(Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2017 verabschiedet)
Während nach der Eroberung von Mosul und Rakka die Staatsoberhäupter der Großmächte lautstark ihren Sieg über IS bejubelten, gab das verbale Duell zwischen Trump und Kim Jong-un eine Vorstellung von den Spannungen, die die internationalen Beziehungen beherrschen. Beide Seiten bluffen, aber es sagt einiges über die anhaltende Kriegsstimmung.
Zwischen dem Bluff des Präsidenten der größten imperialistischen Macht, die überall auf der Welt interveniert, und dem Bluff des Führers eines kleinen unterentwickelten Landes, das unter der ständigen Bedrohung der USA steht und zur Zeit des Koreakrieges bereits deren militärische Intervention der erlebt hat, besteht allerdings keinerlei Symmetrie.
Die Beziehungen zwischen den Großmächten werden vom Trio USA-Russland-China beherrscht, wobei der amerikanische Imperialismus eine eindeutige militärische und diplomatische Vormachtstellung innehat. Ihre gegenseitigen Beziehungen bilden eine Mischung aus Rivalität und Zusammenarbeit: Rivalitäten zwischen den USA und Russland insbesondere an den westlichen Extremitäten Russlands, wobei als Vorwand die Ukraine und die tatsächlichen oder angeblichen Befürchtungen der baltischen Länder oder Polens dienen, und zugleich Zusammenarbeit im Nahen Osten; Rivalitäten zwischen den USA und China, insbesondere im chinesischen Meer und allgemein in Südostasien, und zugleich Zusammenarbeit auf internationaler Ebene.
Es handelt sich vorerst nur um Manöver, Säbelrasseln und Kraftproben, aber sie sagen mehr über die internationalen Beziehungen aus als die beschwichtigen Reden in der UNO oder das Schultergeklopfe zwischen den Diplomaten der Großmächte.
Während die Bourgeoisie es nicht schafft, aus der weltweiten Krise ihrer Wirtschaft herauszukommen, laufen mehrere lokale und regionale Konflikte Gefahr, eine größere Auseinandersetzung hervorzurufen.
Die so wenig vereinigte europäische Union versucht sich in das Spiel des amerikanisch-russisch-chinesischen Trios einzumischen, ohne großen Erfolg. Zwar soll sie wirtschaftlich gesehen eine Großmacht sein, aber genau das ist sie eben nicht, weil sie hinter der scheinbaren Einheit, die die zahlreichen Rivalitäten, die sie zerreißen, nicht verdeckt, eine Vielheit ist. Rivalitäten zwischen den drei imperialistischen Mächten, die den Kontinent beherrschen - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - wie sie z.B. die Verhandlungen zeigen, um den Brexit bestmöglich den widersprüchlichen Interessen der einen und der anderen entsprechend zu managen (mit unter anderem der Konkurrenz zwischen Paris, Frankfurt und Amsterdam, die versuchen, sich den Finanzkuchen der City von London unter den Nagel zu reißen); Rivalitäten einer anderen Art zwischen den imperialistischen Mächten Europas und dem weniger entwickelten Teil des von ihnen beherrschten Kontinents.
Die Machtverhältnisse zwischen den westeuropäischen Imperialismen und dem östlichen, weniger entwickelten Teil des Kontinents, die von der formellen Gleichheit zwischen Mitgliedern der Europäischen Union kaum verdeckt werden, haben sich in den vergangenen Jahren bei der Erdrosselung Griechenlands ausgiebig gezeigt.
Sie führen immer mehr zu defensiven Reaktionen der ehemaligen Volksdemokratien, insbesondere der Visegrad-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn), die trotz des übertriebenen Hurrapatriotismus ihrer jeweiligen Regimes versuchen, zu einem Einvernehmen zu gelangen. Dies um innerhalb von Europa gegenüber drei imperialistischen Mächten, deren Konzerne ihre Wirtschaft beherrscht, zu überleben und aus ihrer Bedeutungslosigkeit im Konzerte der Nationen außerhalb der Europäischen Union herauszukommen.
Die reaktionäre Entwicklung in ganz Europa spiegelt sich in diesen vier Ländern noch deutlicher, auf noch autoritärere bzw. noch groteskere Art wider. Ihre politischen Führer versuchen, die Unzufriedenheit und die Frustration in der einfachen Bevölkerung, die von der Krise und der zunehmenden Ungleichheit getroffen wird, zu kanalisieren, indem sie identitäre Losungen schwingen und gegenüber den Migranten als Verteidiger des "christlichen Europas" posieren.
Die Befürworter des Orban-Regimes in Ungarn stellen die Errichtung von Stacheldrahtzäunen, die die Durchreise der Migranten, die über die Balkanroute kommen, verhindern sollen, als einen Akt des Widerstands gegen Brüssel dar, das ihnen zufolge die Arroganz des reichen Teils Europas verkörpert. Damit geben Sie den Regierenden in den imperialistischen Demokratien die Möglichkeit, sich als Verteidiger der Grundfreiheiten darzustellen die von einem Orbán in Ungarn oder einem Kaczynski in Polen mit Füßen getreten werden, und bei der gleichen Gelegenheit die Ausbeutung verschleiern, die ihre Konzerne den Arbeitenden dieser Länder aufzwingen, denen sie nur ein Drittel oder ein Viertel dessen zahlen, was ihre Klassenbrüder im Westen für dieselbe Arbeit bekommen.
