Seit einigen Monaten steht Katalonien im Mittelpunkt des politischen Lebens in Spanien. Alle Parteien, die für die Unabhängigkeit Kataloniens sind - rechte, linke und linksextreme Parteien - hatten gemeinsam entschieden, am 1. Oktober ein Referendum über die Unabhängigkeit durchzuführen. Madrid hatte dieses Referendum für illegal erklärt. Seitdem geht das Kräftemessen zwischen beiden Seiten weiter.
Weder das Verbot des Referendums noch der massive, gewaltsame Polizeieinsatz hatten verhindert, dass zwei Millionen Katalanen wählen gingen, um ihrer Unzufriedenheit mit der Politik der spanischen Regierung sowie ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit Ausdruck zu verleihen. Wie zu erwarten, wurde das Ergebnis der Abstimmung von Madrid für null und nichtig erklärt.
Die Wirtschaftskrise hat Spanien wie den Rest der Welt getroffen und die Lebensbedingungen sehr verschlechtert. Das Erstarken der Unabhängigkeitsbewegung ist der Ausdruck der vielfältigen sozialen Spannungen. Doch ihre Politik hat der arbeitenden Bevölkerung keinerlei Perspektive zu bieten.
Die katalanischen Organisationen, die für die Unabhängigkeit sind, haben zwar eine radikale Sprache, aber sie richten sich in keinster Weise an die arbeitende Klasse, weder in Katalonien noch sonst wo. Die Arbeiter leiden weiter unter den niedrigen Löhnen, der Arbeitslosigkeit und einer immer härteren Ausbeutung. In den Fabriken, im Öffentlichen Dienst, im Handel, in den Banken, im Tourismus oder in der Landwirtschaft: Überall hat man zu gehorchen, ob man nun katalanischen oder andalusischen Ursprungs ist oder aus einem anderen Land kommt.
Es ist eine Illusion zu glauben, dass man den Anspruch auf eine bessere Behandlung haben könnte, weil man in Katalonien geboren ist oder eine katalanische Familie hat. Diese Abkapselung von Gruppen auf der Basis ihrer Herkunft spaltet die Ausgebeuteten. Dabei wird es für sie immer notwendiger, sich zusammenschließen, um ihre Rechte geltend zu machen.
In diese Falle sind heute in Katalonien diejenigen getappt, die glaubten, sie könnten Verbündete im Lager ihrer Ausbeuter finden, weil diese dieselbe Nationalität haben wie sie.
Puigdemont ist ein Politiker der liberalen Partei, ein offener Verteidiger der kapitalistischen Klasse.
Diejenigen, die ihm heute vertrauen, lassen sich vor den Karren einer arbeiterfeindlichen Politik spannen und eines Feindes, der bereit ist, alles und das Gegenteil zu verhandeln, um weiter an der Macht beteiligt zu sein. Und vergessen wir nicht Puigdemonts Vorgänger und Parteifreund Arthur Mas, ein Gauner aus der Welt der Hochfinanz und verwickelt in weithin bekannte Skandale, der ebenfalls die Wut der Ausgebeuteten in Sackgassen leiten möchte.
Ja, man muss - und das gilt für ganz Spanien - gegen die Politik der spanischen Machthaber kämpfen, dieser reaktionären Monarchie. Und man muss auch die Polizeigewalt anprangern, die der konservative Rajoy mit Unterstützung der sozialdemokratischen Partei PSOE eingesetzt hat. Aber dabei darf man nicht stehen bleiben.
Die Unterdrückung und Gewalt, die Rajoy heute gegen diejenigen organisiert, die sich seiner Politik in der Unabhängigkeitsfrage widersetzen, wird er auch einsetzen, wenn sich Arbeiter gegen die Angriffe der Regierung wehren und ihre Rechte verteidigen.
Über all diese Probleme muss man diskutieren, über alle Probleme, die mit den Sparmaßnahmen, den Privatisierungen im Öffentlichen Dienst, den Angriffen auf die Rente zusammenhängen.
Die Puigdemonts und Rajoys streiten sich, weil jeder für einen Teil der kapitalistischen Klasse noch bessere Bedingungen durchsetzen will.
Aber beide sind - jeder auf seine Art und auf seinem Gebiet - bereit, auf die Arbeiterklasse draufzuschlagen.