Die wachsende Gefahr einer neuen Finanzkatastrophe
Die letzten wieder neu auftretenden Entwicklungen der sogenannten "Griechenland-Krise" zeigen die Orientierungs- und Kopflosigkeit, ja man könnte direkt sagen, die Panik der Führer der kapitalistischen Welt angesichts einer neuen noch schwerwiegenderen Finanzkatastrophe als der von 2008/2009.
Die Geschäftswelt hat wenigstens einen Kompass: auf welche Art, in kurzer Zeit das Maximum an Geld zu machen. Doch macht sie sich nicht die geringsten Illusionen über die mittel- oder gar langfristige Zukunft. So sagte einer dieser Leute als Witz: "Wenn Ihnen die Krise bei der Bank Lehman Brothers gefallen hat, dann werden sie von der Schuldenkrise begeistert sein."
Doch was die Führer der EU, oder genauer gesagt der Eurozone, betrifft, so ist es wie im Irrenhaus. Ein Gipfel jagt den anderen, dazwischen bilaterale Treffen und geheime Verhandlungen, deren einziges Resultat widersprüchliche Erklärungen sind. Eine Kakophonie, die anzeigt, dass sie alle auf kurze, ja auf sehr kurze Sicht navigieren. Das was sie in Panik versetzt, ist die Angst... vor einer Finanzpanik, von der sie alle wissen, dass sie in jedem Augenblick, in unvorhersehbarer Weise, mit unvorhersehbarer Wucht ausbrechen kann.
Die sogenannten Staatsschulden...
Die Finanzmärkte sind sprunghaft und vollkommen unvorhersehbar. Sie alle wissen und sagen es, dass die griechischen Schulden relativ wenig Bedeutung haben. Aber es genügt, dass jene, die man "Investoren" nennt, also die Spekulanten, dieses gute Dutzend großer Banken, die den Finanzmarkt beherrschen, zu Recht oder Unrecht den Kopf verlieren, und die Unsicherheit, Griechenland könnte seine Schulden nicht zurückzahlen, führt sie dazu, auch Portugal, Irland und Spanien zu misstrauen, und allein dadurch eine Kettenreaktion auszulösen, die niemand beherrschen kann.
So beschreibt ein Redakteur der Wirtschaftszeitung Les Echos was gerade passiert unter dem vielsagenden Titel "Das Phantom der großen Panik": "Griechenland ist ,nur' ein unbedeutender Kreditnehmer. Seine Schulden betragen kaum 350 Milliarden Euro, fünf Mal weniger als diejenigen Frankreichs. Unter diesen Bedingungen kann es seltsam erscheinen, unsere Finanzminister aus Angst vor einer Pleite wie der von Lehman Brothers erstarrt zu sehen. Aber es ist nicht das Phantom der Bank Lehman Brothers, das sie in ihren Alpträumen umtreibt. Es ist das der großen Panik, dieser Ansteckung, die unmittelbar nach dem 15. September 2008 die gesamte Finanzwelt befiel, und die wiederzukehren droht, wenn der griechische Staat einmal "zahlungsunfähig" sein sollte. Ein so gefährliches Wort, dass die offiziellen europäischen Stellen es nicht mehr zu benutzen wagen, so etwa wie die französischen Politiker einen Klotz an der Zunge hatten, der sie daran hinderte, das Wort Sparkurs auszusprechen [...]. Die 350 Milliarden Euro Griechenlands bedeuten wenig auf den Finanzmärkten, die mit 100.000 Milliarden Dollar jonglieren. Doch die 350 Milliarden sind mehr, als anfangs die Summe aller Subprime-Kredite, die dennoch die größte Finanzkatastrophe seit fast einem Jahrhundert auslösten".
