25 Jahre nach Tschernobyl, dessen gesundheitliche Folgen noch immer wirksam sind, hat die AKW-Katastrophe im japanischen Fukushima die Diskussion über die Nutzung der Atomenergie wieder angefacht. Doch die Absichten und Ziele derer, die sich dieser Katastrophen bedienen, sind oft sehr weit entfernt vom Schicksal der japanischen Opfer und derer der Kernenergienutzung im Allgemeinen.
In Deutschland, wo die Kernenergienutzung von der öffentlichen Meinung stark abgelehnt wird, hatte Angela Merkel am Vorabend der baden-württembergischen Landtagswahlen die Notbremse gezogen und ein neues Moratorium für Atomkraftwerke verkündet. Diese späte Kehrtwende verhinderte nicht ihre Wahlniederlage und den Sieg der Grünen, die ihr Ergebnis mehr als verdoppelten. Beides ist zumindest teilweise Folge der durch die Fukushima-Katastrophe bedingten Emotionen, die es den Grünen zum ersten Mal ermöglichten, den Ministerpräsidenten in einem der größten und... am stärksten industrialisierten Bundesland zu stellen.
In Frankreich, wo 76% des elektrischen Stroms von AKWs erzeugt werden, haben die Sprecher dieser Branche, also Areva, EDF und selbst der Direktor der Atomsicherheitsbehörde (ASN) in den Medien sich einander abwechselnd stets wiederholt, dass alles gut läuft. Der Industrieminister hat zwar nicht den "Coup" von 1986 wiederholt, wo die atomare Wolke auf wundersame Weise, genau an der französischen Grenze Halt machte, aber anfangs leugnete er, dass es sich um eine atomare Katastrophe handelte. Einige Tage später erklärte Präsident Sarkozy: "Frankreich ist das Land mit den sichersten Atomanlagen der Welt." Die Einen und die Anderen konnten ihre Angst, die Atombranche diskreditiert zu sehen, nicht verbergen, denn sie wollen weiterhin ihre AKWs exportieren.
Die politischen Führer der Ökologiebewegung von Cohn-Bendit und Duflot über Nicolas Hulot und Eva Joly, die zwei Letzteren plötzlich zum Atomausstieg bereit, konnten von der Katastrophe profitierend, von Sarkozy "eine nationale Diskussion und ein Moratorium" der Atomindustrie fordern. Für "Europe Écologie", wie für die "Grünen" in Deutschland, wurde Fukushima zum Hauptargument bei den Kommunal- bzw. Landtagswahlen. Und Cécile Duflot geriet am Abend des 27. März über die Verdoppelung der Mandatsträger ihrer Partei außer sich vor Freude, was kaum Bezug hatte zu der nur wenige Tage vorher zur Schau gestellten Empörung über die Reaktorkatastrophe in Japan.
Erinnern wir daran, dass die Japan seit dem 11. März heimsuchende Katastrophe, bevor sie zu einer atomaren wurde, mit einem außerordentlich furchtbaren Erdbeben begann, dem ein Tsunami von ungewöhnlicher Schwere, mit 10 Meter hohen Wellen, folgte. Wir alle waren bewegt von den Bildern hilfloser Flüchtlinge, die auf der Suche nach Angehörigen und einer Spur ihrer völlig vernichteten Häuser, verängstigt im tiefen Schnee durch den Schutt ganzer Städte irrten, die der Tsunami vollständig zugrunde gerichtet hatte.
Trotzdem Japan auf schwere Erdbeben vorbereitet war, regelmäßig Notfallübungen durchgeführt wurden, und vor allem im Bauwesen die Erdbeben-Normen seit den zwanziger Jahren auch tatsächlich Anwendung fanden, konnte unbestreitbar die Zahl der Opfer in der dichtbewohnten Küstenregion begrenzt werden. Bis heute gelten 28.000 Menschen als tot oder vermisst. Das ist eine furchtbare Bilanz, aber dennoch weniger als die 250.000 bis 300.000 Toten beim Erdbeben vom 12. Januar 2010 in Haiti, das nicht die Höhe 7 auf der Richter-Skala übertraf, also etwa 100 mal schwächer, als in Japan war, wo der Wert 9 auf der Richter-Skala betrug. Diese Ungleichheit der Verwüstungen zwischen dem hochentwickelten Japan und dem Elend auf Haiti, zeigen uns einmal mehr, dass die schlimmsten Naturkatastrophen in erster Linie... sozialer Natur sind.
Und dennoch, selbst in Japan, befinden sich nicht alle in der gleichen Situation, und die Regierung hat ihre Prioritäten gewählt: Auf der einen Seite verbrachten hunderttausende von Katastrophenopfern lange Tage im Frost, ohne Wasser, ohne Lebensmittel und ohne Elektrizität, manchmal sogar wochenlang, ohne einen Helfer zu sehen. So sind es hauptsächlich die elementare Solidarität der Nachbarschaftshilfe und die Initiativen örtlicher Behörden ohne größere Hilfsmittel, die das Überleben der Opfer ermöglichten. Auf der anderen Seite sehen wir wie das ohnehin schon am schwersten verschuldete Land der industrialisierten Welt gleich seit dem 14. März die Zentralbank131 Milliarden Euro in das Bankensystem pumpen. Anders gesagt, wenn die Katastrophenopfer durchaus warten mussten, so gab es bei der Hilfe für die Banken und das Großkapital nicht die geringste Verzögerung!
Die Atomkatastrophe von Fukushima
Zu all den dramatischen Folgen des Erdbebens und des Tsunamis kommen noch jene der atomaren Katastrophe hinzu. Oder richtiger gesagt die Katastrophen, denn bei drei der sechs während des Erdbebens in Betrieb befindlichen Reaktoren des AKW Fukushima kam es in unterschiedlichem Ausmaß zur Reaktor-Kernschmelze und mehrere benachbarte Abkling-Kühlbecken für hochradioaktive abgebrannte Kernstäbe, die eine enorme Menge alten nuklearen Brennstoffes enthielten, die auf ihre weitere Entsorgung warteten: Diese wurden sehr schwer beschädigt.