Die von ihren internen Antagonismen unterminierte europäische Union lässt den Regierenden der zweitrangigen imperialistischen Mächte, die sie beherrschen, im diplomatischen oder militärischen Bereich freie Hand. Aber jede dieser Großmächte spielt auf internationaler Ebene ihre eigene Partition, sowohl was Russland oder China betrifft als auch in der Spannungsregion Naher Osten gegenüber der Türkei oder dem Iran In Wirklichkeit sind es die USA, die es schaffen, Ihnen den Anschein, einer momentanen Einheit aufzuzwingen, sei es in Bezug auf den Boykott dieses Urteil jenen Staates, der Washington nicht gefällt, oder in Bezug auf militärische Interventionen.
In dieser Kakophonie zeichnet sich der französische Imperialismus durch eine besondere Aggressivität aus, insbesondere gegenüber seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien. Die Präsidenten wechseln, aber die französischen Truppen sind weiterhin in mehreren Ländern Afrikas präsent und der französische Imperialismus, der auf der internationalen Bühne nur Nebenrollen spielen darf, posiert als Gendarm des Kontinents.
Seit einem guten Jahrhundert ersticken die Staaten Europas in ihren nationalen Grenzen und die Geschichte hat die Vereinigung Europas auf die Tagesordnung gesetzt. Aber die nationalen Bourgeoisien konnten sich nur auf diese Groteske Missgeburt einigen, die als europäische Union herhält. Als Zeichen des Rückschritts der Geschichte unter dem dekadenten Kapitalismus sind sogar die Nationalstaaten, diese große Schöpfung der nationalen Bourgeoisien in weit zurückliegenden Zeiten, als sie gegenüber der feudalen Zersplitterung für Fortschritt standen, zersetzenden Kräften ausgesetzt: separatistische Schübe in Schottland, der Lombardei, Venetien oder zwischen dem flämischen und dem wallonischen Teil Belgiens, die Forderung nach Unabhängigkeit Kataloniens. In dieser vollständig globalisierten Wirtschaft lässt der kapitalistische Abstieg die feudale Zersplitterung wieder aufleben.
Die revolutionären Kommunisten müssen den Anstieg dieser Nationalismen, die sich gegenüberstehen und sich gegenseitig nähren, bekämpfen. Sie müssen sich auch "der Demoralisierung der Arbeiter durch einen verfeinerten Nationalismus" entgegenstellen, "der die Spaltung und Zersplitterung des Proletariats unter den wohlaussehendsten und wohlklingendsten Vorwänden predigt", den Lenin in einem Artikel vom Mai 1914 beschrieben hat: "Damit ist der proletarische Internationalismus, der nicht nur die Annäherung der Nationen, sondern die Verschmelzung der Arbeiter aller Nationalitäten des betreffenden Staates in einheitlichen proletarischen Organisationen propagiert, absolut unvereinbar."
Lenin hat diesen Text gegen verschiedene populistische Organisationen geschrieben, wie den Bund in Russland selbst und die Vertreter den so genannten Austromarxismus. Aber man könnte meinen, er wäre heute gegen das nationalistische Gefasel einer gewissen radikalen Linken, insbesondere in Katalonien, geschrieben worden.
USA
Am 8. November 2016 wurde Trump, obwohl er 3 Millionen weniger Stimmen hatte als seine Konkurrentin, in der "größten Demokratie der Welt" gewählt. Dieser Multimilliardär, ein Neuling in der Politik, hatte schon für Überraschung gesorgt, als er sich in den Vorwahlen der Republikaner gegen die Spitzenkandidaten der Partei durchsetzte. Trump hat den Sieg gegen Hillary Clinton, die als Liebling der Wirtschaftskreise doch eine tadellose politische Laufbahn im amerikanischen Staatsapparat vorzuweisen hatte, entgegen allen Prognosen davongetragen. Geschafft hat er das mit einem aus dem Rahmen fallenden Cocktail aus protektionistische der Demagogie, dem Versprechen, Arbeitsplätze zurückzubringen, Anprangerung des "Systems", ausländerfeindlichen Äußerungen gegen Immigranten im Allgemeinen und Muslime im Besonderen, sowie dreckigen sexistischen Bemerkungen. Nachdem Sie sich einmal von ihrer Überraschung erholt hatten, haben Wall Street und die amerikanische Bourgeoisie ihn schnell als einen der ihren erkannt. Nachdem er in seinem Wahlkampf als Sprecher der amerikanischen Arbeiter aufgetreten ist, stellt Trump nunmehr einen Haushalt vor, in dem der offizielle Steuersatz für Unternehmensgewinne von 38 % auf 20 % gesenkt wird. Letztendlich verpflichten Wahlversprechen über das zurückbringen von ausgelagerten Arbeitsplätzen nur diejenigen, die daran glauben, und fremdenfeindliche oder sexistische Äußerungen stören Finanziers nur wenig.