Es genügt, dass diejenigen, die Hunderte, ja Tausende Milliarden Dollar hier oder dort platzieren, einen Zahlungsverzug eines oder mehrerer Staaten befürchten, und indem sie versuchen vorsorglich ihren eigenen Spiel-Einsatz zu retten, eine Panik provozieren. Eine Panik, die ausreicht, um einen Kreditkrise zu bewirken, und schon hören die Banken auf, sich gegenseitig Geld zu leihen, da sie fürchten, ihre Partner seien zu sehr mit Ballast an Staatspapieren zahlungsunfähiger Staaten beladen. So war es im September 2008 gewesen. Der Kreditmangel ist nur und erst überwunden worden, als er eine wirtschaftliche Katastrophe auszulösen drohte, und die Staaten mit Hunderten Milliarden zu Hilfe kamen, um die Finanzkreisläufe wieder in Gang zu setzen. Doch es sind genau die zur Überwindung der Krise von 2008 aufgewendeten Mittel, die die Staaten bis zum Hals in Schulden versinken ließen, und was nun als "Problem der Staatsschulden" als Bumerang zurückkommt. Die Bedrohung ist noch gravierender, da die Vertrauenskrise der Banken untereinander, die September 2008 charakterisiert hat, sich nun zu verdoppeln droht zu einer Vertrauenskrise gegenüber den Staaten selbst, ihren Schulden, und darüber hinaus ihrer Währungen.
Es handelt sich, wie gesagt, um eine vollkommen irrationale und unvorhersehbare Aufregung, und von daher die Vorsicht der großen Finanzinstitutionen und der europäischen Staatsführer, selbst die Begriffe zu meiden, deren Erwähnung Ärger verursachen könnte. Aber es genügt dass eine der berüchtigten Rating-Agenturen eine Bank herabstuft - was bei mehreren allzu sehr mit griechische Staatsanleihen belasteten französischen Banken passieren kann -, oder einen Staat, so dass sowohl die eine als auch der andere als weniger zahlungsfähig eingestuft, und daher auf den Finanzmärkten Kredite nur zu wesentlich höheren Zinssätzen erhält. Alles, was in der Finanzwelt Rang und Namen hat, sagt und wiederholt, dass die Rating-Agenturen nicht vertrauenswürdig sind, dass ihre Vorhersagen nicht mehr wert sind als die von Wahrsagern, die aus den Karten lesen, und dass sie außerdem die Krise von 2008 nicht kommen sahen, und dass sie damals gerade diejenigen Banken als sicher einstuften, die in der Krise abstürzten. Das alles ändert überhaupt nichts, diese Agenturen sind weiterhin tonangebend auf den Finanzmärkten. Und tatsächlich, wenn ein Staat herabgestuft wird in diesem "Ranking", dann können die Banken höhere Zinsen verlangen. Und da diese Agenturen Ausgeburten der Banken sind, ist diese ganze schöne Welt natürlich sehr zufrieden, auch wenn all dies zu verschärfter Sparpolitik und zunehmendem Elend der Ausgebeuteten in den "herabgestuften" Ländern führt. Doch das Vermeiden bestimmter Reizworte reicht nicht aus, um die Finanzmärkte zu beruhigen: Es muss Geld auf den Tisch, um diesen Finanzmärkten zu zeigen, dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit eines oder mehrerer europäischer Staaten, die anderen bereit sind, für diese gerade zu stehen und an deren Stelle auf Heller und Pfennig zu zahlen.
Nur, werden die von den Staaten auf den Tisch gelegten Geldsummen ausreichen? Diese Frage gibt der Spekulation neue Nahrung. Und das ist das Ergebnis, um mit den Worten eines Spezialisten für Finanzinvestitionen der Dexia-Bank zu reden: "Im Falle einer Restrukturierung der griechischen Schulden kann man sicher sein, dass angesichts der auf den Märkten wirkenden Kräfte, eine Ansteckung Portugals und Irlands folgt." Aber, so fügt dieser Spezialist hinzu, "im Falle dass diese Staaten einer nach dem anderen (unter der Schuldenlast) zusammenbrechen, wird sich die Aufmerksamkeit auf andere von den Finanzmärkten als Staaten mittleren Risikos wie Spanien, Italien und Belgien richten." (wobei das Wort "Aufmerksamkeit" im Klartext Spekulation bedeutet).