Zur Stunde, in der wir schreiben, befindet sich das AKW noch nicht unter Kontrolle und der radioaktive Ausstoß nimmt weiter zu Besonders das Szenario eines neuen Tschernobyl versetzt alle Regierungen des Planeten in Angst und Schrecken: die Explosion eines oder mehrerer Reaktorkerne, worauf heftiges Feuer und massiver Ausstoß radioaktiver Partikel in die mittlere Atmosphäre folgt, was bisher nur in Tschernobyl geschah. Aber nichts garantiert, dass das Schlimmste schon vorüber ist. Der Sicherheitsmantel hat schon kleine Risse, und zwar an mehreren Reaktorblöcken, die sich mehr oder weniger stark in der Kernschmelze befinden. Durch diese Risse entweicht radioaktives Material: ein Gemisch aus Plutonium und Uran verseucht seither die Umgebung des Atomkraftwerks und den benachbarten Ozean.
Der Zwischenfall in Fukushima ist daher mit Sicherheit eine große nukleare Katastrophe
Die japanische Regierung verniedlichte von Anfang an in schamloser Weise den Schweregrad der Situation. Sie hat den Unfall von Stufe 4 auf 5 (der 7-stelligen INES-Skala) nachbewertet, während die französische Atomsicherheitsbehörde schon wenige Tage nach Beginn von Stuf 6 ausging, was zwischen der Schwere des Reaktorunfalls 1979 in Three Mile Island im US-Staat Pennsylvania und der Katastrophe von Tschernobyl 1986 liegt. Diese Einstufungen sind weniger wissenschaftlich fundiert, als medienbestimmt, lassen aber eine gewisse Einstufung bezüglich der Schwere verschiedener Zwischenfälle zu.
Wenn es bis heute nicht möglich ist, das ganze Ausmaß der Katastrophe einzuschätzen, so sind sie in der Region von Fukushima, wenn nicht noch größeren Teilen Japans, von schwerwiegendster Bedeutung. Die Flora und Fauna, die Flussläufe, das Grundwasser, also die landwirtschaftliche Produktion und die Fische des angrenzenden Pazifik sind verseucht. Übernormal hohe Werte von radioaktivem Jod und Cäsium wurden (zeitweise) im Trinkwassernetz des 250 km entfernt liegenden Tokio gemessen. Nach langem Hin und Her hat die japanische Regierung sich entschlossen, alle Einwohner im Radius von erst 20 km dann 30 km rund um das AKW evakuieren zu lassen. Nach Ansicht verschiedener Experten sollte diese Zone auf einen Radius von 100 km erweitert werden. Der französische Weltmarktführer für Herstellung und Verkauf von Nuklearanlagen hat von Beginn des Zwischenfalles an, alle seine in Fukushima befindlichen Mitarbeiter zurückgerufen. Man kann sich vorstellen, dass er gut informiert war.
Dies kann man von der japanischen Bevölkerung nicht gerade sagen, denn die Betreiber lassen verspätete und untertreibende Informationen nur tropfenweise durchsickern. Wie viele der stark verstrahlten Menschen werden Krebs und Leukämien entwickeln und daran sterben? Um dies zu wissen, wird es vieler Jahre bedürfen, da die Effekte der radioaktiven Bestrahlung meist erst viele Jahre später auftreten. Wie groß wird die unbewohnbare und ackerbaulich nicht mehr nutzbare Landfläche um das AKW herum sein, und dies vielleicht für Jahrhunderte?
Die Arbeitenden von Fukushima an vorderster Front
Von Anfang an war es ein Wettlauf mit der Zeit, die Katastrophe einzugrenzen, und wieder die Kontrolle über die Reaktoren zu gewinnen, was der Aufopferung einiger hundert Arbeitenden von Fukushima zu danken ist, die sich quasi unablässig untereinander abwechselten um koste es was es wolle, zu versuchen, die Kühlsysteme wieder in Gang zu setzen. Einige starben schon während des Tsunamis, andere wurden durch die Wasserstoffexplosionen, die zwei Reaktorgebäude und die Schutzhüllen stark beschädigten, schwer verletzt, und alle sind stark verstrahlt.
Die "Liquidatoren", um den in Tschernobyl benutzten Begriff wieder aufzunehmen, diese gut fünfzig Arbeitenden, unterstützt von einigen hundert anderen Arbeitern, Feuerwehrleuten und Ingenieuren akkumulierten in wenigen Stunden viel höhere Dosen als für ein gesamtes Jahr erlaubt sind. Tag für Tag überschritten sie die Schwelle der tolerablen Strahlendosis. Die arbeitsmedizinische Spezialistin für Nuklearmedizin am INSERM (Nationales Institut für Gesundheit und medizinische Forschung) sagte:"Mit solch akkumulierten Dosen entsteht bald eine massive Zerstörung des Knochenmarks- und der Darmschleimhaut- sowie der Hautbasal-Zellen." Mehrere wurden schon stark verbrannt und verstrahlt evakuiert, aber es ist die Gesundheit, wenn nicht das Leben aller, die unwiderruflich in kompromittiert sind.
Und man entdeckt im Laufe der Tage, dass manche von ihnen nicht einmal permanent mit individuellen Dosimetern ausgestattet sind, und dass obendrein man ihnen das Wasser und die Nahrung rationierte!
Die japanische Regierung, statt die Arbeitenden zu schützen und der dringenden Not, in die das ganze Land gestürzt ist, erhöhte mit unglaublichem Zynismus schnell die gesetzlich zusätzliche Höchstdosis der legalen Strahlenexposition der Fukushima-Arbeitenden von 100 Millisievert (mSv) auf 250 mSv im Zweijahreszeitraum. Warum eine solche gesetzgeberische Eile? Paul John, der seit vielen Jahren die Arbeitsbedingungen japanischer Atomarbeiter studiert, sagt: "Dies ist ein Mittel, ihren baldigen Tod zu legalisieren, und damit zu vermeiden an ihre Familien Entschädigungen zahlen zu müssen, da mit den neuen Höchstdosen von 250 mSv, die Risiken von Krebs, erworbenen Mutationsänderungen und andere Schäden beim Erbgut ganz wesentlich erhöht werden". Das verschlägt einem den Atem und ein Kommentar erübrigt sich.
Zweifellos werden wir eines Tages wissen, unter welchen Bedingungen die Atomarbeiter von Fukushima ihren Kampf führten, um das Schlimmste zu verhindern. Ob es sich um Freiwillige handelte, die über von ihnen eingegangenen Risiken aufgeklärt waren, oder ob sie unter starken moralischen Druck gesetzt waren. Auf jeden Fall beweisen diese Arbeitenden einen solchen Gemeinschafts-Sinn und eine solche Opferbereitschaft, die uns in unserer Hoffnung bestärken, dass die Menschheit in der Lage sein wird gemeinsam die Gesellschaft zu leiten und dies zum Nutzen Aller.
