten zur Rettung kommen, in französischen Häfen anlegen. Macron trägt nicht den brutalen Hurrapatriotismus eines Orban zur Schau. Aber die Aufnahme der Flüchtlinge einem gemeinsamen europäischen Standpunkt zu unterstellen, bedeutet im Klartext, dass er ihre Aufnahme der ausdrücklichen Erlaubnis aller Staatschef der Europäischen Union unterstellt, einschließlich Orban.
Das Recht auf Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit zu verlangen, in egal welchem Land Europas und für alle, ungeachtet ob auf europäischen Boden geboren oder nicht, gehört zu den elementaren demokratischen Rechten.
Weit über diesen elementaren Ausdruck der Solidarität hinaus müssen die revolutionären Kommunisten die Ablehnung der Migranten als einen Ausdruck der Dekadenz und der Fäulnis der kapitalistischen Gesellschaftsform bekämpfen. Sie müssen sich dafür einsetzen, dass die Migranten in die Arbeiterklasse und ihre Kämpfe integriert werden.
Die Unfähigkeit Europas, sich zu vereinen, ist nicht die Unfähigkeit eines Mannes, einer Partei oder eines politischen Lagers, sondern die Unfähigkeit der Bourgeoisie. Diese Gesellschaftsklasse ist nicht mehr in der Lage, der Gesellschaft etwas wie auch immer Fortschrittliches zu bieten. Eben diese Unfähigkeit der Bourgeoisie nährt die souveränistischen Fantasien im Allgemeinen und die rechtsextremen im Besonderen.
Die revolutionären Kommunisten bekämpfen alle Institutionen der Bourgeoisie, nationale wie europäische, im Namen der politischen Interessen des Proletariats und des Internationalismus. Den Arbeitenden direkt oder indirekt vorzumachen, der bürgerliche Nationalstaat und seine Souveränität seien ein Schutz gegen das bürgerliche Europa, und mehr noch, mit den bürgerlichen Parteien zu flirten, die sich als Souveränisten darstellen, ist eine reaktionäre Dummheit. Eine der reaktionärsten Aspekte der Herrschaft der Bourgeoisie ist die Aufsplitterung in Nationalstaaten, während die Wirtschaft weltweit immer sozialisierter ist. Genau diese weltweite Sozialisierung ist es, die die kommunistische Revolution nicht nur möglich, sondern unverzichtbar für jede künftige kontrollierte Entwicklung der menschlichen Gesellschaft macht.
Die revolutionäre kommunistische Partei und Internationale aufbauen
Die anhaltende Krise des Kapitalismus es nicht die soundsovielte zyklische Krise des Zeitalters des "freien Wettbewerbs", von der sich das Kapital letztendlich erholt. Das war schon in der Zeit nicht mehr der Fall, als Lenin in "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" schrieb: "Das ist schon etwas ganz anderes als die alte freie Konkurrenz zersplitterter Unternehmer, die nichts voneinander wissen und für den Absatz auf unbekanntem Markte produzieren. (...) Die Produktion wird vergesellschaftet, die Aneignung jedoch bleibt privat. Die gesellschaftlichen Produktionsmittel bleiben Privateigentum einer kleinen Anzahl von Personen. Der allgemeine Rahmen der formal anerkannten freien Konkurrenz bleibt bestehen, und der Druck der wenigen Monopolinhaber auf die übrige Bevölkerung wird hundertfach schwerer, fühlbarer, unerträglicher. (...) Der Kapitalismus ist so weit entwickelt, dass die Warenproduktion, obwohl sie nach wie vor "herrscht" und als Grundlage der gesamten Wirtschaft gilt, in Wirklichkeit bereits untergraben ist und die Hauptprofite den "Genies" der Finanzmachenschaften zufallen. Diesen Machenschaften und Schwindeleien liegt die Vergesellschaftung der Produktion zugrunde, aber der gewaltige Fortschritt der Menschheit, die sich bis zu dieser Vergesellschaftung emporgearbeitet hat, kommt den ...Spekulanten zugute."
Die aktuelle Krise ist eine Zivilisationskrise. Sie verdirbt alles, von den internationalen Beziehungen bis zu den individuellen Verhaltensweisen. Als Antwort auf die Zweifler seiner Zeit, die behaupteten, dass "die historischen Bedingungen für den Sozialismus noch nicht reif" seien, bekräftigte Trotski im Übergangsprogramm: "Die objektiven Voraussetzungen der proletarischen Revolution sind nicht nur schon "reif", sie haben sogar bereits begonnen zu verfaulen."
Der Kapitalismus hat zwei von ihm verursachte, weltweite Feuersbrünste überlebt. Aber dass der Zweite Weltkrieg so schnell dem Ersten folgte, hat gezeigt, wie provisorisch die Genesung war. Die derzeitige Krise, die sich mit ihren Höhen und vor allem ihren Tiefen seit dem Beginn der 1970 er Jahre fortsetzt, das langsame und erstickende Absinken in den wirtschaftlichen und politischen Stillstand zeigen, dass die Genesung nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso provisorisch war.