Seitdem hat Trump seinen Ruf als reaktionärer Demagoge, neben dem Le Pen als gemäßigte Politikerin erscheint, gefestigt. Ist Trump ein Dummkopf, der schneller twittert als er nachdenkt? Allerdings. Aber er ist nicht der erste Idiot im Weißen Haus. Vor allem lässt die mächtigste Bourgeoisie der Welt die Leitung ihrer Angelegenheiten nicht vom Zufall der Persönlichkeiten abhängen, auch nicht von ihrem Präsidenten. Der amerikanische Staatsapparat hat Tausende Führungskräfte auf allen Ebenen, die sich mit Geist und Seele den Interessen der Kapitalisten widmen, und die Institutionen selbst sind mit zahlreichen Bremsen und Gegengewichten ausgestattet, nicht zuletzt dem Kongress, deren beide Kammern in der Hand einer republikanischen Mehrheit sind. Der Kongress hat noch keine einzige der versprechen umgesetzt, für die Trump gewählt wurde (Abschaffung der Obamacare, Bau einer Mauer entlang der mexikanischen Grenze, usw.). Es lässt sich nicht einmal ausschließen, dass die Opposition versucht, Trump abzusetzen, sollte sich dieser als zu unkontrollierbar erweisen oder sollte er seine persönlichen Geschäfte zu sehr mit denen des Staates verwechseln, wie es mit Russland der Fall ist, wo Trump die Interessen seines Konzerns und die der USA ein wenig durcheinandergebracht hat. Die Ernennung eines Sonderstaatsanwaltes weist in diese Richtung und erinnert auch daran, dass Trump, so arrogant und eingebildet er auch ist, nicht allein an der Macht ist. Jedenfalls hat sich, obwohl er für das Versprechen gewählt wurde, dass sich alles ändern würde und er seit acht Monaten an der Macht ist, nichts Grundlegendes geändert.
Selbst in der Außenpolitik besteht der Bruch, den er verkörpern will, ist mehr Gehabe als Wirklichkeit. Er ist forsch aufgetreten gegen Nordkorea, Venezuela oder den Iran. Aber er hat nicht das Atomabkommen mit Iran aufgekündigt. Die Demagogie nach Politikerart für den internen Gebrauch ist eine Sache, die Angelegenheiten des Imperialismus eine andere.
Die Migranten standen im Mittelpunkt der Angriffe von Trump, der sich insbesondere an den 11 Millionen Einwanderern ohne Papiere vergriffen hat. Die migrantenfeindliche Demagogie und die Militarisierung der mexikanischen Grenze sind nicht neu. Zwischen 2000 und 2016 sind mindestens 6.023 Migranten in Arizona, in Texas und Neu Mexiko bei dem Versuch ums Leben gekommen, über diese immer hermetischer geschlossene Grenze zu kommen, die bereits teilweise aus einer Mauer besteht. Wenn Trump also darauf abzielt, die Bedingungen für Migranten zu verhärten, so ist er nicht der erste. Während der achtjährigen Präsidentschaft von Obama (2009-2017) wurden 3,1 Millionen Migranten ausgewiesen, eine Rekordzahl, und auch unter Clinton (1993-2001) und Bush (2011-2009) waren die Ausweisungszahlen hoch.
Trump droht einem Programm ein Ende zu setzen, das 800.000 jungen Einwanderern (dreamers) ein Bleiberecht in den USA gibt, wenn sie als Minderjährige mit ihren Eltern ins Land gekommen sind. In den Grenzen der Befugnisse des Präsidenten kann er die Aufnahme- und Existenzbedingungen der ausländischen Arbeiter verschlimmern. Die Weiterreise tausender Immigranten nach Kanada ist ein Ausdruck dieser Befürchtung. Aber letztendlich haben die USA, die zwar ihre Existenz den Einwanderern verdankt, auch oft eine restriktive Politik in diesem Bereich gehabt. Eins ist allerdings sicher: Die migrantenfeindliche Politik hört dort auf, wo das wohlverstandene Interesse der Kapitalisten beginnt. Die Menschen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung sind leicht auszubeutende Arbeitskräfte, auf die die industrielle Landwirtschaft, die Industrie, die Lebensmittelindustrie, die Bauindustrie und ... die Golfhotels von Trump selbst nicht verzichten können.
Russland und Ukraine
Es heißt, Russland sei das Land mit den meisten Dollarmilliardären pro Einwohner, während Millionen Menschen dort mit weniger als dem Existenzminimum auskommen müssen.
Diese gellende Kluft zwischen einer Minderheit von Superreichen und dem Großteil der Bevölkerung mit ihren Grundschullehrern, die 120 Euro pro Monat verdienen, während ein hochqualifizierter Arbeiter 550 Euro verdient, ist heute ein auffallendes Merkmal der russischen Gesellschaft.
Die Plünderung der Wirtschaft und der einfachen Bevölkerung durch die privilegierten Machthabenden (Bürokraten, Mafiosi und Neureiche) hat in dem Vierteljahrhundert, seitdem die Bürokratie durch ihre Gier und Unverantwortlichkeit die ihr unterstehende Sowjetunion, diese sehr entfernte Erbin des vor 100 Jahren aus der Oktoberrevolution entstandenen Arbeiterstaates, zum Bersten und dann zum Verschwinden gebracht hat, nie aufgehört.
Russland ist als wichtigster Staat der aus diesem Zusammenbruch hervorgegangen ist (von seiner Bevölkerung, seinem relativen Reichtum und seiner Stellung in den internationalen Beziehungen hier) auch heute noch von dieser Unverantwortlichkeit der privilegierten sozialen Klassen und Schichten gegenüber ihrem eigenen System geprägt.
So hat der russische Präsident eine neue Amnestie für diejenigen erklärt, die das Geld, das sie ins Ausland gebracht haben, wieder ins Land brächten. Sie hat nicht mehr Wirkung als die davor. Die von den Reichen organisierte Kapitalflucht verwehrt Russland die Mittel für seine Erholung. Darüber hinaus nährt sie ein globales Finanzsystem, das von den imperialistischen Mächten, allen voran den USA, beherrscht wird, mit denen die russische Regierung entgegen aller offensichtlichen gegenteiligen Beweise vorgibt, mithalten zu können.