Eine vorhersehbare, wenn nicht gar unvermeidliche Katastrophe: die Lügen und die Fälschungen von Tepco
Von diesem Sinn für die kollektiven Interessen kann man bei den Aktionären und Leitern der Tokyo Electric Power Company (TEPCO), den privaten Eigentümern und Betreibern des AKW Fukushima, wahrlich nichts finden, davon sind sie völlig frei. Sie tragen eine große und direkte Verantwortung für die Katastrophe.
Dieses Unternehmen wurde 1951 im Rahmen der Privatisierung der Elektrizitätsproduktion gegründet und liefert ein Drittel der Stromversorgung des japanischen Archipels. Tepco ist der viertgrößte Elektrizitätsproduzent der Welt. Es besitzt ebenfalls Anteile am Fernsehen, in der Elektronikbranche und dem Schiffstransport von Erdöl (und Kohlenwasserstoff). Es ist also wirklich eine der ganz großen Industriegruppen Japans mit sehr engen Verbindungen seiner Leiter zum mächtigen METI, dem Ministerium für Handel und Industrie. Vergleichbar mit Areva, EDF, GDF-Suez, Veolia usw. Die leitenden Angestellten wechseln vielfach zwischen hohen Funktionen im Ministerium und Führungsposten in den privaten Großunternehmen. Das heißt, die Leiter dieser Industriegruppe hatten keine Kontrollen und Anordnungen der japanischen Atomsicherheitsbehörde, NISA, zu befürchten.
Der Weg und die Geschichte von Tepco sind von Störfällen und deren Verschleierung gepflastert. Von 1978 bis 2002 wurden nicht weniger als 97 Zwischenfälle in den japanischen Atomkraftwerken kritisiert, davon wurden 20 als ernsthaft bewertet. Im Jahre 2002 hat die Aufdeckung gefälschter Inspektionsberichte, die unter anderem vor kleinen Rissen im Containment (Sicherheitshülle) mehrerer Kernkraftwerke warnte, den Rücktritt des Generaldirektors und des Aufsichtsratsvorsitzenden von Tepco erzwungen. Doch diese dienten nur als "elektrische Sicherungen", die man wechselt, aber ansonsten änderte sich nichts: 2007 führte ein Erdbeben in der Nähe des Tepco-AKW Kashiwazaki zum Auslaufen von Kühlwasser und Ausstoß radioaktiven Materials ins Japanische Meer, was beinahe einen Brand im AKW verursachte. Doch Tepco hat keinerlei Änderung bei den Sicherheitsmaßnahmen veranlasst und verzögerte nur die Bekanntgabe des Zwischenfalls, womit natürlich die Information und Evakuierung der betroffenen Anwohner verzögert wurde.
Das AKW Fukushima selbst wurde Anfang der siebziger Jahre gebaut, so dass es schon als recht alt gelten muss. Doch Tepco erhielt die Genehmigung die Laufzeit mehrerer seiner Reaktoren über den Zeitraum von 30 Jahren hinauszuverlängern, obwohl bekannt ist, dass der Verschleiß und die Alterung der Anlagen nach der Grenze von 30 Jahren sich deutlich beschleunigen. Und es wurden auch Störfälle im Sicherheitssystem entdeckt. Nur wenige Tage vor dem Erdbeben von 2011 gestand Tepco den Aufsichtsbehörden, dass eine Chip-Karte eines Sicherheitsventils zur Temperaturüberwachung des Reaktors seit 11 Jahren nicht mehr kontrolliert worden ist, und dass auch die Kontrolle bei den Kühlwassersystemen und des Notstromaggregats unzureichend waren. Und es waren genau diese Notfall-Dieselmotoren, die dann nicht angesprungen sind.
Es wurde angenommen, dass sie einem Tsunami mit sechs Meter hohen Wellen standhalten würden. Am 11.März aber waren die Wellen in dieser Küstenregion deutlich höher als 7 Meter! Doch wenn es irgendwo auf der Welt einen Ort gibt, wo es ganz sicher ein hohes Erdbeben- und Tsunamirisiko gibt, so ist das genau in Japan der Fall. Wenn die Seismologen auch nicht das Datum vorhersagen konnten, so wussten alle, dass ein solcher Zwischenfall sich irgendwann ereignen könnte.
Anlässlich der aktuellen Katastrophe enthüllte die Zeitung Le Figaro vom 17. März, dass die Internationale Atomenergie-Behörde, - wahrlich keiner AKW-Feindlichkeit verdächtig, eine Behörde der Atomstaaten selbst -,im Jahre 2008 ganz offiziell die japanische Regierung bei einem Treffen der G 8-Staaten davor gewarnt hat, dass die Erdbebensicherheitsnormen Japans total überholt seien, und dass die japanischen AKWs einem Erdbeben von mehr als der Stärke 7 auf der Richter-Skala nicht standhalten würden. Im Jahre 2006 ist ein Erdbebenexperte aus Kobe von seinem Amt zurückgetreten, um gegen die Laxheit des Expertenkomitees zur Verbesserung der Erdbeben-Sicherheitsnormen zu protestieren.
Ein schwerer Atomzwischenfall in Fukushima oder einem anderen AKW war also vorhersehbar, wenn nicht gar unvermeidlich. Heute entdeckt die Öffentlichkeit mit Entsetzen diese üblichen Verhaltensweisen privater Industrieller, inklusive eines so sensiblen Bereiches wie der Atomindustrie. Doch all dies war den japanischen Verantwortlichen, ebenso wie denen der weltweiten Atombranche durchaus bekannt, die sich so lange die Hände in Unschuld wuschen, wie die Katastrophe nicht eingetreten war. Sie zeigen einmal mehr, dass in diesem Bereich, wie in allen anderen auch, die Aktionäre und die Industriellen bestimmen, und dass die Minister und die Regierungen ihnen gehorchen.