Zwar überlebt sich der Kapitalismus von Genesung zu Genesung selbst, aber das menschliche Leben liegt im Sterben. 700-800 Millionen Frauen, Männer und Kinder sind weltweit zu Unterernährung verurteilt mit ständig schwelenden Hungersnöten, und das, obwohl die Menschheit alle Mittel hat, dem ein Ende zu setzen. Die Polarisierung des Reichtums in den Händen einer Minderheit von Parasiten, die die Herrschaft über die großen Produktionsmittel haben, war noch nie so erdrückend. Ein Symptom neben vielen anderen für die katastrophalen Auswirkungen dieser Polarisierung: In den USA, Leitstern und perfekte Verkörperung des Kapitalismus, das in den 1960er Jahren den Weltrekord der längsten Lebenserwartung hielt, geht die Lebenserwartung heute so stark zurück, dass sie sogar hinter mehrere asiatischen Länder zurückfällt, denn dort wie hier verliert der Begriff soziale Sicherheit jegliche Bedeutung.
Die Menschheit hat die rund 100 Millionen Toten und die riesigen Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs anhand von Etatismus überstanden. Dieser Etatismus wurde von den Staaten der Bourgeoisie durchgeführt. Um der Katastrophe zu entrinnen, waren sie gezwungen, an die Stelle der normalen Funktionsweise des Kapitalismus - individueller Wettbewerb und Privateigentum - zu treten. Das war in gewisser Weise das Tribut des Lasters an die Tugend, ein Ausdruck der Grundtendenz der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung hin zu kollektiven Lösungen.
Als sich die Krise 2008 mit den drohenden Finanzkrachs verschlimmerte, waren es wieder die Staaten, die eingegriffen haben, um den Kapitalismus vor den krankhaften Folgen der Finanzialisierung zu retten, die seine "normale" Funktionsweise hervorgebracht hat. Trotz Der immer brutaler werdenden staatlichen Therapie wird das Krebsgeschwür des Kapitalismus immer schlimmer.
Die Menschheit ist nicht mehr nur von lokalen oder mehr oder weniger verallgemeinerten Kriegen bedroht. Sie wird von ihrer eigenen Aktivität bedroht, selbst dort, wo Zerstörung nicht die Absicht ist. Zahlreiche Wissenschaftler läuten die Alarmglocken und setzen sich gegen die Klimaerwärmung, die Verschmutzung der Ozeane, die verantwortungslosen und nicht wieder gutzumachenden Zerstörungen der Umwelt, den steigenden Meeresspiegel ein. Das geht so weit, das bei Ausbleiben der entsprechenden Maßnahmen das Überleben der Menschheit selbst in Frage steht.
Aber wer könnte diese Maßnahmen treffen?
Auch die ehrlichsten Umweltschützer, die von diesen Bedrohungen sprechen, haben keine Antwort. Denn diese Antwort kann nur aus dem gemeinsamen Willen einer Menschheit entstehen, die Herr über ihr eigenes gesellschaftliches Treiben ist. Aber das kollidiert an irgendeiner Stelle immer mit dem Privateigentum über die Produktionsmittel und die angeborene Anarchie der kapitalistischen Produktionsform.
Noch nie in ihrer Geschichte war die Menschheit mit Problemen konfrontiert, für die es nur auf der Ebene der gesamten Menschengemeinschaft eine Lösung gibt.
Ebenfalls noch nie haben die Fortschritte in Wissenschaft und Technik, vom Internet bis zur quasi augenblicklichen Nachrichtenübermittlung, den Menschen so viele Mittel an die Hand gegeben, um kollektive Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.
Noch nie hatte der Gegensatz zwischen dem Gemeinschaftsinteresse und den privaten Interessen so bedrohliche Folgen für die gesamte Menschheit.
Das Proletariat selbst ist zu großen Teilen von der Moral, dem Individualismus, den Kommunitarismen aller Art befallen, die der Kapitalismus in seiner Verwesung absondert. Bereits Lenin stellte fest, dass "die imperialistische Ideologie auch in die Arbeiterklasse dringt, die von den anderen Klassen nicht durch eine "chinesische Mauer" getrennt ist." Diese Feststellung äußerte er mitten im Weltkrieg in "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus". Das war im Frühjahr 1916, nur ein Jahr vor der Revolution in Russland und der revolutionären Flutwelle, die darauf folgte.
Denn zugleich bleibt das Proletariat wie schon zu Lebzeiten von Marx die einzige Gesellschaftsklasse, deren Interessen es gegen die Bourgeoisie und das kapitalistische System stellen. Zugleich die einzige Klasse, die objektiv zum Kollektivismus tendiert. Sie allein kann Träger der kollektiven Lösungen sein, mit denen die Herausforderungen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, in Angriff genommen werden können.
Bleiben also - brennend - aktuell diese Worte aus dem Übergangsprogramm: "Alles hängt ab vom Proletariat, d. h. in erster Linie von seiner revolutionären Vorhut. Die historische Krise der Menschheit ist zurückzuführen auf die Krise der revolutionären Führung."
Der Wiederaufbau dieser revolutionären Avantgarde ist eine Frage des Überlebens geworden. Der Wiederaufbau der kommunistischen und revolutionären Parteien und ihrer Internationale, d. h. der IV. Internationale, ist die grundlegende Aufgabe unserer Zeit. Beide werden aus der gleichen Bewusstwerdung hervorgehen: Sie werden zugleich das Anzeichen und das Instrument der Vertiefung dieses Bewusstseins im Kampf der ausgebeuteten Massen gegen die Ausbeuter sein. Dieser Klassenkampf muss bis zum Ende gehen, bis zum weltweiten Umsturz der politischen Macht der Bourgeoisie, bis zu ihrer Enteignung, um die Grundlagen einer neuen - klassenlosen - Gesellschaftsordnung zu legen, in der die Menschheit endlich die Kontrolle über ihr eigenes gesellschaftliches Tun hat.
3. November 2018