Es ist nur dem Anschein nach ein Paradox, dass der Kreml, der auf der Suche nach Mitteln für eine gewisse wirtschaftliche Entwicklung ist, die Modalitäten für die Eintragung von russischen Gesellschaften in ausländische Handelsregister gelockert hat. In Wirklichkeit kann Putin nicht anders, als den Kasten und Klassen, die er an der Spitze der Macht vertritt, zu dienen, selbst dann, wenn ihr räuberisches Verhalten ihren eigenen Staat schwächt.
Diejenigen, die dieses parasitäre System bereichert, sehen in Putins Macht ihren besten Schutzwall gegenüber dem Rest der Gesellschaft, wobei Putin, der dies zwar noch nicht offiziell angekündigt hat, sich darauf vorbereitet, im März nächsten Jahres ein viertes Mandat an der Spitze der Russischen Föderation zu erlangen. Ohne glaubwürdigen Rivalen, weder in der hochrangigen Staatsbürokratie noch unter den mehr oder weniger gleichgeschalteten Oligarchen, erscheint er als der einzige, der in der Lage ist, das Regime zu lenken.
Die Instabilität des Regimes, an dessen Spitze Putin steht, zwingt ihn, jegliche Kritik mundtot zu machen, darunter die einzige, wenigstens ein bisschen organisierte Opposition hinter dem Rechtsanwalt Nawalny, der die Korruption der Regierungsmitglieder angeprangert.
Es sind nicht Nawalnys Ideen - ein fremden Feind Nationalist und Monarch ist, Lobsänger des Kapitalismus - die der Kreml fürchtet. Es ist die Tatsache, dass seine Kritik gewisser Schandflecken des Regimes auch über das Kleinbürgertum der Geschäftsleute und der intellektuellen Jugend hinaus ein Echo findet, das er landesweit in verbotenen Demonstrationen mobilisiert.
Insofern man das von weitem beurteilen kann, findet seine Kritik des parasitären Verhaltens der Machthabenden ein Echo bei einem breiteren Publikum in den Unternehmen. Zugleich gibt die Obrigkeit zu, dass es in der Arbeiterklasse eine zwar diffuse aber reale Unzufriedenheit gibt.
International ist Russland, das versucht seine diplomatischen und militärischen Interessen zu verteidigen, gezwungen, seine Dienste den USA anzubieten, um diesen bei der Lösung heikler Probleme zu helfen: im Nahen Osten und in Nordkorea.
Das hält den Imperialismus und in erster Linie die USA nicht davon ab, weiterhin Druck auf Russland auszuüben, und dies bis in sein Revier. Unter dem Vorwand der Annexion der Krim haben sie neue, spektakuläre Sanktionen gegen den Kreml verhängt und sie unterstützen am ausgestreckt Arm das nationalistische und fremdenfeindliche Regime von Poroschenko in der Ukraine, ein Regime, das keinesfalls besser ist als das von Putin, allein deswegen Gnade in den Augen des Westen findet, weil es Russland ein Dorn im Auge ist.
Naher Osten
Der Naher Osten ist aufgrund seiner strategischen Lage und seinem Ölreichtum seit langer Zeit das Epizentrum der imperialistischen Rivalitäten und damit auch ein Barometer für die Beziehungen zwischen den Großmächten.
Die Organisation islamischer Staat hat dieses Jahr einen großen Teil der Territorien verloren, dass sie in Irak Syrien erobert hatte, insbesondere die Städte Mosul und Rakka. Desgleichen haben die Truppen von Baschar al-Assad Aleppo von den Oppositionsgruppen, die zu einem großen Teil aus Dschihad-Milizen bestehen, zurückerobert. Das bedeutet aber keineswegs das Ende der Konflikte, weder in Syrien noch im Irak, noch in der übrigen Region. Im Gegenteil, es brechen Rivalitäten zwischen den verschiedenen, betroffenen Mächten aus.
Die relative Stabilisierung in Syrien ist in erster Linie auf die Intervention Russlands zurückzuführen, die die USA akzeptiert haben, weil sie keine Kontrolle mehr über die Situation hatten. Das Regime in Damaskus, das auch Hilfe vom Iran und der libanesischen Hisbollah erhalten hat, geht gestärkt daraus hervor. Nachdem sie auf seinen Sturz gesetzt hatten, akzeptieren die imperialistischen Mächte es jetzt als geringeres Übel, da sie so zumindest einen Ansprechpartner haben, der über eine gewisse Autorität verfügt. Aber die Tatsache, dass es sich um einen bevorzugten Bündnispartner Russlands und des Iran handelt, ist für sie ein Problem. So fahren sie also fort, gegen das Regime in Damaskus und andere Druck auszuüben bzw. einzugreifen. Die einzelnen Verbündeten, auf die sich die imperialistischen Mächte stützen können, haben allerdings oft widersprüchliche Interessen und können nicht immer kontrolliert werden.