Das Krisenmanagement, das völlig dem Privatunternehmen selbst überlassen wurde, spricht ebenfalls Bände bezüglich des Einflusses der Regierung einerseits und der Unternehmensführung andererseits. Die Letztere begann damit, die von der US-amerikanischen Armee angebotene Hilfe abzulehnen. Zwei Tage nach dem Erdbeben musste sich der Regierungschef persönlich zum Sitz der Tepco begeben, um ausführlichere Informationen über die Schwere des Zwischenfalls und das Ausmaß der nach außen gedrungenen Radioaktivität zu erhalten. Mehrere Quellen - unter anderen der Parlamentsabgeordnete der japanischen KP, Hidekatsu Yoshii - bestätigen, dass Tepco die Einleitung von Meerwasser in den überhitzten Reaktor verzögerte, um einen endgültigen Verzicht auf diesen zu vermeiden. Die Firmenleitung hätte außerdem die Entdeckung außergewöhnlicher Radioaktivität befürchtend, bis zum letzten Augenblick gezögert den radioaktiven Wasserdampf, der sich im Reaktor angesammelt hatte, abzulassen wodurch es zweimal zu Explosionen in dem den Reaktor bergenden Gebäude kam. "Während die Explosionen von allen Fernsehstationen gefilmt wurden, bedurfte es Ihrerseits über eine Stunde, um die Regierung zu informieren" habe der Regierungschef gegenüber dem Generaldirektor von Tepco erklärt. Erst zwei Wochen nach Beginn der Katastrophe hat das Unternehmen die Hilfe akzeptiert, die von ausländischen auf Nuklearindustrie spezialisiert Firmen, angeboten wurde.
Diese Katastrophe illustriert bis zum Erbrechen deutlich, welche Gefahren die nur an der Profitmaximierung orientierten Kapitalisten für die Arbeitenden und die ganze Gesellschaft bedeuten.
Die französische Atomenergiebranche ist weder sicherer noch transparenter.
Die Undurchsichtigkeit und das Streben nach Profit bestimmen die französische Atomindustrie ganz genauso wie die Japanische. Während der Tschernobyl-Katastrophe hatten die Leiter dieser Branche schamlos erklärt, dass eine solche Katastrophe sich in ihren AKWs nicht ereignen könne, da sie ja ein Containment, einen Stahl-Beton-Schutzmantel, hätten, der in Tschernobyl fehlte. Fukushima zeigt, dass diese Schutzhüllen veraltet und schlecht gewartet, durchaus die Radioaktivität entweichen lassen.
Selbst wenn Europa nicht solche Erdbeben und Tsunamis wie Japan kennt, so gibt es auch hier Naturkatastrophen. Das Sturmunwetter, das Ende 1999 den Süd-Westen Frankreichs heimsuchte, war zwar von historischem Ausmaß, aber bei weitem kein Tsunami, aber führte dazu, dass zwei Teilabschnitte des AKW Blayais in der Gironde, überflutet wurden und das Kühlsystem und die anderen Sicherheitssysteme ebenso, stundenlang funktionsunfähig machte. Erst im Nachhinein wurden die Anwohner von der Bedrohung informiert. Dieses Kernkraftwerk war theoretisch für ein "Jahrtausend-Hochwasser" konzipiert. Berechnungsfehler oder Sparmaßnahmen bei der Konstruktion? Auf jeden Fall war EDF mehr als ein Jahr vorher aufgefordert worden, die Deiche zu erhöhen, hatte diese Arbeiten immer wieder verschoben... bis zu dem schweren Zwischenfall.
Ununterbrochen werden in den verschiedenen AKWs "Zwischenfälle" unterschiedlichen Schweregrads registriert, statt öffentlich bekannt gegeben zu werden. Jedes Jahr erfasst die Atomsicherheitsbehörde (ASN) an die hundert "Zwischenfälle" in den AKWs oder den Fabriken des atomaren Brennstoffzyklus. Einige sind mit dem Ausstoß radioaktiven Materials in die Umgebung verbunden. Im Jahre 2005 gab es laut ASN bei 34 der 58 Reaktoren in Frankreich Störfälle im Bereich des Kühlwassersystems. 2008 kam es zu diversen Leckagen mit Austritt von radioaktivem Material und Brennstoff im AKW (und auch nuklearen Forschungsstelle) Pierrelatte und im AKW und Wiederaufbereitungsanlage Tricastin, sowie anderen Subunternehmen der Nuklearindustrie. Oft ist es zufällig und im Nachhinein, dass diese Leckagen entdeckt werden, ebenso wie zu hohe Bestrahlung des Personals. Wenn diese ASN theoretisch auch unabhängig von den Nuklearbetreibern Areva und EDF ist, so ist sie doch vollkommen abhängig vom französischen Staat, der über die Interessen der gesamten Atombranche wacht.
In der Atomindustrie herrschen die gleichen Methoden wie in anderen Industrien: der gleiche Mangel an Vorsorge, derselbe Arbeitstakt und kaum einzuhaltende Terminzwang, derselbe Druck alle Arbeiten möglichst schnell zu erledigen: mit dem Risiko Fehler zu machen. Und man muss hinzufügen: derselbe Versuch alles zu niedrigsten Kosten zu machen.
Für die Wartung und Instandhaltung der 58 Reaktoren greift EDF auf Subunternehmen und Zeitarbeiter zurück wie alle anderen Industriebereiche auch. Die in Frankreich als "Nuklear-Nomaden" bezeichneten Arbeitenden gehen von einem AKW zum Anderen, wie es die Wartung und Instandhaltung verlangt. Sie sind Angestellte untereinander um Marktanteile rivalisierender Unternehmen. Offensichtlich versuchen diese, sich gegenseitig bei den Kosten zu unterbieten, was sich natürlich bei den Arbeitsbedingungen und der Arbeitssicherheit auswirkt.
Laut der schon zitierten Annie Thébaud-Mony sind "zwischen 25.000 - und 35.000 Wartungsarbeiter (Armaturenmonteure, Mechaniker, Elektriker, Dekontaminierer, Wärmeisolierstoff-Entferner, Kontrolleure...) in sogenannten radioaktiven ,Kontrollbereichen' tätig, um die notwendigen Reparaturen, notwendigen Veränderungen usw. an den Reaktoren und den Kühlsystemen zu verrichten. Je älter ein AKW ist, umso intensiver ist die radioaktive Kontamination, und jede Intervention kostet hier mehr Strahlendosis in der Zeiteinheit. Daher sind die Betreiber von Atomanlagen dazu übergegangen, die strahlenintensiven Arbeiten an Subunternehmer zu vergeben und ein System der Arbeitsverrichtung entsprechend der empfangenen Strahlendosis zu schaffen;"
Es sind also die Arbeitenden der Subunternehmen, die 80% der Strahlung abbekommen, und gleichzeitig einer geringeren medizinischen Überwachung und stärkerem Druck von Seiten ihres Unternehmers ausgesetzt sind. Nach 20 oder 25 Jahren der Strahlenexposition, erkranken verschiedene von ihnen an Krebs und müssen einen wahrhaften Kampf für die Anerkennung als Berufskrankheit führen. Annie Thébaud-Mony nimmt an, dass sich bei diesen Atomarbeitern eine gesundheitliche Katastrophe anbahnt, die mit derjenigen des Asbests vergleichbar ist.