Wenn man zu Griechenland, Portugal und Irland die Liste der Staaten hinzurechnet die von Zahlungsunfähigkeit oder auch nur Zahlungsverzug bei Fälligkeit der Schuldenrückzahlung betroffen sein könnten, dann wird die Summe, die an deren Stelle an die Bankiers gezahlt werden muss 523 Milliarden Euro betragen. Die verschiedenen Mechanismen des "Rettungsschirms" der EU und des IWF reichen bis zu 750 Milliarden Euro. Das würde also genügen. Aber schon eine eventuelle Ansteckung Italiens würde den Finanzierungs-Betrag auf 1123 Milliarden mehr als verdoppeln. Und was tun in solch einem Fall?
Aber diese Angst vor einer Panik und der daraus folgenden brutalen Austrocknung der Finanzkreisläufe ist gleichzeitig auch eine Kriegswaffe in den Händen der Bankiers. Das Schüren dieser Angst ist eines der Mittel, mit dem die Finanzwelt Druck auf die Regierungen und ihre Entscheidungen ausübt. Indem sie sich dieser Angst bedienen, setzen die Banken bei den Politikern, die alle geneigt sind ihnen nachzugeben, ihre Forderung durch.
... und die Privatschulden
Je mehr sich die Angst vor der Zahlungsunfähigkeit eines Staates wie Griechenland auf die anderen Staaten auswirkt, umso mehr kommt eine weitere Gefahr dazu. Parallel zum Misstrauen gegen einen Staat wächst auch das Misstrauen gegenüber Banken, die viel Geld an Griechenland, sowohl den Staat als auch an reiche Privatkunden ausgeliehen haben.
So berichtet Le Monde vom 17.Juni, dass "wenn die europäischen Banken - insbesondere die französischen - von Neuem Schwierigkeiten an den Börsen erleben, so in erster Linie, weil sie zu den wichtigsten Gläubigern Griechenlands zählen. Der Gesamtbetrag belief sich Ende 2010 auf 168 Milliarden Euro, davon 52 Milliarden in griechischen Staatsanleihen". Die französischen Banken halten den wesentlichen Teil davon.
"Seit Wochen hat die EZB vor einem Lehman-Brothers-Effekt gewarnt, falls die Griechenlandkrise sich verschärft: Ebenso wie das amerikanische Bankensystem nach der Pleite der amerikanischen Bank im September 2008 zusammenbrach, und damit allmählich eine Liquiditätskrise in der ganzen Welt provozierte, so würde der Ausfall der griechischen Schulden das Risiko einer Vertrauenskrise in der Eurozone bewirken, deren Ausmaß niemand bemessen kann."
Was verbirgt sich hinter diesem Ökonomen-Jargon?
Einerseits haben sich die Banken auf das verschuldete Griechenland gestürzt um ihm Geld zu leihen. Im gleichen Augenblick führen sie das Risiko an, das sie dabei auf sich nehmen falls Griechenland nicht zurückzahlen kann, um den Zinssatz zu erhöhen, zu dem sie zu leihen bereit sind.
Jeder Staat leiht sich täglich Geld, um seine Ausgaben zu bestreiten, so wie er täglich fällig gewordene Schulden zurückzahlt. Die Frage der Fähigkeit des griechischen Staates, bei jeder Fälligkeit zurückzuzahlen wird dabei heftig erörtert. Dieses heizt die Spekulationen über die Rückzahlungsfähigkeit Griechenlands an. Je pessimistischer die Aussichten - oder die Vorhersagen sind - umso mehr steigt das Zinsniveau. Im Augenblick betragen die Zinsen für 10-Jahresanleihen des griechischen Staates 27,55 %. Das ist ein Wucherzins, aber nur zu diesem Wucherzins findet der griechische Staat frisches Geld auf den Kapitalmärkten.
Doch selbst wenn sie zu diesem Wucherzins Geld leihen, wollen die Banken neben den Zinsen auch die Tilgung der Schulden bekommen. Die Regierungen verbringen ihre Zeit damit, "positive Zeichen", also Versicherungen, abzugeben.