So will Saudi-Arabien, der traditionelle Verbündete der USA, sich gegenüber dem Iran, dessen Stärkung es fürchtet, als Regionalmacht behaupten. Im Jemen hat sich das saudi-arabische Regime aus Angst, dass sich dort eine von Saudi-Arabien nicht kontrollierbare, politische Kraft entwickelt, die die Opposition im eigenen Land stärken könnte und sogar als Stützpunkt für die regionalen Ziele seines iranischen Rivalen dienen könnte, in eine militärische Intervention gestürzt. Das saudi-arabische Regime, das bekanntermaßen so viel zur Entwicklung der dschihadistischen Gruppen beigetragen hat, hat auch mit Katar gebrochen, welches es pikanterweise der Komplizenschaft mit den Terrorismus beschuldigt. Der wahre Grund ist, das Katar, das bereits eine Kooperation mit Iran für die Ausbeutung eines riesigen Erdgasvorkommen eingegangen ist, auch wirtschaftliche Ziele im künftigen Wiederaufbau Syriens verfolgt und die finanziellen Mittel hat, diese mit interessierter Unterstützung von Seiten der Türkei zu realisieren. Saudi-Arabien möchte Katar und seinen Verbündeten in der Region, darunter die anderen Emirate, gegenüber klarstellen, dass es nicht akzeptieren wird, wenn sie sich dem Iran nähern oder sich von der Regionalherrschaft Saudi-Arabiens zu befreien versuchen.
Die Türkei zahlt ihrerseits für die Folgen des Misserfolgs ihrer Interventionen in Syrien, mit denen sie die dschihadistischen Gruppen unterstützte. Erdogan muss die Stärkung des Assad-Regimes sowie des russischen und iranischen Einflusses in Kauf nehmen. Zugleich würde er gerne seine Beziehung mit Saudi-Arabien waren, es aber vor allem vermeiden mit Katar zu brechen, ein Land, mit dem er enge wirtschaftliche und finanzielle Beziehungen aufgebaut hat und insbesondere was die Erschließung von Erdöl- und Gasvorkommen betrifft, über die er mit diesen Ländern derzeit verhandelt. Und schließlich gehört zu den Ergebnissen des Kriegs in Syrien die Installation eines neuen autonomen kurdischen Territoriums an der türkischen Grenze, Rojava, dessen Führer mit der PKK, der autonomistischen Organisation der türkischen Kurden, verbündet sind.
Für den Kampf gegen die Organisation islamischer Staat, möglichst ohne den Einsatz von Bodentruppen, haben sich die USA weitgehend auf die kurdischen Kämpfer im Irak und in Syrien gestützt. Diese erwarten nun eine Belohnung in Form der Anerkennung ihrer Autonomie. Das ist schon seit langem der Fall im irakischen Kurdistan, deren Führer mit der Organisation eines Unabhängigkeitsreferendums gerade den Preis in die Höhe treiben. Aber die USA und auch Russland bekämen Schwierigkeiten mit ihren Verbündeten, sei es mit dem Iran, mit Syrien, dem Irak oder der Türkei, wenn sie die Autonomie oder gar die Unabhängigkeit der kurdischen Territorien anerkennen würden. Möglich und auch nur für eine gewisse Zeit ist ein gewisser Status quo.
Mehr denn je ist der Nahe Osten für die Großmächte ein Interventionsgebiet, indem ihre Interessen und die ihrer Verbündeten in einem Knäuel aus Widersprüchen verstrickt sind. Aber für Serien, den Irak und Jemen ist das Ergebnis der jüngsten Konflikte die Zerstörung und Zersplitterung dieser Länder, in denen die Bevölkerungen nur die Wahl zwischen der Willkür der verschiedenen Milizen und der Willkür der Diktaturen oder Halbdiktaturen hat. Ebenfalls zu diesem Bild gehört die Verschlimmerung der Situation in Israel und den besetzten Gebieten, die Radikalisierung der Netanjahu-Regierung und ihrer Repression, die den Palästinensern keinerlei Hoffnung lässt. Im Nahen Osten zeichnet ein Krieg, der endet, bereits die Umrisse der nächsten Konflikte.
China
Auf dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas wurde Xi Jinping für weitere fünf Jahre gewählt, und zwar im Triumph, wie es sich in China, das noch immer von sich behauptet, kommunistisch zu sein, gehört. Wenn man den Kommentaren der westlichen Presse Glauben schenken will, ist dies ein Triumph für den wiedergewählten Generalsekretär, der einmal mit Mao Tse-tung, dann wieder mit Deng Xiaoping verglichen wird oder mit beiden zugleich, wenn er nicht als roter Kaiser bezeichnet wird! Xi Jinping scheint es gelungen zu sein, den verschiedenen Clans und Faktionen seine Autorität aufzuzwingen, deren Rivalitäten um die zentrale oder regionale Macht das Regime von innen untergruben. Die Zukunft wird zeigen, in welchem Maße diese Autorität echt ist oder nicht.
Mehrere Affären rund um tatsächliche oder als Vorwand dienende Korruptionsfälle, die in jüngster Zeit zu großen Skandalen geführt haben, haben diese Fraktionskämpfe an der Staatsspitze ein ganz klein wenig ins Licht gebracht. Die Affäre um Bo Xilai, Mitglied des Politbüros, ehemaliger Minister und Parteiführer in Chongqing, einer der größten Städte des Landes, mündete 2013 in seine lebenslange Inhaftierung. Im Fall hat er eine ganze Reihe weiterer Mitglieder der Führungsriege mit sich gerissen. Mit einer Ehefrau und einem Polizeichef, die des Mordes beschuldigt waren, stand das Szenario einem Roman noir-Kriminalroman in nichts nach.