Die Verteidigung der französischen Atombranche um jeden Preis
Angesichts der durch die Fukushima -Katastrophe verursachten Unsicherheit hat die französische Regierung eine großangelegte Überprüfung aller Kernkraftwerke beschlossen, um die "Risiken von Überschwemmungen und Erdbeben, den Ausfall der Elektrizitätsversorgung und den Ausfall der Kühlsysteme" zu prüfen. Identische Tests sind für die 143 Reaktoren in Europa vorgesehen. Sarkozy ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat sich verpflichtet, alle AKWs, die diesen Test der europäischen Union überstehen nicht bestehen, zu schließen.
Diese Ankündigungen sind bestenfalls als Nebelkerzen zu verstehen, um die öffentliche Meinung zu beruhigen. Aber in Wirklichkeit sind sie das Eingeständnis von Verantwortungslosigkeit, denn warum sollte man in aller Dringlichkeit dermaßen wichtige Fragen klären, wenn die französischen Kernkraftwerke "die sichersten der Welt sind", wie es die Minister und die Autoritäten der Atomindustrie behaupten?
Das Hauptanliegen der Regierung in dieser Angelegenheit ist die Verteidigung der französischen Atomindustrie angesichts des Risikos einer Verminderung beim AKW-Neubau in der Welt: nach der Fukushima-Katastrophe. Der von der Regierung angeforderte Roussley-Bericht, des EDF-Ehrenpräsidenten, über die Zukunftsaussichten der französischen Atomindustrie sagt, "die Atomindustrie ist wahrscheinlich der einzige Wirtschaftsbereich, dessen Zukunft weitgehend von der öffentlichen Meinung bestimmt wird." Es geht also darum, sie zu beruhigen.
Seit seinem Ursprung zu Beginn der siebziger Jahre, ist diese im Eilschritt unter Staatsägide entwickelte Branche eine Goldgrube für ein Dutzend privater Industriegruppen. Vom Uranbergbau, seiner Verarbeitung zu reaktorfertigem Brennstoff, den Bau solcher Reaktoren, deren Wartung, und die nachfolgende Wiederaufarbeitung der "abgebrannten" Brennstäbe, der Lagerung des radioaktiven Abfalls, stellt eine ganze Industriekette und einen hoch lukrativen Markt dar. In den Jahren des Aufbaus des französischen Reaktorparks hat diese Branche die Aktionäre von Framatome, dem späteren Areva, jene von Alsthom und von Pechiney, um gar nicht erst von den Königen des Betons, Bouygues und Co zu sprechen. Heute geht es vor allem um den Export, wo Areva seine Auftragsbücher zu füllen hofft.
In diesem Sektor spielt der Staat mehr noch als in allen anderen, eine zentrale Rolle, indem er für die Forschung und die Investitionen aller unrentablen Bereiche aufkommt, aber Profite und Service nach Verkauf den Privatunternehmen überlässt.
Weit im Vorfeld hat immer der Staat die Versorgung mit Rohstoffen, in diesem Falle des Urans, garantiert. Als die Uranminen im französischen Limousin erschöpft waren, hat die Cogema, früher ein Staatsunternehmen, das nun von Areva geschluckt wurde, die Suche und den Uranabbau in Gabun und Niger in der Hand. So verfügt Areva im Staat Niger über den alleinigen Zugang zum dortigen Uran, und zwar zu einem Preis, der bei einem Viertel des Weltmarktpreises liegt.
Dank des Drucks, den der französische Staat auf die Regierung von Niger ausübt, hat Areva eine Erneuerung seiner Uran- Exklusiv-Verträge um weitere 40 Jahre verlängern können und hat für diesen Zeitraum nur eine Preiserhöhung von 50 % zugestanden. Ein Nebeneffekt dieses Drucks des französischen Staates ist die Geiselnahme einiger Areva-Beschäftigten. Was die Arbeitsbedingungen in den Uranminen von Arlit und Imuraren betrifft, so entsprechen sie denen, die in den Edelmetallminen oder den Ölförderungsanlagen in ganz Afrika herrschen. Ein Bericht der Criad, einer unabhängigen Organisation zur Messung der Radioaktivität, von 2009 besagt, dass in Arlit das zur Nahrungsmittelwäsche benutzte Wasser dort einen "sehr hohen Grad an Radioaktivität hat", da "enorme Mengen radioaktiver Abfälle... sich unter freiem Himmel befinden" und dass "der radioaktiv kontaminierte Eisenschrott von der Bevölkerung zum Hausbau benutzt wird".
Und es ist wieder der französische Staat, der den reisenden Handelsvertreter für den Verkauf der französischen Kernkraftwerke in der ganzen Welt von Südafrika bis Finnland, Korea und China spielt. Sarkozy ist es sogar gelungen während Gaddafis Paris - Aufenthalt 2008, ihm das Projekt eines Kernkraftwerkes zu verkaufen, als ob Libyen ein Problem mit der Energieversorgung hätte.
Sicherheit kostet einfach zu viel
Frankreich rühmt sich, zuverlässigere AKWs anzubieten, solche der so genannten dritten Generation, mit einem doppelten Sicherheits-Containment, und zusätzlich verstärkten Sicherheitssystemen, den EPR (Europäischer Druckwasser-Reaktor). Die Generaldirektorin von Areva, Anne Lauvergeon, besaß die Geschmacklosigkeit, in den ersten Tagen der Katastrophe zu erklären:"Wenn es EPR-Reaktoren in Fukushima gegeben hätte, dann wäre, welche Situation auch immer bestehe, keine Leckage von radioaktivem Material in die Umgebung möglich gewesen", was zumindest anmaßend ist, da sich noch kein einziger ERP-Reaktor in Betrieb befindet. Mehrere Kernkraftwerke dieses Typs sind im Bau, insbesondere in Flamanville am Ärmelkanal und in Olkilutoto in Finnland. Aber das eine, wie das andere haben zunehmend Bauverzögerungen. Außer der Komplexität einer solchen Baustelle haben die nuklearen Sicherheitsbehörden mehrerer Länder verschiedene Mängel in den ursprünglich geplanten Sicherheitssystemen reklamiert. Die andere Ursache für diese Bau-Verzögerungen liegt darin, dass verstärkte Sicherheitssysteme auch höhere Baukosten verursachen.