Doch wie gesagt, glauben die Banken nicht an die Versicherungen der politischen Führer. Sie wollen Geld auf dem Tisch sehen. Dieses Geld stammt aus den Staatskassen. Als Gegenleistung erzwingen die Regierungen einen Sparkurs bei ihren restlichen Ausgaben. Die konkreten Resultate davon werden bei den ärmsten und am meisten pleitegefährdeten Ländern, wie Griechenland, Portugal, Irland und Spanien besonders sichtbar: Stellenkürzungen im öffentlichen Dienst und dessen fortschreitende Abschaffung, Lohnblockade oder Lohnsenkungen, Abbau der Sozialversicherungssysteme, Rentenkürzungen Steuererhöhungen, wie besonders die Mehrwertsteuer oder ihr Äquivalent, die alle Bevölkerungsschichten, aber ganz besonders die am schlechtesten Gestellten treffen.
Die Medizin ist überall die Gleiche, auch wenn es Unterschiede von Land zu Land gibt, so handelt es sich doch immer darum das Geld für diese Schulden, die der Staat vor und besonders nach der Finanzkrise des Herbst 2008 machte , um den Banken zu Hilfe zu kommen und die Geldkreisläufe wieder zu beleben, aus den Taschen der ausgebeuteten Klassen zu ziehen.
Die Verwüstungen dieser Politik sind in Ländern wie Griechenland, Portugal und Spanien schon allzu deutlich sichtbar!
Es ist eine teuflische Abwärtsspirale, denn die Heilmittel um das finanzielle Gleichgewicht der verschuldeten Staaten wiederherzustellen, verschlimmern in Wirklichkeit noch die Verschuldung. Das Anwachsen der Arbeitslosigkeit, die durch die Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst hervorgerufen wird, vermindert die Konsumptions-Möglichkeiten der Bevölkerung und bremst zusätzlich die Wirtschaft. Gezwungen, immer höhere Zinsen für die früher aufgenommenen Schulden zu zahlen, verschulden sich die Staaten immer mehr.
Dieser Mechanismus hält das Finanzsystem am Laufen, aber ebenso verarmt es die Staaten und insbesondere die unteren Volksschichten.
Selbst in den als am reichsten bezeichneten Staaten, wie Deutschland, haben die Politischen Führer ein Problem. Die Steuerzahler sind nicht verrückt, und sie wissen, dass das Geld für die zahlungsunfähigen Staaten, in Wirklichkeit an die Kredit vergebenden Bankiers, aus ihren Taschen bezahlt werden soll. Die Politiker müssen also zwischen der Notwendigkeit, die Gelder aufzutreiben, um die Finanzmärkte zu beruhigen, und gleichzeitig die Bevölkerung davon überzeugen, dass all dies nicht zu viel kostet, hin und her jonglieren. Doch die Nähe zu Wahlterminen macht dieses Jonglieren ganz besonders schwierig.
Von Merkel bis Sarkozy hat jeder seine Methode diese Quadratur des Kreises zu lösen. Die einzige Idee, die ihnen nie in den Kopf kommt ist diejenige, dass die Bankiers selber zahlen könnten.
Und wenn man den Kommentatoren glaubt, wollte Angela Merkel auch die Banken zu einem Beitrag bitten, um vor den Wählern vorgeben zu können, dass sie als Steuerzahler nicht alleine zahlen und Opfer bringen. Doch das einzige "Opfer" das die deutsche Regierung von den Banken zu verlangen gedachte, bestand darin, dass diese nicht auf der sofortigen Bezahlung der fälligen Schulden bestehen, und dass sie akzeptieren, die Rückzahlungszeit zu verlängern -wobei sich versteht, dass sie noch länger die unerschwinglich hohen Zinsen kassieren. Doch selbst dies war nach Ansicht von Sarkozy und der EZB schon ein "schlechtes Zeichen" für die Bankiers. Denn sobald man die Bedingungen eines gewährten Kredites ändert, könne dies in ihrem Jargon als ein "Kreditzwischenfall" oder gar "Kredit-Ereignis" betrachtet werden. So scheint es, dass nichts weiter als eben so etwas, von den Finanzmärkten de facto schon als Zahlungsunfähigkeit verstanden werden könnte.