Die Affäre um Bo Xilai war nur der sichtbare Teil des Eisbergs. Die Bereicherung der relativ breiten Schicht der Privilegierten, die sowohl hochrangige Bürokraten des Staatsapparats als auch Neureiche umfasst, wirkt sich permanent zersetzen auf den Staatsapparat des riesigen Landes mit seiner 1,379 Milliarden Menschen zählenden Bevölkerung aus.
Eine gewisse Anzahl hochrangiger Amtsträger der Partei und des Staatsapparats steht den großen Städten wie Shanghai, Peking, Kanton, Shenzhen oder Regionen von der Größe eines Staats vor. Sie haben eine beachtliche politische Macht, die von den vielfachen Verbindungen, die ständig zwischen der Führungskaste und der Geschäftswelt geknüpft werden, noch gestärkt werden.
Angesichts des Gewichts, das der Staat noch stets im Wirtschaftsleben innehat, können die Vermögen der chinesischen Millionäre oder gar Milliardäre nicht ohne die Unterstützung und Beihilfe der höchsten Kreise von Staat und Partei entstehen.
Zwar haben der chinesische und der sowjetische Staat verschiedene Ursprünge, aber der Zerfall des Sowjetstaats unter Gorbatschow ist eine ständige Mahnung für die Führungsriege des chinesischen Staates. Der Staatsapparat kann sich aufgrund der Rivalitäten zwischen eben jenen, deren Interessen er gewährleisten soll, sehr schnell zersetzen.
Die Einheit des Staates, der zugleich den zersetzenden Kräften der Rivalitäten zwischen Staatsbürokratien ausgesetzt ist, ist für die Wahrung der kollektiven Interessen der Führungsschicht unverzichtbar.
Unverzichtbar in erster Linie gegen die einfache Bevölkerung, angefangen bei der Arbeiterklasse, die heute wahrscheinlich die zahlreiche und stärkste Arbeiterklasse der Welt ist, ob sie nun in Staatsbetrieben oder in den zahlreichen, mit westlichen Unternehmen verbundenen Großbetrieben für Löhne arbeitet, die gerade mal ein Fünftel oder gar ein Zehntel der Löhne darstellen, die in Japan, den USA Erinnerung gezahlt werden.
Unverzichtbar auch gegen die große Masse der Bauern, die von der äußerst schnellen kapitalistischen Entwicklung vom Land in die Stadt getrieben werden, wo sie sich in rechtslose Arme verwandeln.
China ist ein soziales Pulverfass und seine Führer wissen das. Gerade diese Situation ist es, die die Diktatur zu einer Notwendigkeit macht. Die Spekulationen der Kommentatoren über die jeweilige Rolle von Partei und Staat sind reine Ablenkungsmanöver, umso mehr da die hohen Führungsschichten in beiden ein und dieselben sind.
Die scheinbare Stabilität des Regimes hebt die Klassengegensätze nicht auf. Sie kann nicht einmal die Tatsache verdecken, dass der "wilde Kapitalismus", der Bereicherungswettlauf der Bourgeoisie, die zahlreichen Spekulationen, insbesondere um Immobilien, eine Wirtschaft untergraben, deren Wachstum jederzeit eine Finanzkrach ausgeliefert sein kann.
Die westliche Presse mag sich scheinheilig Fragen über die Zukunft der Demokratie oder der öffentlichen Rechte in China stellen. Das westliche Großkapital, das an der Entwicklung der wirtschaftlichen Situation in China sehr interessiert ist, teilt die Befürchtungen der örtlichen Führungskreise, was das Risiko sozialer Explosionen betrifft. Die Bezugnahmen auf den "Kommunismus" in Verbindung mit heftigen Nationalismus können die soziale Realität für das Proletariat dieser "Werkbank der Welt", zu der China geworden ist, nicht unsichtbar machen. Sie können den Antagonismus zwischen dem Interesse privilegierten Klasse an spektakulärer Bereicherung und der zahlenmäßig starken, in den Großstädten konzentrierten Arbeiterklasse nicht verdecken.
Trotz der Diktatur und dem sozialistischen Etikett des Regimes wird sich die Wirklichkeit der Klassenverhältnisse einen Weg in das Bewusstsein der Menschen bahnen.
Auch die Bezugnahmen des Regimes auf den wiedergewonnenen Stolz Chinas und seinen Aufstieg zur Großmacht haben ihre Grenzen. Ein wachsender Teil der chinesischen Arbeiterklasse wird direkt oder indirekt vom westlichen - amerikanischen, japanischen, englischen oder französischen - Großkapital ausgebeutet. Die "Werkbank der Welt" ist eine Zuliefererwerkstatt für die großen westlichen Unternehmen.
Die Originalität des chinesischen Staates, die er mit einigen anderen früheren Kolonien oder Halbkolonien wie Vietnam, Nordkorea und in gewissem Maße mit Kuba in den Castro-Jahren gemein hat, ist, dass er es jahrzehntelang ermöglicht hat, das Land gegen die direkte Aneignung der imperialistischen Mächte zu bewahren.
Letztere haben China lange Zeit auf den Status einer unterdrückten und entwürdigten Halbkolonie reduziert. Ihre Herrschaft führte in der Vergangenheit zu den Opiumkriegen, dem faktischen Zerfall Chinas unter dem Gesetz der Kriegsherren, zum System der Konzessionen (Gebiete, die China von den Westmächten entrissen wurden, die sie zu ihren Handelsplattformen machten) und als letztes zum Regime von Tschiang Kai-shek mit all seiner Fäulnis und seiner Unfähigkeit, die sozialen Strukturen Chinas zumindest ein wenig zu reformieren.