Gerade das ist das Problem der EPR ist zu teuer. Der Gipfel des Zynismus ist, dass Anne Lauvergeon versucht das ursprüngliche handicap in einen Vorteil zu transformieren. Der Roussely-Bericht, der das Ziel hat, die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Atomindustrie in Schwung zu bringen, beklagt die Unterschiede im Niveau der Sicherheitsanforderungen der verschiedenen Länder und den illoyalen Wettbewerb derjenigen Konstrukteure, die es dabei weniger genau nehmen. Vor weniger als einem Jahr schrieb er, "die einzig vernünftige Logik kann nur das Wachstum der Sicherheitsanforderungen sein". Dann schlug er die Schaffung einer Arbeitsgruppe vor, deren Ziel es sein solle, Vorschläge zu erarbeiten, die die Sicherheitsansprüche besser in Einklang mit den ökonomischen Zwängen bringen, "damit die Atomindustrie eine attraktive Wettbewerbsfähigkeit für private Investitionen hat."
Um die Bevölkerung zu beruhigen haben alle Regierungen immer behauptet, dass die AKWs unter strikter Kontrolle des Staates blieben, und von einem öffentlichen Betreiber wie EDF mit "einer Kultur der Sicherheit" betrieben würden. Aber der Status "öffentlicher Dienst", wenn er auch manche Entartungen wie bei Tepco begrenzt, hat weder die Versuche die Ausgaben zu kürzen verhindert noch die Transparenz verbessert.
Auch wenn man auch annähme, dass in den ersten Jahren der Kernkraftentwicklung diese "Sicherheitskultur" existieren konnte, so hat das systematische Zurückgreifen auf Subunternehmen, die oft sogar Filialen der großen Industriegruppen sind, sich offen in eine Kultur der Profitmacherei verwandelt. Diese Unternehmen stellen ihre Arbeiten in den AKWs zu "goldenen" Preisen in Rechnung und üben gleichzeitig Druck auf die Subunternehmen und deren Beschäftigten aus, um die Kosten zu reduzieren.
Die Öffnung von EDF für privates Kapital hat dieses schon alte Phänomen beschleunigt. Von nun an muss EDF Profite für seine Aktionäre abwerfen. Laut der satirischen Zeitschrift Le Canard Enchainé, hat EDF im Jahre 2010 eine Milliarde Euro Gewinn gemacht, aber zwei Milliarden Euro Dividende an seine Aktionäre ausgeschüttet. Weiter heißt es dort, dass EDF seit 2002 nur 200 Millionen Euro für die Instandhaltung seines AKW-Parks aufwendete, wohingegen ein interner Bericht 1,9 Milliarden Euro zu investieren für nötig erachtete.
Wenn die Kernkraft gefährlich ist, dann ist es der Kapitalismus, der dies bewirkt
Also es ist die Atomenergie in den Händen der Kapitalisten, die sie so gefährlich macht. Da ist sie sogar tödlich. Wir können zu den Verantwortungslosen, die gegenwärtig die Atomindustrie leiten, überhaupt kein Vertrauen haben, zu den Aktionären von Tepco genauso wenig wie den von GDF-Suez, E-on, RWE, Areva, EDF und viel anderen. Und wir können ebenfalls kein Vertrauen zu den Regierungen haben, die dies Branche an sich strikt kontrollieren sollten, tatsächlich aber nur, koste es was es wolle, die Interessen der Aktionäre verteidigen. Die einen wie die anderen lassen permanent die Atomarbeiter Risiken auf sich nehmen, und dann die mehr oder weniger dicht benachbarten Bevölkerungen.
Die Frage des "Ausstiegs" aus der Atomenergie, in dieser Form gestellt, ist im besten Falle eine Sackgasse, wenn nicht gar ein Ablenkungsmanöver, wenn man die sozialen und ökonomischen Bedingungen unter denen wir leben, außer Acht lässt.
Es ist eine Sackgasse, denn die Fukushima-Katastrophe ist eine erneute, tragische Bestätigung für die Gefahren - nicht so sehr der Atomenergie an sich, sondern der tödlichen Gefahr des Kapitalismus. Das Profitstreben transformiert die Landwirtschaft und die Viehzucht in Giftmischer, wie es unter anderem die Tiermehl-Skandale und der "Rinderwahnsinn" zeigten. Die industrielle Überfischung ist eine katastrophale Flucht nach vorn, die in den Ozeanen viele Tierarten ausrottet, und Millionen kleiner Fischer ruiniert. Und wer kann garantieren, dass die industrielle Fischzucht... mit Fischmehl, nicht ebenfalls ein neues Gesundheitsdrama provoziert? Wenn der Kapitalismus die Meere und Ozeane nicht von Lebewesen entleert, dann verseucht er sie. Es ist die Raffgier der Leiter und Aktionäre von BP, des Spezialunternehmens für Ölbohrungen Haliburton, die mit Billigung der US-amerikanischen Bundesbehörden, die eigentlich dies Ölbohrungen überwachen und kontrollieren sollen, die die Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im April 2010 im Golf von Louisiana provozierten. Das Resultat war elf Tote und das Ausströmen von 780 Millionen Litern Öl, die drei Monate lang ausliefen und die schlimmste Ölpest der Geschichte verursachten. Dies alles nur der Profitmacherei wegen.
In der kapitalistischen Gesellschaft ist die gesamte industrielle Produktion gefährlich: für die Arbeitenden, die sie am Laufen halten, für die Anwohner, für die Konsumenten, für die Umwelt...
Lange vor dem Atomzeitalter hat das japanische Chemie-Unternehmen Chisso jahrzehntelang, von 1932 an, Merkur in die Bucht von Minamata geleitet und damit die Bevölkerung vergiftet, besonders unter den Fischern gab es tausende von Opfern, und die ganze Bucht wurde in ein "totes Meer" verwandelt. Die schlimmste Chemie-Katastrophe des 20. Jahrhunderts fand 1984 im indischen Bhopal statt: die Explosion der amerikanischen Union Carbide Fabrik mit Freisetzung einer tödlichen Gaswolke. Offiziell gab es dabei 3.500 Tote, doch die sehr viel glaubhafteren Opferorganisationen sprechen von 20.000 bis 25.000 Toten. Der letzte schwere Industrieunfall in Frankreich die Explosion in der Chemiefabrik AZF in Toulouse forderte 31 Todesopfer und unzählige Verletzte, das spielte sich nicht in einer Atomanlage ab. Jedes Mal ist oder war es die Sparsamkeit bei den Sicherheitsmaßnahmen und die Profitsucht, die Störfälle bei der Wartung und die völlige Rücksichtslosigkeit gegenüber der in der Umgebung wohnenden Bevölkerung, die diese Unfälle erklärt.