Und dies ist nicht nur eine Frage der Wortwahl, denn die Banken versichern sich gegen Zahlungsausfälle ihrer Schuldner bei anderen Banken oder Versicherungen. Und diese Versicherung schlägt sich in Form eines Papiers nieder, das den sanftmütigen Namen credit default swaps (CDS) trägt. Doch dieser Versicherungsvertrag lässt sich ebenfalls kaufen und verkaufen und ist zu einem Spekulationsobjekt geworden. Sein Preis kann also auch die höchsten Höhen erreichen...oder auf null fallen. Man könnte sagen eine nukleare Kettenreaktion: Eine kleine Explosion am Anfang produziert andere, in der Folge immer mächtigere. Dies war in etwa der Mechanismus, der ausgehend von einer im Grunde harmlosen Immobilienkrise in den USA, über die Subprime-Kredit-Krise zu der allseits bekannten Explosion der Weltfinanzmärkte führte....
Mit anderen Worten, da die Herren Bankiers ihr Geld zu Wucherzinsen verliehen, die verschiedensten Bedingungen hinzufügten, vor allem Laufzeit-Verlängerung von z.B. 5 auf 8 Jahre, ist dann als ein Angriff auf das sakrosankte Recht betrachtet worden, einen Schuldner zu erdrücken. Nichts weiter als diese Sorge kann die berühmte "systemische Krise" auslösen, von der so viel die Rede ist.
Und es ist diese Angstmache, die die Staaten zu Gefangenen der Finanzmärkte macht, d.h. einiger weniger Großbanken. Ein kleines, fast anekdotisches Beispiel am Rande: Während der letzten Tage der permanenten Kraftprobe, in der die Banken die Staaten und ihre Politiker zum Rückzug zwangen. Um den Banken im Falle eines Schuldnerstaat-Bankrotts zu Hilfe eilen zu können, hat die Gesamtheit der Eurostaaten einen Mechanismus geschaffen, den "Mechanismus der Eurostabilität", der 2013 in Kraft treten soll. Dieser Mechanismus wird also die hunderte von Milliarden Euro verwalten, die dazu bestimmt sind, die Banken im Falle eines Staatsbankrotts zu entschädigen. Es ist eine Art von den Staaten finanzierte Solidaritätskasse, die am Anfang der Verhandlungen als "vorrangige Gläubiger" davon profitieren sollte. Doch die Banken waren nicht einverstanden, und die Staaten, traten den Rückzug an! Wenn die Schulden umstrukturiert werden und es verbleibt noch Geld in den Kassen der zahlungsunfähigen Staaten, so sind es nun die Banken, die auf dieses Geld Anspruch haben, und nicht die Staaten. "Das ist ein Sieg für die Banken", titelte eine Wirtschaftszeitung zu Recht.
Diese Kehrtwendung der europäischen Führer "wird es dem irischen Staat erlauben, wieder auf dem Markt zurückzukehren, denn es gibt nun Leute, die uns Geld leihen", freut sich der irische Finanzminister. Sicher! Die Privatbanken, wenn sie jede Garantie haben stets entschädigt zu werden, was immer auch geschehen mag. Selbst wenn sie die extremsten Wucherzinsen verlangen, können sie leichten Herzens Geld an jeden verleihen, der bereit ist ihre Bedingungen zu akzeptieren.
Die Konsequenzen der Finanzinstabilität
Wenn es eine neue Finanzkrise gibt, die dieses Mal nicht nur das Finanzsystem, sondern auch die Staaten betrifft, so werden die Konsequenzen viel gravierender für die Wirtschaft sein als nach der Subprime-Krise von 2008, und auch ernster als nach der Börsenpanik 1929. Dabei hat sich die Börsenpanik von 1929 zu einer ökonomischen Krise entwickelt - der schwersten Krise in der Geschichte des Kapitalismus - mit den sozialen und politischen Konsequenzen, die allen bekannt sind.
Aber selbst bevor die neue Krise ausgebrochen ist, lasten die Heilmittel gegen die Drohung der neuen Krise bereits schwer auf der Wirtschaft.
Schon im Vorgriff auf die erwartete Kreditklemme, praktizieren die USA einen "Plan zur quantitativen Lockerung".