Es war die große revolutionäre Welle der Bauern im Zuge des Zweiten Weltkriegs, der dem Regime von Mao und seinen Nachfolgern den sozialen Rückhalt gegeben hat, um den zahlreichen Versuchen des Imperialismus, sich das Land unter den Nagel zu reißen, Widerstand zu leisten.
Trotz des kommunistischen Etiketts, auf das sich die radikalen nationalistischen Führer Chinas unter Mao beriefen, was sich in einer mehr oder weniger abgeschwächten Form unter seinen Nachfolgern fortgesetzt hat, haben wir den chinesischen Staat immer als einen bürgerlichen Staat betrachtet, wenn auch als einen originellen bürgerlichen Staat, der unter besonderen Umständen entstanden ist, der aber zu keinem Zeitpunkt die Perspektive eines Umsturzes der Bourgeoisie und der Zerschlagung der kapitalistischen Gesellschaftsform geboten hat.
Als Instrument für die Wahrung der Interessen der Bourgeoisie gegen den Imperialismus sind der Staat und der Staatismus für China mit der Zeit zum wichtigsten Faktor für die Integration des Landes in die imperialistische Weltordnung geworden. Diese Integration ist nicht über eine klassische Kompradorenbourgeoisie erfolgt, zumindest nicht in erster Linie. Die Kompradoren-Bourgeoisie wurde zu weiten Teilen in dem gesamten asiatischen Land, von Taiwan bis Singapur verstreut, ohne dass das maoistische Regime versucht hätte, sie zu vernichten.
Es ist der Staatsapparat selbst, der als Zwischenglied zwischen der imperialistischen Bourgeoisie und China gedient hat, allerdings auf Basis eines ganz anderen Kräfteverhältnisses, das für die Entwicklung der chinesischen Bourgeoisie weitaus günstiger war, als das, wozu die Kompradorenbourgeoisie in der Zeit von Tschiang Kai-shek in der Lage war.
Die Geschichte ist einen originellen Weg gegangen, der im Übrigen die im und rund um den Staatsapparat entstandene Bourgeoisie mit der alten Kompradorenbourgeoisie verbunden hat, mit derjenigen, die eine Zeit lang die Diaspora in Taiwan, Singapur und Hongkong dominierte, wie auch mit derjenigen, die nach einigen Jahren in den Arbeitslagern unter Mao nun dabei ist, ihre soziale Stellung wiederzugewinnen. Es stimmt, dass die Verbindungen zwischen diesen beiden sozialen Schichten nie wirklich unterbrochen waren.
Es ist der chinesische Staat selbst, der über seine Staatsunternehmen und seine Staatsbanken mit den japanischen, amerikanischen, deutschen Konzernen zusammenarbeitet. Hauptsächlich in Auftragsarbeit aber nicht nur: einige der so entstandenen Konglomerate sind Zusammenschlüsse. Im Übrigen darf man nicht vergessen, dass es auch in den imperialistischen Ländern nicht die Funktion des Zulieferunternehmens ist, das unbedingt Abhängigkeitsverhältnisse schafft, sondern das Gewicht seines Kapitals (zu vergleichen wäre das Gewicht des Zulieferers Michelin mit den Auftrag gebenden Automobilkonzernen und dem der zahlreichen Lieferanten, Wartungsfirmen, Reinigungsfirmen usw.).
Dadurch ist die Rolle des chinesischen Staates selbst ambivalent. Es versteht sich von selbst, dass diese Ambivalenz nicht den Klassencharakter des chinesischen Staates betrifft - selbst die zurückgebliebenen der Pseudo-Trotzkisten, die einst von China als einem Arbeiterstaat sprachen, wagen nicht mehr, ihn so zu bezeichnen -, sondern die Beziehungen, die er mit dem Imperialismus unterhält. Er vertritt die gegenwärtigen und zukünftigen Interessen der chinesischen Bourgeoisie, wobei er es ihr ermöglicht, sich gegen das imperialistische Großkapital zu schützen und dabei zugleich als mächtiger Faktor für die Integration in den Weltmarkt aufzutreten.
Hinter den "planetaren Ambitionen von Xi Jinping" (Titel auf der ersten Seite der Zeitung Le Monde vom 6.-7.August) und dem Expressionismus Chinas steht nicht nur das "nationale Interesse", ein Ausdruck, der eventuell auf den Kauf von Land in Afrika oder anderswo aus Gründen der Ernährungssicherheit anwendbar wäre. Hinter der Neuerschaffung der modernen Variante der "Seidenstraße" der oder der Akquisition von Häfen im Nahen Osten bis Griechenland, etc., steht immer mehr das Interesse der großen westlichen Konzerne und der Bequemlichkeit Ihres Zugangs zu den Märkten der Welt.
Chongqing "Hafenstadt der Eisenbahnlinie Europa-Asien" lautete ein Titel von Le Monde vom 6.-7. August mit dem Untertitel: "Auf der alten Route der Seidenstraße bringt die 11.000 km lange Eisenbahnstrecke Yuxinou die Fracht bis zum Duisburger Hafen in Deutschland." Aber, stellt derselbe Artikel fest und zitiert einen chinesischen Verantwortungsträger: "Rund 60 % der Exporte von Foxconn und HP nehmen den Zug. Für die Hersteller von Mikrocomputersystemen Acer und Asus sind es zwischen 20 und 30 %."