Und... um im Energiebereich zu bleiben, wenn 15 % der auf der ganzen Welt erzeugten Elektrizität durch Atomkraftwerke produziert werden, 40 % durch Kohlekraftwerke, so tötet die Kohle auch. Das ist weniger spektakulär als ein AKW-Zwischenfall, aber jedes Jahr sterben laut chinesischen Statistiken, die die Zahl eher verkleinern, mehr als 3.000 Bergleute allein in China. Laut der internationalen Energieagentur zählt China 600.000 Bergleute, bei denen Lungenerkrankungen als Berufskrankheit anerkannt sind. Im Laufe des 20.Jahrhunderts hat die Kohle 100.000 amerikanische Bergleute getötet und die von ihr verursachte Luftverschmutzung kostete jährlich 50.000 - 60.000 Briten wegen Atemwegserkrankungen im Laufe der fünfziger Jahre das Leben
Und es ist völlig unklar, ob die Marktgesetze nicht erneut der Kohle wieder einen viel bedeutenderen Anteil an der Elektrizitätsproduktion geben werden. Sie ist heute eine der billigsten Brennstoffe, der nicht nur in China verwendet wird. Dänemark, Europa-Meister bei der Windenergie hat die Atomenergie verbannt und produziert 60% seiner Elektrizität in Kohlekraftwerken. Einer der Nebeneffekte der Fukushima-Katastrophe ist in Erwartung der unausweichlich höheren Nachfrage aus Japan, der sprunghafte und spekulative Anstieg der Börsenkurse für Kohle und Gas.
Dies zeigt nur: Solange Industrie, Landwirtschaft, Transportwesen, das heißt die gesamte Wirtschaft in Privathänden ist, bleiben die Menschheit und der Planet bedroht.
Die Führer der Grüne: bereit, den Kapitalismus zu managen
Dies zeigt vor allem die Heuchelei der Grünen, die lautstark den Ausstieg aus der Kernenergie fordern und gleichzeitig bedingungslos das kapitalistische System verteidigen. Wir meinen damit natürlich nicht die Aktivisten, die die Lügen der AKW-Betreiber entlarven, Informationen über Zwischenfälle und eigene Messungen bekannt machen, wenn radioaktives Material in die Umwelt gelangt, die Lagerungsbedingungen der radioaktiven Abfälle denunzieren, von denen man immer noch nicht weiß, was man langfristig damit tun soll. Wir teilen viele ihrer Sorgen, und wir haben uns mit manchen Kämpfen dieser Aktivisten solidarisiert, und werden das auch in Zukunft tun, wenn zum Beispiel die Bevölkerung den Bau eines AKW oder einer Wiederaufbereitungsanlage in ihrem Bereich ablehnt, oder die unterirdische Lagerung radioaktiver Abfälle.
Wir reden von den politischen Führern der Ökologiebewegung, die nach der Macht schielen. Sie stützen sich heute auf die legitimen Befürchtungen die durch die immer schlimmeren Verwüstungen, die der Kapitalismus für öffentliche Gesundheit oder die Umwelt verursacht, denn diese werden durch die Riesenhaftigkeit der Industrie und die Vereinigung des Weltmarktes noch vergrößert. Aber Minister geworden, oder vielleicht eines Tages Regierungschef, verteidigen sie zahm die Interessen der Industrie und Banken.
Diese Leute sind für die Ökologiebewegung das, was die Blum [NdÜ: erster "sozialistische" Premierminister Frankreichs. Nach dem Generalstreik Juni 1936 "beruhigte" er mit sozialen und wirtschaftlichen Reformen die Arbeiterklasse und rettete das Großkapitals vor Enteignung] oder die Mitterand für die Arbeiterbewegung und den Sozialismus bedeutet haben. Sie bedienen sich der Ökologie wie eines Handelsgeschäftes, um an die Macht zu gelangen.
Von 1997-2002 war Dominique Voynet Umwelt-Ministerin in der "sozialistischen" Regierung Jospin, die ganz entschieden die Interessen der Atomindustrie verteidigte. Diese Regierung schuf durch den Zusammenschluss insbesondere durch den Zusammenschluss der staatlichen Cogema und der privaten Framatome den privatwirtschaftlichen Areva-Konzern. Es war diese Regierung die das Projekt des "europäischen Druckwasser-Reaktors" ERP lancierte. Dominique Voynet hat sich niemals an den französischen Atomwaffen gestört. Sie forderte ein Referendum über die zivile Kernenergie, hat aber nie ihr Regierungsamt niedergelegt, auch wenn Premierminister Jospin ihre Forderungen immer wieder ablehnte.
Ein Referendum haben Mitte März auch verschiedene Organisationen und Parteien in einem "feierlichen Appell" an die Regierung gefordert. Aber sich mit einem Referendum zu begnügen, sei es gegen die Privatisierung der Post oder eine Energiewende, das ist nichts als Schaumschlägerei. Nie wird es genügen, um Elektrizitätserzeugung und -vertrieb, dem Gas, Öl oder Wasser den Händen der Areva, GDF-Suez oder Veolia zu entreißen. Und selbst wenn Sarkozy sich dazu herablassen würde, ein Referendum zu genehmigen, und selbst wenn es erfolgreich sein sollte, was würde das ändern?
Die Grünen in Deutschland haben bei ihrer Beteiligung an der Schroeder-Regierung (1998 - 2005) ein Moratorium beim AKW-Bau erreicht, und ein Gesetz zum Atomausstieg. Aber 17 auch der ältesten Reaktoren laufen immer noch und in privater Regie in Deutschland? Weil, die Abrissarbeiten eines AKW (an die man bei ihrem Bau kaum dachte), sehr komplex sind, viel Zeit brauchen, und vor allem, weil, es nicht leicht ist, diese Energie zu ersetzen.
Der neue Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, wird vielleicht für dieses Bundesland den Ausstieg in 10 oder 20 Jahren zusagen, aber Kretschmann, der sich als "konservativer Ökologe" bezeichnet, als Erfinder des "Realismus in der Ökologie", will "Ökonomie und Ökologie versöhnen". Doch er wird sich in erster Linie in den Dienst jener gerade in der Stuttgarter Region mächtigen Industriellen der Autoindustrie stellen. Seit Langem schon ist Ökologie zu einer für die Kapitalisten gewinnbringenden Verpackung geworden. So begeben sich die KFZ-Hersteller in einen weltweiten Wettkampf um das Elektroauto. Der Generaldirektor von VW erklärte kürzlich: "Um hier Erfolg zu haben muss man unbedingt Weltmarktführer im ökologischen Bereich sein". Dabei spielt es keine Rolle, ob die Produktion des Elektroautos nur mit staatlichen Subventionen rentabel sein wird, ob es den Elektrizitätsverbrauch vergrößert und ob es das Fördervolumen an Schwermetallen und seltenen Rohstoffen vergrößert, deren Förderung auch toxisch ist, um die Autobatterien/Akkus zu produzieren.