Dabei handelt es sich darum, dass die US-amerikanische Zentralbank vom amerikanischen Staat herausgegebene Staatsanleihen aufkauft. Alles in allem wird mit dem vom Staat gedruckten Geld künstlich die Nachfrage nach amerikanischen Staatsanleihen erhöht, um deren Preis steigen, oder zumindest um dessen Sinken zu vermeiden. Im gleichen Atemzug wird damit den Banken und den verschiedensten Finanzinstituten gestattet, sich diverser Aktiva, denen sie misstrauen, zu entledigen. Hinter diesem ökonomischen Jargon und dem Begriff "quantitative Lockerung" verbirgt sich nichts anderes als der alte Trick, des Ankurbelns der Notenpresse. Der amerikanische Staat fabriziert Milliarden und Abermilliarden von Inflations-Dollar. Die französische Wirtschaftszeitung Les Echos unterstreicht, dass dieser Plan "unzweifelhaft positive Auswirkungen hat, insbesondere für die Psychologie der Finanzinvestoren"! Aber sie fügt hinzu, dass er zweifellos auch "eine gewisse Zahl, von Kollateralschäden" bewirkt. "Der Liquiditäts-Zustrom auf die Märkte hat die Schaffung von Blasen riskanter Aktiva begünstigt". Anders gesagt, diese zusätzlichen Milliarden, die in die Wirtschaft geworfen werden, um die Finanzkreisläufe- und die Kredit-Mechanismen zu ölen, werden für die Anheizung der Spekulation genutzt, und produzieren genau damit zusätzliche Bedrohungen durch das Platzen spekulativer Finanzblasen.
Ein anderer "Kollateralschaden": Die Milliarden-Summen, die in die Spekulation umgeleitet werden, haben sich den Rohstoffen zugewandt, also eine Preiserhöhung dieser Rohstoffe bewirkt. Man kennt die katastrophalen Folgen dieser Preiserhöhungen, wenn es sich um Grundnahrungsmittel handelt. Nur wenige Prozent bei Reis, Getreide oder Mais, die durch eben diese Spekulation bewirkt werden, können Millionen Arme in Afrika oder Asien von der Unterernährung in den blanken Hunger treiben.
Die "Hausse" der Rohstoffpreise lastet ebenso auf der Industrie, d.h. genauer gesagt auf der industriellen Produktion. Die Ölkrise und die Ölpreiserhöhungen der siebziger Jahre, die von den Ölkonzernen provoziert waren, haben seinerzeit erheblich die Selbstkostenpreise der Industrieunternehmen belastet und so die Wirtschaftskrise verschärft.
Gefahren für den Euro
Eine andere unmittelbare Gefahr stellt die Explosion des Euro dar. Jedes Mal wenn sich die Spekulation verstärkt, spricht man erneut davon. Man sollte denken, dass die Gefahr im Augenblick besonders groß ist, wo 48 Generaldirektoren großer (nicht nur) Dax- und CAC 40- Unternehmen, sich in einer Stellungnahme in Le Monde und deutschen Zeitungen dazu äußern: "Als deutsche und französische Industrielle mit einer Verantwortung für 1.550 Milliarden Euro Umsatz und 5 Millionen Beschäftigten in der ganzen Welt, machen wir uns Sorgen, um die Zukunft des Euro und der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Die Geschichte des Euro ist eine wahrhaftige Erfolgsgeschichte...., Vorschläge, wie zum Beispiel der Ausschluss von Mitgliedern der Eurozone, oder die Spaltung in eine Eurozone Nord und Süd sind nicht gut. Als französische und deutsche Industrielle wollen wir unterstreichen, welche immensen Vorteile der gemeinsame europäische Währungsraum gebracht hat... er ist die Voraussetzung für die künftige Prosperität in Europa."
Es ist nicht schwer zu erraten, um welche Prosperität es sich hier handelt, denn diese Stellungnahme ist unterzeichnet von den bedeutendsten Personen der kapitalistischen Welt wie Spinetta (Generaldirektor von Air France), Mestrallet (Suez), Pépy (SNCF), de Margerie (Total), den Chefs von Daimler, Bosch, BMW, Telekom, BASF, Siemens, Thyssen... und noch Varlin von Peugeot-Citroen, den die Arbeitenden kennen dürften, da er gerade zwei große Autofabriken in Frankreich und eine in Spanien schließen will.