Manche sehen darin den Ausdruck eines chinesischen Imperialismus. Man muss wissen, was man darunter versteht. Es handelt sich nicht um einen Kapitalismus, der einen gewisses Entwicklungsstadium erreicht hat (seine senile Phase, sagte Lenin), mit einer Kapitalkonzentration, die aus der Entwicklung der kapitalistischen Konkurrenz selbst hervorgeht, Drang zur Kapitalausfuhr etc., sondern um ein eigenes historisches Phänomen. Die chinesische Wirtschaft und Gesellschaft bilden eine eigene Form der kombinierten Entwicklung: eine Mischung aus Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, eine wachsende Kluft zwischen den ultramodernen Städten und den unterentwickelten ländlichen Gebieten, zwischen ungezügeltem Kapitalismus und sozialistischer Phraseologie.
Dieser eigene Weg hat zwar die Konsolidierung und die Bereicherung einer mittleren Bourgeoisie ermöglicht sowie die Herausbildung einiger roter Milliardäre, die in der Lage sind, mit ihren westlichen Vettern zu rivalisieren, aber er hat die ausgebeuteten Klassen nicht aus der Armut geholt. Er hat es nicht einmal ermöglicht, das Land aus der Unterentwicklung zu holen.
China ist zwar mittlerweile vom globalen Bruttoinlandsprodukt her die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, aber sie bleibt weit hinter Russland oder halbe-entwickelter Länder wie Mexiko und sogar weit hinter Turkmenistan, Botswana oder Montenegro zurückbleibt? Das BIP Chinas reicht von 7.000 bis 12.000 Dollar pro Einwohner, je nach der Berechnungsmethode. Was man mit Deutschland (45.000 Dollar), Frankreich (44.000) und den Vereinigten Staaten USA (53.000) vergleichen soll. Es gibt keinen "chinesischen Weg" auf der Grundlage des dekadenten Kapitalismus, der es armen Ländern ermöglichen würde, die entwickelten imperialistischen Länder einzuholen und zu überholen. Wie es auch keinen "kubanischen Weg ", "vietnamesischen Weg" oder "nordkoreanischen Weg" gibt.
Die Entwicklung Chinas verdeutlicht in dem ihr eigenen, riesigen Maßstab die Kapazität des Imperialismus, sogar solche Regimes zu integrieren, von denen es eine Zeit lang schien, als würden sie ihn radikal infrage stellen und die aufgrund ihrer Größe und Bevölkerung Mittel haben, die andere arme Länder nicht besitzen.
Der einzige Schluss, den man daraus ziehen kann, führt uns zurück zum Grundgedanken der revolutionären kommunistischen Strömung seit Marx: Die Zukunft der Menschheit wird im Kampf zwischen den beiden grundlegenden Klassen der Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat, entschieden. Es gibt keine Abkürzung und auch keinen Ausweg für welches einzelne Land auch immer.
Als Antwort auf die Skeptiker seiner Zeit schrieb Trotzki im Übergangsprogramm: "Das Gerede aller Art, die historischen Bedingungen seien noch nicht 'reif ' für den Sozialismus, sind entweder das Produkt der Unwissenheit oder eine bewusste Irreführung. Die objektiven Voraussetzungen für die proletarische Revolution nicht nur reif, sie beginnen zu faulen."
Diese Fäulnis des Kapitalismus im Niedergang zeigt sich nicht nur im wirtschaftlichen Bereich durch die Krise, die Arbeitslosigkeit, die Zerstörung der Produktivkräfte der Menschheit. Sie zeigt sich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wie auch in den internationalen Beziehungen: lokale oder regionale Kriege im Sahel, im Sudan, die auf andere Länder Afrikas übergreifen; Flüchtlingsströme nicht nur aus Lateinamerika in die USA oder von Afrika, dem Nahen Osten und Asien nach Europa, auch vom unterentwickelten und armen Burma ins noch ärmere Bangladesch. Ebenfalls ein Zeichen der moralischen und menschlichen Fäulnis des dekadenten Kapitalismus: die immer zahlreicheren Stacheldrähte und Mauern, die zwischen den Völkern errichtet werden.
Selbst die terroristischen Attentate sind Ausdruck dieser Fäulnis des Kapitalismus, außer dass sie, da sie diesmal die imperialistischen Länder treffen, mehr in der westlichen öffentlichen Meinung, eine Institution wie jeder andere der dominierenden Bourgeoisie, zum Ausdruck kommen.
Trotski schließt die zitierte Passage aus dem Übergangsprogramm folgendermaßen: "Wenn es keine sozialistische Revolution gibt und zwar in der kommenden historischen Periode, läuft die gesamte menschliche Zivilisation Gefahr, von einer Katastrophe davongetragen zu werden. Alles hängt vom Proletariat ab, d. h. in erster Linie von seiner revolutionären Avantgarde. Die historische Krise der Menschheit lässt sich auf die Krise der revolutionären Führung reduzieren."
Wenige Monate, nachdem diese Zeilen niedergeschrieben wurden, wurde die Menschheit in die Katastrophe des zweiten Weltkriegs gezogen.
Heute, mehrere Jahrzehnte später, versinkt der untergehende Kapitalismus erneut in der Barbarei. Die Lektion, die Trotzki seinerzeit aus dieser Feststellung zog, bleibt gültig: "Alles hängt vom Proletariat ab, d. h. in erster Linie von seiner revolutionären Avantgarde." Das heißt von der Renaissance revolutionärer kommunistischer Parteien und einer revolutionären Internationalen.
30. Oktober 2017