Um den globalen Energieverbrauch, und auch der Elektrizität zu senken, wiederholen die Grünen, dass man "die Energiesparsamkeit und Energieeffizienz verbessern" muss.
Die revolutionären Kommunisten als Anhänger der geplanten und rationalen Produktion unter permanenter Kontrolle der Bevölkerung, haben nicht auf die Grünen gewartet, um dieses Programm zu verfechten. Die Beendung der unglaublichen Verschwendungen, die mit der kapitalistischen Organisation der Gesellschaft verbunden sind, der Energievergeudung die mit dem Straßengüter- und Personenverkehr und der "just in time-Produktion" verbunden sind, den Transport der identischen Waren in die eine Richtung und gleichzeitig in die Gegenrichtung zu beenden, die Rüstungsproduktion abzuschaffen und die Produktion so vieler anderer sinnloser Dinge, das ist schon immer das kommunistische Programm gewesen. Aber die Voraussetzung dafür ist, die Produktionsmittel den Händen der Kapitalisten zu entreißen.
In einer Klassengesellschaft angewendet, bedeutet der Sparsamkeits-Slogan der Grünen unausweichlich Sparsamkeit für die Armen, die man durch ununterbrochene Steuererhöhungen zum Konsumverzicht zwingt, und Überfluss für diejenigen, die genügend Geld haben.
Die erneuerbaren Energien sind heute - und zweifellos noch für eine geraume Zeit - erheblich teurer als die thermische und nukleare Elektrizitätserzeugung. Eine Gesellschaftsordnung, die im vollen Bewusstsein (und voller Kenntnis der Details) die Techniken auswählt, die für ihre Energieversorgungs-Bedürfnisse nötig sind, kann durchaus entscheiden, kollektiv lieber mehr zu zahlen, um industrielle Gefahren zu vermeiden. Aber auf einem kapitalistischen Markt, der von einigen großen Energieversorgern beherrscht wird, ist es klar, da immer die Endverbraucher die Rechnung zahlen. Die letzte im Januar aufgezwungene Strom-Tariferhöhung ist von EDF ausdrücklich mit dem Ankauf von Wind- und Sonnenenergie, gerechtfertigt worden.
Was die von den Grünen geforderten Subventionen zum Anreiz für Produktion erneuerbarer Energien betrifft, so sind diese in erster Linie eine Glücksfall für die Hersteller und Installateure dieser Energien, ohne wirklich die Produktionskosten der Wind- und Sonnenenergie zu senken.
All dies ist den Führern der Grünen vollkommen klar und oft fordern sie es auch ganz offen. Nicolas Hulot forderte in seinem "Ökologie-Pakt" 2006 eine Steuererhöhung für Wasser und Müllabfuhr und die Einführung von KFZ-Vignetten entsprechend dem Luftverschmutzungsgrad der Autos. Diese Vignetten werden den Besitzern von Geländewagen mit Vierradantrieb problemlos bezahlt können, aber es trifft jene hart, die nicht über das Geld verfügen, sich neuere Autos zu kaufen. Doch das interessiert Hulot, Kretschmann usw. nicht, denn die Armen zählen nicht zu ihrer bevorzugten Wählerklientel.
Wir sprechen uns für keine der verschiedenen Formen der Energieerzeugung für die Zukunft der Menschheit aus. Schlecht gemeistert können alle Formen eine Gefahr darstellen. Damit sie wirklich und bedingungslos im Dienst der Menschen stehen, ist es lebensnotwendig, nicht nur die Technologie zu beherrschen, sondern auch die sozialen Bedingungen ihrer Anwendung.
Dies ist unmöglich in einer Gesellschaft, wo die Entscheidungen ausschließlich oder auch nur vorwiegend von den Profiterwartungen bestimmt werden.
Es ist also eine dringende Notwendigkeit, dieser Gesellschaft ein Ende zu bereiten, die mit Verwüstungen und Bedrohungen auf der Menschheit und dem Planeten lastet, solange die Verantwortungslosen, die die gesamte Gesellschaft beherrschen nicht entmachtet sind. Die schlimmste aller Bedrohungen ist die die kapitalistische Organisation der Gesellschaft. Nötig ist die Kontrolle aller Produktionsmittel, jener des Energiesektors wie aller anderen durch profitgierige Privateigentümer zu beenden. Es ist eine dringende Notwendigkeit an ihre Stelle eine im Weltmaßstab rationell geplante Gesellschaftsordnung unter Kontrolle einer bewussten und aufgeklärten Bevölkerung zu setzen.
Offensichtlich wird dies nicht automatisch alle Probleme lösen. Diese Gesellschaft kann nicht mit einem Zauberstab unerschöpfliche Energieversorgung hervorsprudeln lassen und nicht alle Gefahren beseitigen. Doch die Menschheit wird die Probleme in bewusster Weise angehen können. Sie wird kollektiv und im Weltmaßstab diskutieren, wie am sinnvollsten die Energie für alle gesichert ist (ohne sich in eine Energieunabhängigkeit zu zwingen, die auch in erdbebengefährdeten Regionen zum Bau von Kernkraftwerken zwingt). Sie wird schließlich entscheiden können, indem sie die Gesamtheit aller Parameter der Sicherheit und der natürlichen Gegebenheiten berücksichtigt.
Die Kernenergie könnte, wenn man sie wirklich, inklusive der Behandlung der radioaktiven Abfälle beherrscht, sich als wirksamer (und ökologischer!) erweisen als andere Energieressourcen. Das Feuer verursacht nicht selten furchtbare Zerstörungen, aber die Beherrschung des Feuers durch den Menschen stellte einen großen Sprung nach vorn für die Menschheit dar.
Sei es, dass die Atomenergie durch andere Techniken ersetzt wird, die sie perfektionieren oder neu erfunden werden. Daran wird es keinen Mangel geben. Lenin sagte in einer sehr verkürzten Formel: "Kommunismus bedeutet Arbeiterräte und Elektrifizierung." Man könnte das paraphrasieren und sagen, "um sicher Energie zu produzieren, müssen erst Arbeiterräte geschaffen werden."
2 April 2011