Wenn selbst die mächtigsten Repräsentanten des Großkapitals sich veranlasst fühlen, eine "Stellungnahme" in Zeitungen zu veröffentlichen, so ist das ein Zeichen, dass nicht sie die Finanzmärkte und die Spekulation gegen den Euro kontrollieren. Dennoch ist es zum großen Teil auch ihr Geld, mit dem die Banken spekulieren. Tatsächlich soll diese Stellungnahme auch nicht die Finanzmärkte beeinflussen. Sie soll Druck auf die europäischen Politiker ausüben. Die Botschaft lautet: "Wir brauchen den Euro. Ihr habt kein Recht Griechenland (und morgen Portugal, Spanien usw.) fallen, und seinem Schicksal zu überlassen, und dabei noch den Euro zu riskieren. Nehmt euch der Schulden aller Euro-Staaten mit Zahlungsschwierigkeiten an, zahlt die Gelder an die Banken, auch wenn das bedeutet, die unteren Volksschichten unter der Last drakonischer Sparmaßnahmen zu erdrücken."
Die Eurozone unterläuft ihre eigenen Regeln um die Notenpresse in Gang zu setzen
Das Problem der Eurozone ist, dass es für sie viel schwerer ist, die Notenpresse anzukurbeln, als für die USA. Hinter der amerikanischen Zentralbank steht der Staat der USA. Hinter der europäischen Zentralbank stehen 17 Staaten. Selbst wenn die Kleinen kaum zählen, so sind die Interessen der imperialistischen Staaten, in erster Linie Deutschlands und Frankreichs, und in gewissem Maße diejenigen Italiens und Hollands nicht identisch. Die EZB hat, trotz ihrer Statuten, die den Rückgriff auf die Notenpresse verbieten, dennoch damit begonnen sich in dieselbe Richtung zu bewegen wie die amerikanische Zentralbank (FED).
Wie es in einem Artikel der Figaro vom 17.6. mit einem gewissen Euphemismus, aber deutlich genug heißt: "Seit einigen Wochen erleichtern die Privatbanken ihre Ausrichtung auf Griechenland und überlassen diese Rolle den Staaten, der EZB und dem IWF. Automatisch werden dadurch die Steuerzahler zur Kasse gebeten, damit die Banken der griechischen Falle entkommen... An Stelle der Finanzinstitute werden also die Bürger der Eurozone zahlen". In anderen Worten, die Banken, die der Ansicht sind, dass sich in ihren Reserven zu viele wertlose Titel des griechischen Staates befinden, können sie bei der EZB in klingende Euro-Münzen umtauschen. Ebenso wie die "quantitative Lockerung" der FED, geht es auch hier um die Herstellung von Inflations-Geld.
Seit dem Frühjahr 2010 hat die EZB für 75 Milliarden Euro Schuldpapiere Griechenlands, Irlands und Portugals aufgekauft. Deutschland, einmal der Ursprung des Verbots solcher Praktiken, hat sich damit abgefunden. Alle Regierungen sind dabei in höchstem Grade Komplizen und sind sich einig, bloß nicht die Bankiers fallen zulassen, die vorher Griechenland dermaßen ausgesaugt haben.
Der massive Ankauf wertloser Schuldpapiere hat jedoch noch eine andere Konsequenz, als die Zunahme der Inflation. Die Spekulanten wissen, dass die EZB eine steigende Menge wertloser Papiere in ihren Reserven hält, was das Misstrauen gegenüber dem Euro vertieft und in Richtung seiner Schwächung drängt.
Die protektionistische Demagogie und die Utopie einer "Europäischen Staatsführung"
Angesichts der Bedrohung des Euro beherrschen zwei konkurrierende Positionen die politische Welt der Bourgeoisie. Einerseits die protektionistische Position jener, die die Notwendigkeit betonen, die Eurozone verlassen zu müssen, um jedem Staat das Recht zu geben die Notenpresse nach eigenem Gutdünken ankurbeln zu können. Ob diese Forderung nun von der extremen Rechten kommt oder im Moment von einem Teil der Linken, so handelt es sich dabei hauptsächlich um reine Wahldemagogie.
Als Illustration kann die kleine Komödie dienen, die sich gerade um Air France abspielt, weil sie beabsichtigen auch Boeing-Flugzeuge zu bestellen, anstatt ausschließlich solche von Airbus. Abgeordnete haben sich stark gemacht, um gegen diese antinationale Haltung zu protestieren. Doch Boeing zu boykottieren wäre kontraproduktiv, nicht nur weil es einen Gegenboykott geben würde, sondern auch weil viele Teile für Boeing in anderen Ländern hergestellt werden, besonders gerade in Frankreich. Umgekehrt werden für Airbus auch viele Teile in den USA gebaut. Zahlreichen Subunternehmen arbeiten für beide Unternehmen.
Angesichts der protektionistischen Demagogie betrifft die andere Position die "europäische Governance". Da die Politik der Notenpressen-Ankurbelung eine koordinierte Wirtschaftspolitik erfordert, muss man die europäische Integration weiter vorantreiben. Doch wenn die großen Staaten Europas über Mittel verfügen, die kleineren zu mehr "Föderalismus" zu zwingen, wer aber kann die imperialistischen Staaten gleichgroßer Macht zwingen, mehr Souveränität abzugeben als sie wollen? Niemand konnte Großbritannien zwingen, das Pfund Sterling aufzugeben. Selbst wenn man annimmt, dass sie sich darauf einigen können, einen Minister für eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik zu ernennen, so gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass er mehr Macht besitzen würde als Trichet, der Direktor der EZB , und wahrscheinlich wird er eher noch weniger Macht besitzen. Denn das Problem bleibt immer das Gleiche: Wie kann man die unterschiedlichen Interessen der Staaten miteinander versöhnen, und insbesondere diejenigen der beiden Staaten, die in der Eurozone wirklich zählen, Deutschland und Frankreich? Die europäischen Bourgeoisien zahlen weiterhin den Preis für ihre Unfähigkeit, den Kontinent zu einen, und einen einheitlichen europäischen Staat zu schaffen.
Die unmögliche Kontrolle der Wirtschaft im Kapitalismus
Wie kann man sich darüber wundern, dass eine Finanzkrise die EU und das zerbrechliche Gleichgewicht des Euro bedroht? Sie bedroht noch viel fundamentaler die gesamte kapitalistische Wirtschaftsordnung. Einmal mehr in der Geschichte des Kapitalismus bedroht die Finanzwelt die gesamte wirtschaftliche Funktionsweise. Daher rührt das Gejammer über die "Macht" der Finanzwelt und die Phrasen bezüglich der Notwendigkeit sie zu kontrollieren. Aber niemandem wird das gelingen, aus dem einfachen Grund, weil die Finanzwelt integraler Bestandteil der kapitalistischen Wirtschaft und ihrer Funktionsweise ist, selbst dann, wenn ihre Entwicklung so exzessiv ist wie ein Krebsgeschwür.
Die Finanzwelt zu kontrollieren, bedeutet die Konkurrenz kontrollieren, und das wiederum bedeutet das Infragestellen des Rechts eines Kapitalisten oder einer Gruppe von Kapitalisten, sich denjenigen Aktivitäten zu widmen, die ihnen den meisten Profit einbringen. Dies kann gelingen, und ist in gewissem Grade auch schon gelungen, besonders in Nazi-Deutschland. Aber dies hat nur bedeutet, unter der Ägide des Staates, die Rechte der kleineren Raubtiere des Kapitalismus, zu Gunsten der Stärkeren zu beschneiden.
Sich im Rahmen des Kapitalismus der Anarchie des Kapitalismus entgegenzustellen impliziert die ökonomische Diktatur der großen Monopole über die gesamte Wirtschaft und die politische Diktatur autoritärer Regimes über die gesamte Gesellschaft.
Die einzige Alternative, die eine Perspektive für die Gesellschaft eröffnet, ist tatsächlich die Enteignung der Großbourgeoisie und die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, die Kontrolle der gesamten Wirtschaft in die Hände zu nehmen und damit gleichzeitig die Konkurrenz zu beseitigen, die eine riesige Verschwendung menschlicher Arbeit darstellt selbst in Zeiten ruhigen Funktionierens der kapitalistischen Wirtschaft, um von Krisenzeiten ganz zu schweigen.
29. Juni 2011